Auf der Suche nach Gott

Nach einem Gebet fragte mich meine fünfjährige Enkelin was ich im Gebet mache. Nichts anderes fiel mir zur Beantwortung ihrer Frage ein, außer ihr zu erklären, dass ich im Gebet mit Gott spreche. Um eine kurze Erklärung über meinen Gott zu geben, fügte ich hinzu, dass derGott, zu dem ich bete, ein barmherziger Gott ist, der immer bei mir ist. Ihre prompte Frage, ob ich auch das Spaghettimonster kenne, verblüffte mich, und sie fügte hinzu, dass auch ein Spaghettimonster irgendwie ein Gott sei. Als sie beim Klettern auf einem Baum auch noch die Heilige Mutter Maria zur Hilfe ersuchte, kamen die besorgniserregenden Fragezeichen in meinem Kopf ziemlich in Bewegung. Die Frage, wie eine Fünfjährige mit den vielfältigen Angeboten über Gottesverständnisse und Gottesbilder ihren eigenen Gott findet, bewegt mich weiterhin.

Kann Gott beschrieben und vermittelt werden, wenn er immer größer ist, als das, was der Mensch denken kann? Findet jeder Mensch aufgrund seiner Lebenserfahrungen den eigenen Gott? Auch wenn es nur einen einzigen Gott gibt, ist er individuell erfahrbar, und gibt es demnach so viele individuelle Beschreibungen von Gott wie es Menschen gibt? Kommt Gott zu den Menschen oder sucht und findet der Mensch Gott? Diese Fragen sind vermutlich nicht nachweisbar zu beantworten, und doch begleiten sie die Menschen stets.

In der medial bestimmten Welt sind die Angebote in nahezu allen Lebensbereichen unbegrenzt gestiegen. Sie beinträchtigen unsere Wahrnehmungen und Empfindungen, erwecken Bedürfnisse, geben uns vor, wie wir glücklich und zufrieden werden können. Das schnelle Leben lässt kaum Zeit, den Ablauf des Tages zu unterbrechen, nach innen einzukehren und eigene Bedürfnisse und Empfänglichkeiten zu entdecken. Die inneren Stimmen werden überflutet von Informationen und Annahmen der anderen, die unreflektiert zu einer eigenen Meinung gemacht werden können.

Im Qurān heißt es, dass in allem, was existiert, das Antlitz Gottes zu sehen ist. Gott gibt sich zu erkennen, wenn der Mensch sich die Zeit nimmt, das Gesehene zu betrachten und darüber nachzudenken. Im täglichen Leben sich Zeit zu nehmen, in Demut und achtsam die Schöpfung anzuschauen und das Herz für das Verstehen öffnen sind Maxime, die zur Entdeckung des inneren Verlangens führen. Mit anderen Worten: die dahineilende Zeit bewusst greifen und begreifen, um die Sinnhaftigkeit des Lebens zu entschlüsseln. Dieser Lebensweg kann vorgelebt und gefördert werden. Darauf aufbauend und in Vertrauen auf Gott kann man getrost und gelassen davon ausgehen, dass jedes Kind und jeder Mensch in seinem Leben von einer unbeschreibbaren Kraft getragen wird, die ich den barmherzigen Gott nenne. Eine Kraft, die unbegrenzt und bedingungslos seine Zuwendung und Barmherzigkeit ausstrahlt und sich um seine Schöpfung sorgt.  Der Glaube an Gott ist Zuversicht, Vertrauen und die Verantwortung für die Schöpfung. Wer mit diesen Prämissen sich auf die Entdeckungsreise des Lebens begibt, findet den Gott, der ihn persönlich anspricht.

Hamideh Mohagheghi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften an der Universität Paderborn.

Der ‚andere‘ Bund

Bundestheologie ist ein ausgezeichnetes Feld für die komparative Theologie, um das jeweils andere Verständnis vom biblischen Bund zwischen Gott und den Menschen im Judentum, Christentum und Islam zu erhellen. Im Wintersemester 2019/20 diskutierte ich unter dem Titel Der andere Bund – eine zwischen Juden und Christen bleibende Frage mit drei Professor*innen aus der katholischen und evangelischen Theologie über die Frage, ob Juden und Christen exakt denselben Bund für sich reklamieren können, der ihre jeweilige religiöse Tradition begründet – oder ob heute eine Theologie des religiösen Pluralismus vonnöten ist, der zufolge Gott den Bund unter wandelnden gesellschaftlichen Realitäten und mit verschiedenen Adressaten immer wieder neu und anders errichtet.

