Vor rund fünf Jahren begann ich meine Tätigkeit am ZeKK zunächst als Studentische Hilfskraft. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Zentrum in einer Phase der Neuorientierung: Mit dem Weggang des Gründers, Prof. Dr. Klaus von Stosch, entstand ein Vakuum, das erst allmählich durch neue Strukturen und ein engagiertes Team gefüllt werden konnte. Rückblickend lässt sich feststellen, dass diese Zeit der Umbrüche zugleich den Grundstein für eine nachhaltige Weiterentwicklung gelegt hat. Zwei Entwicklungen erscheinen mir dabei besonders prägend: Erstens hat sich der Fokus des ZeKK von einem stärker religionsinternen Diskurs hin zu einer deutlicheren interdisziplinären Öffnung verschoben. Die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern gewinnt zunehmend an Bedeutung und erweitert die Themenfelder beträchtlich. Ein sichtbares Beispiel dafür ist die neu gegründete AG „ZeKK and the Arts“, die bereits aktiv Tagungen vorbereitet und den Dialog zwischen Religion, Kunst, Musik und Gesellschaft intensiviert. Zweitens hat das ZeKK in den letzten Jahren eine Professionalisierung durchlaufen, die sich sowohl in seiner öffentlichen Präsenz als auch in der Vielfalt seiner Formate widerspiegelt. Mit Hilfe des Verbundprojekts konnten die digitale Sichtbarkeit ausgebaut, ein Instagram-Kanal etabliert und Veranstaltungen wie ZeKK Live weiterentwickelt werden. Während anfangs primär wissenschaftliche Gäste im Mittelpunkt standen, öffnete sich das Zentrum zunehmend auch Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und stärkte damit seine Relevanz im öffentlichen Diskurs.
Für meine Arbeit am ZeKK waren diese beiden Aspekte zentral: Multiperspektivität in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen und ein professionelles Auftreten im öffentlichen Raum. Das ZeKK leistet aus meiner Sicht einen entscheidenden Beitrag für eine pluralitätsfähige Gesellschaft und kann diesen Anspruch auch selbstbewusst nach außen vertreten. In wenigen Tagen endet meine Tätigkeit als Mittelbauvertreter im Vorstand des ZeKK. Ich schaue auf fünf schöne, ereignisreiche, gewinnbringende Jahre im ZeKK als SHK, WHB und Vorstandsmitglied zurück. Ich danke meinen Kolleg:innen im Vorstand, dem gesamten Team sowie allen Mitwirkenden am Zentrum sehr herzlich für die Zusammenarbeit. Die gemeinsame Zeit war für mich eine große Bereicherung.
Julian Heise ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vorstandsmitglied des Zentrums für Komparative Theologie an der Universität Paderborn.
Ich befinde mich auf dem Rückweg meines Wanderurlaubes aus Österreich, lasse die Gedanken schweifen und meine Erlebnisse, Erfahrungen sowie zugegebenermaßen Anstrengungen gedanklich Revue passieren. Der durchaus vorhandene Muskelkater und die Druckstellen der Wanderschuhe lassen mich an verschwitzte und mühsame Aufstiege denken, was mich zu der Frage kommen lässt: Warum mache ich das überhaupt? „Der Weg ist das Ziel.“ Aber warum habe ich es mir dann zum Ziel gemacht, bergauf zu gehen, obwohl ich zeitgleich auch einfach in der Sauna schwitzen und entspannen könnte, mit der Verlockung eines kalten Eisbades? Trotz der Anstrengung ist es ein Leichtes für mich, diese Frage zu beantworten. In Gedanken bin ich wieder am Berg, ich atme die frische Luft ein, lasse meinen Blick über die gletscherbedeckten Gipfel schweifen, ich höre den Flügelschlag und Ruf eines Greifvogels, wo mir definitiv das ornithologische Knowhow fehlt, um ihn genauer zu bestimmen. Die Sonne küsst mein Gesicht, ich schließe kurz die Augen, in weiter Ferne höre ich das Leuten der Glocken von Bergziegen und den Pfiff eines Murmeltieres. Begleitet vom Rauschen eines Baches und vom Wind, der sich den Weg durch Sträucher bahnt, öffne ich wieder meine Augen und mir erschließt sich dieses einzigartige Naturschauspiel des österreichischen Bergpanoramas. Um mich herum sind so viele Eindrücke und Geräusche, aber in meinem Inneren spüre ich eine angenehme Stille. Diese pure Gelassenheit und Ausgeglichenheit spüre ich nur hier in der Natur. Nicht der Gipfel, das Holunderwasser oder der Kaiserschmarren auf der Berghütte sind die Belohnung für meine strapazierten Beine, sondern das Innehalten, das Unterwegssein, das Hineingeschaffensein in dieses wunderbare, einzigartige und majestätische Naturschauspiel. Mich durchfährt ein Gefühl der Dankbarkeit, nicht nur dafür, diese großartigen Aussichten und Naturspektakel erleben zu dürfen, sondern dafür, inmitten dieser Natur und dem Himmel so nah meinen inneren Frieden finden zu können. Dieses spirituelle Ergriffensein durch den Berg ist weder ein Phänomen, was mich allein betrifft, noch eine Erfindung durch die Influencer-Bubble, die nur nach dem perfekten Fotopoint zu streben scheint. Vielmehr scheint das göttliche und spirituelle Potential des Berges die Menschheit seit jeher zu beschäftigen, wodurch der Berg einen bedeutenden und zentralen Platz in vielen Religionen und Kulturen einnimmt. Unabhängig davon, ob man die Bergpredigt Jesu, den Olymp als griechischen Göttersitz, den Berg Sinai, den Berg Kailash in Tibet als Zuhause Shivas, den Vulkan Fuji in Japan oder die tiefe Bedeutung der Berge, wie z.B. der Uluru in Australien, für indigene Völker heranführt, überall ist die spirituelle Kraft des Berges gegenwärtig. Ich denke an die vielen Kapellen und Gipfelkreuze, denen ich auf meinen Wanderungen begegne und die zum Innehalten, Nachspüren und Entfliehen aus dem Alltag einladen. Besonders in diesen Momenten fühlen sich meine Beine wieder leicht an, die Anstrengung ist vergessen und beflügelt durch die Natur lasse ich mich ein auf neue Abenteuer in der unendlichen Weite der Berge. Schließen möchte ich daher mit einem Plädoyer, die Natur und Berge als Orte zu verstehen, an denen wir als Gäste teilhaben dürfen – nicht als Eroberer/Eroberinnen von Berggipfeln, sondern vielmehr als demütige Geschöpfe, die von der Natur, eingeladen ihre Schönheit bewusst wahrnehmen zu dürfen, geduldet werden.
