Was ist eigentlich Ableismus?

„Bist du behindert?!“ schallt es über den Schulhof. Ich bin ehrlich, an der Universität habe ich es auch schon gehört. Das sagt man halt so. Doch was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn „behindert“ ein Schimpfwort ist? Behindert im Sinne der Beschimpfung ist etwas, das man auf keinen Fall sein will. Jemanden so zu nennen, soll verletzen und beschämen. „Behindert“ als Schimpfwort zu nutzen ist ableistisch. Ableismus – ein Begriff, der noch kaum bekannt ist, den aber alle kennen sollten; ein Begriff, der irritiert und oft Fragen aufwirft. Brauchen wir noch mehr Anglizismen, fragen die einen. Die anderen nuscheln, was man denn da noch sagen darf. Und wieder andere sind froh, dass dieser Begriff sie sprachfähig macht und sie damit behinderungsbezogene Ungleichserfahrungen benennen können.

Ableismus geht auf das englische „to be able“ (fähig sein) zurück und meint die Orientierung an einer nichtbehinderten Norm. Ähnlich wie andere -ismen ist Ableismus durchdrungen von Macht und Herrschaftsverhältnissen. Er orientiert sich an dem Ideal eines leistungsfähigen, autonomen, nichtbehinderten Subjekts und bewertet behinderte Menschen als weniger wert oder unfähig. Er wirkt sich aus in Klischees und Generalisierungen, wenn z.B. der Rollstuhl die erste Assoziation ist[1], obwohl die Gruppe der behinderten Menschen höchst heterogen ist. Behinderung kann sichtbar oder unsichtbar sein, ist in den wenigsten Fällen angeboren, sondern wird meist im Laufe des Lebens erworben. Die Aussicht, eines Tages dieser Gruppe anzugehören, die ca. 10% der Bevölkerung in Deutschland ausmacht, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Und vielleicht ist genau dies der Grund für den ableistischen Abgrenzungsmechanismus und die krampfhaft konstruierte Binarität zwischen Behinderung und Nichtbehinderung (, die alltagssprachlich oft mit „Normalität“ verwechselt wird)?

Im Gegensatz zur „Behindertenfeindlichkeit“ kann sich Ableismus nicht nur in einer ab-, sondern auch aufwertenden Intention zeigen, z.B. verdeckt als gut gemeintes Kompliment: in der Bewunderung, wie held*innenhaft jemand trotz der Behinderung das Leben meistert, in unpassenden und ungefragten Hilfeleistungen oder in der Aussage „irgendwie sind wir doch alle behindert“. Ableismus zeigt sich in dem Reden über, aber nicht mit Behinderten, darin, dass Nichtbehinderung vorausgesetzt, Behinderung jedoch nicht mitgedacht wird und in der fehlenden (medialen) Repräsentation. Oder können Sie ohne Umschweife drei behinderte Menschen aus der Öffentlichkeit nennen?

Ableismus betrifft uns alle. Wir sind ableistisch sozialisiert, egal, ob wir mit oder ohne Behinderung leben, haben ableistische Denkmuster internalisiert und leben bzw. erfahren Ableismus auf zwischenmenschlicher, struktureller und ja, auch auf transzendentaler bzw. theologischer Ebene. Ableismus aufzudecken, zu benennen und zu verlernen, ist nicht zuletzt auch eine theologische Herausforderung, der es sich zu stellen gilt.[2] Wird Behinderung nicht nur als eine Heterogenitätsdimension wertschätzend und differenzsensibel betrachtet, sondern ebenso im Zusammenhang mit Ableismus und Ableismuskritik ernstgenommen, kann und wird dies in verschiedensten Bereichen selbstkritische Reflexions- und Transformationsprozesse anstoßen. Und vielleicht trägt das dann dazu bei, dass Menschen mit Behinderung nicht nur als Forschungsobjekte oder Adressat*innen barmherziger Nächstenliebe, sondern vielmehr als theologische Subjekte auftreten, auf die frei von Ableismus „behindert“ als ein Attribut neben vielen anderen zutrifft.[3]


[1] Das Bild des symbolischen „Rollifahrers“ ist häufig die erste Assoziation, die Menschen mit dem Thema Behinderung verknüpfen. Bewusst wurde es hier als Provokation gewählt, um eigene Behinderungsbilder zu hinterfragen.

[2] Als mögliche Startpunkte für die Entwicklung einer ableismuskritischen nennt Marie Hecke zwei theologische Inhaltsfelder, die häufig im Zusammenhang mit Behinderung stehen: 1. Die „Überwindung“ von Behinderung in eschatologischen Texten oder die Auslegung neutestamentlicher Heilungswunder als Normalisierungsgeschichten. Vgl. Hecke, Marie: Ableismuskritische Theologie, in: Glossar des Genderportals der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. https://gender.kiho-wuppertal.de/ableismuskritische-theologie/ , 03.03.2023.(Stand: 24.04.2024).

[3] Das 2023 gegründete Netzwerk Dis/Ability und Theologie bietet Wissenschaftler*innen, die an der Schnittstelle von Theologie und Disability Studies arbeiten, Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten. Aus den jeweiligen Theologien und ihren theologischen Disziplinen heraus zeigt sich die Perspektivenvielfalt auch in den individuellen Körpererfahrungen, d.h. als Ally oder als Forschende mit sichtbarer oder unsichtbarer Behinderung, egal ob diese benannt werden oder nicht. Wer Interesse an der Aufnahme in den Netzwerkverteiler hat, melde sich bitte bei Dr. Marie Hecke (marie.Hecke@kiho-wuppertal.de) oder Anna Neumann (anna.neumann@upb.de).

Yoga – eine areligiöse Lebensweise?

Yoga bedeutet Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen und in den Schriften des Yoga – wie dem Yoga Sûtra des Patañjali – liest man, dass das Ziel von Yoga die Erleuchtung ist (vgl. Desikachar 52011: 51-53; 101). Wie passt das mit den Aussagen von Yoga-Lehrenden zusammen, die ich immer wieder während meiner Ausbildungen zur Yogalehrerin gehört habe?: “Yoga ist eine Philosophie, eine Lebensweise, die alle Menschen praktizieren können – unabhängig ihrer Religion.” Stellt das nicht einen Widerspruch zum Ziel der Erleuchtung?

In seinem Ursprung ist die Yoga-Philosophie mit Religion verknüpft (vgl. Großmann & Rübesamen 2015). Im 6. Jahrhundert vor Christus stand Yoga mit religiösen Ritualen im Zusammenhang, deren Ziel das Erreichen von Erkenntnis oder auch Erleuchtung war (vgl. ebd.; vgl. Bucar 2022: 150). Dieser Gedanke des Yoga findet sich heute “vor allem in seiner säkularisierten Form als ‘Hingabe an eine höhere Macht’: Spiritualismus statt Religion” (Großmann & Rübesamen 2015) wieder. Genauer gesagt wurde die Vedanta Metaphysik in viele Praktiken aufgenommen, die wir heute Yoga nennen. Die Yogatraditionen haben also in dieser Weltanschauung ihren Ursprung. Und eben diese Weltanschauung der Vedanta kann als religiös verstanden werden, da in ihrem Zentrum ein heiliges Bewusstsein jenseits der menschlichen Erfahrung steht (vgl. Bucar 2022: 152). Somit sind Aussagen wie “connect with your energetic source” eigentlich vage Bezüge auf die Vedanta Metaphysik (vgl. ebd.). Auch K. Pattabhi Jois – der Begründer des Ashtanga Yoga – sagte, dass Yoga-Praktizierende Gott in sich erleben würden, ob sie wollen oder nicht (vgl. ebd.: 150).