Im Zentrum dieser Podiumsdiskussion stand zunächst die allgemein kritisierte These des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. vom nie gekündigten Bund Gottes mit den Juden (Aufsatz in Communio, Juli 2018). Gegenüber der bekannten Kritik einer ‚Substitutionstheorie‘ in neuem Gewande, erhellte mein Kollege Prof. Klaus von Stosch, die Zweischneidigkeit von Benedikts These. Sie sei auch als ein Fortschritt anzusehen, weil sie die viel zu lange vorherrschende Vorstellung zurückweist, wonach der ‚alte Bund‘ Gottes mit den Juden durch einen ’neuen Bund‘ mit den Christen abgelöst (substituiert) worden sei. Die Zweischneidigkeit dieser These liege allerdings darin, dass sich Christen nunmehr als Mitglieder desselben Bundes mit den Juden betrachten können, zugleich aber die Deutungshoheit behalten wollen.

Während es einerseits hilfreich war, die zumeist nur kritisch rezipierten Äußerungen des Papstes auch einmal in ihrem positiven Gehalt zu würdigen, wurde zugleich das theologische Problem klar. Allein schon das zahlenmäßige Übergewicht der Christen gegenüber den Juden auf der Welt – das sich auf dem Podium in vier (!) Professor*innen, einschließlich des Moderators auf der christlichen Seite, gegenüber mir als einziger jüdischen Theologin ausdrückte – stand für mich die These vom ungekündigten Bundes zunächst einmal in dem kritisch zu beleuchtenden Machtgefälle des Christentums als Mehrheitsreligion mit tradiertem Dominanzanspruch, gegenüber der jüdischen Minderheit, die jahrhundertelang für das das Überleben ihrer religiösen Identität kämpfen musste. Benedikts Ausführungen zum ungekündigten Bundes setzen den Versuch der religiösen Vereinnahmung, ohne die jüdische Ansicht vom Bund ernst zu nehmen, fort.

Die Veranstaltung schloss zugleich an das von mir gehaltene Seminar Judentum als politische Theologie an. Darin nahm die Bedeutung des Bundes eine zentrale Rolle ein. Für die Studierenden war die jüdische Auslegungsgeschichte der in der Tora beschriebenen Bundesschlüsse etwas ganz Neues. Intensiv analysierten sie mit mir verschiedene Kapitel des Pentateuchs auf ihr Bundesverständnis hin – zum Beispiel die als gesondertes ‚Bundesbuch‘ bezeichneten Kapitel 21-25 im 2. Buch Mose, oder der als Oppositionen von Segen und Flüchen dargestellte Bundesschluss in den Kapiteln 29-30 im 5. Buch Mose. Die jüdische Theologie der Bundesschlüsse führt in jeweils eigene Ausgestaltungen göttlichen Rechts. Als Gesetzeskataloge enthalten sie konkrete Inhalte, die jeweils eine eigene emanzipatorische Richtung aufweisen – etwa die Freilassung der Sklaven alle sieben Jahre oder die Umwandlung des Talionsprinzips in ein System des Schadensersatzes oder der Durchbruch spezieller Frauenrechte in einem grundsätzlich patriarchalischen System. 

Die jüdische Theologie hat kein Problem damit, dass Gott in unterschiedlichen gesellschaftlichen Wirklichkeiten verschiedene Bünde geschlossen hat. Vor dem großen Bundesschluss am Sinai gab es in der Tora schon Bünde mit Adam, mit Noah und der Schöpfung, und mit Abraham. Sind sie der immer selbe Bund, lediglich mit unterschiedlichen Formulierungen? Oder sind es eigene, für sich stehende und unabhängig auszudeutende Bünde? In der Diskussion vertrat ich die Haltung, dass wir uns um die Chance einer Theologie religiösen Pluralismus bringen, wenn wir die Gehalte der jeweiligen Bünde zu einem einzigen großen Bund verwischen. Prof. Angelika Strotmann knüpfte an Norbert Lohfinks Vorschlag von ‚einem Bund, jedoch zwei Wegen‘ (Judentum und Christentum) an. Prof. Helga Kuhlmanns Ausführungen brachten wiederum die Vorstellung von einem ‚Bund Jakobs‘ ins Spiel, also das von einem Bund Gottes mit dem Vater der zwölf israelitischen Stämme. Letzterer bietet einen auch für mich interessanten Impuls, der zu einer Theologie eines pluralistischen Bundes führen könnte. In einem ‚Bund Jakobs‘ könnten sich vielleicht die verschiedenen religiösen Traditionen in der Nachfolge der verschiedenen Stämme verstehen, die aus Jakob hervorgegangen sind. Wichtig bleibt jedenfalls die Möglichkeit der Andersheit und damit erst Eigenheit.