Berliner Höhenweg in den Zillertaler Alpen
Jonas Maximilian Hüster ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie im Bereich Religionsdidaktik an der Universität Paderborn.
Inwiefern nützt die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität dazu, auf Vielfalt, Diskriminierung und Rassismus in der Gesellschaft aufmerksam zu machen? Eine relevante Frage, die es aus theologischer Sicht und aus sozialwissenschaftlicher Sicht zu hinterfragen, geht. Dies versuchen Frau Prof. Dr. Claudia Bergmann und Frau Haruna-Oelker in ihrem Dialog im ZeKK-Interview innerhalb von 45 Minuten auf den Punkt zu bringen. Bekannt geworden ist Frau Haruna-Oelker für ihre journalistische Arbeit zu der Vielfalt der Gesellschaft, das Stereotype-Denken und rassistische Vorurteile. Die Journalistin Hadjia Haruna-Oelker stellt sich in dem Interview als offene, interessierte Person vor und plädiert dafür, als Journalistinnen und Journalisten stets mutig und engagiert gesellschaftlich relevante Themen zu erforschen und kritische, kontroverse Fragen zu diskutieren. Prof. Dr. Claudia Bergmann fragt Frau Haruna-Oelker nicht nur nach den zentralen Inhalten und Intentionen ihres digitalen Blogs, den sie mit dem Leitbild der Neugier untermalt, sondern auch bezüglich ihres Buches „Die Schönheit der Differenz“ (März 2022). Als Frau Prof. Bergmann nach dem Schreibprozess des Buches fragt, reflektiert die Journalistin, dass sie durch das Schreiben des Buches zu einer klareren Person geworden sei. So konnte sie diverse Themen für sich reflektieren, Erfahrungen sortieren und besonders ihre gesellschaftliche Stellung wahrnehmen, auch um sich selbst besser in der Pluralität der Gesellschaft verordnen zu können. Sie betont, nicht nur selbstbewusster geworden zu sein, sondern auch an Selbstwertgefühl gewonnen zu haben. Haruna-Oelker steht in der Öffentlichkeit, gibt persönliche Einblicke in ihr Leben preis und ist sich der Intimität ihrer eigenen Texte bewusst. So beschreibt sie aus journalistischer Perspektive, dass sie im Sinne einer Ich-Reportage bewusst auf persönliche Weise von biografischen Erlebnissen in ihrem Leben berichtet, um in einem Kollektiv beispielsweise auf Themen, wie die Rollenbilder und das Stereotype-Denken der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Aus ihrer Perspektive dient die Darstellung ihrer persönlichen Geschichten als stilistisches Mittel, um durch die Verknüpfung ihrer biografischen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im besten Sinne eine Art „Memorial“ zu entwerfen. So ist ihr Buch politisch, aber auch persönlich. Haruna-Oelker sieht sich als schwarze Journalistin, die durch ihr Buch versucht, die Menschen zu verbinden. In ihrem Buch dekliniert die Journalistin Differenzmerkmale und gibt Einblicke in ihre eigene Identität als schwarze Frau aus einer muslimisch und christlich geprägten Familie, um ein Beispiel vorzustellen. Sie nennt sich selbst „biracial-kid“ mit migrantisierten Erfahrungen, betont aber auch ihre Stellung als rassifizierte Person, da sie schwarz ist. Zugleich stellt die Schriftstellerin ihre feministische Haltung als eine selbstbewusste Frau vor, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht identifiziert. Demgegenüber differenziert sie die Merkmale und Positionierungen, die sie bei anderen Menschen in ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und ihrem beruflichen Umfeld feststellt, jedoch nicht auf sich selbst beziehen kann. Folglich geht es auch um die Fremdwahrnehmung anderer Personen, also dem Konzept des Otherings, welches darauf abzielt, die vielfältigen Heterogenitätsmerkmale zu kennen und wahrnehmen zu können. Aufgrund dessen zielt die Journalistin mit ihrem Buch darauf ab, Wissen über Vielfalt zu generieren, um ihre Leserinnen und Leser über die Heterogenitätsdimensionen aufzuklären. Diese umfassen nicht nur das angeborene Geschlecht einer Person, sondern beispielsweise auch das Gender, die sexuelle Orientierung, die Herkunft, die Sprache, die Beeinträchtigungen und die Religion einer Person. Zusammenfassend geht es darum, zu wissen, wer die anderen Personen sind, um eine positive Verbundenheit in der Gesellschaft erreichen zu können. So geht es der Journalistin mit ihrer Arbeit und ihrem Buch auch darum, für mehr Achtsamkeit und Anders-Denken zu plädieren, um Empowerment-Strategien gegen Rassismus zu verbreiten. Ziel bleibt, dass mehr Menschen lernen und verstehen, dass die Gesellschaft vielfältig ist, dass Rassismus nicht tolerierbar ist und dass man sich gegenseitig in der Vielfalt und Eigenheit der Identität akzeptieren lernen muss.
