Das Wort „Religion“ ist erst im 16. Jahrhundert in die deutsche Sprache gekommen und zwar als Fremdwort, abgeleitet von dem lateinischen Wort „religio“. Vor dem Hintergrund der Reformation und der Auseinandersetzungen um den „wahren“ Christenglauben hat es im Deutschen rasch andere Bedeutungen angenommen als das lateinische Original. Das zeigt sich daran, wie Simon Roth es 1571 in seinem Teutsche[n] Dictionarius erklärt, dem ersten Fremdwörterbuch in deutscher Sprache.
„Dises wort wirt (als Cicero im bůch von der natur der Goͤtter meint) vom widerlesen hergezogen […]“
So verweist Roth eingangs auf das lateinische Wort und dessen Bedeutung. Der römische Autor Marcus Tullius Cicero (106 v. Chr.–43 v. Chr.) hatte „religio“ von dem Verb „relegere“ abgeleitet. Es bedeutet ‘wieder lesen’, ‘überdenken’. Religio hieß für Cicero das Überdenken und genaue Beachten aller Dinge, die der Mensch den Göttern schuldig ist, also die Pflicht, die Götter zu ehren, oder einfach ‘Götterverehrung’. Es hieß nicht persönlicher Glaube, nicht Glaubenslehre, nicht Gottesdienstordnung, nicht Gesetz, nicht Lebensführung, nicht Kirche. Bei Cicero bedeutete „religio“ nichts von dem, was wir heute unter „Religion“ verstehen.
Doch genau diese Bedeutungen führt Roth als neuen Sinn des Fremdworts „Religion“ im Deutschen ein:
„Wir Christen aber muͤgen solches wort der massen brauchen/ das wir die gantze andacht vnd Gottes huld eins Christlichen lebens darbey verstehn/ Als den Glauben/ Gsatz/ ordnung vnnd gebreuch der sakrament. Jtem die Verbindung Gottes mit seinen Glaubigen.“
„Wir Christen“, das war eine Beschwörung von christlicher Eintracht, während sich in Wirklichkeit die verschiedenen christlichen Glaubensrichtungen gerade die Köpfe einschlugen. „Muͤgen solches wort der massen brauchen“ heißt, wir sollen es so gebrauchen, wie Roth es dann erklärt – der Wörterbuchautor wird zum Religionslehrer. Und seine Lehre ist die Verbindung von persönlicher Frömmigkeit („andacht“) und Lebensführung, von Glaubensüberzeugung, Handlungsmaximen, Gottesdienstformen und Kirche. All diese Dinge zur Übereinstimmung zu bringen war eine neue Idee des 16. Jahrhunderts; die Forschung bezeichnet sie als „Konfessionsbildung“. All diese Dinge in den Religionsbegriff aufgenommen zu haben, entsprang aus dieser Idee als eine Folge, die bis heute anhält. Unser heutiges Verständnis von Religion erweist sich als Erfindung des 16. Jahrhunderts.
Prof. Dr. Johannes Süßmann ist Professor an der Universität Paderborn für Geschichte der Frühen Neuzeit.
Im interreligiösen Dialog kann immer wieder Neues gelernt werden – über die jeweils andere Religion, aber auch über die eigene. Hat dieser Dialog somit seinen Ort im Bereich der Bildung? Ist interreligiöser Dialog letztlich nur ein anderes Wort für interreligiöses Lernen? Karl Ernst Nipkow bestreitet dies – zumindest für den Bereich der Religionspädagogik – wenn er schreibt: „Dass man in der Religionspädagogik vom ‚interreligiösem Lernen‘ und vom ‚Dialog‘ häufig synonym spricht, verschleift einen Unterschied.“[1] Dieses Statement von Nipkow ist ein Anlass, der Frage nach dem Verhältnis von interreligiösem Dialog und interreligiösem Lernen nachzugehen – und damit der Frage, ob es beim interreligiösen Dialog um Bildung geht.
Bildung ist in die DNA von evangelisch-lutherischen Christ*innen eingeschrieben. Martin Luther hat sich mit Vehemenz für Bildung eingesetzt. Ihm lag in besonderem Maße die öffentliche Bildung am Herzen, die allen Bürger*innen offenstehen sollte. In seiner kleinen Schrift an die Ratsherren in jeder deutschen Stadt appellierte er 1524 an die weltliche Obrigkeit, staatliche Schulen zu errichten, um für eine gute Ausbildung der Bevölkerung zu sorgen. Er rief auch dazu auf, öffentliche Bibliotheken zu gründen, um Menschen aller Schichten Zugang zu Büchern und breitem Wissen zu vermitteln. Die protestantische Gemeinde in Halle an der Saale nahm sich den Aufruf zu Herzen und gründete 1552 die heute älteste erhaltene evangelische Gemeindebibliothek. Die Reformation und Luthers Aufruf zur Gründung von Schulen und Bibliotheken führten zu einer regelrechten Bildungsoffensive in Deutschland.
Dabei ging es Luther keineswegs um ausschließlich religiöse Bildung. So schrieb er, bevor er seine Familie gegründet hatte: Wenn er eigene Kinder hätte, müssten diese nicht nur die Sprachen und Naturwissenschaften erlernen, sondern umfassend gebildet werden, zum Beispiel in Musik und Kunst, damit sie später jeden Beruf ergreifen können.
Luther machte sich für Bildungsgerechtigkeit stark; gemäß seiner Auffassung sollten alle lesen und schreiben können, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Dank der Reformatoren, vor allem Luther und Melanchthon, entstand eine Bildungsbewegung und es kam zu zahlreichen Schulgründungen.