Prof. Dr. Elisa Klapheck ist Rabbinerin in Frankfurt und Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn.

Kirche der 20er-Jahre

Es ist die Zeit der großen Rück- und Ausblicke. Das vergangene Jahrzehnt wird für die katholische Kirche in Deutschland nicht als gutes in Erinnerung bleiben. In diesem Januar ist es zehn Jahre her, dass Pater Klaus Mertes, damals Rektor am Berliner Canisius-Kolleg, in einem Brief die Fälle sexueller Gewalt an der Schule öffentlich machte. Er trug entschieden dazu bei, die Strukturen des Verschweigens zu brechen, unter denen bis heute viele Menschen leiden. So groß der Ärger in und außerhalb der Kirche über das Verzögern bei der Aufklärung ist, so sehr haben viele in den vergangenen zehn Jahren verstanden, dass es dazu keine Alternative geben darf.

Erst die nun beginnende Dekade wird zeigen, wie sehr der Missbrauchsskandal – und die teils verspäteten Reaktionen – auch die akademische Theologie nachhaltig prägen werden. Schon jetzt stellen sich im Kirchenrecht, der Moraltheologie oder der Dogmatik Fragen. Zeichnen wir in der Ekklesiologie, der Lehre von der Kirche, ein Gemeindebild, das bestehende Machtstrukturen verfestigt oder eines, das diese kritisch reflektiert? Wo spricht die kirchliche Liturgie eine Sprache, die heute missverständlich ist – zum Beispiel, weil sie eine hierarchische Trennung zwischen Geweihten und Nicht-Geweihten zementiert? Überhöhte Ideale gilt es zu dekonstruieren. Es zeichnet sich ab, dass mehr von der sündigen Kirche als der starken Stadt auf dem Berg gesprochen werden wird.

Ich frage mich, ob ein ähnliches kritisches Hinterfragen der eigenen Machtstrukturen auch für die Rolle der Kirche in der Gesellschaft gelten wird. Mitunter kommt es mir vor, als ließe sich der Relevanz- und Vertrauensverlust vorerst durch die Strukturen kompensieren, von denen die Kirche noch immer profitiert. Denn trotz hoher Austrittszahlen waren die Kirchensteuereinnahmen zuletzt sehr hoch. Dabei ist es keinesfalls selbstverständlich, dass dies, ebenso wie manche historisch gewachsene Sonderstellung der Kirchen, im Jahr 2030 noch plausibel sein wird. Die öffentlichkeitswirksamen Proteste der Bewegung Maria 2.0 oder die Hoffnungen, die in den Synodalen Weg gesetzt werden, dessen Auftakt bevorsteht, sind Zeichen für wachsenden Reformdruck, der in den kommenden Jahren nicht geringer werden dürfte. Sie sind aber zugleich Zeichen dafür, dass es noch immer Menschen gibt, denen die Zukunft der Kirche nicht gleichgültig ist. Es könnte die Aufgabe der Kirche in den 20er-Jahren sein, Strukturen zu finden, die nicht dazu führen, dass diese Menschen sich enttäuscht abwenden.

Lukas Wiesenhütter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie und am ZeKK an der Universität Paderborn.