T.K.V. Desikachar – Sohn von T. Krishnamacharya, der auch als “Vater des modernen Yoga” gilt – schreibt hingegen im Kommentar zum Yoga Sûtra des Patañjali, dass Yoga eindeutig nicht religiös sei. Zum einen grenzt er Yoga zum Hinduismus und der dazugehörigen Philosophie (Vedanta) ab, da das Yoga Sûtra zwar Wege für gläubige Menschen aufzeige, aber auch Alternativen anbiete. Zum anderen betont er die große Offenheit und somit Allgemeingültigkeit des Yoga Sûtra, weshalb es viele religiöse und spirituelle Strömungen inspiriert habe, aber nie selbst zu einer Grundlage für eine eigenständige Religion geworden sei. Auch wenn das Yoga Sûtra heutzutage in Indien häufig aus hinduistischer Sicht betrachtet wird, entspreche dies nicht der eigentlichen Intention (vgl. Desikachar 52011: 9).

Die Frage, ob Yoga generell religiös ist, ist somit nicht einfach zu beantworten. Aus diesem Grund unterscheidet Liz Bucar Devotional Yoga und Respite Yoga, wobei sie Devotional Yoga über gewisse Glaubensüberzeugungen wie Kosmologie und Metaphysik, die Einbeziehung von ethischen Leitlinien der Yamas und Niyamas und intensive Asanas, Pranayama-Techniken und Meditationsformen definiert. Dieser Art des Yoga schreibt sie eine eindeutige Religiosität zu (vgl. Bucar 2022: 147). Respite Yoga unterscheidet sich hiervon vor allem durch eine ausbleibende Notwendigkeit, gewissen Überzeugungen zu folgen. Der Fokus liegt eher auf der physischen Asana-Praxis, wobei trotzdem pseudo-liturgische Elemente – wie das “Namaste” zu Beginn und zum Abschluss einer Stunde – eingebracht werden. Respite Yoga sei somit die Aneignung (=appropriation) von Devotional Yoga (vgl. ebd.: 147-148). Trotz des Versuches, sich von Religion abzugrenzen, bedient sich Yoga (auch Respite Yoga) eindeutig religiös kodierter Sprache. Beispiele hierfür sind: “Erleuchtung”, “sich mit Energie verbinden”, “Brahman”, “Shiva”, “Krishna”, “das Göttliche” im Allgemeinen (vgl. ebd.: 168). Die gleichzeitige Betonung, dass Yoga nicht religiös sei, und die Menge an religiösen Inhalten können wie ein Widerspruch wirken (vgl. ebd.). Doch dies kann auf die Einbettung in einen neuen kulturellen Kontext zurückgeführt werden. Kurz gesagt haben Elemente wie Körperhaltungen, Atemarbeit und Meditation im USA-amerikanischen Raum Anklang gefunden; andere Aspekte jedoch nicht, die dann auch nicht mehr Teil der Vermarktung waren (vgl. ebd.: 174).

Heutiges Yoga lässt sich laut Liz Bucar auch wie folgt zusammenfassen: “the result of the interaction of multiple South Asian traditions, nationalism, imperialism, capitalism, and globalization” (ebd.: 150). Sie betont hierbei, dass es falsch sei zu sagen, dass Yoga hinduistisch ist, genauso sei es aber auch falsch zu sagen, dass Yoga nichts mit dem Hinduismus oder anderen östlichen religiösen Praktiken zu tun hat (vgl. ebd.).

Bucar folgert aus ihren Überlegungen, dass die indische Kultur, Philosophie und religiöse Praxis im modernen Respite Yoga nicht angeeignet werden, sondern es sich vielmehr um eine koloniale Vorstellung von diesen Dingen handelt (vgl. ebd.: 184). Kritische Aspekte sind beispielsweise die Vermarktung unter dem Gesichtspunkt der individuellen Gesundheit auf Kosten der Ausbeutung anderer (vgl. ebd.: 197) und die Verwendung von ursprünglich religiösen Elementen wie dem Sanskrit (vgl. ebd.: 164), was nicht zuletzt mit der politischen Konstruktion einer hinduistisch geprägten indischen nationalen Identität in Verbindung steht, die die Muslime des Landes ausschließt (vgl. ebd.: 185-186).

Yogalehrer:in zu sein bedeutet also, andere durch religiöse Aneignung zu führen (vgl. ebd.: 201) und die Aussage, dass es sich um eine areligiöse Lebenspraxis für alle handle, ist meiner Ansicht nach damit eindeutig zu kurz gedacht. Vor dem erläuterten Hintergrund erachte ich es als äußerst wichtig, meine Yogapraxis und den Unterricht, den ich gebe, zu reflektieren, indem ich mir beispielsweise die folgenden Fragen stelle, die Rina Deshpande vorschlägt:

  • “Do I really understand the history of the yoga practice I’m so freely allowed to practice today that was once ridiculed and prohibited by colonists in India?”
  • “As I continue to learn, am I comfortable with the practices and purchases I’m choosing to make, or should I make some changes?”
  • “Does the practice I live promote peace and integrity for all?”

(Deshpande 2019)

Quellen

Bucar, Liz (2022), “Respite Yoga”, in: Stealing My Religion. Not Just Any Cultural Appropriation, Cambridge (Massachusetts)/London: Harvard University Press, 145-202.

Deshpande, Rina, (2019), “What’s the Difference Between Cultural Appropriation and Cultural Appreciation?”, in: Yoga Journal, URL: www.yogajournal.com/yoga-101/yoga-cultural-appropriation-appreciation/ (26.11.2022).

Desikachar, T.K.V. (52011), Über Freiheit und Meditation. Das Yoga Sûtra des Patañjali. Eine Einführung, Petersberg: Via Nova.

Großmann, Katharina / Rübesamen, Kristin (2015), “Die Geschichte des Yoga”, in: Yoga Easy, URL: www.yogaeasy.de/artikel/Die-Geschichte-des-Yoga (01.11.2022).

#Yoga #Religiösität #Aneignung

Zeugniskrämpfe

Vor einiger Zeit saß ich im Zug einer elegant gekleideten älteren Dame gegenüber. Vertieft in Arbeit und grundsätzlich in Sorge davor, in ein Gespräch verwickelt zu werden, übte ich mich zunächst in höflicher Distanz. Einen Halt vor meinem Ausstieg aber klappte ich den Laptop zu und wir kamen unmittelbar ins Gespräch. Schnell zeigte sich, dass es kein Plausch über das Wetter werden würde: Mein Gegenüber war unterwegs zur Nachlassverwaltung ihres vor wenigen Tagen verstorbenen Bruders. Sie berichtete kurz von seinem Leben, von gemeinsamen Zeiten, auch vom Tod ihres Mannes vor einigen Jahren und vom bedrückenden Gefühl, die letzte dieser Generation in ihrer Familie zu sein.