Quelle: Bildausschnitt aus dem Interview 45 Minuten mit Hadija Haruna-Oelker, ZeKK Live, veröffentlicht am 03.07.2024, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=HSa_fja5tfI.
Marie Luise Schlierkamp ist Promotionsstudentin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Praktische Theologie (ev.) an der Universität Paderborn. Zuvor war sie als Wissenschaftliche Hilfskraft in der Theologie und in den Erziehungswissenschaften tätig.
In wahrlich in jeder Hinsicht bewegten und bewegenden Zeiten zwischen Unentschlossenheiten, Pseudo-Alternativlosigkeiten, Kontingenz-Overloads, Hyperrealitäten, Medientechnik-Overkill, Ungleichheiten, Weltkrisen, Fundamentalismen, Radikalismen, Populismen, Ver:Achtsamkeiten – so der Titel unserer Ringveranstaltung vom C:POP im gerade ablaufenden Wintersemester, Link: https://kw.uni-paderborn.de/cpop/aufgaben-aktivitaeten-1 – werden wir mal mehr, mal weniger gnadenlos hin- und hergewirbelt. Da überrascht es umso deutlicher, wenn wir plötzlich in zwar vorgeplanten, dennoch letztlich von Zufällen, Stimmungen und Begebenheiten abhängigen Ereignissen wie etwa popmusikalischen Performances und hier vor allem Live-Auftritten unvermutet stark be- oder gerührt werden.
Pop wird hier verstanden nicht als Genre, das historisch oftmals im Volksmund unterkomplex und wenig divers als ‚weiblich‘, ‚seicht‘, ‚eingängig‘ oder ‚künstlich‘ versus Rock als ‚männlich‘, ‚hart‘, ‚handgemacht‘ oder ‚echt‘ bezeichnet wurde, sondern als populäre Musikkultur(en) in Gänze, die niedrigschwellig funktionieren und Vergnügen evozieren, bei genauerem Hinhören, -sehen, -fühlen und manchmal auch -riechen und -schmecken gleichwohl sehr komplex oder doppelbödig werden können, für Mengen von Publika, Fans, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen gleichermaßen. Derart kommunikativ und sozial provozieren diese Kulturen eben ‚kultürlich‘ mitunter starke Emotionen – mal hochgeplant, mal unerklärlich. Und können so durch alle Genres und Szenen hindurch Trost spenden, Gänsehäute erzeugen für die eine in Form von Playlists zur Stimmungsregulation, für den anderen eben durch die heimische analoge oder digitale Sammlung, für dritte zuvorderst im Live-Konzert mit seinen Zufällen, Improvisationen, Unwägbarkeiten und daraus resultierenden Überraschungen.
Als im letzten Jahr am 2. Juni etwa die britische Sängerin und Musikerin Beth Gibbons (u.a. Portishead) ihr einziges Deutschlandkonzert in der Berliner Uber Eats-Halle vor etwa 3000 Menschen gab, verfielen die allermeisten von ihnen in kathartisches Schluchzen, Weinen oder zumindest Schlucken. Freilich kongeniale, vielköpfige Band, Performance, Setting, eigentlich fast alles, bis auf die Musik und vor allem Gibbons‘ Stimme, waren vermeintlich unspektakulär; auch die eher zurückhaltend-nüchterne Halle. Doch schon beim ersten Song und im Verlauf des gesamten, durchaus komprimierten Konzerts wurde praktisch alles gesungen und bewirkt, was das Publikum vielleicht geahnt, aber in dieser Intensität denn doch nicht erwartet hätte: „The burden of life… Just won’t leave us alone“, sang Gibbons tieftraurig und auch brüchig im Song „Burden of Life“. Plötzlich waren um eine/n herum tatsächlich Schniefen, Schluchzen, Schlucken und glasige Augen zu erkennen. Eine Art Erlösung – manche berichteten auch vom Erlebnis, als seien sie auf einem befreienden Raumschiff gewesen, machte sich breit und tief, nicht nur im großen Block der Stehenden. Zahlreiche Gespräche nach dem Konzert, journalistische Rezensionen und Artikel schienen sich einig: Hier war etwas durch und durch Be-rührendes geschehen, Überwältigung wurde erfahren an einem zunächst nur scheinbar eben durchaus gewöhnlichen Konzertabend: „Da weinen die ersten schon“, titelte „Die Zeit“.
Ähnlich (und doch ganz anders) zog der australische ehemalige Post Punk- und Swamp Blues-Sänger, Autor und Künstler Nick Cave sein Publikum von 13000 Menschen in der Oberhausener Rudolf-Weber-Arena im Centro am 24. September in seinen Bann. Auch hier schien vieles vorab bestenfalls für die ganz treuen Fans klar. Aber dass eine derart ungemütliche riesige Konzert- und Event-Halle von dem ehemaligen Punk und Junkie Cave und seiner Band The Bad Seeds inklusive Gospel-Sängerinnen gewissermaßen egalisiert und zum beinahe religiösen Akt transformierte („Look at me now, I’am transforming“, singt Cave etwa im Song „Jubilee Street“), überraschte und überwältigte dann doch sehr. Hier beinahe drei Stunden lang verwandelte Cave auch durch seine Persona die Beton-Halle in einen Club, indem er sein Konzert fast schon un-heimlich heimlich werden ließ, auch in den oberen Sitzreihen. Beim Herausgehen aus der Halle waren vielfältige, ruhig-aufgeregte Unterhaltungen zu erhaschen, die sich um Trost, Überwältigung oder einfach nur starke Emotionalität und Caves Performance drehten: „Eleganter Surfer auf der Pathoswelle“, titelte der „General-Anzeiger“.