Der Satz, dass Bildung in die DNA von evangelisch-lutherischen Christ*innen eingeschrieben ist, lässt sich reformationsgeschichtlich somit gut begründen. Jedoch wirft der Begriff Bildung viele Fragen auf. Godwin Lämmermann weist zu Recht darauf hin, dass eine allgemein anerkannte Definition des Bildungsbegriffes nicht existiert: „Bildung ist nach Sache und Begriff plural konstituiert: Begrifflich entzieht sie sich jeder eindeutigen definitorischen Bannung, inhaltlich ist Bildung – sowohl als Ziel wie auch als Weg – offen und damit plural strukturiert.“[2] Dieser Befund erfordert eine Verständigung über die inhaltliche Füllung des Begriffs Bildung. Bei dem Versuch einer solchen Verständigung kann sich der Gedanke des lebenslangen Lernens in der Pädagogik und somit auch in der Religionspädagogik als hilfreich erweisen. Was heißt das jedoch konkret – wie kann ein lebenslanges Lernen Gestalt annehmen? Auf diese Frage gibt es unterschiedliche Antworten. Eine zielt auf die Haltung ab, in der Menschen einander begegnen. In dem Mischna-Traktat Pirqe Awot wird im ersten Satz des vierten Kapitels das berühmte Dictum von Ben Soma überliefert: אֵיזֶהוּ חָכָם, הַלּוֹמֵד מִכָּל אָדָם – Wer ist weise? Wer von jedem Menschen lernt. Dies ist eine Definition von Weisheit, die dem Dialog wichtige Impulse zu vermitteln vermag. In jüdischen Kontexten gilt im Allgemeinen nicht als die bzw. der als Klügste bzw. Klügster, wer die klügste Antwort zu geben weiß, sondern wer die klügste Frage zu stellen weiß – denn die gewährleistet, dass das Gespräch fortgeführt wird und somit die Grundlage für weiteres gegenseitiges Lernen gegeben ist.
Der Ort des Lernens ist dementsprechend die Gemeinschaft. Bezogen auf den interreligiösen Dialog ist Gemeinschaft zum einen die Gemeinschaft derjenigen, die sich im Dialog engagieren, und zum anderen auch die Gemeinschaft mit Gott, wenn die Gegenwart Gottes im Dialog vorausgesetzt wird. Unter dieser Voraussetzung ist Gott Teil der Lerngemeinschaft. Dieser Gedanke mag auf den ersten Blick recht anthropomorph anmuten, aber vielleicht realisiert sich ja gerade in der Fähigkeit, voneinander zu lernen, das, was im Rahmen christlich-theologischer Anthropologie recht vollmundig als „Gottesebenbildlichkeit“ bezeichnet wird.
Somit geht es beim interreligiösen Dialog um Bildung. Die Fähigkeit, immer wieder aufs Neue zu lernen und Neues zu lernen, konstituiert den Menschen und ist nicht zuletzt für die Gestaltung des interreligiösen Dialogs von Bedeutung.
PD Dr. Hans-Christoph Goßmann ist Privatdozent an der Universität Paderborn im Bereich Religionspädagogik / Praktische Theologie am Evangelischen Institut.
[1] K.E. Nipkow, Ziele interreligiösen Lernens als mehrdimensionales Problem, in: P. Schreiner; U. Sieg; V. Elsenbast (Hgg.), Handbuch Interreligiöses Lernen. Eine Veröffentlichung des Comenius-Institut, Gütersloh 2005, S. 362-380, hier S. 375.
[2] G. Lämmermann, Rezension zu: U. Pohl-Patalong (Hg.in), Religiöse Bildung im Plural. Konzeptionen und Perspektiven, in: Pastoraltheologie 93, 2004, S. 59.
Wer lehrt, tritt nicht nur vor eine Gruppe von Lernenden, er oder sie tritt auch immer ein Stück weit vor sich selbst. In der islamischen Religionspädagogik, deren Selbstverständnis tief im Dialog zwischen Tradition, Gegenwart und biografischer Verwobenheit wurzelt, ist diese Erkenntnis nicht neu. Und doch bleibt sie herausfordernd. Denn die Frage nach dem eigenen Rollenverständnis stellt sich nicht nur einmal, zu Beginn der akademischen Laufbahn, sondern immer wieder, zwischen den Zeilen einer Seminarsitzung oder in einer konstruktiven Diskussion mit kritischen Studierenden.
So stellt sich weniger die Frage, ob reflektiert wird, sondern wie bewusst und wie dauerhaft dies geschieht. Die Professionalisierung von Lehrpersonen, gerade im Fachbereich Religion, ist auf eine fortlaufende Selbstklärung angewiesen. Reflexion, das zeigen uns kompetenzorientierte Modelle religionspädagogischer Lehrer*innenbildung, ist nicht Beiwerk, sondern Herzstück professionellen Handelns. Die Lehrperson wird nicht (nur) als Wissensvermittelnde gedacht, sondern als reflektierende, dialogoffene, zugleich selbstverortete und stets lernende Persönlichkeit.
In dieser Rolle zu stehen, bedeutet auch, sich in Spannungen auszuhalten: zwischen Nähe und Distanz, zwischen dem Anspruch theologischer Tiefe und der Notwendigkeit didaktischer Zugänglichkeit, zwischen fachlicher Autorität und persönlicher Lernbereitschaft. In diesen Spannungen entstehen Reibungsflächen. Und wie es eine erfahrene Kollegin einmal formulierte: „Reibung ist gut. Wo Reibung entsteht, gibt es neue Energien.“
Solche Momente sind nicht angenehm, aber fruchtbar. In ihnen bildet sich das berufliche Selbstverständnis aus. Was lief gut? Was ist zu überdenken? Und: Was sagt diese Situation über mein theologisches wie pädagogisches Profil aus? Solche Fragen markieren einen Denkprozess, der die Fachpersonalisierung mit der Persönlichkeitsentwicklung verbindet. Ein zentrales Anliegen der Religionspädagogik.
