Miteinander reden!

Seit dem Anschlag vom 11. September 2001 ist ein Anstieg der Angst vor dem Islam nicht zu leugnen. Ebenso wird das Bild des Islam nach wie vor mit Gewalt, Selbstmordanschlägen, Frauenunterdrückung und Ähnlichem in Verbindung gebracht, doch die Probleme beginnen nicht erst bei gewaltbereiten Extremisten. Konkret bestehen in Deutschland mit Blick auf den Islam sowohl von muslimischer als auch von nicht muslimischer Seite Vorurteile und verletzendes Verhalten. So hört oder liest man beispielsweise bei christlichen Festen folgende Sichtweise von einigen Muslimen: „Die Muslime dürfen Andersgläubigen nicht gratulieren.“ Ebenso ist es sehr bedauerlich, wenn Nichtmuslime eine muslimische Frau, die ein Kopftuch trägt, mit heftigen Worten angreifen. Problematisch ist auch die ablehnende Haltung gegenüber dem Kopftuch bei potenziellen Arbeitgebern. Ich stelle mir oft diese Frage: Wie können Menschen überhaupt friedlich zusammenleben, wenn sie so denken und sich nicht gegenseitig respektieren?

Diese Angst vor anderen Religionen resultiert meiner Meinung nach aus der fehlenden Kenntnis über die Religionen und ihre Anhänger. Dieses Nichtwissen bestärkt bestehende Vorurteile. Angst ist bei der Begegnung mit einer dem Individuum fremden Religion eine Selbstverständlichkeit, wenn eine Auseinandersetzung mit ihren Inhalten entweder nicht vorangegangen ist oder aber lediglich auf der Basis massenmedialer Darstellung beruht. Daher ist es wichtig, dass wir in das Gespräch miteinander kommen und von- und übereinander lernen.

Ahmed Elshahawy ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

#Kommunikation #Vorurteile #Wissen #Respekt

Austrittsgespräche

Ich hatte im letzten Jahr häufiger Gespräche mit gleichaltrigen Freunden, die beiläufig erwähnt haben, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind. Mein erster Impuls war immer, sie mit vielen Worten vom Gegenteil zu überzeugen und zu erinnern, dass wir selbst früher eine gute Zeit in der Gemeinde hatten, dass außerdem die Kirche doch vieles tue, das man unterstützen könne, auch ohne regelmäßig in die Messe zu gehen, und dass sie doch selbst immer vorhatten, kirchlich zu heiraten. Karl Rahners (https://twitter.com/karlrahner_sj) klarer Satz leuchtet mir auch immer noch ein: „Ich gehe davon aus, daß ein Christ in seiner Kirche bleibt – trotz allen Ärgers über sie.“[1]

Trotzdem bin ich in solchen Gesprächen ruhiger geworden. Nicht nur, weil die Krisen in der Kirche deutlich machen, dass es biografische Gründe gibt, die einen Austritt heilsam wirken lassen. Da braucht es keine Diskussionen und Gegenargumente, sondern Respekt. Aber auch, weil ich in zwei Richtungen unsicher bin, ob in der theologischen Bewertung von Kirchenaustritten nicht Luft nach oben wäre. 

Die erste betrifft die Frage nach der Steuer. Es ist keineswegs klar, dass diese ein Hauptgrund ist, den Austritt zu erklären. Die Frage bleibt aber, ob grundsätzlich so getan werden sollte, als sei der Austritt aus der Körperschaft öffentlichen Rechts, wie sie in Deutschland besteht, der Austritt aus der Katholischen Kirche, in die man per Taufe eingegliedert wird. Der Kirchenrechtler Hartmut Zapp erhielt vor einigen Jahren viel Aufmerksamkeit, als er aus der Körperschaft, nicht aber der Kirche austreten wollte.[2] Vielleicht muss dieses System, das ohnehin bröckelt, doch offensiv geändert werden: dann wäre es möglich, den Kirchensteueraustritt separat zu formulieren. 