Ich hatte den dringenden Wunsch, ihr etwas Gutes zu sagen, ihr gegenüber auszudrücken, dass weder ihr Bruder noch sie in ihren Sorgen vergessen ist. In der Öffentlichkeit des Zuges aber zu sagen „Ich bete für Sie“ fiel mir unendlich schwer. Woher kommt eigentlich dieser Zeugniskrampf? Warum ist es für viele so schwierig geworden, etwa in einem Segen oder Gebet zu bekennen, was wir glauben? Warum schämt man sich dafür, anderen öffentlich etwas Gutes zu wünschen?

Scham, so meinte der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, ist die emotionale Erkenntnis, für andere ein Objekt zu sein. Wenn wir uns schämen, sehen wir uns aus den Augen der anderen und machen uns selbst über uns lustig oder urteilen über unser Handeln – oft bevor wir überhaupt gehandelt haben. Die Sorge davor also, dass andere sich über mich lustig machen könnten, hätte mich beinahe daran gehindert, mich jemandem in einer Lebenskrise zuzuwenden. Mir ist daran noch einmal deutlich geworden, wie zentral es für den Glauben ist, dass er öffentlich, gerade in den kleinen Momenten des Alltags, zur Sprache gebracht wird. Nicht um besonders fromm zu sein, sondern damit die Scham nicht gegen unseren guten Willen anderen gegenüber gewinnt. Was anderes aber ist ein Gebet für andere als Ausdruck unseres guten Willens? Was könnte selbst jemanden, der nicht an Gott glaubt, in einer existenziellen Krise daran stören, wenn man zu ihm sagt: ‚Ich denke an Dich, ich bete für Dich, ich will Dir Gutes!‘ – und wie unglaubwürdig wird der Glaube an einen guten Grund des Lebens, wenn man sich des Guten schämt.

Ich habe mich schlussendlich durchringen können, meinem Gegenüber zu sagen, dass ich für sie und ihren Bruder beten werde. Ich kann zumindest sagen, dass sie alles andere als empört war. Und dass sich schräg gegenüber jemand irritiert umgedreht hat, war mir offen gesagt beim Aussteigen ziemlich egal.  

mutig – stark – beherzt

Diese drei Worte bilden die Losung des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vom 30. April bis zum 4. Mai 2025 in Hannover stattfinden wird. Sie beziehen sich auf den Schluss des 1. Korintherbriefes, in dem Paulus anhand verschiedener schwerer Konflikte bei den ersten Christen grundsätzliche theologische Erwägungen anstellt. Seine Schlussworte beginnen mit folgenden Aufforderungen: „Seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ (1. Kor. 16,13-14)

Mutig – stark – beherzt

Klingt das nicht wie das laute Rufen im Walde in einer Situation, in der einem alles unheimlich wird? Ist das nicht die Form von Selbstermächtigung, die wir angesichts der uns umgebenden Katastrophen nun wirklich nicht gebrauchen können? Macht uns das nicht eher blind gegenüber dem, was gerade zerstört wird, zerbröselt, in Auflösung begriffen ist?

Die Missbrauchsskandale der Kirchen befördern den Vertrauensverlust in das, was wir Religion nennen – aber auch in einen Gott, in dessen Namen und Schutz Menschen großes Unheil angetan wurde. Die Selbstverständlichkeiten, mit denen Religionen und Kirchen gesellschaftlich umgeben waren und mit denen sie Gesellschaften umgeben haben, sind perdu. Und wo sie sich noch behaupten, gehen sie mit Zwang und Unterdrückung Andersglaubender einher. Die Luft für Religionen ist rauer geworden – weltweit. Darin liegt auch ein Glück, weil gelingende und befreiende Religion nun nicht mehr mit Zwang und Gewalt daherkommen kann, sondern sich in der Ohnmacht, in der Hingabe, in der Liebe zu bewähren hat.

Am eigenen Leib spüre ich diese Veränderungen der Großwetterlage, die mich bisweilen handlungs- und denkmüde machen, mich mitunter runterziehen und niedergeschlagen sein lassen. Theoretisch war mir das klar, aber ich muss es nun wieder neu lernen: Die Kirchen und die Religionen sind keine Orte, wo die besseren Menschen leben, keine Organisationen, in denen es moralisch besser zugeht als anderswo, keine Institutionen mit Vorbildcharakter. Das macht mich nicht nur betroffen, sondern bezieht mich mit ein. Denn natürlich wäre ich auch gerne auf der besseren Seite. Aber ich bin es nicht.

In einer solchen Situation werde ich von drei Adjektiven angesprochen:

Mutig. Die apokalyptische Situation, in der wir uns angesichts der globalen Katastrophen befinden, raubt mir Schlaf und Hoffnung und lässt meine Hoffnungsbilder schal werden. Was kann da helfen? Statt Hoffnung machen zu wollen hilft mir in apokalyptischen Situationen der Mut, nicht Hochmut, eher schon Wagemut und Demut: Übergang statt Untergang! Mutig werden heißt für mich, in unübersichtlicher und gefühlt hoffnungsloser Situation nicht Augen und Ohren schließen und einschlafen oder wie angewurzelt stehen bleiben oder alles scheißegal sein oder braune Masse werden lassen, sondern weitergehen, nicht aufgeben, trotzig und getrost, umsichtig und sensibel, fehlerfreundlich und unabgeschlossen (imperfekt), barmherzig mit mir selbst.

Stark sein – Und andere stark machen in ihren Fähigkeiten. Sich gegenseitig stärken. Gemeinschaft pflegen. All dies sind auch Aufgaben für die Universität und den dortigen Umgang miteinander. Nicht die Menschen runterputzen und ihnen zeigen, was ihnen alles noch fehlt – wer wollte sich erdreisten und behaupten, dass er oder sie das wüsste, was den anderen fehlt? Stattdessen den Blick dafür entwickeln, mit den Ressourcen zu arbeiten, die zuhanden sind, Sachen klären und Menschen stärken, wie Hartmut von Hentig dies genannt hat. Sei stark: Lass Dich von den Schnelleren nicht aufhalten!

Beherzt – das ist die Kirchentagsübersetzung von „in Liebe“. Natürlich müssen wir kühlen Kopf bewahren angesichts dessen, was uns herausfordert. Auch dafür ist die Universität da, für Distanz, kluge Analyse, klaren Verstand. Aber das verändert die Welt noch nicht, denn wir Menschen leben von und mit unseren Gefühlen. Wir lernen am besten, wenn wir begeistert sind und nicht hirnlos etwas in uns reinprügeln. Wir benötigen Freiräume, Experimentierfelder, Laborsituationen. Prüfungen sind keine letzten Gerichte, sondern Gelegenheiten, Vor-Urteile zu befragen, Wahrheit zu finden und Lösungen zu kommunizieren. Wir sind und bleiben – theologisch gesprochen – immer im Vorletzten, wir sind keine letzte Generation. Natürlich stehen wir unter Entscheidungsdruck und befinden uns in Zeitnot. Gefühlt dürfen wir uns überhaupt keine Fehler mehr leisten. Und dennoch müssen wir beherzt dafür eintreten, dass wir Fehler machen und Umwege gehen dürfen, dass wir im Vagen leben und schwanken können, dass wir auf Resonanz angewiesen sind und in Bewegung bleiben.