Die Haltung, sich stets auch als Lernende zu begreifen, ist dabei nicht allein pädagogisch motiviert, sie ist zutiefst islamtheologisch verankert. Der Status des Lernens und Lehrens ist eng verknüpft mit dem Ethos der Amāna. Jenem anvertrauten Gut, das mit jedem Erkenntnisgewinn auch eine sittliche Verpflichtung mit sich bringt. Wissen wird dabei nicht als Besitzstand verstanden, sondern als Gabe, die auch den Charakter formt. Lehren wird in diesem theologischen Horizont zu einem wechselseitigen Prozess, in dem sich das Subjekt stets auch selbst belehrt: durch die Begrenztheit des eigenen Wissens, durch die Rückfragen der Lernenden und durch die feinen Korrekturen, die das gemeinsame Ringen um Wahrheit ermöglicht. In diesem Sinn ist die Lehrperson nicht nur Übermittlende von Inhalten, sondern eine Existenz im ständigen Lernen vor Gott. Ein Dienst, der weder abgeschlossen noch autoritativ, sondern stets relational, vorläufig und gottesdienstlich zu begreifen ist. Was religionspädagogisch reflektiert wird, spiegelt sich auch in psychologischen Theorien des Lernens wider. So beschreibt das Konzept des Growth Mindset, geprägt von Carol Dweck, die Haltung, Fähigkeiten und Kompetenzen nicht als statisch, sondern als entwickelbar zu betrachten. Diese Denkweise findet sich in überraschender Nähe zur islamischen Vorstellung von lebenslangem Lernen, das in zahlreichen Hadithen als durchgehende spirituelle und ethische Pflicht beschrieben wird. Der Mensch wird dabei nicht als fertiges Wesen, sondern als kontinuierlich Suchender verstanden.
So lässt sich die eigene Rolle in der Lehre wohl nie endgültig bestimmen. Sie entsteht im Tun, verändert sich im Widerspruch, gewinnt Schärfe durch Erfahrung und bleibt zugleich offen. Der Weg zur professionellen Lehrer*innenidentität führt nicht zur Klarheit im Sinne von Eindeutigkeit, sondern zu einem Bewusstheit im Sinne von Transparenz gegenüber sich selbst.
Lehren heißt also auch immer lernen. Und wer lehren will, muss auch lernen, sich selbst auszuhalten – in der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Überzeugung und Korrektur, zwischen Bild und Spiegel.
Schröder, K. (2007). Professionalisierung im Lehrerberuf: Kompetenzentwicklung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Beltz.
Terhart, E. (2011). Lehrerprofessionalität: Was ist das? In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 207–232). Waxmann.
Vgl. Al-Bukhari, Ṣaḥīḥ al-Bukhārī, Hadith Nr. 71; sowie die Sammlung von Imam al-Nawawi, Riyāḍ aṣ-Ṣāliḥīn, Kapitel „Wissenssuche“.
Dweck, C. S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. Random House
Yasemin Bas ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Paderborner Institut für Islamische Theologie im Bereich Islamische Religionspädagogik und ihre Fachdidaktik.
Vor einigen Jahren bin ich über der Abschiedsvorlesung von Uwe Schneidewind als Präsidenten der Universität Oldenburg gestolpert. Er thematisiert darin das Phänomen der „Shifting Baselines“. Es geht um das Verschieben der Referenzpunkte, die kollektiv geprägt werden und definieren, was wir als selbstverständlich annehmen und nicht hinterfragen. Geprägt wurde der Begriff in der sozialpsychologischen Umweltforschung. Dort geht es um die Frage, welcher Umweltzustand als normal empfunden wird. In empirischen Studien wurde festgestellt, dass sich dieser Zustand, der als normal empfunden wird, schleichend verschlechtert.
Zentraler Diskussionspunkt in meiner Vorlesung zu diesem Thema ist allerdings die Interpretation der Shifting Baselines von Schneidewind. In seiner Rede schreibt Schneidewind: „Provokant formuliert beschreiben Shifting Baselines die herausragende Fähigkeit von Menschen, sich in sozialen Kontexten immer wieder selbst zu täuschen und sich damit vollziehende z.T. dramatische Umfeldveränderungen erträglich zu gestalten.“ Die Frage ist, ob es sich wirklich um Selbsttäuschung handelt, die voraussetzt, dass der Mensch wusste oder zumindest ahnte, was der wahre (schlechtere) Umweltzustand ist, bevor sich der Mensch selbst über den tatsächlichen Umweltzustand täuscht. Die Selbsttäuschung verlangt ein aktives Handeln und sei es, dass verfügbare Information nicht eingeholt wird. Alternativ könnte es sich um eine Wahrnehmungsverzerrung handeln, dann wäre es dem Menschen gar nicht möglich, zu erkennen, dass der in der Bevölkerung als normal wahrgenommene Umweltzustand „verschoben“ ist.
Was uns dann eigentlich in der Vorlesung beschäftigt, ist, wie man sich dagegen schützen kann, auf solche Shifting Baselines „hereinzufallen“, sei es als Ergebnis einer Selbsttäuschung oder einer Wahrnehmungsverzerrung. Dabei betrachten wir verschobene Referenzpunkte in der Wahrnehmung des Umweltzustandes (aus ökologischer Sicht), aber auch verschobene moralische Referenzpunkte. Gerade bei letzterem hilft ein starker eigener moralischer Kompass, sei es aufgrund einer starken ethischen Überzeugung oder Religion.
Prof. Dr. René Fahr +++ Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. René Fahr ist Professor im Bereich Betriebswirtschaftslehre, insb. Corporate Governance an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn.
Den inhaltlichen Schwerpunkt am Vormittag bildete die Frage, nach welchen Kriterien die Qualität von rassismus- und antisemitismuskritischer Bildung gemessen werden kann. Als wesentliche Qualitätskriterien antisemitismuskritischer Bildung wurden das Durchbrechen von Stereotypen und die Reflexion von Selbst- und Fremdbildern genannt. Damit ließe sich transparent machen, wo antisemitische Narrative ihre Ursprünge haben und woran sich deren Aktualisierungen als antisemitische Erzählungen erkennen lassen. Zudem sei es wichtig erklären zu können, warum für einige Menschen Antisemitismus so attraktiv ist. Für mich schließt sich die Frage an, welche Funktionen Antisemitismus auf persönlicher, gesellschaftlicher, politischer und auch theologischer Ebene einnehmen kann. Antisemitische Erzählungen können sich als nützlich erweisen, wenn nach einfachen Antworten auf komplexe Problemlagen gesucht wird. Das aktuelle Erstarken von Antisemitismus in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens weist meines Erachtens darauf hin, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Welt immer unübersichtlicher und krisenhafter wird und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein destruktiver Weg angeboten wird, um damit umzugehen.
