„Juden unter dem Schatten des Kreuzes“ Exkursion zu den SchUM-Städten

Wie sah das Leben der mittelalterlichen Juden in einer mehrheitlich christlich geprägten Gesellschaft aus? Wo und vor allem wie lebten die jüdischen Gemeinden ihre Kultur und Religion aus?

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, fand eine viertägige Exkursion, geleitet von Frau Prof. Dr. Claudia Dorit Bergmann (Universität Paderborn) und Frau Prof. Dr. Laura Lieber (Universität Regensburg) in den sogenannten SchUM-Städten statt.

Das Akronym „SchUM“ wird von den jüdischen Gemeinden für die drei mittelalterlichen Städte Shpira, Warmaisa und Magenza (Speyer, Worms und Mainz) genutzt, in denen seit dem zehnten Jahrhundert jüdisches Leben nachgewiesen ist, das trotz einiger heftiger Pogrome bis in die Moderne überdauert hat. Hier haben die jüdischen Gemeinschaften des Mittelalters Architektur, Rechtswesen, Kultur sowie Religion geteilt und (weiter-)entwickelt.

Zunächst besuchten wir den alten jüdischen Friedhof – dem ältesten bekannten Friedhof dieser Art auf europäischem Boden. Hier stehen Grabsteine, die aus dem elften Jahrhundert stammen. Die Grabsteine jüngeren Datums sind zweisprachig oder sogar komplett mit deutschen Inschriften versehen. Ein Hinweis auf eine zunehmende kulturelle Angleichung der Juden an ihre Umgebung.

In Speyer suchten wir den Judenhof auf. Dort befinden sich die Überreste der Synagoge, der Tora-Schule und die älteste deutsche Mikwe (Ritualbad), die um das Jahr 1100 erbaut wurde. Erstmalig entstand hier auch ein separater Gebetsraum für Frauen – ein Novum zu dieser Zeit. Auch die romanische Architektur der Speyrer Synagoge wird künftige Synagogen anderer Städte inspirieren.

Die Maximilianstraße – eine Fußgängerzone durch die malerische Altstadt Speyers erzählte uns die tragische Geschichte vieler jüdischer Familien, die durch die Enteignung und Verfolgung unter dem Naziregime ihren Besitz, Heimat und Leben verloren haben. Die „Stolpersteine“ bezeugten uns bei diesem Spaziergang in unnachgiebiger Häufigkeit, dass diese Straße einst von vielen jüdischen Bürgern belebt wurde, deren Existenzen zur Zeit des zweiten Weltkriegs völlig zerstört wurden.

Ein erhebender und imposanter Anblick dagegen war der Speyrer Dom, auf den die Maximilianstraße hinausläuft. Interessanterweise entdeckt man eine verblüffende Ähnlichkeit der Architektur dieser Kathedrale mit der Synagoge und der Mikwe: Alle drei Bauwerke wurden nämlich von den christlichen Handwerkern der Dombauhütte im romanischen Stil errichtet. Ein weiterer Eindruck friedlichen Zusammenlebens der zwei Religionen.

Die letzten zwei Tage beschäftigten wir uns mit dem jüdischen Leben in Worms und sind damit ganz nah an dem Puls mittelalterlichen jüdischen Lebens angekommen. Hier überdauern die Juden die Pogrome zur Zeit der Kreuzzüge und können eine starke Tradition ausbilden. Worms wird für sie zum „Jerusalem am Rhein“. Wir finden gleich zwei Synagogen, eine Mikwe und einen großen jüdischen Friedhof vor – Bauwerke, die von dem Wachstum der Kommune und ihrer Etablierung in der christlichen Gesellschaft zeugen. Große Rabbiner und Gelehrte lehren hier aus dem Schatz ihres Verständnisses und entwickeln die Religionsausübung weiter. Unter ihnen der weltberühmte Talmud-Kommentator Rabbi Shlomo ben Jizchak (bekannt als „Rashi“).

In dem Rashi-Haus – einem kleinen Museum, das sich mit dem Wormser Judentum befasst, konnten wir ein Faksimile des Wormser Machsor begutachten. Dieses Gebetsbuch wurde um das Jahr 1271 abgefasst und enthält unter anderem den ersten bekannten Satz in jiddischer Sprache.

Mit der Herrschaft der Nazis und der Ausgrenzung von Juden in Deutschland kommt es zu einem harten Bruch unter den ansässigen Juden. Unter denen, die es schaffen rechtzeitig zu fliehen, kehren Viele ihrer einstigen Heimat enttäuscht den Rücken zu. Nur wenige der Überlebenden erhalten nach dem zweiten Weltkrieg ihren Besitz zurück.

Heutzutage ist die jüdische Gemeinde in den SchUM-Städten bei weitem nicht so stark vertreten, wie vor dem Holocaust. Dennoch entstanden in den letzten Jahren sowohl in Mainz als auch in Speyer neue Synagogen und sogar die alte Synagoge in Worms kann heute wieder für Gottesdienste genutzt werden.

Ein wirklich schönes Erlebnis war es für uns die Glasinstallationen in der Mainzer Pfarrkirche St. Stephan zu sehen. Hier schuf der russisch-französische und jüdische Künstler Marc Chagall ab 1976 ein atemberaubendes Kunstwerk mit detailreichen Fenstern, die die alttestamentlichen Geschichten in einem Lichtermeer in den Kirchsaal hineinfluten lassen. Mit dieser Geste reicht er stellvertretend als Franzose und Jude, Deutschland und dem Christentum die Hand der Versöhnung, in der Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben in der Zukunft.

Text und Bilder: Emil Rempel