Deshalb gilt auch für die Universität:

Seid mutig und seid stark. Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.

God, Taxes, and Societies: Exploring Intersections of Religion and Taxation in History

Was motiviert Menschen, ihre Steuern ehrlich und fair zu zahlen? Und wann sind Steuern überhaupt „fair“? Antworten auf diese Fragen sind vielfältig und variieren über Zeit und Raum. Nicht selten stehen sie in Verbindung mit religiös geprägten Überlegungen.

Um diese Antworten zu ergründen und einen Vergleich der Herangehensweise unterschiedlicher Religionen zu diesen Fragen anzuregen, luden Prof. Korinna Schönhärl (Historisches Institut Paderborn) und Prof. Idris Nassery (PIIT Paderborn) zum 29.2./1.3.2024 zu der Konferenz unter dem Titel „God, Taxes, and Societies: Exploring Intersections of Religion and Taxation in History“ ein.

In der gleichzeitig historisch anmutenden und modernen Atmosphäre des ehemaligen Kapuzinerklosters „Liborianum“ in Paderborn trafen sich Experten zu den drei großen monotheistischen Religionen und dem Buddhismus, um zu diesem Austausch beizutragen.

Fabio Rambelli (UC Santa Barbara) stellte die Steuer- und Abgabenkultur an buddhistischen Tempeln im vormodernen Japan vor. Diese zeitweise auch weltliche Herrschaft ausübenden Tempel erhielten „Opfergaben“ in Form von Naturalien, Arbeitsdiensten und Geldspenden. Diese waren keinem bestimmten Zweck zugewiesen, die Kultur des Gebens stand im Vordergrund, empfangenen Güter wurden in gutes Karma ‚umgewandelt‘. Eine Verweigerung von Abgaben hingegen würde, so glaubte man, schlechtes Karma, Missernten, Flüche und Krankheiten verursachen. So funktionierte dieses System auf freiwilliger Basis, und ohne festgelegte Abgabehöhen oder Sanktionen.

Anschließend führte Elisa Klaphek in die dem Talmud zu entnehmenden Normen des jüdischen Glaubens zum Thema Steuern ein. Neben dem allgemeinen Grundsatz „Dina de-malchuta dina“ (Hebr. „Das Gesetz des Staates ist das Gesetz“), der zum Einhalten geltenden (auch Steuer-) Rechts, verpflichtet, bietet der Talmud Normen für Steuern und Abgaben in einer jüdischen Gemeinschaft. Steuern sind hier zweckgebunden – nur wer von den Leistungen profitiert, muss auch zahlen. Zu einigen Abgaben, wie z. B. zentral umverteilten Almosen, werden nur wohlhabende Personen herangezogen. Steuern zu zahlen wurde als Privileg, nicht als Belastung empfunden, es machte die Zahler zu vollwertigen Bürgern.

Ergänzt wurde dieser erste Block durch einen Vortrag über die Gmach, eine einzigartige Wohlfahrtsorganisation ultraorthodoxer Gesellschaften in Israel, die Gegenstände und Geld als Leihgabe annimmt und weiterverleiht.

Im zweiten Block, über das Christentum, stellte Jörg Althammer (Katholische Universität Ingolstadt) eine auf OECD – Daten basierte empirische Untersuchung zu Konfession und dem Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts vor. Ihm zufolge bauen römisch-katholisch geprägte Staaten umfangreiche, auf Geldzahlungen basierende Wohlfahrtssysteme auf, während sich in freikirchlich geprägte Staaten (USA) die Wohlfahrt auf geringere Sachleistungen stützt.

Allen Calhoun (Emory University Atlanta) thematisierte im Anschluss die Sichtweise protestantischer Theologen des (frühen) 20. Jahrhunderts, wie Reinhold Niebuhr und Karl Barth auf das Thema Steuern: sie plädieren für eine faire Besteuerung, die Bürger entsprechend ihrer Belastbarkeit besteuert. Damit wenden sie sich gegen die in Katholizismus zu findende Verknüpfung von Steuer und Absolution.

Im dritten und abschließenden Vortrag dieses Blocks verglich Korinna Schönhärl die moralischen Normen dreier katholischer Gelehrter der 1940er und 1950er Jahre aus dem franquistischen Spanien, den USA und Westdeutschland. In diesem Zeitraum veränderte sich die Haltung der katholischen Kirche langsam weg vom Gutheißen der Steuerhinterziehung, hin zu einer Anerkennung eines staatlichen Rechts auf Steuererhebung zum Zwecke der Wohlfahrt. Steuern wurden unterschiedlich verstanden: als zwingende patriotische Pflicht (USA) oder als Gesellschaftsvertrag (Nell-Breuning), der im Falle von Unzufriedenheit demokratisch verändert werden konnte, oder als lediglich im Falle fairer Steuern verpflichtend (Joaquín Aspiazu). Zurückzuführen sind die Unterschiede auf andere Ausgangspositionen: in Deutschland empfing die kath. Kirche Steuern, während sie in Spanien Steuern zahlen musste. Der Vergleich hat gezeigt, dass Ökonomie und soziale Zustände auch in der religiösen Moral vom Thema Steuern nicht zu trennen sind.

Der dritte Block der Konferenz widmete sich der islamischen Welt. Idris Nasseri sprach über die Sichtweise islamischer Gelehrter auf die Steuerhinterziehung. Zakat, eine Abgabe, die Muslime für die Versorgung von Bedürftigen entrichten müssen, für sich zu behalten, wäre ein Verbrechen gegen die Gesellschaft. Veruntreut ein Herrscher jedoch die eingenommenen Gelder, forderten manche Gelehrte politisches Aktivwerden, andere eine stille Steuerverweigerung, wieder andere riefen zu Treuebruch und Umsiedelung auf. Einig waren sich alle darin, dass die ggf. einbehaltene Zakat den Bedürftigen auf anderem Wege zugeführt werden muss.

Daran schloss sich der Vortrag von Emanuel Schäublin (ETH Zürich) an, der in einer Feldstudie in Nablus (Palästina) beobachtet hat, wie Zakat dort ohne Beteiligung der als korrupt empfundenen Regierung von relativ wohlständischen Familien an ärmere Familien gegeben wird.

Schließlich folgte der Vortrag von Antonis Hadjikyriacou (Panteion University Athen) über das Steuersystem im Osmanischen Reich, das er als gleichzeitig islamisch und weltlich beschreibt, geprägt von der Dialektik zwischen Siyasa (sultanischem Gesetz) und Islamischer Jurisprudenz, legitimiert sowohl durch ihre Notwendigkeit zum Bewahren von Ordnung und Wohlstand, als auch durch religiöse Gebote (Zakat, Dschizya). Dabei ging man über die Zeit von örtlich angepassten Kopfsteuern auf Pauschalbesteuerung, Steuerpacht und Land-/Vermögenssteuer über, die gleichermaßen in nicht-islamischen Reichsteilen erhoben wurden.