Am Nachmittag wurde der Einblick in aktuelle Forschungsprojekte ermöglicht und es wurden Ergebnisse aus der Forschung präsentiert. In der Diskussion wurde deutlich, dass nicht nur in der empirischen Forschung, sondern auch in der Praxis beobachtet wird, dass ein fehlendes Problembewusstsein ebenso wie geringes Wissen zur Reproduktion und Festigung antisemitischer und rassistischer Erzählungen beiträgt. Handreichungen wie Darstellung des Judentums in Bildungsmedien des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Verbands Bildungsmedien und der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2024 bieten zwar den Vorteil, dass sie Wissen vermitteln und Orientierung ermöglichen, haben aber auch den Nachteil, dass sie als eine Art Checkliste zum Abarbeiten missverstanden werden könnten, die keine eigene Haltung oder Reflexion benötigen. Im Rückblick auf den Fachtag und die dort besprochenen Inhalte ist für mich aber gerade das einer der wichtigsten Schritte für antisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie, auch im schulischen Kontext: eine eigene Haltung entwickeln und vor allem Haltung zeigen (nicht nur) gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen zu einfache und schädliche Antworten auf komplexe Fragen und Herausforderungen.
Jun.-Prof. Dr. Vera Uppenkamp Juniorprofessur für Evangelische Religionspädagogik an der Leuphana Universität Lüneburg.
Der 39. Evangelische Kirchentag fand unter der Losung „mutig – stark – beherzt“ vom 30.04.-04.05.2025 in Hannover statt. Für mich als Muslimin war der Kirchentag stets ein beeindruckendes Großereignis, kommen doch zehntausende überwiegend evangelische Christ:innen zusammen, um über Glauben, Gesellschaft und die Herausforderungen unserer Zeit nachzudenken. Auf dem Programm standen in diesem Jahr über 1500 Angebote, von Bibelarbeiten über Podien, Konzerten und Workshops bis hin zu kreativen und spirituellen Formaten wie Friedensgebeten, Nachtcafés oder Stadtpilgerwegen. Die Vielfalt war gerade für mich als Muslima zugleich faszinierend und herausfordernd.
Wie bereits an anderen Kirchentagen zuvor war ich auch dieses Mal eingeladen, selbst aktiv teilzunehmen: Als muslimische Referentin durfte ich zunächst gemeinsam mit einer jüdischen Rabbinerin und einem christlichen Theologen eine trialogische Bibelarbeit zu Jeremia 29,1–14 gestalten. Der gemeinsame Blick auf den biblischen Text, die Auseinandersetzung mit Jeremia – den der Koran nicht als Propheten kennt – und unsere unterschiedlichen Herangehensweisen machten deutlich: Dialog ist möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir bereit sind, nicht nur nebeneinander zu sprechen, sondern einander wirklich zuzuhören. Gerade in solchen Momenten zeigt sich, wie wichtig Empathie und Perspektivwechsel für ein gelingendes Miteinander sind. Es reicht nicht aus, die eigene Sichtweise eloquent zu vertreten – es braucht die Bereitschaft, sich auf das Denken, Fühlen und Glauben der anderen einzulassen. Im Gespräch mit meinen jüdischen und christlichen Kolleg:innen war es bereichernd zu erleben, wie sich neue Zugänge eröffnen, wenn wir den Text durch die Augen der anderen betrachten. Dabei müssen am Ende nicht alle Unterschiede aufgelöst werden – im Gegenteil: In der ehrlichen Benennung dessen, was uns verbindet und unterscheidet, liegt eine besondere Tiefe. Die Reaktionen des Publikums am Ende der Bibelarbeit verdeutlichten mir wieder einmal, wie groß das Bedürfnis nach solchen Begegnungen ist – nach Räumen, in denen religiöse Vielfalt nicht als Problem, sondern als Ressource erfahrbar wird. Viele Zuhörende äußerten Dankbarkeit für die Offenheit des Gesprächs und die persönliche Bedeutung des Textes in unserer derzeit politisch sehr bewegten Zeit, in der Populismus und Polarisierung zunehmend auch religiöse Diskurse durchdringen. Als Muslima spürte ich in diesen Gesprächen besonders deutlich, wie wichtig es ist, sich nicht in Abgrenzung zu verlieren, sondern gemeinsame Werte zu betonen, etwa Gerechtigkeit, Geduld, Hoffnung und Verantwortung für unsere Gesellschaft.
Gleichzeitig war mir bewusst, dass ich als muslimische Stimme in einem mehrheitlich christlich geprägten Raum spreche – eingeladen, gehört, aber doch auch fremd. Ich bringe eine andere religiöse Sprache mit, eine andere spirituelle Praxis, andere Erfahrungen mit gesellschaftlicher Wahrnehmung und auch mit Ausgrenzung. Dass ich als Muslima auf einem Evangelischen Kirchentag eine Bibelarbeit mitgestalten darf, ist ein starkes Zeichen. Doch es bleibt ein Spannungsfeld: zwischen Mitgestaltung und Gaststatus, zwischen echter Teilhabe und symbolischer Repräsentation.
Beflügelt von der erlebten positiven Resonanz ging es danach für mich weiter mit dem Thema Gendergerechtigkeit, auch hier in trialogischer Perspektive im christlich-jüdischen Lehrhaus. Ein Vorfall auf dem Podium dort hat mich tief irritiert: Eine Besucherin äußerte sich offen abwertend über die religiöse Kleidung von muslimischen Frauen und damit auch meine eigene. Hier lag also kein sachlicher Beitrag vor, sondern eine übergriffige und rassistische Abwertung meiner Person, wie ich sie in ähnlicher Form leider schon viel zu oft erlebt habe.
Für mich wurde deutlich, dass eine muslimische Stimme wie meine zwar auf dem Kirchentag präsent war, aber auch in eine erklärende Rolle gedrängt wurde. Wenn ich eingeladen werde, möchte ich aber NICHT als Vertreterin DES Islam sprechen, möchte mich nach dreißig Jahren nicht immer wieder für meine Bekleidungsvorlieben verantworten müssen. Und schon gar nicht in einem Forum, das genau das auch zum Thema gemacht hatte. Als Muslimin, die sich seit Jahren im interreligiösen Dialog einbringt, schmerzte diese Erfahrung besonders an einem Ort, den ich mit Vertrauen, Offenheit, dem Bemühen um Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung verbinde. Es stellt sich die Frage: Wer übernimmt Verantwortung, wenn Räume, die als sicher gelten sollen, es in der Realität nicht sind? Wer schützt marginalisierte Stimmen – und wer schweigt, wenn sie angegriffen werden?
