Das Gefäß und der Schleier

Trotz all dem theologischen Ernst, der einer muslimischen Ehe- und Liebesbeziehung innewohnt, trägt aus meiner Perspektive als Frau eine christliche Liebesbeziehung bzw. Ehe eine fast ins Eschatologische gesteigerte Dramatik in sich, die sowohl einzigartig als auch in ihrem theologischen Pathos bis ins Himmlisch-Unaussprechliche gesteigert ist – wenn man denn Eph 5:22-24 wörtlich nehmen will. Denn das würde bedeuten, die Frau hat ihrem Mann mit der gleichen Ehrfurcht zu begegnen, wie die Kirche Jesus Christus begegnet.

Wenngleich eine gut geführte Ehe auch islamisch honoriert wird – auch im Hinblick auf das künftige Heil – so hat sie doch, ohne deswegen an Intensität der gegenseitigen Verantwortung zu verlieren, mehr eine menschlich-diesseitige „Funktion“. Die christliche Liebeserwartung, mit dem Autor des Epheser-Briefs ausbuchstabiert, stellt die Liebenden vor einen Anspruch, eine Messplanke, die gerade auch ab dem Neuen Testament eine – bei aller Metaphorizität – beinahe unerträgliche Höhe erreicht.

Hat eine muslimische Ehe – rein sozial-phänomenologisch gesehen – womöglich eine stärkere hierarchische Oberflächenstruktur, so hat sie eine demokratischere theologische Tiefengrammatik. Sie kennt weniger die mystisch-romantische Vorstellung des Sich-Wiederfindens der Seelen im Jenseits, das für das abendländische Über-die-Liebe-Sprechen so prägend ist.

Das gleiche theologische Pathos würde die Ehe im Islam erst erreichen, wenn der Mann etwa mit dem Koran verglichen würde.

In der Tat sind Vergleiche dieser Art auch im Islam zu finden:

Der Theologe und Mystiker Abū Ḥāmid Muḥammad al-Ġazālī prägte für die Art und Weise des Verstehens das Bild einer Braut (Qurʾān), die sich in Schleiern verhüllt und ihre Schleier nicht lüftet, sondern vielmehr fester um sich zieht, wenn der Bräutigam (der um Verstehen bemühende Leser) sich nicht in Neugier, Respekt und Offenheit nähert. (Muna Tatari, Gott und Mensch im Spannungsverhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, S. 41)

… und doch nimmt die offensichtliche Rollenumkehr dem Vergleich – in einer nahezu ritterlichen Weise – dieser Metapher ihre theologische Schwere, indem sie – sei es auch nur für die Dauer eines Sprachspiels – die althergebrachte Hierarchie aufhebt…

Da ich aus Frauenperspektive schreibe, klammere ich die Stellen, die sich an Männer richten, bewusst aus. Es geht mir darum, die Stellen, die eine patriarchalische Lektüre nahelegen könnten, nicht wegzulesen, sondern ihnen eine mystisch-theologische hingegen zur sozial-theologischen Seite abzugewinnen. Auch wenn der erste Petrusbrief die Frauen mit einem zerbrechlichen Gefäß vergleicht, wird die Stelle in erster Linie dann beklemmend, wenn sie uns vorgehalten wird – ob von Männern oder anderen Frauen. Liest man sie als eine individuelle Ansprache an die Seele, kann sie auch eine schöne Seite haben. Ich finde also an diesen „patriarchalischen“ Stellen in der Bibel und in der islamischen Tradition nichts, was mir als Frau zu nahe tritt – allerdings dann und nur dann, wenn ich sie nicht von Männern vor die Nase gehalten bekomme. Dass meine Argumentation hier auf wackeligen Füssen steht, ist mir bewusst, denn es ist von Person zur Person unterschiedlich, was als „schön“ oder „mystisch“ wahrgenommen wird. Auch finde ich diese Haltung der Bibel extrem fordernd, herausfordernd und auch anstrengend. Ich weiß nicht, wie ich ihr begegnen soll. Ich finde sie aber nicht „frauenfeindlich“, solange es sich um eine Liebesheirat handelt und solange sie sich als eine Einladung an Frauen versteht – und nicht als eine Lizenz an Männer. Vielleicht kann man in dem Schrifttext aber auch die Wertschätzung sehen, die die Bibel für menschliche Beziehungen mitbringt, für ihr Potenzial, und das so sehr, dass sie sogar solche Vergleiche nicht scheut (man denke auch an Eph 5:25!). So viel darf die Liebe uns also bedeuten! So viel trauen die Bibel, der Koran und die islamische Tradition uns zu!

Elizaveta Dorogova ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

…and breathed into him of My spirit…

Modern trends in theology do hardly deal with the scriptural figure of Satan. It is probably because it would cause more perplexity to our theological struggle with the problem of evil and the question of free will. Nevertheless, the Qur’anic account of Satan’s disobedience towards God and the attitude Satan assumes against human being is very enlightening if one takes this scriptural figure as a metaphorical manifestation of human darkest potentials.