Die Konferenz zeigte die Vielfalt sowohl in der Legitimation von Steuern und Abgaben als auch im Umgang mit Steuerhinterziehung auf. Zwei Konzepte tauchen jedoch über die Zeit und unterschiedliche Religionen hinweg immer wieder auf: Einerseits die Gabe eines Wohlhabenden an einen Armen aus spirituellem Eigennutzen, sei es mit Blick auf das Jenseits oder zur Verbesserung des Karma, und andererseits die Notwendigkeit von Abgaben zum Zwecke einer ausgeglichenen Gesellschaft. Dass geistliche Normenlehren, angepasst an gesellschaftliche und soziale Umstände, von der Antike bis ins 20. Jahrhundert stets mit der Steuerlegitimation einher gehen, belegt die Bedeutung von Religion für die Steuergeschichte.

Über den folgenden Link finden Sie weitere Einblicke in die Konferenz: https://youtu.be/BhUmj7cyxfY?si=amvBH7zTxlh3X8SL

Zur herausgeforderten Demokratie

Trotz ihrer nicht immer glamourösen, von Einseitigkeiten, blinden Flecken und partikularen Machtinteressen flankierten Geschichte, bringen Demokratien die in der Zivilgesellschaft thematisierten, diskursiv ausgehandelten und parteipolitisch repräsentierten Interessen von Einzelpersonen in allen relevanten parlamentarischen Entscheidungen zur Geltung. Damit sichern sie als soziales, im Volkswillen wurzelndes Ordnungsgefüge wie keine andere Sozialform die menschliche Freiheit, Solidarität und Würde. Natürlich handelt es sich hierbei um eine formale und mitunter idealisierte Lesart deliberativ-repräsentativer Demokratie, die in der komplexen, pluralen Spätmoderne zudem ständig mit Aktualisierungsfragen, Legitimations- und Steuerungsproblemen konfrontiert ist. Umgekehrt lässt sich aber eben diese Aktualisierungsnotwendigkeit als Indikator epistemischer und ethischer Verantwortung bestimmen, geht damit doch auch immer die Gelegenheit zur Korrektur und Veränderung einher.

Auch wenn wir der Demokratie auf den ersten Blick also attestieren müssen ein spannungsreiches, ressourcenintensives Unterfangen zu sein, das – um es mit Jaques Derrida zu formulieren – schon alleine wegen seiner Historizität immer im Kommen (à venir) zu bleiben scheint, so entpuppt sich dies auf den zweiten Blick also als ein Qualitätsmerkmal nachmetaphysischer Entscheidungsfindung. Die prozessuale Unabschließbarkeit entlarvt alle Machtfixierungsversuche und bedeutet zudem gerade nicht, dass die in Demokratien gelösten normativen Ansprüche beliebig sind oder verhandelbar wären. Zumindest dann nicht, wenn werte- und perspektivenplurale Gesellschaften langfristig ein friedliches Miteinander gewährleisten wollen, in dem nicht die Macht der Stärkeren regiert, sondern eine Form der respektvollen, verständigungsorientierten Kooperation, in der sich Menschen trotz ihrer unterschiedlichen Bedarfe und Perspektiven auf Augenhöhe begegnen können.

Im Blick auf die politischen Entwicklungen der letzten Jahre ist dieser grundlegende Konsens über die Bedeutung von Demokratie jedoch zunehmend unter Druck geraten. Es war jedoch lange nicht vorstellbar, dass damit auch rechtsextreme, völkische Propaganda wieder salonfähig wird, in deren Fahrtwasser dann gerne auch die Geltung demokratischer Verfassungen insgesamt in Frage gestellt wird.

Dass die Deutsche Bischofskonferenz sich in der letzten Woche so deutlich gegen dererlei Tendenzen positioniert und daran orientierte Parteien für Christinnen als „unwählbar“ bestimmt hat, ist dementsprechend nicht nur für mich persönlich erfreulich. Mit Blick auf das in großen Teilen  menschenverachtende, Ängste instrumentalisierende, anti-demokratische Programm der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ erweist sich dies in der zunehmend angespannten Lage und in Bezug auf die anstehenden Europa- und Landtagswahlen auch als unbedingt erforderlich; steht der Glaube an den Gott der Befreiung doch in fundamentalem Gegensatz dazu, was als vermeintlich notwendige politische Neuausrichtung durch diese Strömungen vorgeschlagen wird.

Besonders bemerkenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang zudem, dass die DBK zugleich gefordert hat, mit Menschen, die diesen Ideologien nahestehen, im Gespräch zu bleiben. Damit kann wohl nicht gemeint sein, ihnen eine Bühne für ihre menschenfeindlichen Programme zu bieten. Es geht den Deutschen Bischöfen vielmehr darum die Motive, Sorgen und Ängste nicht zu übergehen, die Menschen dazu verleiten, ihre Zukunftshoffnungen auf diese Partei zu setzen.

In meinem Verständnis der bischöflichen Forderung verbindet sich damit zugleich eine Ursachendiagnose für die gesellschaftlichen Polarisierungen und die Politikmüdigkeit, die unsere westlichen Demokratien gegenwärtig enorm herauszufordern scheinen: So kommen aus den Politikwissenschaften, der kritischen Soziologie und der Sozialphilosophie schon seit einiger Zeit Hinweise darauf, dass der Aggressionsmodus der Politik, ihre Verwissenschaftlichung und Moralisierung bzw. die damit verbundene Vereinseitigung an Handlungsoptionen Einzelpersonen abhängt und eine zunehmend sprachlose Gesellschaft zurück lässt. Der Reflex anders Denkende als irrational zu bezeichnen und damit letztlich zu „silencen“, mag angesichts der immer absurderen Verschwörungsszenarien naheliegen. Es ist aber eben auch dieser Reflex, der anderen vermittelt, ihre Stimme, ihre Interessen zählten nicht. Polarisierung, Kompromisslosigkeit und Radikalopposition sind dabei kurzfristige Folgen, die jedoch langfristig das soziale Band zwischen Menschen zerschneiden und Demokratien destabilisieren.