Causa Hänel: Konfliktsensibilität statt Verurteilungen bei Schwangerschaftsabbrüchen

Es klingt paradox, wenn eine Richterin die Angeklagte verurteilt, aber zugleich die gültigen Gesetze, an die ihr Schuldspruch gebunden ist, in Frage stellt. Am Landgericht Gießen ist in der vergangenen Woche genau dieser Fall eingetreten: Die Kammer entschied, dass die Medizinerin Kristina Hänel mit Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen auf ihrer Internetseite gegen den Abtreibungsparagrafen 219 verstoßen habe, die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze bezeichnete dessen im März erfolgte Gesetzesreform aber zugleich als „nicht gelungen“.

Es ist eine emotional geführte Debatte, die rund um die Causa Hänel allgemein über Schwangerschaftsabbrüche geführt und zumeist auf die zwei Pole verkürzt wird, bei der das Lebensrecht des Fötus dem Selbstbestimmungsrecht der Frau gegenübersteht – Abtreibung scheint längst zum Kampfbegriff geworden zu sein, der entweder für Mord oder ein Menschenrecht steht. Angeheizt wird sie insbesondere von der zumeist christlich-fundamentalistisch geprägten „Lebensschutz“-Bewegung: Ihre Vertreter bedrängen immer wieder Betroffene vor Kliniken und Beratungsstellen und setzen sie emotional unter Druck – teilweise mit Plakaten, in der Schwangerschaftsabbrüche auf eine Stufe mit dem Holocaust gestellt werden, was nicht nur anstößig ist, sondern zugleich eine Relativierung des millionenfachen Völkermords der Nationalsozialisten bedeutet.

Und so überrascht es wenig, dass – wie die Juristin und freie Publizistin Liane Bednarz aufgezeigt hat – die Abtreibungskritik zunehmend von rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien „gekapert“ wird, die deutschnationale Interessen mit dem Thema vermengen, indem sie die Abtreibung von „deutschen“ Embryonen beklagen: Man fordert „mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ und eine „aktivierende Familienpolitik“ zugunsten der „einheimischen Bevölkerung“. Bednarz setzt stattdessen auf einen „seriösen christlichen Lebensschutz“, bei dem es darum gehen müsse, die Schwangere stets zur Austragung des Kindes zu ermutigen, ohne sie aber fallenzulassen, wenn sie sich letztlich doch dagegen entscheide. Diese Konfliktsensibilität haben bereits vor 30 Jahren der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer gemeinsamen Schrift „Gott ist ein Freund des Lebens“ deutlich gemacht: „Wenn eine Schwangere sich nicht in der Lage sieht, das in ihr heranwachsende Leben anzunehmen, darf ihre Entscheidung, obwohl gegen Gottes Gebot, nicht verurteilt werden.“

Jan Christian Pinsch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.

Zwischen Jerusalem und Betlehem

Immer wenn ich in Israel bin, fühle ich mich mit meinen israelischen Gastgebern zutiefst verbunden. Ich freue mich mit ihnen über all das, was sie in diesem Land aufgebaut haben und verstehe, wie sehr sie sich ausgesetzt fühlen in der sie umgebenden Welt und sich schützen wollen. In diesen Tagen leide ich mit ihnen an dem kaltblütigen Egoismus Netanjahus und seinem dreisten Versuch per Wahlen den ihn bedrohenden Gerichtsprozess zu verhindern. Und ich leide mit ihnen an der Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft, die die ständigen Neuwahlen immer offenkundiger macht – eine Zerrissenheit, die uns ja auch in Europa in ihrer Weise immer mehr beschäftigt. Immer wenn ich in Israel bin, fühle ich mich tief hineingenommen, in dieses großartige Land und hineingezogen in seine Erinnerungen, Leiden und Ängste.

Wenn ich dann nach Palästina gehe – etwa indem ich von Jerusalem nach Betlehem komme –, erlebe ich eine völlig andere Situation mit ganz anderen Geschichten. Ich sehe die Mauer, erlebe die Schikanen beim Grenzübertritt und erfahre in schöner Regelmäßigkeit, wie es ist, buchstäblich nackt als Sicherheitsrisiko eingestuft zu werden. Ich fühle mich hineingezogen in andere Leidensgeschichten und nehme teil an anderen Erinnerungen – die oft genug den Erzählungen meiner israelischen Gastgeber spiegelbildlich gegenüberstehen.