Die zweite Richtung ist die Frage nach den „Zeichen der Zeit“. Denn dass mitunter nicht einmal Termine zum Austritt zu bekommen sind, liegt kaum nur an der Steuer. Oft wird auch auf kirchlicher Seite bedacht, dass hier ein Weckruf ertöne, sich überfälligen Reformen zu widmen. Das „Gottesvolk“ hat mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil „teil an dem prophetischen Amt Christi“ (LG 12). Wenn eine über Jahre engagierte Katholikin zu dem Ergebnis kommt, die Kirche, die einmal Heimat war, zu verlassen, könnte es sein, dass sich darin manchmal auch Prophetisches über den Zustand dieser Kirche ausdrückt. Wir sollten ihr zumindest sehr gut zuhören. 


[1] Rahner, Karl: Unser Verhältnis zur Kirche. Karl Rahner im Gespräch mit Studenten der Katholischen

Hochschulgemeinde München, 1983, In Sämtliche Werke 31, 377-389, 379.

[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/rebellischer-katholik-ein-professor-kaempft-gegen-die-kirchensteuer-1.940409.

Lukas Wiesenhütter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Bonn.

#Austrittsgespräche #Rahner #Respekt #Kirche

Hexen vor dem Dom

Auch in Paderborn wurden in Zeiten des Barocks Hexen verbrannt. An der Nordseite des Doms.

Professor Friedrich von Spee antwortete auf die Frage, ob die von Hexen ausgehende Gefahr real sei, mit einem entschiedenen Ja. Jedoch war das für ihn noch kein Grund, sie zu verfolgen, hinzurichten und schon gar nicht zu foltern. Als „Hexenbeichtiger“ hatte er so manches zu Gehör bekommen. Und während Mord für Professor von Spee zu „gemeinen“, sprich, alltäglichen, Verbrechen zählte, gehörte Magie für den Moraltheologen eindeutig den Sonderverbrechen an. Trotzdem hat er den Kampf gegen die „peinliche Quaestion“ [Folter] zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Für von Spee durfte die Angst vor einer noch so realen Gefahr nicht zur Vorverurteilung von Frauen und Männern führen. 

Durch Angst herbeigeführte Spaltungen müssen nicht immer „nur“ über Religionsgrenzen verlaufen. Neuerdings sehen wir, dass auch andere Kriterien zu einer solchen Grenze werden können. Dabei wird schnell vergessen: Auch die Menschen, über die man selbst sich zu dem einen oder anderen Zeitpunkt empören mag und deren Glaubenssätze man nicht teilt, sind Geschöpfe Gottes. Wenn man sich von ihnen immer nur distanziert, sie vielleicht unter Druck setzen will, hat man zwar möglicherweise selbst eine saubere Weste, aber ist damit wirklich jemandem geholfen, außer der eigenen Selbstdarstellung?

Das Fremde, das Befremdliche liegt oft direkt vor der Haustür. Man muss nicht gleich mit jedem Andersdenkenden Bruderschaft trinken, aber ein Versuch, in den anderen hineinzuhorchen, kann nicht nur dem Betroffenen selbst, sondern auch der Gesellschaft dienlich sein. Solidarität kann wie auch der Glaube nicht erzwungen werden – schon gar nicht durch fröhliche Mission. Um den Anderen anzusprechen, muss man vielleicht manchmal ein Stück eigenen Heiligenschein riskieren. 

Elizaveta Dorogova ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

#Hexen #Solidarität #Menschen

Schöpfung ist ein Handeln

Mit Spannung blickt die Welt in diesen Tagen nach Glasgow und auf den dort laufenden UN-Klimagipfel. Eine gute Gelegenheit, um auch theologisch einige Worte zum Thema zu verlieren. Entscheidend ist aus christlicher Sicht für mich der Begriff der Gottebenbildlichkeit. Dieser Begriff sagt nicht, dass der Mensch Gott ähnlichsieht oder aus der gleichen Substanz besteht – der Begriff meint überhaupt nichts Statisches, sondern die Fähigkeit, selbst kreativ etwas tun zu können. Zugleich ist diese Freiheit gegenüber der Welt geknüpft an Verantwortung für die Schöpfung. Gottes Ebenbild ist der Mensch nicht, wenn er tut, wozu er Lust hat, sondern dann, wenn er seine Freiheit nutzt, um Freiheit zu ermöglichen. So, wie also Gottes Schöpfung als Ermöglichung von Dasein überhaupt begriffen wird, so entspricht der Mensch diesem Schöpfungshandeln Gottes da, wo er selbst Dasein ermöglicht. Mit dem berühmten katholischen Theologen Karl Rahner (1904 – 1984) gesprochen: „Wenn Gott Nicht-Gott sein will, entsteht der Mensch.“ – Und wenn der Mensch nicht zwanghaft er selbst sein will, entsteht Raum für alles, was er nicht ist. Sich nicht ohne das Andere seiner selbst verstehen zu wollen, sondern in Beziehung das Selbstsein zu verwirklichen, das ist eine Grundidee des Konzepts der Gottebenbildlichkeit.