Alles schien für einen Moment von ca. 80 Minuten bei Beth Gibbons (Jahrgang 1965) und ca. zweieinhalb Stunden Bei Nick Cave (Jahrgang 1957) außeralltäglich, be-rührend und fast transzendent. Und das, ganz nebenbei, bei zumeist sehr erfahrenen Stars, Fans und Publika, die zeigen, dass Pop schon lange nicht mehr nur eine Jugendkultur, sondern eine intergenerationelle Trostkultur sein kann. Ich bin mir sicher, wir alle haben eine Beth Gibbons oder einen Nick Cave ‚bei und für uns‘. Erst im anschließenden Nahverkehrs- oder Parkhausgepöbel wutbürglicher Stumpfheit und Aggression verflogen Trost, Gemeinschaft, Be-Rührung und Ekstase, aber nur vorübergehend…
Foto: CJ, Mond über Spiekeroog
Prof. Dr. Christoph Jacke ist Professor für Theorie, Ästhetik und Geschichte der Populären Musik im Fach Musik an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Dort leitet er den Studiengang „Populäre Musik und Medien“ (BA/MA). Zudem ist er stellvertrender Sprecher des Instituts für Kunst, Musik, Textil und des Fachs Musik sowie stellvertretender Geschäftsführer Direktor und Vorstandsmitglied des „C:POP – Transdisciplinary Research Center for Popular Music Cultures and Creative Economies“.
Geflüchtete, Frau mit Migrationsgeschichte, Sex-Sklavin, Leihmutter, alleinerziehende Mutter eines Sohnes: die biblische Figur Hagar, von der im ersten Buch in der Hebräischen Bibel (Genesis), berichtet wird, ist alles das und viel mehr. Ihre Geschichte ist kurz. In Gen 16 erfährt man, dass Abram und Sarai (später umbenannt zu Abraham und Sara) kein Kind bekommen können und deshalb Hagar als Mutter für einen Sohn benötigen. Hagar dient in ihrem Haushalt und stammt aus Ägypten. Ihr Kind Ismael ist dann der Erstgeborene Abrahams. Ismael wird jedoch zusammen mit seiner Mutter verstoßen, als Sarai in Gen 21 doch noch schwanger wird und Isaak zur Welt bringt.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist Hagars Geschichte in der hebräischen Bibel eine ganz besondere. Die Autoren nutzen nämlich die unterschiedlichsten literarischen Bezüge, um Hagar – eigentlich eine Nebenfigur in der großen Geschichte der Erzeltern – zu porträtieren. Zweimal geht Hagar in die Wüste und trifft dort auf Gottes Boten und göttlichen Beistand. In Gen 16 erhält sie ein göttliches Versprechen von großer Nachkommenschaft, das dem göttlichen Versprechen an Abraham ähnelt. In Gen 21 werden sie und ihr Sohn gerettet, sie erhalten Wasser in der Wüste und einen göttlichen Zuspruch, den sonst nur wichtige männliche Figuren bzw. Propheten in der Hebräischen Bibel erhalten: „Fürchte dich nicht.“ Wüste, Wasser, eine Gottesbegegnung, eine göttliche Geburtsankündigung, ein Erstgeborener in Gefahr, göttlicher Zuspruch und göttliche Hilfe, Gott einen Namen geben … alles diese bedeutsamen Zuschreibungen zeigen, dass Hagars kurze biblische Geschichte keinesfalls nebensächlich ist, sondern dass die Autoren dieser Passagen Hagar sogar mit Abraham vergleichen. Und auch im Quran wird Hagar eine Rolle spielen.
Etwas Besonderes ist auch, dass es den Autoren gelingt, Hagar so zu porträtiert, dass sie über die Zeiten hinweg bis heute ein Spiegel ist für Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensgeschichten. Menschen aller Art – und besonders Frauen – sehen in Hagars Schicksal Parallelen zu ihrem eigenen. Menschen aller Art finden in ihr die Kraft und die Zuversicht, um die sie selbst noch ringen.
Prof. Dr. Claudia D. Bergmann vom Institut für Evangelische Theologie beginnt in diesem Semester mit Forschungen zur Rezeptionsgeschichte der Hagar-Figur. Sie sollen perspektivisch in einer Publikation münden, die Bergmann und ihr amerikanischer Kollege Thomas R. Blanton verantworten, und die der Nachfolgeband des gerade erscheinenden Sammelbandes Imitating Abraham: Ritual and Exemplarity in Jewish and Christian Contexts (Brill 2025) sein wird. Alle, die Interesse an der Hagar-Figur und ihrer Geschichte haben, können ein Stück weit am Projekt teilhaben:
Das Oberseminar am Institut für Evangelische Theologie bietet am 23.04. und 07.05. eine kleine Vorlesungsreihe in englischer Sprache zu den Figuren Sara und Hagar an. Das geschieht in Kooperation mit dem ZeKK und Lehrenden und Studierenden der John Carroll University und dem Tuohy Center for Interreligious Understanding (USA), die jeweils für einen Teil der Abende digital zugeschaltet werden (siehe dazu das verlinkte Plakat).
Wer nach dieser Vortragsreihe noch mehr zu Sara und Hagar erfahren will, hat im Wintersemester 2025/26 Gelegenheit dazu. Dann bietet Bergmann ein Blockseminar mit einem Workshop vom 07.-08.11.2025 an. Auch hier wird es Gelegenheit zur Teilnahme in Präsenz und per Zoom geben.
Prof. Dr. Claudia D. Bergmann ist Professorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Biblische Exegese und Theologie an der Universität Paderborn.