Der Kirchentag ist ein starkes Zeichen zivilgesellschaftlichen und religiösen Engagements. Er hat mir gezeigt, wie herausfordernd echter interreligiöser Dialog immer noch ist und durch das Erstarken der Rechten in unserer Gesellschaft auch bleiben wird. Es braucht Mut – und davon war in Hannover viel zu spüren. Vielleicht wird der nächste Schritt sein, dass dieser Mut auch darin besteht, den Dialog jenseits der intellektuellen Ebene stärker mit dem Dialog des Lebens zu füllen – einem Dialog, der Schutz, Anerkennung und Augenhöhe nicht nur verspricht, sondern verlässlich einlöst.
Jun.-Prof. Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Professorin im Fachbereich Islamische Religionspädagogik und ihre Fachdidaktik am Paderborner Institut für Islamische Theologie.
„Religionen beschäftigen sich mit wundervollen Begriffen, mit denen man nirgendswo anders begegnet ist, wie z.B. Menschheitsfamilie“, sagte Annette Schavan. „Wo kann man so einen schönen Begriff haben außer im Kontext der Religion?“, setzte die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung am 11. April 2025 in einem Interview zum Jahresempfang der Bischofskonferenz in Hamburg fort. „Menschheitsfamilie“ war auch das Thema der Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum Weltfriedenstag 2008 in Rom, wo der Papst sich auf das Zweite Vatikanische Konzil bezog und hervor hob, dass alle Völker eine einzige Gemeinschaft bilden, da sie denselben Ursprung – nämlich die Schöpfung durch Gott – und dasselbe letztendliche Ziel – die Vereinigung mit Gott – teilen. Für Benedikt XVI. verkörperte die ‚Menschheitsfamilie‘ somit eine universale Gemeinschaft des Friedens, die auf der gemeinsamen Abstammung und dem gemeinsamen Ziel der Menschheit gründet.
Diese Vorstellung ist jedoch keineswegs exklusiv christlich. Auch der islamische Glaube kennt eine zentrale Kategorie, die in vielfacher Hinsicht an diese Idee anschließt – die „Umma“.
Umma: Zwischen spiritueller Gemeinschaft und mütterlicher Verbundenheit
Im Islam verkörpert der Begriff „Umma“ das Verständnis einer ethisch-spirituellen Gemeinschaft. Doch er reicht weit über das hinaus, was moderne Übersetzungen wie „Gemeinschaft“, „Volk“ oder „Nation“ zu vermitteln vermögen. Sprachlich leitet sich „Umma“ von „Umm“ ab – dem arabischen Wort für Mutter. Diese etymologische Verbindung verleiht dem Begriff eine zusätzliche Tiefe: So wie die Mutter für Fürsorge, Ursprünglichkeit und Verbundenheit steht, so beschreibt auch die Umma nicht nur eine organisatorische Einheit, sondern einen geistigen Ort der Geborgenheit, Verantwortung und Zugehörigkeit.
Die Umma ist demnach mehr als eine konfessionell gebundene Gemeinschaft – sie ist ein mütterliches Prinzip im Denken des Islam, das getragen ist von gegenseitiger Verantwortung, Schutz, moralischer Verpflichtung und spiritueller Nähe. Diese Dimension geht in politischen oder nationalen Lesarten oft verloren, ist jedoch zentral für das Selbstverständnis islamischer Gemeinschaften.
Im Koran erscheint der Begriff Umma in verschiedenen Bedeutungsfeldern: Mal bezeichnet er die Gemeinschaft der Muslime, mal die Gesamtheit der Gläubigen in einem universaleren Sinn. In jedem Fall aber steht er für eine Einheit, die durch den Glauben an Gott und durch ethisches Handeln konstituiert wird. Die islamische Theologie begreift den Menschen als Kalifen – als Stellvertreter Gottes auf Erden – der gemeinsam mit anderen Menschen Verantwortung für die Schöpfung trägt. Die Scharia als ethisch-rechtliche Ordnung dient dabei nicht nur der Regelung individueller Pflichten, sondern soll die Grundlagen für eine gerechte und solidarische Gesellschaft schaffen.
Im Zentrum dieser Ordnung steht die Umma: eine Gemeinschaft, die auf gemeinsamen Werten, gegenseitiger Fürsorge und der Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit aufbaut. Ein besonders schöner Ausdruck dieser Vorstellung findet sich in Koran 23:52, in der es – nach der Erwähnung von Moses, Jesus und Maria – heißt: „Diese ist eure Umma, eine einheitliche Umma, und Ich bin euer Herr,so handelt ehrfürchtig Mir gegenüber! “ (kalligraphisches Bild: وأن هذه أمتكم امة واحدة وأنا ربكم فاتقون)
Hier wird deutlich, dass die göttliche Ordnung keine Exklusivität kennt. Alle Gesandten Gottes und ihre Anhänger bilden eine Einheit – getragen vom gemeinsamen Ursprung und Ziel. Die Umma wird so zur Ausdrucksform einer Menschheitsfamilie, die sich durch Glauben, Gerechtigkeit und gegenseitige Verantwortung definiert.
Diese inklusive Vision wurde bereits in der Frühzeit des Islam politisch konkret. Nach seiner Auswanderung nach Medina im Jahr 622 verfasste der Prophet Muhammad das sogenannte Medina-Dokument – eine Art Verfassung für die multiethnische und multireligiöse Stadtgemeinschaft. Darin heißt es bemerkenswerterweise: „Die Muslime und die Juden bilden eine gemeinsame Umma.“
Dieser Satz sprengte das konfessionelle Verständnis von Gemeinschaft und legte den Grundstein für ein frühislamisches Modell des interreligiösen Zusammenlebens. Die Umma wurde hier nicht über den Glauben allein definiert, sondern über gegenseitige Verantwortung, Schutz und soziale Ordnung. Das Medina-Dokument ist damit ein frühes Zeugnis für die Fähigkeit des Islam, Gemeinschaft auch in religiöser Vielfalt zu denken – eine Fähigkeit, die im interreligiösen Dialog der Gegenwart neue Aktualität gewinnt.