Auch in der Forderung, Politik nicht zum Sprachrohr wissenschaftlicher Einzelanalysen zu machen, geht es entsprechend nicht etwa darum, politische Entscheidungen auf Basis von partikularen Gefühlen und in Absehung von sachlichen Argumenten bzw.  Fakten zu treffen. Vielmehr wäre es wichtig anzuerkennen und daran zu erinnern, dass Politik als Gestaltungs- und Steuerungswerkzeug die Aufgabe einer rationalen, differenzierenden und nachvollziehbaren Abwägung und Orchestrierung multipler Ziele und Interessen innewohnt. Um Politik in diesem Sinne wieder möglich zu machen – so wie es das gemeinsame Wort der Kirchen bereits 1997 als programmatisches Ziel formuliert hatte – gilt es Moralisierung durch selbstkritische Moral zu ersetzen, Verständnis für alternative Perspektiven zu kultivieren und Kompromisse als gemeinsame Weggrundlage neu zu entdecken. Bei einer solchen Profilierung der Politik als potentieller Resonanzsphäre, d.h. als Kommunikations- und Beteiligungsraum, kommt auch den (institutionalisierten) Religionen als zivilgesellschaftlichen Akteurinnen eine wichtige Aufgabe zu: nicht nur kann die theologisch reflektierte Zusage Gottes zu seiner Schöpfung eine alternative Welthaltung motivieren, an der die Logiken der Verfügbarmachung und einfachen Identitätspolitik brechen. Gerade weil das an nichts in der Welt Maß nehmende Angenommen-Sein jedes einzelnen Menschen eine fundamental inklusive Weltbeziehung eröffnet, können Gläubige ein „hörendes Herz“ (Hartmut Rosa) entwickeln und dies als welterschließende, beziehungseröffnende Grundhaltung auch jenseits religiöser Tiefengrammatik erfahrbar werden lassen. In dieser verständigungsorientierten Haltung kann dann auch Politik wieder als heuristisches Instrument in den Blick kommen, das dabei hilft Sprachlosigkeit zu überwinden indem die Sorgen der Menschen ernst genommen werden ohne zugleich einer pauschalisierenden Angstrhetorik das Wort zu reden. In diesem Sinne erschöpft sich dann aber auch das Votum für Demokratie nicht beim Kreuzsetzen auf dem Wahlzettel, sondern fordert von uns als Bürgerinnen aktive Mitgestaltung.

Das Potenzial von Ideologiekritik im Religionsunterricht

In aktuellen gesellschaftlichen und theologischen Diskursen ist der Religionsunterricht (RU) in Deutschland ein Thema, das gerade durch die zunehmende Pluralisierung von Religion(en) wieder in den Fokus rückt. Denn die Organisation von Religionsunterricht variiert stark in unterschiedlichen europäischen Ländern und politische und soziale Transformationen beeinflussen und verändern, wie RU in den jeweiligen Ländern organisiert wird. Daher stellt sich schnell die Frage nach der „besten“ Organisationsform von RU, die bezüglich der Herausforderungen durch Globalisierung, Säkularisierung und eine Pluralität an Lebens- und Glaubensformen am geeignetsten ist. Zugleich wird jedoch eben durch diese Herausforderungen die Berechtigung des RU insgesamt in Frage gestellt.

In diesem Blogbeitrag möchte ich auf das Potenzial von RU aufmerksam machen, der ideologiekritisch[1] gestaltet wird. Der RU selbst kann ideologiekritisch sein, wenn dieser „[…] zur Unterbrechung gesellschaftlicher Plausibilitäten einlädt und anhält.“[2] Prinzipiell geht es beim ideologiekritischen Argument zur Legitimation von RU darum, dass religiöse Bildung zugleich essentiell für öffentliche Bildung ist, da diese gesellschaftliche Plausibilitäten kritisch hinterfragen kann und entsprechend zu einem kritischen Bewusstsein führen kann.[3] So sollen also gerade die Denkmuster die gesellschaftlich plausibel erscheinen und gesellschaftlich legitimiert werden durch religiöse Bildung und den RU unterbrochen und reflektiert werden. Bei diesen Plausibilitäten handelt es sich auch um internalisierte Denk- und Handlungsmuster, die nicht als Ideologie wahrgenommen und nicht ausreichend reflektiert werden. Was ideologiekritischen RU außerdem besonders macht ist, dass er „[…] seine religiöse Perspektivik auf einen Gegenstand anwendet, der auch für viele religiös uninteressierte Menschen von Interesse ist: die Gesellschaft und die ihr eigene Logik der Verhältnisse. Von daher bietet es besonders günstige Voraussetzungen für die Konvertierbarkeit religiöser und nicht-religiöser Perspektiven.“

Zugleich muss jedoch auch beachtet werden, dass jede Religion und auch Ideologiekritik selbst ideologieanfällig sind. Oft wird z.B. dem Christentum vorgeworfen, Herrschaftsstrukturen zu legitimieren und einen absoluten Wahrheitsanspruch zu erheben.[4] Auch hier müssen Verstrickungen in christliche und theologische Ideologien reflektiert werden.  Ideologiekritik ist also im RU sehr komplex, da christliche und gesellschaftliche Denk- und Handlungsmuster aufeinandertreffen, die bei einigen Themen nicht übereinstimmen.[5]

Beim Beispiel der Tiertheologie (z.B. tierethische Themen im RU) stimmt jedoch der anthropozentrische Blickwinkel der (klassischen) Theologie zumeist mit der gesellschaftlichen Theologisierung von Tieren überein, sodass hier kein starker Kontrast erkennbar ist. Doch selbst hier bietet ein ideologiekritischer RU großes Reflexionspotenzial, da z.B. die Mehrdimensionalität der Bibel neue Deutungshorizonte eröffnet, die eine Alternative zum Anthropozentrismus darstellen können. So werden ideologische Verstrickungen zwischen Theologie und Gesellschaft im RU reflektiert. Ein Beispiel hierfür wäre Psalm 104 als Kontrast zum dualistischen Denksystem im Kontext der Mensch-Tier-Beziehung, der auch im RU erarbeitet werden kann.


[1] Der Begriff der Ideologiekritik bleibt in der Theologie noch inhaltlichen und kritischen Anfragen ausgesetzt. Für eine Vertiefung: Herbst, Jan-Hendrik (2018). Ideologiekritik und Religionsunterricht. Zum unabgegoltenen Potenzial des ideologiekritischen Arguments für den konfessionellen Religionsunterricht, in: RpB 79, 86-97, 92. Auch andere Argumente sprechen für den RU, wobei verschiedene Argumente zur Legitimation des RU miteinander verflochten sein können. Siehe z.B. Rudolf Englert über das funktionale und das ideologiekritische Argument in: Englert, Rudolf (2007): Religionspädagogische Grundfragen. Anstöße zur Urteilsbildung. Kohlhammer, S. 300f. Besonders die Beiträge zum Thema Ideologiekritik von Jan-Hendrik Herbst sind bei weiterem Interesse zu empfehlen, insbesondere die zitierten Beiträge, aber auch z.B.: Herbst, Jan-Hendrik (2022). Unterrichtsmaterialien als Ort der Ideologieproduktion? Perspektiven kritischer Religionsbuchanalyse in der Gegenwart, in: TheoWeb 21/1, 115-134.

[2] Herbst, Jan-Hendrik (2018). Ideologiekritik und Religionsunterricht. Zum unabgegoltenen Potenzial des ideologiekritischen Arguments für den konfessionellen Religionsunterricht, in: RpB 79, 86-97, 87.

[3] Ebd., 86.

[4] Vgl. Englert, Rudolf (2015). Ideologiekritik, in:  Burkard Porzelt & Alexander Schimmel (Hrsg.), Strukturbegriffe der Religionspädagogik, Bad Heilbrunn, 126–131, 128.