Jürgen Habermas hat einmal treffend festgehalten, dass bei der Übersetzung des Begriffs der Sünde in den Begriff der Schuld etwas verloren gegangen ist. ‚Schuld‘ meint vor allem die persönliche Verantwortung für Verstöße gegen Recht und Moral. ‚Sünde‘ aber greift tiefer. Über individuelle Verfehlungen hinaus verweist sie auf gestörte Beziehungen: zwischen Menschen untereinander – und zwischen Mensch und Gott.
In diesem relationalen Sinne zeigt sich Sünde als zerstörerische Dynamik der Selbsterhebung – das Sich-Über-Andere-Stellen –, die nie nur einzelne Opfer trifft, sondern das soziale Gefüge insgesamt gefährdet. Die Taten anderer gehen uns etwas an, selbst wenn wir die Augen vor ihnen verschließen wollen. Die Flucht vor der eigenen Verantwortung wird unweigerlich zur Mittäterschaft.
In den extremen ökologischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit schieben wir die Verantwortung positiv wie negativ oft gerne öffentlichen Akteuren zu, ohne unsere notwendige Mittäterschaft zu reflektieren. Es ist eine Sache, massive Aufrüstung und Wehrhaftigkeit zu fordern, eine andere, ob wir bereit wären, unser eigenes Leben oder das unserer Kinder für mehr Wehrhaftigkeit einzusetzen. Es ist das eine, eine offene und humane Migrationspolitik zu wollen, eine andere, die eigene (Frei-)Zeit auf das gelingende Zusammenleben konkreter Menschen verschiedener Herkünfte zu verwenden.
In den Widersprüchen dieser Fragen, die die allgemeine Situation mit unserem Leben verbinden, wird erst klar, wie es wirklich um die Welt steht. Erst im Ansichtigwerden der eigenen Verantwortung und der Weigerung, sie zu übernehmen, im Angesicht des eigenen Scheiterns, der (unbeabsichtigten) Selbsterhebung über andere – sei es aus Trägheit, Neid, Habgier, Eitelkeit, Völlerei, Lust oder Zorn – wird das ganze mich betreffende Ausmaß der Lage der Menschheit sichtbar.
Das Museum für Kommunikation in Berlin hat den sieben der christlichen Tradition entstammenden und zuvor genannten Todsünden eine bemerkenswerte interaktive Ausstellung gewidmet, die diese im Zusammenhang mit social media reflektiert. Das Projekt zitiert Reid Hoffmann, Gründer des sozialen Job-Netzwerks Linkedin, mit dem Satz: „Soziale Netzwerke sind am erfolgreichsten, wenn sie eine der sieben Todsünden triggern.“ Und tatsächlich: Die Mechanismen von social media – ständiges Vergleichen, Selbstdarstellung, Wut- und Empörungszyklen – verstärken gezielt diese ‚Todsünden‘. Sie schaffen für uns oft nicht mehr durchsichtige Abhängigkeiten, ein unkontrolliertes ‚Dranbleiben‘. Neben zweifellos positiven Aspekten entfremdet uns social media im gezielten Aufbau dieser Abhängigkeiten von der realen Verantwortung füreinander und ersetzt diese durch ein nur anscheinendes Fürmichsein.
Vor diesem Hintergrund könnte der Begriff ‚Sünde‘ als ein erstaunlich zeitgemäßes Instrument der anthropologischen Selbstverständigung spätmoderner Gesellschaften wiederentdeckt werden. Theologisch im Horizont gegenwärtiger Lebenswirklichkeiten durchdacht, ließe sich ‚Sünde‘ nicht zuerst als moralischer Ausdruck, sondern als Kategorie der Diagnostik sozialer und spiritueller Pathologien begreifen. ‚Sünde‘ beschreibt dann die Zerstörung des Vertrauens der Menschen ineinander, die mit der Zerstörung des Grundvertrauens in die Welt als gute Schöpfung Gottes verschränkt ist. Dieses Grundvertrauen kann mit dem Begriff des Glaubens übersetzt werden, der bereits bei Paulus das Gegenstück zur Sünde darstellt.
Quelle: KI-generiertes Bild
Prof. Dr. Aaron Langenfeld, Dr. theol. habil., ist Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn.
Wichtige Wahlen haben stattgefunden, in den USA, in Deutschland. Ihre Ergebnisse werden Konsequenzen haben – im Inneren wie im Äußeren. Die Weltordnung, wie wir sie in Deutschland und Europa seit 80 (1945) bzw. 35 (1990) Jahren kennen, ist in Auflösung begriffen. Die Mächtigen, gegen die der große Rest der Welt wenig auszurichten vermag, setzen auf Durchsetzung ihrer Macht ohne Rücksicht auf Verluste. Und wir in Deutschland, in Europa scheinen nun zum Rest der Welt zu gehören, denn es scheint völlig offen, ob wir noch zu den Mächtigen zählen oder nicht. Die Logik des Militärischen verbindet sich mit der Logik der Finanzen und der Logik der Ausbeutung unserer Ressourcen. Die Macht scheint sich auf wenige Männer zu konzentrieren, die mit ihren gekränkten Eitelkeiten in infantiler Dummheit und Rücksichtslosigkeit diesen Planeten in Haft zu nehmen scheinen. Das größte Problem, das wir vor uns haben, die Bewältigung der Folgen des Klimawandels, wird sträflich ignoriert, ja schlimmer noch: Es gibt Bestrebungen, dieses Problem zu verschärfen.