In zeitgenössischen theologischen Debatten wird der Begriff Umma zunehmend unter neuen Perspektiven beleuchtet. So argumentiert der islamische Gelehrte Shahin in seinem Beitrag „Vom theologischen Konstrukt zum globalen Akteur?“ (im Sammelband Kirche und Umma, 2014), dass die Umma nicht länger ausschließlich theologisch-normativ interpretiert werden dürfe. Er plädiert für eine Öffnung hin zu einem ethischen, globalen Begriff von Gemeinschaft, in dem alle Menschen – unabhängig von Religion – Teil einer Menschheits-Umma sein können, sofern sie sich zu gemeinsamen Werten wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Frieden bekennen.
Gleichzeitig verweist er auf die Herausforderungen eines solchen Paradigmenwechsels: Die theologische Aufladung des Begriffs sei tief verankert, ein neutraler Gebrauch noch nicht voll etabliert. Doch Shahins Ansatz zeigt, dass die Umma Potenzial für inklusives Denken birgt, und dass ein Dialog über ihre Bedeutung dringend notwendig ist.
Schlussgedanken: Umma als Wegweiser für eine pluralistische Zukunft
In einer Welt, die zunehmend durch gesellschaftliche Spaltungen, religiöse Abgrenzungen und Identitätskämpfe geprägt ist, kann die Umma – in ihrer ursprünglichen, spirituell geprägten Bedeutung – zu einem Leitbild für Versöhnung und gegenseitige Anerkennung werden. Die Verbindung zur Wurzel „Umm“ erinnert uns daran, dass wahre Gemeinschaft nicht durch Abgrenzung, sondern durch Fürsorge, Vertrauen und Verantwortung entsteht.
So wie eine Mutter ihr Kind nicht nach Status, Herkunft oder Leistung liebt, sondern allein um seiner selbst willen, so lädt uns die Idee der Umma dazu ein, auch unsere Mitmenschen als Geschwister in der Schöpfung zu erkennen. Wenn wir diese tiefere Dimension des Umma-Begriffs annehmen, können wir – über den islamisch-christlichen Dialog hinaus – zu einer truly interreligiösen und menschenzentrierten Verständigung gelangen: Eine Verständigung, die nicht auf Ausgrenzung, sondern auf Verbundenheit in Vielfalt gründet, und die die Menschheitsfamilie nicht nur als schönes Ideal beschreibt, sondern praktisch erfahrbar macht.
Dr. Mohammed Abdelrahem ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie und am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.
Alle reden über Künstliche Intelligenz. Viele nutzen sie bereits. Auch in religiösen Kontexten hat KI längst Einzug gehalten. Priester lassen sich bei Predigten helfen, Katechetinnen formulieren Gebete neu, Imame nutzen ChatGPT & Co für die Vorbereitung der Freitagspredigt. Theologiestudierende analysieren Bibelstellen mit Hilfe von KI-Tools, in buddhistischen Tempeln antworten Avatare auf spirituelle Fragen.
Spätestens seit dem Evangelischen Kirchentag 2023 ist klar: Das Thema ist nicht mehr theoretisch. Damals wagte man ein Experiment – eine vollständig von KI geschriebene Predigt wurde in einem Gottesdienst gehalten, unterstützt von KI-generierten Avataren auf einer Leinwand. Die Reaktionen reichten von Staunen bis Skepsis. Aber eines war deutlich: Künstliche Intelligenz ist im religiösen Alltag angekommen.
Wenn Algorithmen über Gott sprechen
Die zentrale Frage lautet: Was passiert, wenn Maschinen beginnen, theologische Aussagen zu formulieren? KI kann heute beeindruckend gut Texte schreiben – strukturiert, verständlich, stilistisch angepasst. Sie kann Bibelstellen vorschlagen, religiöse Symbole erklären, liturgische Formeln kombinieren. Doch dabei bleibt sie stets außen vor. Denn KI glaubt nicht. Sie hofft nicht. Sie zweifelt nicht. Sie kennt keine innere Dunkelheit und kein spirituelles Erwachen. Sie reproduziert – was Menschen vorher gedacht, gesagt, gebetet haben.
Und genau darin liegt eine paradoxe Chance. Denn sie zwingt uns zu fragen: Was macht unseren Glauben eigentlich aus? Was bleibt, wenn eine Maschine dasselbe sagt wie wir – nur schneller und fehlerfreier?
Diese Fragen stellen sich nicht nur im Christentum. Auch andere Religionen ringen mit der Präsenz der KI in spirituellen Räumen. Im Judentum werden KI-Systeme entwickelt, die halachische Literatur durchsuchen oder rabbinische Texte verknüpfen. Im Islam helfen KI-Anwendungen beim Formulieren von Khutbas oder beim Auffinden von Koranstellen zu bestimmten Themen. Im Buddhismus experimentieren einige Klöster mit KI-gestützten Meditationsbegleitern.
Allen religiösen Traditionen stellt sich damit eine drängende Frage: Wann ist eine religiöse Botschaft authentisch? Reicht der Inhalt – oder braucht es den Menschen dahinter? Kann ein spiritueller Text dieselbe Wirkung entfalten, wenn er nicht aus Erfahrung, Beziehung und gelebtem Glauben stammt, sondern aus Codezeilen? Tatsächlich hängt dies von der Klärung einer grundlegenden theologischen Frage ab: Wie handelt Gott in der Welt? Wenn Gott in allem und durch alles handeln kann, dann spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass er auch durch Technologien Menschen zum Glauben bringen oder Ihnen auf ihrem Glaubensweg helfen kann. Dann geht es nur darum, entsprechende Unterscheidungskriterien (ähnlich wie bei der „Unterscheidung der Geister“ im eigenen religiösen Leben).