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Ambivalente Verhältnisse

Der 7. Oktober 2023 ist als „10/7“ ein historisches Datum geworden, nicht nur in der Geschichte Israels und Palästinas, sondern weit darüber hinaus. Aus humanitärer Sicht und in den Grenzen des Verstands bleibt Vieles unfassbar und macht sprachlos, immer noch und immer wieder. In beunruhigender Weise haben sich seitdem aber auch gesellschaftliche Dynamiken verändert und in der Mitte der Gesellschaften Europas und Nordamerikas wieder einmal offenkundig werden lassen, was nie verschwunden war und sich immer wieder als hässliche Fratze zeigt. Es ist deshalb gut, richtig und wichtig, dass es Menschen und Organisationen gibt, die gegen jede Form des Antisemitismus aufstehen, komme er von rechts oder links, aus sogenannten migrantischen Milieus oder aus einer wie auch immer gearteten sogenannten bürgerlichen Mitte der Gesellschaft.

Auch religiöser Antisemitismus und theologischer Antijudaismus gehören dazu. Letzteren haben die christlichen Kirchen im Laufe der Jahrhunderte geschaffen, transportiert, gepflegt. Erst die Schrecken der Schoa haben zur Umkehr gezwungen, so dass wir heute – nach der katholischen Konzilserklärung Nostra Aetate (1965) oder dem evangelischen Rheinischen Synodalbeschluss (1980) – auf zahlreiche Grundsatzerklärungen christlich-jüdischer Verständigung, auf Dialoginitiativen, auch auf kirchliche Schuldbekenntnisse und Verurteilungen jeglichen Antisemitismus blicken dürfen. Denn Christ:in zu sein oder christliche Theologie zu treiben ist nur im Angesicht des Judentums möglich. Anders geht es nicht. Christ:in zu sein oder christlich-theologisch zu denken bleibt immer auf das Judentum als Wurzel des Christentums (Röm 11,18) und auf jüdische Gott-Rede und jüdisches Gott-Denken verwiesen, denn „unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Sich dieses Grundaxioms im eigenen Selbstverständnis bewusst zu sein, selbstkritisch und stets erneuerungsbereit, ist theologischer Auftrag und bleibt zugleich eine reale Herausforderung.

So überrascht und irritiert es, dass sich Papst Franziskus einen Tag nach 10/7 in seinem Angelusgebet um den Frieden in Nahost sorgt und von jedem Krieg als Niederlage spricht, das aber ganz ohne eine eindeutige Benennung und Verurteilung der barbarischen Gewalt der Hamas tun kann. Wochen und Monate danach mangelt es an entschiedener Klarheit und Positionalität der katholischen Kirchenspitze, so dass sich Mitte November 2023 sogar mehr als 400 jüdische Gelehrte und Rabbiner in einem offenen Brief an Franziskus gewandt und um ein belastbares Zeichen päpstlicher Solidarität mit Israel und dem Judentum gebeten haben, einschließlich einer unmissverständlichen Verurteilung des vernichtenden Terrors.[1] Die Antwort kam spät, Anfang Februar 2024 – und hinterlässt Fragen. Sicherlich, es gab eine Solidaritätsbekundung, aber mit Leerstellen. Der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff spricht dabei von einer „semantischen Entschärfung des Hamas-Terrors“ und von „sprachpolitischer Entdifferenzierung“[2], was auf eine Sprache schließen lässt, die die nötige Klarheit und auch ein deutliches Bekenntnis zur besonderen Bindung der Kirche ans Judentum vermissen lässt. Die Frage ist: Warum? Auch angesichts der wegweisenden offiziellen katholischen und jüdischen Dialogpapiere der letzten Jahre aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Konzilserklärung bleiben Fragen, die gestellt werden müssen. Das Bild des Umgangs mit 10/7 seitens der römischen Kirche bleibt ambivalent.

Ganz anders, weil unmittelbar und in der Sprache klar und eindeutig erfolgt, erscheinen einige Stellungnahmen aus dem deutschen Kontext, so beispielweise der Vorsitzende der bischöflichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Bischof Ulrich Neymeyr: „Jetzt ist die Stunde der Solidarität mit Israel. … Ich habe aber kein Verständnis für Solidaritätsbekundungen mit der Hamas, die in Gaza eine brutale Diktatur errichtet hat. Unerträglich ist es, wenn auf unseren Straßen über die Ermordung unschuldiger Menschen gejubelt und Hass gegen Jüdinnen und Juden propagiert wird. Das dürfen wir nicht tolerieren.“[3]

Im Blick auf die barbarische Vernichtung von Menschen aus purem Hass, im Blick auf Antisemitismus oder Diskriminierung von Minderheiten braucht es Klarheit. Es darf kein „Ja, aber …“, kein Verständnis (schon gar keinen Jubel) und keine Toleranz geben. Das schließt nicht aus, sich um alle Opfer von Krieg und Gewalt gleich welcher Herkunft zu sorgen und dort Kritik zu üben, wo Pflichten und Regeln der Humanität verletzt werden. Das alles gebietet die Menschlichkeit und der Glaube an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der auch der Gott Muhammads und der Gott Jesu ist.


[1] https://www.jcrelations.net/statements/statement/an-open-letter-to-his-holiness-pope-francis.html

[2] https://www.herder.de/communio/gesellschaft/zu-den-leerstellen-im-brief-des-papstes-an-die-juden-wer-juden-angreift-greift-auch-uns-an/

[3] https://www.katholisch.de/artikel/47792-bischof-neymeyr-jetzt-ist-die-stunde-der-solidaritaet-mit-israel

Foto: GalleryBritto

Genesis 1, 27 und das binäre Geschlechterverständnis

Viele Menschen, die ein binäres Geschlechterverständnis vertreten, begründen dies mit einem Satz aus dem ersten Kapitel der Bibel: „… und schuf sie als Mann und Frau“ (Genesis 1, 27c, in der revidierten Lutherübersetzung von 2017). Um zu prüfen, ob diese Begründung stichhaltig ist, ist es unerlässlich, diesen Satz im Kontext des gesamten Verses 27 in den Blick zu nehmen: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Wird die Aussage, Gott habe „sie als Mann und Frau“ geschaffen, im Kontext des 27. Verses gelesen, wird deutlich, dass sich das Akkusativobjekt „sie“ auf das Akkusativobjekt des ersten Satzes in diesem Vers bezieht: „den Menschen“. Bemerkenswert ist an dieser Stelle der Numeruswechsel: Das „sie“, im Hebräischen die nota accusativi את mit dem Suffix der dritten Person Maskulinum (in diesem Fall: Communis) Plural, bezieht sich auf das Akkusativobjekt אתהאדם, das im Singular steht. Dieser scheinbare Widerspruch ist dadurch zu erklären, dass das hebräische Nomen אדם nicht nur den einzelnen Menschen bezeichnen kann, sondern auch die Gattung Mensch. Diese Gattung hat er erschaffen; in Vers 27a begegnet das Verb ברא, das bereits im ersten Vers der Hebräischen Bibel Verwendung findet. Und über die Menschen, die Angehörigen der Gattung Mensch, wird gesagt, dass Gott sie – um es mit den Worten der Lutherübersetzung zu sagen – „als Mann und Frau“ geschaffen hat. Aber wird diese Übersetzung dem hebräischen Text gerecht? Dort heißt es: זכר ונקבה ברא אתם, was die Bedeutung hat: „Männlich und weiblich erschuf er sie“. So ist dieser hebräische Satz auch in der Einheitsübersetzung von 2016 wiedergegeben. Er kann auf zweierlei Weise verstanden werden, einerseits in einem binären Sinn: Gott schuf die Gattung Mensch männlich und weiblich, d.h. in Form von Männern und Frauen. Das würde der Lutherübersetzung entsprechen („und schuf sie als Mann und Frau“). Andererseits kann er jedoch auch so verstanden werden, dass Gott jeden einzelnen Menschen männlich und weiblich geschaffen hat, also mit männlichen und weiblichen Anteilen. Diese beiden Übersetzungsmöglichkeiten sind dadurch gegeben, dass das hebräische Nomen אדם sowohl die Gattung Mensch als auch den einzelnen Menschen bezeichnen kann.

