“bald kommt, bald kommt Immanuel”: Kritische & besinnliche Anfragen zur christlichen Selbstwahrnehmung

EnglischDeutsch (Gotteslob)
O come, O come, Emmanuel, And ransom captive Israel, That mourns in lonely exile here, Until the Son of God appear: Rejoice! Rejoice! Emmanuel shall come to thee, O Israel.  Im Gotteslob O komm, o komm, Immanuel, nach dir sehnt sich dein Israel! In Sünd und Elend weinen wir und flehn, und flehn hinauf zu dir. Freu dich, freu dich, o Israel, bald kommt, bald kommt Immanuel  
Übersetzung „O komm, O komm Immanuel“

„O komm, O komm Immanuel“ ist eins der beliebtesten Adventslieder im amerikanischen und europäischen Raum. Bekanntlich birgt der Text auch einige Herausforderungen im Hinblick auf seine Darstellung des Judentums. Kurz vor Beginn der Adventszeit in diesem Jahr kam in meiner Kirchengemeinde die Frage auf, ob wir den Gemeindemitgliedern vor dem Gottesdienst ein Handout geben wollen, mit einer kurzen Erläuterung im Hinblick auf den anti-jüdischen Ton von “O komm, O komm, Immanuel.” Der Hintergrund des Liedes wurde bereits mehrfach diskutiert. Wie Mary Boys in Has God Only One Blessing? zeigt, weist das Lied in seiner gängigen Form supersessionistische Züge auf. Israel ist gefangen und muss von Immanuel gerettet werden. Das Kommen Immanuels wird in Jesaja 7:14 für die Verteidigung Jerusalems vorhergesagt. Matthäus interpretiert dann die Prophezeiung so, dass sie sich auf Jesus bezieht: Jesus ist derjenige, der das gefangene Israel retten kann. Israel soll sich dann freuen, dass Immanuel (im christlichen Lesen dann Jesus) die Rettung für Israel ist (Mt 1:23).[1]

Diese Information ist hilfreich im Hinblick auf die christliche Selbstwahrnehmung im öffentlichen Gebet. Das, was wir beten und singen wird zu dem, was wir glauben. Die Gemeindemitglieder in dem Gottesdienstgremium meiner Gemeinde waren geteilter Meinung über eine Handreichung. Auf der einen Seite wurde argumentiert, dass Weihnachten nun einmal triumphalistisch sei und man jetzt nicht die schönen Weihnachtslieder “weg-cancellen” könne. Manche meinten sogar, dass die Advents-und Weihnachtszeit eher einen besinnlichen Ton einschlagen solle. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass es wichtig sei, sich der eigenen Interpretationsgeschichte bewusst zu bleiben oder sogar aufzuhören, solche Lieder zu singen.

Wo finden wir eine Balance zwischen kritischer Reflexion unserer eigenen antijüdischen Interpretationen und einer besinnlichen adventlichen Stimmung? Wie kann ein Reflektionsgrad geschaffen werden mit dem kein Werteverlust des Advents einhergeht aber die problematische Geschichte auch nicht unangetastet bleibt? Es gibt sicherlich verschiedene Optionen außerhalb der zwei genannten Extremen. Eine Möglichkeit ist eine Andacht in Form des in den USA beliebten „Lessons & Carols“ zu gestalten, in der dann auf verschiedene Lieder, die gesungen werden, eingegangen werden kann. Diese Umsetzung würde allerdings die andächtige Stimmung beeinträchtigen. Eine andere Möglichkeit ist, das Lied mit neuen Worten zu dichten, die die supersessionistischen Züge umgehen. Mary Boys legt z.B. eine amerikanische Alternative vor. Das evangelische Gesangbuch weist auch ein Beispiel auf, in der der gesamte Text verändert wurde und somit die gesamte Emmanuel-Sprache umgeht (EG 19: „O komm, o komm,du Morgenstern.“) Der Nachteil eines alternativen Textes oder einer Umschreibung ist allerdings, dass die kritischen Punkte in der Geschichte denjenigen, die das Lied singen, verborgen bleiben.

In einer Zeit voller interreligiöser Anspannungen ist es unumgehbar, dass auch außerhalb der wissenschaftlichen Sphäre eine gewisse Reflektionsgrundlage geschaffen wird, in der sich Christ*innen mit ihrer eigenen Rezeptionsgeschichte anderer religiösen Traditionen auseinandersetzen. Man muss sich dann allerdings auch die Frage stellen, wie weit man gehen kann, ohne das zu erodieren, was das Eigene so eigen macht.


[1] Siehe Boys, Mary C. Has God Only One Blessing? Judaism as a Source of Christian Self-Understanding. Mahwah, NJ: Paulist Press, 2000. Alternativ kann der Kommentar auch hier eingesehen werden: https://www.bc.edu/content/dam/files/research_sites/cjl/texts/cjrelations/resources/education/OCE_commentary.htm

Domenik Ackermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn im Rahmen des Verbundprojekts zum Transfer Komparativer Theologie in die Gesellschaft. 

#Adventslieder #ChristlicheSelbstwahrnehmung #Reflexion

Tiere in der Theologie? Zur Überwindung der Tiervergessenheit

Theologische Forschung im Bereich der Tiertheologie ist auch innerhalb der theologischen Disziplin häufig noch nicht bekannt. Da Tiere in der Theologie so gut wie bedeutungslos sind, wird sich mit diesen gar nicht erst beschäftigt oder sie werden „vergessen“. Wenn ich erzähle, dass ich im Bereich der Tiertheologie forsche, erkenne ich häufig an der Reaktion meines Gegenübers, dass bis dahin tatsächlich vergessen wurde, dass es ja auch noch Tiere gibt. Dies ist nur eine weitere Bestätigung dafür, dass sogar – oder besonders – die theologischen Disziplinen die Tiervergessenheit in der Theologie nicht bewusst wahrnehmen oder diese so stark naturalisiert wurde, dass sie als Norm gilt und unhinterfragt bleibt. Der Anthropozentrimus in der Theologie ist beispielsweise ein Grund für diese Tiervergessenheit: Der Mensch steht eindeutig im Fokus theologischer Diskurse.

Doch diese Reaktionen auf meine Forschung sind bei den bisherigen Ausrichtungen der Disziplin auch nicht verwunderlich. Schaut man auf jene, im Vergleich zu anderen Themen, wenigen Publikationen, die sich mit Tieren in der Theologie beschäftigen, fällt auf, dass diese häufig apologetisch sind und/oder den Einfluss der christlichen Religion und ihrer Theologie auf den heutigen Umgang mit Tieren weder anerkennen noch hinterfragen. Es verwundert also nicht, dass andere Theolog*innen denken, dass ich zu „Tieren in der Bibel“ forsche, was zunächst nach einem netten Thema klingt. Denn genau das wurde und wird theologisch gerne fokussiert, indem ein biblischer Text beleuchtet wird, in welchem Tiere positiv dargestellt werden. Im Anschluss wird dann erklärt, dass die Tiere auch einen Eigenwert hätten, der in der Regel nicht weiter spezifiziert wird und ohne ethischen Orientierungsrahmen stehen gelassen wird. Nach diesem Schema lassen sich doch einige Beiträge zu Tieren in der Theologie finden.[1] Man findet selten Verantwortungsübernahme für die Denk- und Handlungsmuster, die die Theologie mitgeprägt hat, und das in einem Ausmaß, das schon längst nicht mehr nur religiöse Dimensionen betrifft. Denn eben diese Denk- und Handlungsmuster, die ursprünglich theologisch begründet wurden, sind längst im säkularen Raum angekommen und existieren dort meist ohne, dass die Verstrickung mit Religion(en) sichtbar ist. Denn jede atheistische oder religionsfremde Person kennt das Narrativ der „Krone der Schöpfung“, ohne dieses theologisch oder biblisch einordnen zu können. Doch klar ist zumeist, dass der Mensch wohl höherwertig sein muss. Da wo nicht-religiöse Argumentationen, wie z.B. eine fehlende Vernunftfähigkeit von Tieren nicht mehr greifen, werden religiöse Argumentationen wie die Gottesebenbildlichkeit oder der Herrschaftsauftrag hinzugezogen.[2] Diese fehlende Sichtbarkeit der Verstrickung von (ideologischen) Vorstellungen führt jedoch dazu, dass diese eben auch nicht hinterfragt werden (können). Eine zukunftsfähige Tiertheologie muss die eigene Disziplin teilweise hinterfragen, deren Vorannahmen erst dazu geführt haben, dass Tiere in der Theologie ein „neues Thema“ darstellen. Denn die Kritik von anderen Disziplinen an der Theologie, die durch ihren Blick von außen feststellen, dass die Theologie wenig zum Thema der Mensch-Tier-Beziehung beizutragen hat, ist (jedenfalls angesichts der Fülle apologetischer Beiträge) nicht ganz unberechtigt.

Die Selbstverständlichkeit, mit welcher Tiere aus der Theologie ausgeschlossen werden, spricht für sich. Immer mehr fällt mir auf, wie theologische Vorannahmen bestimmter Theologen unbewusst und unreflektiert übernommen werden oder strukturell und ideell verankert sind. Thomas von Aquins Einfluss auf die Vorstellung, dass Tiere nicht vernunftfähig sind und entsprechend weder ewigkeitsfähig noch erlösungsbedürftig sind, ist auch heute noch erkennbar. Doch leider zumeist unbewusst und entsprechend unreflektiert. Umso wichtiger ist die Frage, wo solche Glaubenssätze herkommen. Denn nur durch das Dekonstruieren bestehender theologischer Vorannahmen ist es möglich, vorherrschende (Macht)Strukturen, wie z.B. das gewaltvolle Mensch-Tier-Verhältnis zu hinterfragen und dieses nicht zu reproduzieren. Die Theologie muss als Disziplin Verantwortung für bestehende (Macht)Verhältnisse übernehmen, die sie zum Teil selbst erschaffen hat.

Das Thema der „Tiere in der Theologie“ ist also kein neues Thema und umfasst nicht nur die Darstellungen von Tieren in der Bibel, die, nebenbei gesagt, deutlich diverser (und teilweise auch gewaltvoller) sind, als es die klassischen Fokussierungen apologetischer Texte darstellen. Gleichzeitig gibt es aber auch biblische Texte, die wichtige Impulse für einen gewaltfreien Umgang mit Tieren bereitstellen, die, außerhalb des Bereichs der Tiertheologie, selten beleuchtet werden. Das Thema der Tiere in der Theologie ist ein Thema, das die Theologie schon lange ausgeblendet und ausgeschlossen hat, sodass es nun „neu“ erscheint. Um den Diskurs über Tiere in der Theologie zukunftsfähig zu gestalten, muss der (naturalisierte) Anthropozentrismus in der Theologie kritisch hinterfragt werden. Außerdem reichen apologetische Ansätze nicht aus, um diesen Anthropozentrismus zu überwinden. Hierfür ist die Tiertheologie essentiell, die auf blinde Flecke in der Theologie insgesamt aufmerksam macht, bestehende Strukturen hinterfragt und neue Deutungshorizonte anbietet.


[1] Eine klare Ausnahme stellt die „Dortmunder Tiertheologie“ dar.

[2] Ach, Johann S.: Das Tier als Mitgeschöpf? In: Horstmann, Simone (Hg.): Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt. Bielefeld: transcript 2021.

Henrike Herdramm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn im Bereich Praktische Theologie.

#Tiertheologie #Tiervergessenheit #Mensch-Tier-Beziehung #Anthropozentrismus

Gazing at the Past, Forgetting the Future!

The conflict in the Middle East has caused a huge split among the population of the countries around the world, not only in western countries, but also in my own home country, Iran. Governments and politicians taking strong one-sided positions as well as retelling one-sided narratives over and over provoke this split further and further. In the face of the conflict in Palestine and Israel today, we have seen how much the talk of the past, of the historical events in that region, is dominant, and how unfortunately the more important, more decisive talk of the future is absent. This has led many important global movements and activists, who used to have an eye to the future of the humanity on this planet to stop looking at the future and gaze at the problems of the past. Although, today, more than any other time in the history, we, the human inhabitants of the Earth, need a unified strong will to overcome the biggest challenges that threaten our specie on the planet; challenges like climate change, global warming, unequal distribution of life-resources among the world population, global hunger, religious fundamentalism, etc. This does not mean that we should overlook or negate our ethnic, religious, and cultural differences, but simply that we, the human beings with all our differences, require a common space that allows Unity in Difference. But how is this space possible in a world which is already divided by naïve one-sidedness based on prejudice and misunderstanding of the other?

My personal experience in the fields of interreligious dialogue and comparative theology has shown that the antidote to any misunderstanding, any prejudice, and any false imagination of the other is humble, but active respectful listening to the other. Now, imagine what would our world look like if this model were applied to the political sphere at a global scale! How would the world political scene change if the conflicts that are causing our nations to split up would be examined in the light of the wisdom and experience of any of the two sides of the conflict. As seen in the interreligious context, the pre-condition to the formation of a common will to make, build and deliver something great together is mutual recognition between groups of different faiths and their empathic attitude towards each other. And exactly in the case of the conflict in the Middle East, in which religion plays an indispensable role, this model of dialogue and cooperation has a lot to offer. Religion, despite what many people might think, does not simply play a destructive role in the conflict between Palestine and Israel, but is probably one of the very few options that have remained to bring an end to this conflict. Both Jews and Muslims believe in the same God, believe in almost the same prophets. The future promised to these prophets and proclaimed in the holy books of both Jews and Muslims belongs, not only to these both groups of faith, but also to all inhabitants of the planet Earth. To consider the other groups than “us” as having a share in the becoming world is the first step toward the formation of the unified will required to make big changes possible.

Our interreligious experience at CTSI and Zekk tells that this requires a lot of cooperation on the part of different groups as well as their patience and empathy towards one another. But who said and thought that it was supposed to be easy? The political application of the academic methods in interreligious dialogue and comparative theology requires a lot of strength, a lot of courage and a lot of maturity on the part of the global society. Exactly at the time that emotional burden on the shoulders of our Palestinian and the Israeli brothers and sisters is so heavy, it is our task, the task of the Muslims and the Jews living in other parts of the globe to direct our energy and resources toward the path of common understanding, sharing our narratives and being willing to listen to the narrative of the other so that this attitude could dominate the whole political sphere.

Dr. Nasrin Bani Assadi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

#conflictinthemiddleeast #interreligiousdialogue #sustainablefuture

„Ich glaube an …“ Lehrkräfte und die Sprache über den eigenen Glauben im Klassenzimmer

„Sie glauben aber nicht wirklich an den ganzen Quatsch, den Sie unterrichten, oder?“

Ich, damals 19 Jahre alt, befinde mich gerade in meinem Eignungs- und Orientierungspraktikum. Ich studiere Deutsch und katholische Religion. Auf die obenstehende Frage, welche mir eine Schülerin im Religionsunterricht stellt, habe ich erst einmal keine richtige Antwort. Nicht, weil ich keinen Glauben habe oder die religiösen Inhalte des Unterrichts nicht vertreten kann, sondern, weil ich im Studium bisher nicht gelernt habe, wie man vor und mit anderen Menschen über seinen Glauben sprechen kann. Ich bin überfordert mit der Situation und kann keine richtige und vor allem zufriedenstellende Antwort geben, woraufhin Gelächter ausbricht.
Mittlerweile habe ich mein Studium abgeschlossen und arbeite als wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Religionsdidaktik an der Universität Paderborn. Die Situation hat mich während meines ganzen Studiums nicht mehr losgelassen.

„Bin ich hier überhaupt richtig, wenn ich noch nicht mal über das sprechen kann, woran ich glaube?“ „Kann ich so überhaupt eine richtige Religionslehrkraft werden?“

Inzwischen verhalte ich mich geübt und selbstbewusst – wahrscheinlich auch, weil ich mir noch klarer über meinen Glauben geworden bin – im sprachlichen Umgang mit meinem Glauben und dessen Vollzug. Damals fehlte mir jedoch noch die richtige Sprache, um darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen.
„Gibt es überhaupt die eine Sprache, um mit anderen, besonders mit Schüler*innen, ins
Gespräch über den persönlichen Glauben zu kommen?“
Mittlerweile habe ich meine eigene Sprache gefunden und kann ohne Probleme meinen
Glauben artikulieren und vollziehen. Wenn mich jedoch andere Personen nach meinem Glauben fragen, gerade wenn sie meinen Glauben infrage stellen, sehe ich mich manchmal noch in die Situation aus dem Eignungs- und Orientierungspraktikum zurückversetzt.

Ich frage mich, ob es anderen angehenden Religionslehrkräften, egal ob im oder nach dem Studium, genauso geht. Von Religionslehrkräften wird im besonderen Maße sowohl von der Kirche als auch im Bildungsplan gefordert, ihren Glauben und ihren Glaubensvollzug authentisch im Religionsunterricht zu bezeugen. Was für mich im katholischen Religionsunterricht schon als große Herausforderung und auch Überforderung wahrgenommen wurde, wird vor dem Hintergrund einer immer pluraler und heterogener werdenden Gesellschaft und Phänomenen wie Individualisierung und Säkularisierung, welche auch immer mehr im Religionsunterricht an Präsenz gewinnen, noch einmal zu einer schwierigeren Anforderung. Ich habe im Studium keine Sprachkompetenz erlernen dürfen, die mich dazu befähigt, über meinen Glauben zu sprechen und mich authentisch zu positionieren. Gerade im Umgang mit Schülerinnen braucht es jedoch eine besondere Sensibilität, seinen Glauben zu artikulieren. Schülerinnen erhalten gerade durch den bezeugten gelebten Glauben der Lehrperson Zugang zu einem existentiellen erfahrungsbezogenem Glaubensvollzug, wodurch auf vorbildhafte Art und Weise der Umgang mit Pluralität, die eigene Standpunktbildung und die Orientierung in einer pluralen Gesellschaft erlernt werden kann.
Aber wie soll ich diesen Zugang herstellen, wenn ich während meines Studiums nicht gelernt habe, wie ich über meinen eigenen Glauben spreche? Wo von Schülerinnen im Unterricht gefordert wird, einen eigenen Standpunkt in religiösen Fragen zu entwickeln, wird dies von Lehrkräften bereits vorausgesetzt. Doch wie kann ich von meinen Schülerinnen verlangen, Position zu beziehen, wenn ich selber im Studium nicht gelernt habe, wie so etwas geht?

Die Positionalität der Lehrperson empfinde ich als einen wichtigen Faktor im Religionsunterricht, um das Innere einer Religion, nämlich den existentiellen Glaubensvollzug, kennenzulernen. Gerade über die Positionalität der Lehrperson kann über rein religionskundliches Wissen hinausgegangen werden, um Schüler*innen eine Orientierungs-, Handlungs- und Dialogfähigkeit im Hinblick auf religiöse Fragestellungen und vor dem Hintergrund einer pluralen Gesellschaft zu vermitteln.
Die Situation des Praktikums war für mich ein Auslöser, sich intensiver mit dem eigenen
Glauben und der Fähigkeit, darüber zu sprechen, auseinanderzusetzen. Nicht jede angehende Religionslehrkraft erfährt solche Auslöser und nicht jede angehende Religionslehrkraft ist nur aufgrund ihrer/seiner Persönlichkeit in der Lage, frei und vor jeder Person Rede und Antwort zu ihrem/seinen Glauben zu stehen.

Man stellt sich dann nur vor, dass sich eine Religionslehrkraft, welche auch nicht gelernt hat, den eigenen Glauben vor Schüler*innen zu bezeugen, in der gleichen Situation wie ich befindet. Nur, dass es diesmal keine Praktikumssituation, sondern eine richtige Unterrichtssituation nach dem Referendariat sein könnte. Um angehende Religionslehrkräfte davor zu bewahren und eine Sprachkompetenz bezüglich des eigenen Glaubens an die Hand zu geben, braucht es während des Studiums Erfahrungsräume, in denen gelernt wird, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Damit Religionslehrkräfte nach dem Studium nicht schweißgebadet in den Religionsunterricht gehen und vor die Frage gestellt werden: „Woran glauben Sie eigentlich?“

Jonas Hüster ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn im Bereich Religionsdidaktik.

#persönlicherGlaube #Religionsunterricht #Religionslehrkraft #Studium

Experience with Multi-Religious Prayer – Room of One.

I believe that prayer is the greatest refuge for a person of faith; even in the midst of human-caused catastrophes, people still seek God’s guidance.

Much may be said about it, but I’d like to offer my own experience at Müster Bonn, where I joined the first multi-religious prayer. It is a bold initiative of CTSI at the University of Bonn and Prof. Klaus Von Stosch. It aims to offer faith communities a space to have collective experience of prayer and a support in their desire for a peaceful and habitable world. Faiths united in their desire for climate concerns and a more peaceful global civilization and.

A multi-religious group prayer appears to be a stylish and trendy concept. However, during my time there, I was reminded of several instances in faith history where loyal communities longed for and banded together for a greater cause and what greater cause could there be than a peaceful, sustainable earth for all lifeforms?

Prayer is perhaps a believer’s last resort. What could be more meaningful than praying for one another? Prayer can be an act of self-interest, but when done for the Other, regardless of kinship or religious beliefs, it becomes something wonderful. Praying is both a private conversation with God and an appropriate means of connecting with oneself. The following verse from the Quran sprang to mind: „And when believers ask you, concerning Me – truly I am near. When the supplicant calls out to Me, I hear him (2:186).

Instances of silence, followed by the chiming of bells and the trickling of water, let me forget the grief and suffering in the present world. My thoughts began to wander as I listened to the Adhan and Psalms. In mystic traditions, it is considered that one can have a wandering mind, but it should not stray unduly. Contemplating the situation, I imagined what might happen if politicians from opposite regions, such as the Middle East, joined us in prayer or had a chance to sit and ponder on a different pathway. When will we get your response my God? I sat and waited.

While we invoked God’s name in German, Arabic, and Hebrew, the overwhelming emotions overtook my spirit and I felt a sense of relief in my heart. The expression of a shared desire for peace in a variety of linguistic forms, such as Frieden, Salam, and Schalom, may aid in the development of a sense of community and harmony while also allowing us to express our concerns about the accelerating rate of lifeform extinction and the effects of climate change.

The Room of One is a possibility; it is a model invitation to chant the name of our creator together. „We pray for our loved ones who perished in the madness of wars, My Lord,“ I mumbled in my heart. I prayed for our deceased relatives, including those we had never met, as well as those who lived in war-torn areas. As I listened intently to the prayers, I noticed emotions of delight and contentment mirrored in their smiles and cheerful eyes, complemented with a quiet and calm ambiance. I understood that while the difficulties that humanity faces may appear complex, they may not be; they may be as simple as having an open heart.

Where is the solution? I was wondering, and then we all sang together from the booklet designed for multireligious prayer, that we should have the courage to inquire, even in difficult circumstances; we should have the courage to ask, even if the response appears distant; we should still ask for forgiveness, even if we feel pious… We should inquire and pray as equals. 

Our hearts contain the answer. 

#Prayer #ClimateChange #Peace #RoomofOne

Dr. Abdul Basit Zafar is a research assistant at the International Center for Comparative Theology and Social Issues (CTSI) of the University of Bonn.

Das Gebet im Room of One findet im Rahmen des vom MRK NRW geförderten Verbundprojekts zum Transfer Komparativer Theologie in die Gesellschaft zwischen der Universität Paderborn und der Universität Bonn statt. Hier finden sich weitere Infos zum wöchentlichen Gebet:

Sterben wollen – Leben müssen – Sterben dürfen?[1] – Gedanken zur Debatte um den assistierten Suizid

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Feiertag und röm.-kath. Hochfest Allerheiligen (lat. Festum Omnium Sanctorum). Traditionell am 1. November begangen, verrät bereits der Name, worum es sich dabei handelt: Die katholische Kirche gedenkt an ihm aller Heiligen, also den bekannten wie auch unbekannten Personen, die ihren Glauben (im Verborgenen) gelebt, verteidigt und die die christliche Botschaft verkündet haben. Dazu gehören auch jene, die nicht offiziell in den Kreis der Heiligen aufgenommen wurden.[2] An Allerheiligen schließt jährlich am 2. November ein zweiter Totengedenktag an, das Fest zu Ehren aller Verstorbenen: Allerseelen. Beide Feste haben ihren Ursprung im Glauben bzw. der Überzeugung, dass durch Jesu Sterben und Auferstehung als Erstlingsgabe auch der eigene Tod nicht das Ende, sondern der Anfang des ewigen Lebens ist.[3]

In der Besinnung auf diese Tage, mit dem Gedenken an die bereits Verstorbenen rücken auch die nach wie vor tabuisierten Themen von Tod und Sterben in den Vordergrund. Gedanken um den eigenen Tod und das Sterben lassen Erinnerungen an die jüngeren und jüngsten Debatten im Deutschen Bundestag zu den Regelungen am Lebensende wach werden: Am 26. Februar 2020 sprach das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid (BVerfGE 153, 182) mit sofortiger Wirkung jedem Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ohne Bedingungen zu. Zugleich wurde der Reformbedarf bekannt gegeben: „Der Staat sei verpflichtet, für die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung dieses Anspruchs zu sorgen.“[4] Dieses Jahr wurde im Bundestag darüber – teils heftig – debattiert und noch vor der Sommerpause dann zwei Vorschläge eingereicht, die am 6. Juli zur Abstimmung gestellt wurden. Die beiden Abgeordneten der SPD und CDU, Lars Castellucci und Ansgar Heveling, schlugen eine Regelung ähnlich dem Schwangerschaftsabbruch vor, nämlich Sterbehilfe grundsätzlich unter Strafe zu stellen und diese nur in Ausnahmefällen zu erlauben. Der zweite Vorschlag um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast und die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr war liberaler: Sterbewilligen solle der Zugang zu tödlichen Medikamenten ermöglicht werden, nachdem sie eine (ergebnisoffene) Beratung durch eine anerkannte Beratungsstelle in Anspruch genommen haben. Letztlich sind beide Vorschläge im Bundestag gescheitert.

Dass auch drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch kein Gesetz zum assistierten Suizid verabschiedet worden ist, zeigt neben den Debatten im Bundestag an, wie kontrovers das Thema diskutiert wird und wie stark professionelle Haltung mit persönlicher Einstellung verknüpft ist. Im Kern geht es um eine Auseinandersetzung, in der das zugrunde liegende Menschenbild eine zentrale Rolle spielt: Verstehe ich (verkürzt und vereinfacht gesagt) den Menschen entsprechend dem Menschenbild der Moderne ausschließlich als autonomes Subjekt, das selbstbestimmt auch über seinen Tod verfügen kann, oder sehe ich ihn dem christlichen Verständnis entsprechend als Beziehungswesen – auch in seiner transzendenten Dimension. Mit letzterem verbindet sich ein Gottesbild, das Gott als Schöpfergott versteht (vgl. u.a. Gen 1; 2), der den Menschen als Imago Dei, als Bild Gottes, geschaffen hat (vgl. Gen 1,26f.) und für diesen sorgt (vgl. Gen 1,29). Haucht Gott dem Menschen in Gen 2,7 Lebensatem ein, so wird überdies der Geschenkcharakter des Lebens deutlich. Als Geschenk Gottes an den Menschen, zu dem Gott in Beziehung tritt, gilt es das Leben zu schützen und zu wahren.[5] Als Beziehungswesen ist der Mensch zudem angewiesen auf seine Mitmenschen (vgl. Gen 2,21-23).

Darin, den Mitmenschen mitzudenken, liegt eine Stärke dieses Menschenbildes in der Diskussion um den assistierten Suizid. Denn über die Frage der Selbsttötung hinaus liegt eine Problematik m.E. auch darin, diejenigen nicht zu vergessen, denen die Suizidassistenz zugemutet wird: Wie können Pflegekräfte und Angehörige damit in ihrem Leben zurechtkommen? Mascha Kaléko verdichtet in Memento[6]: Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,/ Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind./ Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? […] Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,/ Doch mit dem Tod der andern muß man leben. Und, so ist in diesem Sinne hinzuzufügen: mit dem Tod derer, denen ich Beihilfe geleistet habe.

Unter Berücksichtigung dessen wäre anzufragen, ob das Menschenbild der Moderne den Menschen nicht zu sehr darauf reduziert, ein autonomes Subjekt zu sein… So oder so tritt ein m.E. zentraler Aspekt in der Debatte noch zu wenig in den Fokus: die Suizid-Prävention. Im oben genannten Vorschlag von Künast und Helling-Plahr wird die ergebnisoffene Beratung vorgeschlagen, die jedoch erst an dem Punkt einsetzt, wenn ein Suizidvorhaben bereits (fix) besteht. Präventive Maßnahmen werden nicht in den Blick genommen; z.B. Sozialstationen mit ihren Hilfswerken ebenso zu stärken wie die zumeist auf Spenden angewiesenen Hospize und Hospizdienste, die palliativen Hilfen, die Trauerarbeit u.a., um stärker vorbeugend tätig werden zu können. Zu diesem Schluss kommt auch die Ärztekammer Hamburg, die „bei beiden Vorschlägen ausreichende Maßnahmen zur Suizid-Prävention [vermisst]. ‚Sowohl der restriktive Ansatz der Gruppe um die Abgeordneten Castellucci und Heveling als auch der offenere Vorschlag von Künast und Helling-Plahr äußern sich nur unzureichend zur Suizidprävention. Das ist umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass die überwiegende Mehrzahl der Suizide hierzulande Folge einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, sind. Flächendeckende und gut erreichbare Präventionsangebote müssten daher eigentlich vor einer Neuregelung der Sterbehilfe aufgebaut werden, mindestens aber parallel dazu.‘“[7]

[1] Titel und Thema der Veranstaltung des Instituts für Kirche und Gesellschaft an der Evangelischen Akademie Villigst am 20.-21. Oktober 2023.

[2] Art. Allerheiligen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerheiligen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[3] Art. Allerseelen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerseelen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[4] Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 828/21, Abs. 4; verfügbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/11/rk20211103_2bvr082821.html [Stand: 14.10.23].

[5] Dementsprechend positioniert sich der Fuldaer Bischof Michael Gerber: „Der assistierte Suizid ist für uns auf der Basis unseres Gottes- und Menschenbildes keine Option“, verfügbar unter: https://katholisch.de/artikel/45910-suizidbeihilfe-debatte-bischof-baetzing-fordert-neues-schutzkonzept [Stand: 10.10.23].

[6] Mascha Kaléko, Verse für Zeitgenossen, München 42017, 12.

[7] Bundesärztekammer, Assistierter Suizid: Prävention sollte im Vordergrund stehen (Hamburg, 6.7.23), verfügbar unter:

https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/assistierter-suizid-praevention-sollte-im-vordergrund-stehen [Stand: 10.10.23].

Bild von Pixabay

#Assistierter Suizid #Menschenbild #Suizidprävention

Dr. Saskia Breuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Katholischen Institut der Universität Paderborn im Bereich Biblische Theologie.

Israel und Hamas: Solidarität und kritische Reflexion in Zeiten von Krieg und Terror