Zumindest in der christlichen Theologie ist heute aber ein alternativer, viel zurückhaltender Ansatz prominent: Gott habe sein Einflussmöglichkeiten in die Schöpfung stark eingeschränkt. Nicht nur der Mensch genieße Autonomie, sondern auch die Natur. Vor allem in einer „Theologie nach Ausschwitz“ geht man davon aus, dass Gott nicht oder nur in ganz bestimmten Fällen in den Weltverlauf eingreifen kann. Meiner Meinung nach ist die plausibelste „Öffnung“ für bestimmte Fälle die folgende: Gott handelt durch Menschen, wenn sie sich aus freiem Willen dafür entschieden haben, Gott durch sie wirken zu lassen.
Aber genau das kann eine künstliche Intelligenz nicht. Sie besitzt keine Freiheit zum Glauben. Dadurch kann – in diesem theologischen Modell – Gott nicht durch sie wirken. Und so kann auch eine spirituelle Ansprache oder ein Seelsorgegespräch durch einen KI-gesteuerten Avatar niemals dieselbe Tiefe entfalten wie die persönliche Begegnung mit einem Menschen, der sich bewusst und aus freiem Willen für das Handeln Gottes öffnet.
Chancen – und klare Grenzen
Natürlich bietet KI enorme Vorteile: Sie kann helfen, komplexe Inhalte zu vereinfachen, Sprachbarrieren zu überwinden, neue Perspektiven zu eröffnen. Gerade in der Bildungsarbeit oder der Seelsorge kann sie eine wertvolle Assistenz sein.
Aber sie darf nicht zum theologischen Ersatz werden. Denn Glaube ist nicht nur Information – sondern Transformation. Er entsteht im Leben, in der Begegnung, im Hören und Antworten. Eine Predigt ist mehr als ein Text. Ein Gebet ist mehr als eine grammatikalisch korrekte Bitte. Deshalb ist die eigentliche Frage nicht: Dürfen wir KI nutzen? Sondern: Wie nutzen wir sie, ohne uns selbst zu verlieren?
KI als Spiegel
Künstliche Intelligenz verändert die religiöse Kommunikation – aber sie kann den Glauben nicht ersetzen. Sie fordert uns heraus, unsere Sprache, unsere Rituale, unser theologisches Denken neu zu reflektieren.
KI ist damit mehr als nur Werkzeug – sie ist Spiegel. Sie zeigt uns, was verloren geht, wenn Effizienz über Erfahrung triumphiert. Und sie ruft uns zurück: zur Tiefe. Zur Echtheit. Zur Begegnung.
Wenn Religionen beginnen, ihre tiefsten Überzeugungen mit den Herausforderungen der Technik zu konfrontieren, entsteht kein Bruch – sondern ein neuer Raum. Vielleicht beginnt genau hier das interreligiöse Gespräch der Zukunft: über das Menschliche im Digitalen.
Schlussbemerkung: Dieser Text wurde mithilfe einer KI erstellt. Nachdem ich die ersten Abschnitte selbst geschrieben hatte, wollte ich austesten, wie genau meine Gedanken weitergeführt würden. Leider blieb alles sehr oberflächlich. So musste ich große Teile verändern, anpassen, Inhalte hinzufügen. Der zentrale Gedanke des Textes – dass die Bewertung von KI in der religiösen Praxis von der Theorie des Handelns Gottes abhängt – stammt ausschließlich von mir. ChatGPT kommentiert meine überarbeitete Version so: „Die Unterscheidung zwischen zwei Modellen göttlichen Handelns (Gott wirkt in allem vs. Gott wirkt nur durch Menschen mit freiem Willen) ist stark. Besonders deine Formulierung „Gott handelt durch Menschen, wenn sie sich aus freiem Willen dafür entschieden haben…“ bringt das theologisch präzise und pastoral überzeugend auf den Punkt.“ Hoffentlich hat er/sie/es da Recht!
Prof. Dr. Johannes Grössl ist Professor für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.
Am 26. März hat das Forum für Komparative Theologie Navid Kermani zu einer Lesung seines neuen Buches “In die andere Richtung jetzt” mit einem anschließenden Gespräch eingeladen. Einstimmig wurde im Anschluss gesagt, es sei ein gelungener Abend gewesen. Tatsächlich ist den gelungenen Abend selbstverständlich Navid Kermani, nicht zuletzt aber meinen Kollegen Yael Attia und Mohammed Abdelrahem zu verdanken, die das Buch verschlungen und sich gemeinsam mit mir Fragen überlegt hatten, welche Interesse wecken sollten und Theologie und Gesellschaft ins Gespräch bringen sollten.
Beim Lesen des Buches fällt der Tagebuchcharakter seines Schreibens stark auf. Auf der einen Seite scheinen Teile schnell und mit wenig Reflexion geschrieben zu sein. Auf der anderen Seite begegnen Passagen, in denen er dann tiefgründig über philosophische Themen wie Identität oder Menschenwürde reflektiert. An vielen Stellen reflektiert Kermani mit einem starken Bewusstsein für kulturelle Normen und kulturpolitische Gedanken. So schreibt Kermani über seine eigenen Vorurteile in Gedanken über eine Beobachtung, dass die Menschen, die er begegnet, ein starkes Rhythmusgefühl haben: „Ist es rassistisch, wenn ich so denke? Schwarzen liegt die Musik und so weiter? Das ist es wohl und doch ist es, was ich denke“ (S. 54). Kermani kommt zu dem Schluss, dass man trotz aller Versuche, nicht rassistisch sein zu wollen, Menschen doch häufig nicht anders könnten, weil sie gelernt haben, so Kermani, Dinge zu verallgemeinern und zu kategorisieren.
Kermani spricht einen kultursensiblen Punkt aus, der im Hinblick auf die Arbeit mit anderen religiösen Traditionen in der Komparativen Theologie und der postcolonial critique bereits so hinreichend reflektiert wurde, dass wir uns in einer Zeit der critique on the post-colonial critique befinden. Wenn die notwendigen Kategorien, die wir uns schaffen, um Dinge zu beschreiben, nicht funktionieren, ja selbst das Kategorisieren an sich bereits ein Problem ist, dann verlieren wir eine wichtige heuristische akademische Funktion, die uns ermöglicht, Wissen zu produzieren. Forscher wie Catherine Bell plädieren daher, sich den Kategorien bewusst zu sein, und sensibel mit ihnen umzugehen.