Welcher Übersetzungsmöglichkeit gebührt der Vorrang? Hinsichtlich dieser Frage ist von Bedeutung, dass die zuletzt genannte Möglichkeit ungleich umfassender ist, denn alle Menschen – Männer und Frauen sowie Menschen, die sich in diesen beiden Geschlechtern nicht wiederfinden – können sowohl männliche als auch weibliche Anteile in sich haben. Die zuerst genannte Möglichkeit nimmt demgegenüber lediglich Menschen in den Blick, die sich eindeutig als Männer und Frauen verstehen, andere dagegen nicht.

Zu Klärung der Frage, welcher dieser beiden Verstehens- und Übersetzungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben ist, ist der erste Satz des 27. Verses hinzuzuziehen: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (gemäß der Lutherübersetzung; in der Einheitsübersetzung lautet die Übersetzung: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn“). Eine Aussage über den von Gott geschaffenen Menschen enthält somit auch eine implizite Aussage über Gott, denn als dessen Bild (צלם) ist der Mensch erschaffen. Bei Aussagen über Gott gilt es zu vermeiden, dass er menschlichen Vorstellungen angepasst wird, da die letztlich immer begrenzt sind. Wenn – ausgehend von der Erkenntnis „deus semper maior“ – Gott immer größer ist als jede menschliche Vorstellung von ihm, dann darf eine von Menschen formulierte theologische Aussage ihn in keiner Weise begrenzen.

Suchen wir auf der Grundlage dessen eine Antwort auf die Frage, wie der Satz zu verstehen ist, dass Gott den Menschen männlich und weiblich (זכר ונקבה) erschaffen hat, und berücksichtigen wir dabei, dass damit nicht nur eine explizite Aussage über den Menschen gemacht wird, sondern auch eine implizite über Gott, ist der umfassenderen Verstehens- und damit auch Übersetzungsmöglichkeit der Vorzug zu geben. Der Satz ist somit so zu verstehen, dass jeder Mensch männlich und weiblich erschaffen ist und somit männliche und weibliche Anteile hat. Denn dies gilt für alle Menschen – für die, die sich eindeutig als Mann oder Frau verstehen, wie auch für andere.

Gott hat die Menschen in dieser Vielfalt geschaffen und ihnen seinen Segen gegeben. Und so beginnt der folgende Vers mit den Worten: „Und Gott segnete sie“ (Vers 28a).

Foto: Dr. Michael Arretz

Die Demokratie erhebt die Stimme

Seit Jahren lassen sich eine Radikalisierung des rechten politischen Spektrum und damit verbunden eine Zunahme aller Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit beobachten. Eine Veröffentlichung des Recherchenetzwerks „Correctiv“ am 10. Januar brachte das Fass zum Überlaufen: Der Bericht deckte ein geheimes Treffen von Rechtsextremisten im November 2023 in Potsdam auf, bei dem konkrete Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland ausgetauscht wurden. In der Folge kam es bundesweit zu Protesten in einem Ausmaß, das es seit Jahrzehnten nicht gegeben hat, und die bis heute andauern.

Gefühlt sind es die ersten Massenproteste seit der Coronapandemie, die nicht von Verschwörungsglaube und Demokratiefeindlichkeit angetrieben werden, sondern um ebendiese Demokratie und ihre Werte zu verteidigen. So zeigte sich auch der Präsident des Zentrarats der Juden erleichtert über die „Demos gegen rechts“: „Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht. […] Ich habe immer das Gefühl gehabt, man sieht die Prognosen und Wahlergebnisse der AfD, aber das lockt niemanden hinter dem Ofen hervor. […] Deshalb bin ich erfreut, wenn Leute jetzt auf die Straßen gehen und ihren Unmut zum Ausdruck bringen.“ Ähnlich äußern sich die Politiker aller demokratischen Parteien sowie zahlreiche Pressestimmen im In- und Ausland. Die Demokratie erhebt die Stimme. Endlich!

Es ist nicht lange her, da standen Menschen recht alleine da, wenn sie dem Hass und der Hetze ausgesetzt wurden. Auch innerhalb der Kirche. Noch gut in Erinnerung sind etwa der Angriff auf Sarah Vecera bei ihrer Lesung in einer Leipziger Kirche im März 2023 oder die Anfeindungen, die Quinton Caesar nach seiner mutigen Predigt im Schlussgottesdienstes des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2023 („Wir haben keine sicheren Orte in euren Kirchen“), entgegenschlugen. Ein lesenswerter Bericht von Arnd Henze in der evangelischen Zeitschrift „Zeitzeichen“ zeigt auf, wie sehr hier auch die kirchliche Krisenkommunikation versagte. Solche Erfahrungen, so unschön sie sind, bestätigen die Notwendigkeit diskriminierungssensibler und politischer Bildungsarbeit, auch im Kontext von Kirche.

Die Autor*innen dieses Beitrags forschen und lehren seit vielen Jahren zu Themen wie Antisemitismus, Kirche und Rechtspopulismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Religion und versuchen, ihre Studierenden – hauptsächlich künftige Religionslehrer*innen – in der Auseinandersetzung damit sprach- und handlungsfähig zu machen. Aber dürfen universitäre Theologie und schulischer Religionsunterricht überhaupt „politisch“ sein? Der katholische Religionspädagoge Jan-Hendrik Herbst, der sich in seiner Dissertation mit der politischen Dimension des Religionsunterrichts befasste, hat darauf eine klare Antwort und zugleich eine konkrete Handlungsempfehlung: „Religionsunterricht ist politisch und sollte politisch sein. Er ist in politische Herrschaftsverhältnisse verstrickt und bewirkt auch ungewollt politische Konsequenzen. Wird dies bewusst reflektiert, kann Religionsunterricht so gestaltet werden, dass er zu demokratischer Bildung beiträgt. Dies gelingt besonders dann, wenn er religiöse Bildung fördert und religionsbezogene Positionierungen eröffnet.“

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