The Qur’anic account of Satan’s dismissal from Divine proximity is centred around the story of the creation of Adam:

“Your Lord said to the angels, “I am creating a human being from clay. When I have formed him, and breathed into him of My spirit, fall prostrate before him.” So the angels fell prostrate, all of them. Except for Satan. He was too proud, and one of the faithless” (Q 38:71-74).

After the creation of Adam, God commands Satan as well as all angels to prostrate to his creation. Satan rejects prostrating to Adam due to the latter’s inferior nature (as he was created from clay) and becomes, therefore, the bad man of the story. The traditional interpretation of this narrative regards Satan, rejecting Divine command, as a bad role model or a vicious guide for those human beings who disobey God’s commands and reject God’s law. In the thought of certain Sufis, including ‘Ayn al-Quḍāt Hamadānī and Rūzbihān Baqlī, however, Satan is regarded highly for having an exclusive love for God. According to this interpretation, Satan did not include any other being than God as subject to veneration, at the expense of being dismissed from heaven. Satan’s disobedience in this respect is thus interpreted by those Sufis as true submission to Divine will, which actually required Satan’s disobedience. Although Sufis agree upon the fact that Satan’s love for God was of an imperfect sort as it did not recognize the manifestation of the Divine in Adam, I would like to put into question the very claim that Satan’s attitude should, by any means, be identified as love. No matter how innovative the Sufi interpretation, it overlooks the deeper understanding of the concept of love, which bears respect and recognition.  The traditional interpretation, on the other hand, already neglects a very subtle point (implied in Sufi interpretation) which would bring into light an important aspect of Satan’s sin: the fact that God has breathed into human being of His spirit. I would like to suggest that a big part of Satan’s sin in this regard lies in Satan’s refusal of acknowledging the Divine spirit in man. Satan is indeed a bad role model, but not only because of refusing God’s command, but also because of rejecting the Divinity within human being; the Divinity whose recognition in Adam would be a sign of love for God himself. Now the question is if this Divine element within human beings does not really require respect from all of us towards each other? Isn’t it the case that most evil we cause to each other is actually rooted in our disrespectful disregard of the Divinity within our fellow human beings and, therefore, in our lack of love for God and for each other?

Nasrin Bani Assadi ist Doktorandin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften in Paderborn.

„Was ich vermisse, ist eure Umarmung“,

sagte einer der trauernden Söhne den Teilnehmern in einer der beiden Trauerzeremonien, an der ich in den vergangenen Wochen teilgenommen habe. Es war die erste Yorzeit (jidd. Jahrzeit, der erste Todestag) für seine verstorbene Mutter. Die zweite Trauerfeier fand nach dem Ende der Schiva (hebr. „sieben“) oder Schive (jidd.) statt. Sie ist die siebentägige Trauerwoche, die unmittelbar nach dem Begräbnis des Verstorbenen beginnt.

Das wäre sicherlich nicht ein Motiv für einen Blog, hätten die Zeremonien nicht wegen Corona online, stattgefunden.

Die Anwesenden haben online den Kaddisch gesprochen (aramäisch „heilig“, „Heiligung“. Das Kaddisch verkündet bzw. heiligt den göttlichen Namen. Es wird als Trauergebet zu Ehren der Toten gesprochen) und die Familie konnte einige Worte über die Verstorbenen sagen. Im Anschluss gab es die Gelegenheit sich untereinander Erinnerungen über den Verlust auszutauschen.

Die digitalen Zeremonien haben in meiner Heimatstadt Buenos Aires/Argentinien stattgefunden. Dort und in der umgebenden Provinz wird seit Monaten eine strenge Ausgangssperre verhängt. In der dichte der Stadt scheint die Zeit still zu stehen. Jetzt nach vielen Monaten kehrt ein kleines Gefühl der Normalität zurück, da wieder etwas gearbeitet wird. Die Schulen schließen gleich nach Ende der Sommerpause. Corona konfrontiert gerade jetzt die ärmsten Länder der Welt, in der 30 oder 50 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, mit ungenügenden medizinischen Kapazitäten und Reserven.  

Die Trauerriten, die den Übergang zu einem Leben ohne die geliebte Person markieren, der Abschied in Begleitung der Großfamilie und der Gemeinschaft wandeln sich zu Coronazeiten zu einer medialen Erfahrung.

Zudem wurde der kathartische Effekt bei den Teilnehmern rasch bemerkbar: die reale Trauer vermischte sich mit der Angst und der Ungewissheit über die aktuelle Zeit. Wie lange müssen wir noch so leben? Wann werden wir endlich unsere Lieben wiedersehen? Wann dürfen wir endlich wieder unseren Toten die letzte Ehre erweisen. Gleichzeitig ergeben sich auch Fragen für die Zukunft: Wann dürfen wir endlich wieder gemeinsam feiern, uns umarmen oder einfach das Leben zelebrieren?

Trauer und Leben sollten sich ab einer bestimmten Zeit wieder ergänzen: im Judentum ist die erste Woche nach dem Beerdigung ganz bedeutend: die Gemeinde begleitet sieben Tage lang die Familie des Verstorbenen. Die engsten Familienangehörigen verlassen während dieser Zeit nicht das Haus und sollten zu Hause barfuß sitzen. Trauernde tragen ein zerrissenes Kleidungstück. Um das Essen für die Hinterbliebenen kümmern sich Freunde und Bekannte.