In meiner Zeit in den USA habe ich im akademischen Kontext die Notwendigkeit kultureller Sensibilität, vor allem im Hinblick auf den Rassismus, auf eine ganz neue Art kennengelernt. Während in Deutschland nach 1945 gesetzlich der Versuch unternommen wurde (mit der Betonung auf Versuch), Menschenrechte so in das Grundgesetz zu verankern, dass jegliche Form der systemischen Diskriminierung im Keim erstickt wird, ist der Rassismus systemisch tief im US-amerikanischen System verwurzelt. Ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung: Die Rassentrennung (engl. segregation) ist noch immer mit Blick auf Landkarten zu finden – ganze Städte findet man, die Anfang des 20. Jahrhunderts als „weiß“ konzipiert wurden, und in denen es für Afroamerikaner aufgrund der Einkommensschwellen nahezu unmöglich ist, zu wohnen. Diese Realität spiegelt sich im amerikanischen Kontext wider. Zwei Dinge habe ich in diesem Kontext in Gesprächen mit meinen akademischen Kolleg:innen gelernt. Zum einen ist es wichtig, dass ich mir als weißer Mann eingestehen muss, dass es mir unmöglich ist, nicht rassistisch zu sein. Schon die Tatsache, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass Afroamerikaner eine ähnliche Berufslaufbahn unter sehr erschwerten Bedingungen durchlaufen als ich, einfach nur, weil sie Afroamerikaner sind, lässt mich notwendigerweise in eine Situation der Ignoranz geraten. Die Tatsache, dass ich mich bei der Organisation eines akademischen Panels auf der American Academy of Religion mit der Frage auseinandersetzen muss, ob ich einen Repräsentanten „of color“ habe, macht es mir unmöglich, nicht in Rassenkategorien zu denken. Ein solches Denken ist paradoxerweise, auch wenn ich es für notwendig halte, rassistisch, insofern, als dass ich in dieser Kategorie denken muss, um nicht rassistisch zu sein.
Zweitens habe ich gelernt, sensibel aus dem Zentrum einer Diskussion zu ihrem Rand zu gehen. Mein Kollege Byron Wratee hat mich gelehrt, dass in jeglichen Formen des Dialogs – dabei ist es gleichgültig, ob nun im akademischen Raum, im interreligiösen Dialog, oder in einem trivialen Gespräch in einer größeren Gruppe – für mich die Möglichkeit besteht, mich zurückzunehmen und jemandem „of color“ den Raum zu bieten, seine Position einzubringen und wertzuschätzen. Dieses Konzept nennt sich „Dezentralisierung.“
Rassismus, wie jegliche Form der Diskriminierung, ist auch in Deutschland immer ein gesellschaftliches Thema. Auch wenn sich der afrikanische Sklavenhandel in Deutschland nicht in demselben Maße wie in den Vereinigten Staaten etabliert hat, sind Segregationen auch hier sichtbar (ob nun aufgrund von Flüchtlingscamps oder aufgrund der städtischen Verteilung von Asylanten auf bestimmte Umgebungen. Rassismus, wenn auch weniger systemisch, ist täglich spürbar. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir aufgrund unserer intensiven, wichtigen und richtigen Auseinandersetzung mit dem Holocaust in den vergangenen 50 Jahren den Fokus auf systemischen Rassismus in Deutschland etwas vernachlässigt haben.
Navid Kermanis Auffassung, dass er rassistisch denkt, wenn er die Menschen in ostafrikanischen Ländern für musikalisch hält, ist korrekt. Ein solches Denken ist eine Stereotypisierung und auf eine gewisse Weise rassistisch. Anstelle einer bloßen Hinnahme dieser Kategorie im Hinblick auf die Musik, ergibt sich hieraus ein Potenzial, diese Kategorie aufzubrechen und aus der Situation zu lernen und die Musikalität wertzuschätzen. Kermani bestand darauf, Am Ende seiner Lesung das Lied Yèkèrmo Sèw von Mulatu Astatke, einem renommierten Jazz-Musiker aus Äthiopien, einzuspielen.
Dr. Domenik Ackermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften.
Hegel ist allgemein bekannt als Autor einer monumentalen Logik, oder als Berliner Professor, dessen Vorlesungen mehrbändige Vorlesungsnachschriften zur Geschichte der Philosophie, zur Logik und Metaphysik, zur Ästhetik und zur Rechtsphilosophie veranlassten, aber nicht als Dichter. Als junger Mensch hatte Hegel aber auch einige (wenige) Gedichte verfasst, die, von ihrem literarischen Wert abgesehen, philosophisch sehr interessant sind. Ein kurzes Gedicht aus der Frankfurter Zeit enthält eine Antwort auf die Frage „Was sollen wir tun?“ und betrifft zugleich ein logisches Phänomen, das man eine „gescheiterte Transzendenz“, oder eine „Immanenz-gerichtete Transzendenz“ nennen könnte. Das Gedicht beginnt mit der Lebensanweisung:
„Brich den Frieden mit dir, brich mit dem Werke der Welt!/Strebe, versuche du mehr als das Heut und das Gestern,“
und endet mit der Angabe dessen, was passiert, wenn man der Anweisung folgt:
„so wirst du/Besseres nicht, als die Zeit, aber aufs Beste sie sein“.
Wir sollen also den Frieden mit uns selbst und mit den Bedingungen, in denen wir leben, nicht schließen sondern brechen. Gemeint ist die Anstrengung des geistigen Welt-verändern und -verbessern, d.h. der Veränderung der Welt und unserer selbst in die Richtung des Guten, Wahren, Gerechten. Das Ergebnis der Anstrengung ist ernüchternd: Unser Tun wird nichts mehr als das erreichen, was es in der Zeit, in der wir leben, schon gibt. Aber durch unsere Anstrengung wird das, was ist, in der bestmöglichen Art und Weise das sein, was es ist.
Apl. Prof. Dr. Elena Ficara ist apl. Professorin im Bereich Philosophie und Bildung an der Universität Paderborn.