Ich fühle mich hier oft ratlos und weiß nicht so recht, wie ich diese beiden Perspektiven hilfreich zusammenbringen soll. In diesen Tagen fällt mir immer wieder ein Gedanke des kürzlich verstorbenen politischen Theologen Johann Baptist Metz ein. Er lädt uns dazu ein, den Kern des Erbes Israels darin zu sehen, die Schrecken der Geschichte klagend-anklagend vor Gott zu bringen. Er lädt uns ein, unsere Leidenserinnerung nicht zu verdrängen, sondern zu artikulieren. Vor allem aber lädt er uns ein, die Leidensgeschichte der anderen kennenzulernen. Wir sollen ihren Geschichten zuhören, uns ihnen aussetzen, ihre Wahrheit ertragen. Nur auf diese Weise kann seiner Diagnose nach der Konflikt zwischen Israel und Palästina befriedet werden.

Dabei geht es nicht nur um das Erzählen von Leidensgeschichten und das Hören aufeinander, sondern auch um das gemeinsame Arbeiten an unseren Erinnerungen, an unseren normativen Texten, an deren befreienden und herausfordernden Potenzialen. Vielleicht sollten wir einfach mehr zwischen Jerusalem und Betlehem hin- und hergehen – in aller Ratlosigkeit, aber in der festen Absicht allen zuzuhören, weil Gott all unsere Geschichten hören will.

Prof. Dr. Klaus von Stosch ist katholischer Theologe und Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften

BloKK-Bildung: Religion, Kultur und Kommunikation

Einen weiteren Blog braucht die Welt ungefähr so dringend wie neue Star-Wars-Filme. Eigentlich ist doch sowohl alles als auch von jedem gesagt. Und trotzdem ergeben sich immer neue Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, neue Einblicke, die erst eröffnet werden müssen, neue Fragen und Probleme, die auf Antworten drängen.

Kein Thema scheint in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage problematischer als die immer weiter um sich greifende Filterblasenbildung: Kultivierte Diskursabbrüche, programmatische Kommunikationsverweigerung und Verleugnung von konfliktvermittelnden Fakten stellen die modernen westlichen Gesellschaften vor vielfältige Zerreißproben. Über die Rolle bzw. die Aufgabe der Wissenschaftler*innen wird dabei verdächtig wenig gesprochen. Das mag mit einer Entpolitisierung der Universität zu tun haben, wahrscheinlich trägt aber die akademische Elitenbildung darüber hinaus aktiv zur Zersplitterung der Gesellschaft bei. Warum sollte man Fakten für wahr halten, die man nicht versteht und die einem womöglich nur sehr schlecht erklärt werden können? Ganz zu schweigen sei hier von der geisteswissenschaftlichen Neigung zu Ananasthemen, deren lebenspraktische Relevanz gerade so unmittelbar erkenntlich ist, wie die Absicht expressionistischer Gemälde. Irgendwas wird man sich schon dabei gedacht haben…

Die Rede sei hier gar nicht von einer großen Repolitisierung der Wissenschaft, wohl aber von der Bereitschaft der Wissenschaftler*innen, Kommunikation ihrer Erkenntnisse zu betreiben, die ein Publikum jenseits der Wellness-Oase des eigenen Faches adressiert. Das nimmt den religionsbezogenen theologischen und kulturwissenschaftlichen Fachdiskurs nicht aus, sondern verpflichtet denselben in Zeiten wachsender antisemitischer und islamophober sowie säkularistischer Religionsfeindlichkeit insgesamt auf einen bewussten und allgemeinverständlichen Umgang mit eben jenen Themen.

Das Paderborner Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften feiert in diesem Jahr sein 10jähriges Bestehen. In diesem Zeitraum ist in einem interreligiösen und transdisziplinären Setting eine Wissenschaftskultur gewachsen, in der Andersorte jenseits der eigenen Filterblase methodisch in die eigene Arbeit einbezogen werden. Trotzdem droht natürlich auch hier die Gefahr einer schützenden Isolierung im universitären Kontext. Der logische nächste Schritt ist daher die Kommunikation der Arbeit im Inneren nach außen. Und ebenso logisch ist es, diese Kommunikation auch jenseits der klassischen akademischen Medien zu betreiben. Vielleicht braucht es dafür eben doch einen weiteren Blog, beziehungsweise einen blokk: Einen Blog für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.

Dr. Aaron Langenfeld ist Geschäftsführer des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.