Dietrich Bonhoeffer, der vor 80 Jahren am 9. April 1945 seinen Widerstand mit dem Leben bezahlte, notierte an der Wende zum Jahr 1943 in einem persönlichen Rechenschaftsbericht „Nach zehn Jahren“ angesichts seiner Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch mit Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch, und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden, ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. […] Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. […] Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei (Sprüche 1, 7), sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.“ (Widerstand und Ergebung, Dietrich Bonhoeffer Werke 8, 26-28)
Welche Rolle spielen wir in dieser Lage als Menschen, die Theologie treiben, die von unterschiedlichen Bekenntnissen gespeist sind, die von unterschiedlichen Religionen und Konfessionen herkommen, die ja auch allesamt keine monolithischen Blöcke sind. Beschämt müssen wir feststellen, dass unsere Religionen und Konfessionen allesamt auch ihren Anteil an dieser bedrohlichen Entwicklung haben. Ich kann dabei nur auf meine Konfession verweisen, wenn ich z.B. an die mächtigen, von Weißen dominierten Megachurches in den USA denke, auf deren Stimmen sich der jetzige US-amerikanische Präsident schon immer hat verlassen können. Ich sehe nicht, wie es theologisch verantwortet werden kann, sie noch zum Christentum rechnen – auch wenn sie hunderttausendmal Dschiesas im Munde führen. Mich überkommt theologischer Ekel, wie Rassismus, Sexismus, Klassismus hier durch vermeintlich Christliches schöngeredet wird. Wer solche „Freunde“ oder „Brüder“ hat, braucht keine Feinde mehr!
Die Auseinandersetzung mit diesen sich christlich nennenden Theologien ist notwendig und muss um der Wahrheit willen in aller Schärfe geführt werden, aber die damit verbundene Empörung über die daran glaubenden Menschen hilft noch keinen Schritt weiter. Was also kann helfen? Woher kommen Hoffnung, Kraft, Mut, Witz, Beherztheit, Durchhaltevermögen, Leidenschaft und Leidensfähigkeit, vielleicht sogar Widerstand?
Der Kirchentag in Hannover vom 30. April bis 4. Mai 2025 hat die Losung: mutig – stark – beherzt. Er tritt an, diese kritische Weltlage zu besprechen und Mut zu machen, Glauben zu stärken und beherztes Handeln zu inspirieren. Der Kirchentag bietet allen Menschen eine Plattform, die sich angesichts gegenwärtiger Machtdemonstrationen jenseits aller menschlichen Machtansprüche aus religiösen und zivilgesellschaftlichen Beweggründen um eine menschenfreundliche Zukunftsgestaltung dieser Welt bemühen. Der biblische Text für den Schlussgottesdienst gehört für mich zu den wichtigsten Texten der Bibel, die mich Christsein lassen und benennt das, was mich hoffen, leben, lieben, glauben, atmen lässt in einem großen Weder – Noch. Hier spricht der Apostel Paulus ein hymnisches Bekenntnis, das ich in der eigens für den Kirchentag 2025 angefertigten Übersetzung zitiere:
Denn ich bin felsenfest überzeugt:
Weder Tod noch Leben,
weder himmlische noch staatliche Mächte,
weder Gegenwart noch Zukunft,
auch keine Gewalten,
weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf
werden uns jemals trennen von Gottes Liebe,
die im Machtbereich des Messias Jesus lebendig ist. (Römerbrief 8,38-39)
Darauf vertraue ich und hoffe zugleich auf Vertrauensbildung der Theologien als religionspädagogische Kernkompetenz im Horizont dieses Bekenntnisses. Der von Paulus bekannte Machtbereich des Messias Jesus benennt und bekennt dabei den christlichen Zugang zur Liebe Gottes, der andere Zugänge zur Liebe Gottes keineswegs ausschließt. Vielleicht wäre dies die vornehmste Aufgabe der Theologien, sich gegenseitig die Zugänge zur Liebe Gottes zu zeigen und sich dabei wechselseitig zuzutrauen, Vertrauen in diese Liebe Gottes bilden und diese Bildungsaufgabe frohgemut und beherzt angehen zu können und zu wollen.
Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke ist Professor für Didaktik der Evangelische Religionslehre mit Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Fakultät für Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn. Zudem ist er Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags.
Geschlechtergerechtigkeits- und Chancengleichheitsforderungen haben spätestens seit den Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen der sechziger Jahre eine normative Prägekraft auf demokratische Gesellschaften weltweit entwickelt. Auch in den fachwissenschaftlichen Diskursen deutschsprachiger Philosophie und Theologie werden feministische Perspektiven und Positionen adressiert. Auf den ersten Blick lässt sich für die Sichtbarkeit feministischer Emanzipationsanliegen folglich eine positive Bilanz ziehen. Auf den zweiten Blick erfahren feministische Fragestellungen und Analysen seit einigen Jahren jedoch wieder einen gesellschaftlichen und mitunter religiös motivierten Backlash. Anstelle feministische Beiträge als kritische Hermeneutik zu verstehen, die dabei helfen kann, kulturell normalisierte und strukturell verdeckte Vermachtungsstrukturen aufzudecken und damit einen Beitrag zur Befreiung aller Menschen (unabhängig vom Geschlecht!) zu leisten, wird behauptet, dass die Rückkehr zu den traditionellen Geschlechterrollen alle gegenwärtigen Unsicherheiten und Krisen auflösen, die Welt so wieder in Ordnung gebracht werden könne. Dieser Backlash kulminiert in rechtspopulistischen Agenden gegenwärtiger politischer Akteur*innen und ihren dezidiert antifeministischen Stellungnahmen. Auch wenn sich in philosophischen und theologischen Diskursen bisher glücklicherweise nur selten solche regressiven, die Vielfalt