Navid Kermani hat seine als „Meditationen“ bezeichneten, auf dem Buchmarkt sehr erfolgreichen Essays in Ungläubiges Staunen. Über das Christentum (München 2015) als eine poetische „Schule des Sehens“ bestimmt. In ihrer die Religionen verbindenden Kraft und ihrer zugleich sinnlichen und heiteren, bisweilen auch ironischen Anschaulichkeit entwickelt sich dadurch sowohl theologische, als auch ästhetische Prägnanz. Im Blick auf die von Gerhard Richter geschaffenen Glasfenster im Kölner Dom unterscheidet Kermani in der ‚Mediation‘ Kunst dabei auch sehr bewusst zwischen ‚religiöser‘ und ‚heiliger‘ Kunst. Kermani bezieht sich hierfür auf Titus Burckhardt, den Großneffen von Jacob Burckhardt. Die religiöse Kunst habe unweigerlich immer eine Tönung von Subjektivität. Die ‚heilige‘ Kunst hingegen sei „Gleichnis der Schöpfung selbst“; und so „drückt sich in der heiligen Kunst eine geistige Ordnung der Welt aus, während Kunst, die bloß in einem allgemeinen Sinne religiös ist, subjektive Gemütslagen, Eindrücke, Visionen, Ideen bezeugt. Oder, prägnanter gesagt: Religiöse Kunst fängt den Blick des Menschen, heilige Kunst den Plan Gottes ein. In diesem Sinne ist heilige Kunst immer ein Gleichnis der Schöpfung selbst.“ (S. 214) Als Gleichnis wird der Zeichencharakter damit zu einer Realisationsform (des Erscheinens des Göttlichen in der Welt) transzendiert, wie es auch Dorothee Sölle bestimmte. So ist Navid Kermanis „Begriff des Heiligen durchaus“ ästhetisches Zeugnis und in der Wirklichkeit wirkendes Bei-Spiel des Göttlichen in unserer Gegenwart, das – notwendigerweise (wie es auch schon einmal romantisches Programm um 1800 gewesen ist) – zu vergegenwärtigen Leistung und Aufgabe von Kunst und Literatur sind, auch immer noch sind.
Doch dies ist kein ästhetischer Selbstzweck, kein Spiel um des Spiels willen, sondern ein Versuch, einen angemessenen Diskurs zu etablieren, um Zugehörigkeit und Teilhabe in einem umfassenden und doch auch demokratisch-aufklärerischen Sinn zu eröffnen. Genau hierum bemühen sich Kermanis literarisches Werk und sein publizistisches Schaffen. Sie bringen Zeichen ins Spiel, um uns für das Heilige, aber genauso auch für uns selbst zu sensibilisieren. Denn die ästhetischen Erfahrungen machen in einer Weise staunen, dass sie, wie auch Friedrich Hölderlin um 1800 hoffte, für Offenheit sorgen können und uns miteinander ins Gespräch bringen.

Prof. Dr. Lothar van Laak ist Professor am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft im Bereich Neuere deutsche Literatur an der Universität Paderborn.