Der Tradition nach, müssen die Trauernden den Gästen Gesprächsthemen anbieten. Dieser psychologische Trick soll die Trauernden etwas animieren, die Wortlosigkeit aus dem Geschehen zu nehmen. Während der Schiva werden die Spiegel zu Hause abgedeckt (es ist keine Zeit der Sorge um Schönheit und Ästhetik). Männer dürfen sich einen Monat lang nicht rasieren. Musik sollte ein Jahr lang nicht gehört werden. Und große Feiern sollten im engsten Kreis der Familie ein Jahr lang vermieden werden. Einen Monat lang dürfte der Friedhof normalerweise nicht besucht werden. Diese erste Etappe des Trauerzyklus dient dazu eine Distanz zu dem Verstorbenen aufzubauen. Dann beginnt wohl die schwierigste Etappe für die Hinterbliebenen: die aktive Umgestaltung des eigenen Lebens ohne die Präsenz des geliebten Menschen. Der Kaddisch wird danach noch ein Jahr lang von den nächsten Verwandten gesprochen.

Dieses Corona-Jahr wird wohl bei vielen Menschen als ein Jahr der Begrenzungen, der Distanzierung und der Häuslichkeit, in Erinnerung bleiben. Aber viel mehr ist ein Jahr  der immensen Trauer um die vielen unnötigen anonymen und kontaktlosen Tode. Es sollte ein Kaddisch für die 700,000* (Stand 2. August) Menschen gesprochen werden, die dem Corona-Virus schweigsam und allein zu Opfer gefallen sind.

Liliana Furman ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Jüdischen Studien der Universität Paderborn.

Gescheitert?

Die japanische Tradition zerbrochene Keramik durch eine Gold- oder Silberlegierung zu reparieren heißt kintsugi – mit Gold zusammen führen. Das Besondere: Kintsugi versucht nicht, die augenscheinlichen Makel der Reparatur, des Zerbrochenseins zu verbergen, vielmehr werden diese erinnert, betont, erhalten.

In einer Welt, die durch Erfolg-, Nutzen- und Leistungsimperative getaktet ist, wirkt eine solche Betonung des Zerbrochenen irritierend. „Brechen“ – zerbrechen, abbrechen, umbrechen, zusammenbrechen – ist ein Makel. Misserfolg, Versagen und Scheitern sind unerwünscht, werden gerne aus den Lebensläufen gestrichen oder an den Rand der Gesellschaft verbannt. Der Zwang zur körperlichen und geistigen Selbstoptimierung, die Forderung nach Perfektion bis in die Ruhephasen und gibt.

In Japan wird ein solcher perfekter Lebenslauf mit einer gewissen Bewunderung aber ebenso Skepsis betrachtet – denn ist der Moment des Fallens, der Moment des Scheiterns nicht auch der Moment an dem sich die Tiefe des Seins allererst offenbart? Lernt der Mensch nicht allererst dort seine Menschlichkeit anzunehmen, wo er seiner eigenen Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit begegnet?

Das japanische „Shikata ga nai“ – was so viel bedeutet wie „kann man nichts machen“ – sind dann aber nicht etwa Ausdruck der Resignation angesichts des Zerbrochenen, sondern die Anerkennung, dass wir nicht immer alles kontrollieren können, dass es Umstände und Situationen gibt (und geben darf!), die uns Menschen an die Grenzen unserer Fähigkeiten, unseres Wissens und unserer Einflussnahme führen. Erst im Scheitern, im Brechen und Vergehen kann etwas entstehen, dass auf eine Wirklichkeit jenseits der Vereinnahmung Selbstoptimierung, Gewinnmaximierung und Beschleunigung verweist.

Wo sollen wir aber das Gold in den, in unseren Lebens-Bruchstellen finden? Woher sollen wir den Mut zum Scheitern nehmen in einer Gesellschaft die doch so wenig von den Brüchen wissen will? Woher kommt die Zuversicht auch im Zerbrochenen ein Zeichen der Hoffnung setzen, einen Weg in die Freiheit finden zu können? Wir Christ*innen finden das Gold im bedingungslosen Zuspruch Gottes…und unterm Kreuz: denn auch Jesus hat dort wohl in aller Härte erkennen müssen, dass die Wahrheit seiner Botschaft nicht in ihrem Erfolg liegt, sondern in seinem treuen Zeugnis, im Einstehen für diese Wahrheit – gerade und selbst in dem radikalsten Moment des Scheiterns dieser Botschaft. Das Annehmen des Scheiterns ist also das Ansehen der Bruchstellen. Das anhaltende Zeugnis für die dahinter liegende Vision, die dahinter liegende Wahrheit, ermöglicht es dann vielleicht diese Bruchstellen wieder mit Gold zusammenzuführen.

Dr. Anne Weber ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg „Kirche-Sein in Zeiten der Veränderung“ an der Theologischen Fakultät Paderborn.