und Mehrdeutigkeit der Welt leugnenden Positionen erkennen lassen, so ist dennoch zu konstatieren, dass relevante Forschungsperspektiven von als Frauen identifizierten Personen übersehen oder ignoriert werden. Dieser Stilllegungs-Reflex greift dabei offenbar umso schneller, je deutlicher feministische Perspektiven die eingelebten Hierarchien und verinnerlichten Privilegien herausfordern und Herrschaftsbündnisse entlarven. Dabei wird nicht nur übersehen, dass feministische Perspektiven und ihr emanzipatorisches Profil gerade unter den Vorzeichen der kompromittierten demokratischer Gewissheiten gesellschaftlich höchst relevant sind, so sie für diskriminierende Praktiken und unzulässige Ungleichheitsstrukturen sensibilisieren. Auch auf wissenschaftstheoretischer Ebene lässt sich dafür argumentieren, dass die Bewusst- und Sichtbarmachung einzelner, vom Mainstream abweichender Positionen eine Forderung epistemischer, ethischer und sozial-politischer Verantwortung darstellt und für die Kohärenz bzw. Resilienz wissenschaftlicher Theorie- und Urteilsbildung ausschlaggebend ist. Mit anderen Worten basiert sowohl eine vielstimmige Demokratie als auch die Wissenschaftlichkeit der Theologie und Philosophie darauf, auch und gerade die nicht-identischen, unbequemen und anderen Weltdeutungen kritisch, ernsthaft und aufmerksam in ihre Diskurse zu integrieren und mit ihnen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist eine neue Reihe im Alber-Verlag entstanden: „Feminismen. Positionen und Perspektiven / Feminisims. Positions and Perspectives“ Ihre Herausgeberinnen und der wissenschaftliche Beirat haben sich zum Mandat gemacht, Wissenschaftler*innen eine Gelegenheit zu geben, ihre Thesen und Gedanken, Analysen und Theorien in die fachwissenschaftlichen Diskurse hineinzutragen und damit dem gefährlichen Backlash ein entschiedenes Veto entgegenzuhalten: https://www.nomos-shop.de/de/series/series/view/id/B001356600
Wir ermutigen alle Lesenden und Interessierten, uns Beiträge in Form von Proposals und Publikationsideen zukommen zu lassen: weber@fiph.de
Anne Konsek ist zurzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, assoziiertes ZeKK-Mitglied und folgt ab April dem Ruf auf die Professur für Philosophie und Ethik an der KatHo Paderborn.
Alles ist im Fluss, nur die Veränderung ist konstant. Wenn es nicht gut läuft, sehnt man sich nach Veränderung und freut sich über den Neuanfang. Läuft es hingegen gut, wünscht man sich Stabilität, das Festhalten am Bewährten. Diese Dynamik zeigt sich nicht nur in natürlichen Prozessen, wie dem Wandel des Weltalls, der irdischen Geologie oder den stetigen Erneuerungsprozessen von Organismen (ohne die sie absterben), sondern auch in Industrie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
In unserer modernen Welt prägt auch der technologische Fortschritt den Wandel in rasantem Tempo. Künstliche Intelligenz, beispielsweise Large Language Models wie ChatGPT und andere KI-Anwendungen, haben tiefgreifende Veränderungsprozesse angestoßen. Diese Technologien revolutionieren unsere Art zu kommunizieren, Wissen zu verarbeiten und Prozesse zu gestalten. Sie ermöglichen es, große Datenmengen in Sekundenschnelle zu analysieren, kreative Ideen zu generieren und bieten innovative Ansätze für Herausforderungen und Probleme – auf Basis der Quelltexte, mit denen sie trainiert wurden. Sie generieren Kommunikation, die kaum von menschlicher zu unterscheiden ist, neigen dazu Vereinfachungen und Stereotype zu perpetuieren und immer echter aussehende deep fakes von Audio- und Bildmaterial verdeutlichen, dass sogar das zweifache Hinsehen manchmal nicht ausreicht. Reale Kommunikation von Angesicht zu Angesicht könnte eine noch größere Bedeutung erlangen als bisher (und uns während der Covid-19 Pandemie in allen Bereichen des Lebens vor Augen geführt wurde). In der Bildung ist das Erlernen von „lower-order thinking skills“, die häufig leicht von KI übernommen werden können, schwer vermittelbar – jedoch gehen wir vielfach davon aus, dass sie die notwendige Voraussetzung für das Erlernen von „higher-order thinking skills“ sind, deren Erlernen damit zu einer noch größeren Herausforderung wird.
Gesellschaftliche Akteur*innen stehen vor der kontinuierlichen Aufgabe, den Einsatz von KI und die Entwicklung von KI-bezogenen Kompetenten sinnvoll zu integrieren, denn KI wird nicht mehr verschwinden und vermutlich diejenigen bevorteilen, die mit ihr gut umgehen können. Aber die Verbesserung ihrer Leistung und der stark zunehmende Einsatz – vielfach ohne entsprechende Kenntlichmachung, wie aus Gesprächen immer wieder deutlich wird – sorgt bei mir auch immer wieder für das bedrückende Gefühl, dass wir zunehmend durch KI miteinander kommunizieren und die menschliche Kommunikation weniger wird.
Jede meiner Nutzungen von ChatGPT und entsprechenden KI-Anwendungen stimmt mich daher nachdenklich. Ich merke die Power und Entwicklungsgeschwindigkeit dieser Systeme, habe das Gefühl den Überblick und irgendwie die Kontrolle zu verlieren und bin irgendwie überwältigt. Jede Nutzung verdeutlicht für mich das Ausmaß des revolutionären Wandels, in dem wir uns aktuell befinden. Und ja, er geht mit Chancen einher, aber ich merke auch, dass er mir gehörigen Respekt einflößt und mir viel abverlangt: Nämlich diesen Wandel nicht einfach geschehen zu lassen, sondern ihn (für mich) aktiv, vorausschauend und kreativ zu gestalten, um nicht überwältigt zu werden – und Menschen und reale Interaktion in den Vordergrund zu stellen.
Prof. Dr. Dominik Rumlich ist Professor im Bereich Didaktik am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Paderborn.
Wer in den Wochen vor der Wahl in Thüringen oder Sachsen unterwegs war, konnte auf den Wahlplakaten einer Partei den Slogan „Schluss mit Multikulti“ lesen. Vorausgesetzt wurde von den Machern dieser Plakate, dass die multikulturelle Gesellschaft eine neuartige Erfindung sei, vielleicht sogar etwas, was man mit dem Schimpfwort „woke“ betiteln kann, und das deshalb abzuschaffen ist. Zurück zum Alten, würden Vertreter:innen dieser Partei wohl propagieren, und die vermeintlich neuartige multikulturelle Gesellschaft gerne wieder abwickeln. Als die Studierenden des Instituts für Evangelische Theologie im August die Museumsinsel in Berlin besuchten und sich auf die Spuren der Bibel und der Religionen im alten Orient begaben, stellten sie u.a. fest, dass „Multikulti“ keinesfalls eine neuartige Erfindung ist. Zum Kontext: Die antiken Völker im Mittelmeer-Raum und weiter östlich bis nach Persien standen über Jahrtausende in regelmäßigem Austausch. Selten ging es um kulturelles Interesse am Anderen, stattdessen meist um politische Vorherrschaft und gewinnbringenden Handel. Regelmäßig bekriegten sich die Hochkulturen der Hethiter, Assyrer, Babylonien, Perser, Griechen, Römer und Ägyptern, in unterschiedlichen Kombinationen, jedoch meist auf dem Gebiet des heutigen Israel/Palästina. Der sogenannte Fruchtbare Halbmond, ein sichelförmiges geographisches Gebiet mit dem Nil im Westen, der Levante im Zentrum und den Zwillingsflüssen Euphrat und Tigris im Osten, war nicht nur vielbetretener Handelsweg, sondern auch der Schauplatz zahlreicher grausamer Vernichtungsfeldzüge. Und trotz aller Konflikte fand im Fruchtbaren Halbmond religiöser und kultureller Austausch statt, und zwar in einem Umfang, der aus heutiger Sicht erstaunt. Das beste Beispiel dafür: die Flussinsel Elephantine. Sie ist nur 1,2 Kilometer lang und 400 Meter breit, befand sich aber ideal gelegen auf dem günstigsten und sichersten Handelsweg Ägyptens, dem Nil, und im Grenzland zu den südlicher gelegenen afrikanischen Nachbarn. Auf ihr lebten unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammen: Menschen aus Ägypten, Nubien, Syrien, Äthiopien, den hellenistischen und römischen Weltreichen, aus Makedonien, Assyrien und Kush, dazu Aramäer und Judäerinnen, Caspier und Araberinnen. Die kleine Insel Elephantine gab diesen Menschen ein kosmopolitisches Zuhause. Sprachen, Kulturen und Religionen mischten sich, die Welten des großen Fruchtbaren Halbmonds und lokale Traditionen existierten nebeneinander. Ein großes europäisches Forschungsprojekt (ERC Grant „Localizing 4000 Years of Cultural History. Texts and Scripts from Elephantine Island in Egypt“) in Zusammenarbeit mit dem Ägyptischen Ministerium für Tourismus und Antiken hat nun tausende Texte und viele andere Funde aus Elephantine, die in 60 Sammlungen in 24 Ländern verstreut waren, ausgewertet, erstmalig digitalisiert und für alle öffentlich gemacht. Die bearbeitete Zeitspanne umfasst Zeugnisse aus dem dritten Jahrtausend vor unserer Zeit bis zum Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeit. Die Ausstellung „Elephantine, Insel der Jahrtausende“ ist, passend zu ihrem Thema, dreisprachig beschriftet: in arabischer, englischer und deutscher Sprache. Geruchstationen lassen orientalische Düfte durch den Ausstellungsraum schweben, vieles kann berührt und ertastet werden, ein ägyptischer DJ interpretiert Elephantine noch einmal auf ganz andere Weise. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Mathematiker:innen und Physiker:innen ermöglichte es, geschlossene Papyri und Papyruspäckchen „virtuell“ zu entblättern und lesbar zu machen. Besonders interessant: Die Forscher:innen fanden Dokumente in zehn verschiedenen altorientalischen Sprachen und Belege dafür, dass die Menschen auf Elephantine nicht etwa getrennt in ihren Kiezen lebten, sondern sich auch untereinander kannten, schätzten und sich miteinander verständigen wollten. So nennt ein Ehevertrag aus der Perserzeit (etwa 433-403 v.u.Z.) die Namen von Zeugen der Eheschließung, die aramäischen, judäischen und ägyptischen Ursprungs sind. Ein anderer Text in aramäischer Sprache wurde mit demotischen Schriftzeichen aus der ägyptischen Kultur niedergeschrieben. Er beinhaltet eine biblischen Psalm und einen altägyptischen Totentext und vereint so nicht nur Sprachen, sondern auch Konzepte aus zwei unterschiedliche Religionen. Pluralität und Vielfalt also. „Multikulti“ in der Antike. Ganz selbstverständlich nebeneinander und wahrscheinlich zum Nutzen aller. Dass „Multikulti“ auch damals nicht immer eine leichte Angelegenheit war, zeigen Schreibübungen von Kindern auf Tonscherben. Ungelenk werden dort die fremdem Schriftzeichen niedergeschrieben und Begriffe in der fremden Sprache wieder und wieder geübt. „Multikulti“ mag es schon in der Antike gegeben haben, aber mit ein wenig Mühe ist es schon verbunden. Mühe, die sich lohnte und lohnt.
Die Ausstellung ist noch bis zum 27.10.2024 in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum auf der Museumsinsel in Berlin zu sehen.
Prof. Dr. Claudia Dorit Bergmann ist Universitätsprofessorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Biblische Exegese und Theologie an der Universität Paderborn.