Der ‚andere‘ Bund

Bundestheologie ist ein ausgezeichnetes Feld für die komparative Theologie, um das jeweils andere Verständnis vom biblischen Bund zwischen Gott und den Menschen im Judentum, Christentum und Islam zu erhellen. Im Wintersemester 2019/20 diskutierte ich unter dem Titel Der andere Bund – eine zwischen Juden und Christen bleibende Frage mit drei Professor*innen aus der katholischen und evangelischen Theologie über die Frage, ob Juden und Christen exakt denselben Bund für sich reklamieren können, der ihre jeweilige religiöse Tradition begründet – oder ob heute eine Theologie des religiösen Pluralismus vonnöten ist, der zufolge Gott den Bund unter wandelnden gesellschaftlichen Realitäten und mit verschiedenen Adressaten immer wieder neu und anders errichtet.

Im Zentrum dieser Podiumsdiskussion stand zunächst die allgemein kritisierte These des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. vom nie gekündigten Bund Gottes mit den Juden (Aufsatz in Communio, Juli 2018). Gegenüber der bekannten Kritik einer ‚Substitutionstheorie‘ in neuem Gewande, erhellte mein Kollege Prof. Klaus von Stosch, die Zweischneidigkeit von Benedikts These. Sie sei auch als ein Fortschritt anzusehen, weil sie die viel zu lange vorherrschende Vorstellung zurückweist, wonach der ‚alte Bund‘ Gottes mit den Juden durch einen ’neuen Bund‘ mit den Christen abgelöst (substituiert) worden sei. Die Zweischneidigkeit dieser These liege allerdings darin, dass sich Christen nunmehr als Mitglieder desselben Bundes mit den Juden betrachten können, zugleich aber die Deutungshoheit behalten wollen.

Während es einerseits hilfreich war, die zumeist nur kritisch rezipierten Äußerungen des Papstes auch einmal in ihrem positiven Gehalt zu würdigen, wurde zugleich das theologische Problem klar. Allein schon das zahlenmäßige Übergewicht der Christen gegenüber den Juden auf der Welt – das sich auf dem Podium in vier (!) Professor*innen, einschließlich des Moderators auf der christlichen Seite, gegenüber mir als einziger jüdischen Theologin ausdrückte – stand für mich die These vom ungekündigten Bundes zunächst einmal in dem kritisch zu beleuchtenden Machtgefälle des Christentums als Mehrheitsreligion mit tradiertem Dominanzanspruch, gegenüber der jüdischen Minderheit, die jahrhundertelang für das das Überleben ihrer religiösen Identität kämpfen musste. Benedikts Ausführungen zum ungekündigten Bundes setzen den Versuch der religiösen Vereinnahmung, ohne die jüdische Ansicht vom Bund ernst zu nehmen, fort.

Die Veranstaltung schloss zugleich an das von mir gehaltene Seminar Judentum als politische Theologie an. Darin nahm die Bedeutung des Bundes eine zentrale Rolle ein. Für die Studierenden war die jüdische Auslegungsgeschichte der in der Tora beschriebenen Bundesschlüsse etwas ganz Neues. Intensiv analysierten sie mit mir verschiedene Kapitel des Pentateuchs auf ihr Bundesverständnis hin – zum Beispiel die als gesondertes ‚Bundesbuch‘ bezeichneten Kapitel 21-25 im 2. Buch Mose, oder der als Oppositionen von Segen und Flüchen dargestellte Bundesschluss in den Kapiteln 29-30 im 5. Buch Mose. Die jüdische Theologie der Bundesschlüsse führt in jeweils eigene Ausgestaltungen göttlichen Rechts. Als Gesetzeskataloge enthalten sie konkrete Inhalte, die jeweils eine eigene emanzipatorische Richtung aufweisen – etwa die Freilassung der Sklaven alle sieben Jahre oder die Umwandlung des Talionsprinzips in ein System des Schadensersatzes oder der Durchbruch spezieller Frauenrechte in einem grundsätzlich patriarchalischen System. 

Die jüdische Theologie hat kein Problem damit, dass Gott in unterschiedlichen gesellschaftlichen Wirklichkeiten verschiedene Bünde geschlossen hat. Vor dem großen Bundesschluss am Sinai gab es in der Tora schon Bünde mit Adam, mit Noah und der Schöpfung, und mit Abraham. Sind sie der immer selbe Bund, lediglich mit unterschiedlichen Formulierungen? Oder sind es eigene, für sich stehende und unabhängig auszudeutende Bünde? In der Diskussion vertrat ich die Haltung, dass wir uns um die Chance einer Theologie religiösen Pluralismus bringen, wenn wir die Gehalte der jeweiligen Bünde zu einem einzigen großen Bund verwischen. Prof. Angelika Strotmann knüpfte an Norbert Lohfinks Vorschlag von ‚einem Bund, jedoch zwei Wegen‘ (Judentum und Christentum) an. Prof. Helga Kuhlmanns Ausführungen brachten wiederum die Vorstellung von einem ‚Bund Jakobs‘ ins Spiel, also das von einem Bund Gottes mit dem Vater der zwölf israelitischen Stämme. Letzterer bietet einen auch für mich interessanten Impuls, der zu einer Theologie eines pluralistischen Bundes führen könnte. In einem ‚Bund Jakobs‘ könnten sich vielleicht die verschiedenen religiösen Traditionen in der Nachfolge der verschiedenen Stämme verstehen, die aus Jakob hervorgegangen sind. Wichtig bleibt jedenfalls die Möglichkeit der Andersheit und damit erst Eigenheit.

Prof. Dr. Elisa Klapheck ist Rabbinerin in Frankfurt und Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn.