Vom innerreligiösen Dialog zur interdisziplinären Öffnung

Vor rund fünf Jahren begann ich meine Tätigkeit am ZeKK zunächst als Studentische Hilfskraft. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Zentrum in einer Phase der Neuorientierung: Mit dem Weggang des Gründers, Prof. Dr. Klaus von Stosch, entstand ein Vakuum, das erst allmählich durch neue Strukturen und ein engagiertes Team gefüllt werden konnte. Rückblickend lässt sich feststellen, dass diese Zeit der Umbrüche zugleich den Grundstein für eine nachhaltige Weiterentwicklung gelegt hat. Zwei Entwicklungen erscheinen mir dabei besonders prägend: Erstens hat sich der Fokus des ZeKK von einem stärker religionsinternen Diskurs hin zu einer deutlicheren interdisziplinären Öffnung verschoben. Die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächern gewinnt zunehmend an Bedeutung und erweitert die Themenfelder beträchtlich. Ein sichtbares Beispiel dafür ist die neu gegründete AG „ZeKK and the Arts“, die bereits aktiv Tagungen vorbereitet und den Dialog zwischen Religion, Kunst, Musik und Gesellschaft intensiviert. Zweitens hat das ZeKK in den letzten Jahren eine Professionalisierung durchlaufen, die sich sowohl in seiner öffentlichen Präsenz als auch in der Vielfalt seiner Formate widerspiegelt. Mit Hilfe des Verbundprojekts konnten die digitale Sichtbarkeit ausgebaut, ein Instagram-Kanal etabliert und Veranstaltungen wie ZeKK Live weiterentwickelt werden. Während anfangs primär wissenschaftliche Gäste im Mittelpunkt standen, öffnete sich das Zentrum zunehmend auch Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und stärkte damit seine Relevanz im öffentlichen Diskurs.

Für meine Arbeit am ZeKK waren diese beiden Aspekte zentral: Multiperspektivität in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen und ein professionelles Auftreten im öffentlichen Raum. Das ZeKK leistet aus meiner Sicht einen entscheidenden Beitrag für eine pluralitätsfähige Gesellschaft und kann diesen Anspruch auch selbstbewusst nach außen vertreten. In wenigen Tagen endet meine Tätigkeit als Mittelbauvertreter im Vorstand des ZeKK. Ich schaue auf fünf schöne, ereignisreiche, gewinnbringende Jahre im ZeKK als SHK, WHB und Vorstandsmitglied zurück. Ich danke meinen Kolleg:innen im Vorstand, dem gesamten Team sowie allen Mitwirkenden am Zentrum sehr herzlich für die Zusammenarbeit. Die gemeinsame Zeit war für mich eine große Bereicherung.

Dem Himmel so nah

Ich befinde mich auf dem Rückweg meines Wanderurlaubes aus Österreich, lasse die Gedanken schweifen und meine Erlebnisse, Erfahrungen sowie zugegebenermaßen Anstrengungen gedanklich Revue passieren. Der durchaus vorhandene Muskelkater und die Druckstellen der Wanderschuhe lassen mich an verschwitzte und mühsame Aufstiege denken, was mich zu der Frage kommen lässt: Warum mache ich das überhaupt? „Der Weg ist das Ziel.“ Aber warum habe ich es mir dann zum Ziel gemacht, bergauf zu gehen, obwohl ich zeitgleich auch einfach in der Sauna schwitzen und entspannen könnte, mit der Verlockung eines kalten Eisbades? Trotz der Anstrengung ist es ein Leichtes für mich, diese Frage zu beantworten. In Gedanken bin ich wieder am Berg, ich atme die frische Luft ein, lasse meinen Blick über die gletscherbedeckten Gipfel schweifen, ich höre den Flügelschlag und Ruf eines Greifvogels, wo mir definitiv das ornithologische Knowhow fehlt, um ihn genauer zu bestimmen. Die Sonne küsst mein Gesicht, ich schließe kurz die Augen, in weiter Ferne höre ich das Leuten der Glocken von Bergziegen und den Pfiff eines Murmeltieres. Begleitet vom Rauschen eines Baches und vom Wind, der sich den Weg durch Sträucher bahnt, öffne ich wieder meine Augen und mir erschließt sich dieses einzigartige Naturschauspiel des österreichischen Bergpanoramas. Um mich herum sind so viele Eindrücke und Geräusche, aber in meinem Inneren spüre ich eine angenehme Stille. Diese pure Gelassenheit und Ausgeglichenheit spüre ich nur hier in der Natur. Nicht der Gipfel, das Holunderwasser oder der Kaiserschmarren auf der Berghütte sind die Belohnung für meine strapazierten Beine, sondern das Innehalten, das Unterwegssein, das Hineingeschaffensein in dieses wunderbare, einzigartige und majestätische Naturschauspiel. Mich durchfährt ein Gefühl der Dankbarkeit, nicht nur dafür, diese großartigen Aussichten und Naturspektakel erleben zu dürfen, sondern dafür, inmitten dieser Natur und dem Himmel so nah meinen inneren Frieden finden zu können. Dieses spirituelle Ergriffensein durch den Berg ist weder ein Phänomen, was mich allein betrifft, noch eine Erfindung durch die Influencer-Bubble, die nur nach dem perfekten Fotopoint zu streben scheint. Vielmehr scheint das göttliche und spirituelle Potential des Berges die Menschheit seit jeher zu beschäftigen, wodurch der Berg einen bedeutenden und zentralen Platz in vielen Religionen und Kulturen einnimmt. Unabhängig davon, ob man die Bergpredigt Jesu, den Olymp als griechischen Göttersitz, den Berg Sinai, den Berg Kailash in Tibet als Zuhause Shivas, den Vulkan Fuji in Japan oder die tiefe Bedeutung der Berge, wie z.B. der Uluru in Australien, für indigene Völker heranführt, überall ist die spirituelle Kraft des Berges gegenwärtig. Ich denke an die vielen Kapellen und Gipfelkreuze, denen ich auf meinen Wanderungen begegne und die zum Innehalten, Nachspüren und Entfliehen aus dem Alltag einladen. Besonders in diesen Momenten fühlen sich meine Beine wieder leicht an, die Anstrengung ist vergessen und beflügelt durch die Natur lasse ich mich ein auf neue Abenteuer in der unendlichen Weite der Berge. Schließen möchte ich daher mit einem Plädoyer, die Natur und Berge als Orte zu verstehen, an denen wir als Gäste teilhaben dürfen – nicht als Eroberer/Eroberinnen von Berggipfeln, sondern vielmehr als demütige Geschöpfe, die von der Natur, eingeladen ihre Schönheit bewusst wahrnehmen zu dürfen, geduldet werden.

Berliner Höhenweg in den Zillertaler Alpen

Religiöse Kunst – Heilige Kunst: Navid Kermani

Navid Kermani hat seine als „Meditatio­nen“ bezeichne­ten, auf dem Buchmarkt sehr erfolg­rei­chen Essays in Ungläu­bi­ges Staunen. Über das Christentum (München 2015) als eine poeti­sche „Schule des Sehens“ be­stimmt. In ihrer die Religionen ver­bindenden Kraft und ihrer zugleich sinnlichen und heiteren, bisweilen auch ironischen Anschaulichkeit entwickelt sich dadurch so­wohl theolo­gi­sche, als auch ästhetische Prägnanz. Im Blick auf die von Ger­hard Richter geschaffenen Glasfenster im Kölner Dom unterscheidet Kermani in der ‚Mediation‘ Kunst dabei auch sehr bewusst zwischen ‚religiöser‘ und ‚heiliger‘ Kunst. Kermani bezieht sich hierfür auf Titus Burckhardt, den Großneffen von Jacob Burckhardt. Die religiöse Kunst habe unweigerlich im­mer eine Tönung von Subjektivität. Die ‚heilige‘ Kunst hingegen sei „Gleichnis der Schöp­fung selbst“; und so „drückt sich in der heiligen Kunst eine geistige Ordnung der Welt aus, während Kunst, die bloß in einem allgemeinen Sinne religiös ist, subjektive Gemüts­­lagen, Eindrücke, Visionen, Ideen bezeugt. Oder, prägnanter gesagt: Religiöse Kunst fängt den Blick des Menschen, heilige Kunst den Plan Gottes ein. In diesem Sinne ist heilige Kunst immer ein Gleichnis der Schöpfung selbst.“ (S. 214) Als Gleichnis wird der Zeichen­charak­ter damit zu einer Realisationsform (des Erscheinens des Göttlichen in der Welt) trans­zen­diert, wie es auch Dorothee Sölle bestimmte. So ist Navid Kermanis „Begriff des Heiligen durchaus“ ästhetisches Zeugnis und in der Wirklichkeit wirkendes Bei-Spiel des Göttlichen in unserer Gegenwart, das – notwendigerweise (wie es auch schon einmal romantisches Programm um 1800 gewesen ist) – zu vergegenwärtigen Leistung und Aufgabe von Kunst und Literatur sind, auch immer noch sind.

Doch dies ist kein ästhetischer Selbstzweck, kein Spiel um des Spiels willen, sondern ein Versuch, einen angemessenen Diskurs zu etablieren, um Zugehörigkeit und Teilhabe in einem umfassenden und doch auch demokratisch-aufklärerischen Sinn zu eröffnen. Genau hierum bemühen sich Kermanis literarisches Werk und sein publizistisches Schaffen. Sie bringen Zeichen ins Spiel, um uns für das Heilige, aber genauso auch für uns selbst zu sensibilisieren. Denn die ästhetischen Erfahrungen machen in einer Weise staunen, dass sie, wie auch Friedrich Hölderlin um 1800 hoffte, für Offenheit sorgen können und uns miteinander ins Gespräch bringen.