Schöpfung ist im Sinne der Urgeschichten der hebräischen Bibel also auch ein menschliches Handeln. Es ist also kein Wunder, dass im Judentum so viel an der Glaubenspraxis hängt, dass sich die religiöse Gemeinschaft im gemeinsamen Handeln, in der gemeinsamen Übernahme von Schöpfungsverantwortung zeigt. Auch im Islam stellt die Praxis des Glaubens oft ein entscheidenderes Moment als das Bekenntnis dar. Der Mensch ist Stellvertreter (khalifa) auf der Erde (Sure 6:165) und bezeugt noch vor der Schöpfung seine Verantwortung, damit er am Ende der Zeiten nicht sagen kann, er hätte von nichts gewusst (Sure 7:172). Der Mensch braucht dennoch immer wieder Erinnerung an dieses ursprüngliche Zeugnis, sodass Gott die Propheten und den Koran sendet, aber auch die Schöpfung selbst entbirgt in ihren Zeichen den Schöpfer und damit eben jene Verantwortung des Menschen in der Schöpfung.

Während verschiedene islamisch-theologische Ansätze hier ein ausgesprochen positives Menschenbild verortet sehen, in dem der Mensch aus sich heraus fähig ist, Gottes Schöpfungswillen in seinem Handeln zu entsprechen, hat das Christentum immer stark fokussiert, dass der Mensch an seiner Verantwortung scheitern kann, dass das Gelingen der Umsetzung des Schöpfungsauftrags noch einmal von der Gnadeninitiative Gottes abhängt. Dieses Vertrauen auf das ursprüngliche Erlösungshandeln Gottes, von dem letztlich auch die Befähigung abhängt, Gutes tun zu wollen, hat in breiten historischen Linien dazu geführt, dass die christliche Identität eher über das gemeinsame Bekenntnis als Ausdruck des Vertrauens auf Gott als über eine gemeinsame Handlungsform stabilisiert wird. Nicht gemeint ist damit aber, dass man jegliches Handeln dann gleich lassen könnte oder dass es auf dasselbe nicht ankäme. Vielmehr betont das Christentum in seinem Vertrauen auf das Erlösungshandeln, dass Scheitern nicht endgültig ist, dass der Mensch neu anfangen darf und dass genau in diesem Vermögen des Neuanfangs, Zuspruch und Anspruch der Schöpfung insgesamt ausdrücklich werden.  

Aus christlicher Sicht kann man den Erhalt der Schöpfung in der Unterschiedenheit der Glaubenszeugnisse als gemeinsamen menschlichen Auftrag beschreiben. Dabei hat jede und jeder einzelne die Verantwortung, dass das Zeugnis auch getan wird, dass der Einsatz für die Schöpfung im Alltag praktisch wird. Die interreligiöse Begegnung mit Juden und Muslimen kann diesen Anspruch an die Praxis immer wieder neu erkennbar machen. Gerade in der interreligiösen Verständigung können so Handlungsmotivationen gebündelt werden, die über den rein politischen Zugriff auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht erreichbar sind. Die Begründungsstrukturen der Verantwortung für die Schöpfung reichen in diesem Sinne in den Religionen deutlich tiefer als ein reiner Appell an die Vernunft.

Der Text stellt eine gekürzte und veränderte Fassung des Beitrags „Schöpfung ist etwas, das man tun muss“ dar, der in Dom magazin 04/2021 veröffentlicht wurde. (https://www.derdom.de/dom-magazin/)

PD Dr. Aaron Langenfeld ist Lehrstuhlvertreter für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn

#Schöpfung #Klima #Glasgow #Verantwortung