Erneut erschüttert ein Ereignis die Welt: der brutale Angriff der radikalislamischen Hamas auf die Zivilbevölkerung in Israel. Kinder, Alte, Männer und Frauen in Israel wurden wahllos und vorsätzlich auf grausame Weise verschleppt, verletzt und getötet. Und im Zuge der militärischen Reaktion Israels im Gazastreifen zahlen, wie auch schon beim Angriff der Hamas, vor allem unschuldige Zivilist*innen den Preis für die Vergeltungsmaßnahmen. Während die meisten Menschen zutiefst von den grausamen Ereignissen und den zahlreichen Opfern in Israel und Palästina betroffen sind, scheinen andere wiederum die Taten, etwa in Berlin-Neukölln, zu bejubeln. „Wer diesen Terror bejubelt, der entwürdigt nicht nur die Opfer, der tritt auch die Menschenwürde und unsere deutsche Verfassung mit Füßen. Solches Verhalten entsetzt mich, es widert mich an“, betont Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mehr denn je sind die weltweiten Gesellschaften und somit auch die Theologien angesichts des belastenden Erbes nach Auschwitz und der zunehmenden weltweiten Krisen und Kriege herausgefordert, einerseits Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit in ihre Diskurse und ihr gesellschaftliches, politisches und religiöses Handeln miteinzubeziehen, und andererseits die aktuellen Ereignisse im ständigen „Eingedenken des Leids der anderen“ kritisch zu reflektieren und Stellung zu beziehen. „In dieser schweren Zeit steht Deutschland fest an der Seite Israels. Darauf kann sich das israelische Volk, können sich die Jüdinnen und Juden in Deutschland verlassen“, erklärt Steinmeier in seiner Rede weiter.

Unterschiedliche Religionen wurden über die Jahrhunderte hindurch bis in die heutige Zeit hinein wiederholt zur Legitimation von Gewalt und Krieg missbraucht und Kriege aus machtpolitischen Interessen vermeintlich im Namen Gottes geführt. Dabei liegt ihnen eigentlich das Potential der Friedenstiftung inne, wie Markus A. Weingardt von der Stiftung „Weltethos“ in seiner Untersuchung „Frieden durch Religion? Das Spannungsverhältnis zwischen Religion und Politik“ aufzeigt: „Man muss weder religiös sein, noch muss man Religionen mögen, um deren friedenspolitische Beiträge und Potenziale anzuerkennen. Wenn Religionen aber solche Friedenspotenziale haben, dann muss uns daran gelegen sein, diese auch wirklich im Sinne des Friedens und zum Wohle der Menschen aufzugreifen und einzubinden in die Politik.“ Auch der Arbeit, die das Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften im Sinne eines interreligiösen Miteinanders und von Begegnungen auf Augenhöhe leistet, kommt daher insbesondere in diesen Zeiten eine unermessliche Bedeutung zu.

Die jüngsten Ereignisse haben uns auch persönlich sehr erschüttert, und wir haben gemerkt, dass es vielen Mitmenschen dabei nicht anders geht. Wir gehören der Generation Y an. Ein prägendes Merkmal ist: Wir können uns daran erinnern, wo wir waren und was wir getan haben, als sich der Terroranschlag vom 11. September 2001 als das singuläre Kriegs- und Krisenereignis unserer Generation ereignete. Es war der Auftakt eines Jahrzehnts, in dem auch noch weitere Krisen folgten, aber die heutigen Zeiten fühlen sich noch einmal anders an, indem die Abstände immer kürzer werden. Der Ausbruch einer mehrjährigen Pandemie, immer stärkere Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse als Folgen des menschengemachten Klimawandels, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Wirtschaftskrise, das Wiedererstarken des Rechtsextremismus und nun der Angriff auf Israel: Es ist eine riesige Fülle an negativen Ereignissen, die allein in den vergangenen drei Jahren über uns kamen. Nicht immer können wir das allein oder im Gespräch mit Verwandten, Bekannten und Freund*innen verarbeiten. Daher sei an dieser Stelle auch noch einmal auf die Telefonseelsorgeangebote der drei Religionen verwiesen:

Christliche Telefonseelsorge: 0800 1110111

Jüdische Telefonseelsorge: 0800 0001642

Muslimische Telefonseelsorge: 030 443509821

  • Bild von Pixabay.

Stephanie Lerke ist Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Abteilung Theologie an der Universität Bielefeld und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn und Lehrbeauftragter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

#Israel #Hamas #Gaza #Frieden

An Academic Lament

In the TV show FRIENDS. Ross, an academic, is shocked to learn that the section of the library where couples go to enjoy a private romantic moment (side query: does the local library at Paderborn also have such a spot?) is where his book is stacked. Ross decides to patrol this section to guard his book from the over-amorous. Then, something even more shocking happens. Ross finds out that someone has turned up not for a romantic assignation but to actually read his book. Unable to contain his joy, Ross cries out:

“You’re the person who checked out my book?”  

Academic publications are an example of what is most broken in our academic system. Universities need to obtain funding in order to survive. Governments and funding bodies cannot be seen to give out large sums of money without some sort of deliverable and quantifiable results. The compromise is to make academic publications one of the metrics by which universities justify obtaining money from funding bodies and funding bodies justify awarding money to universities. To ensure some measure of quality, various standards are set. One might have to publish in a reputable academic peer reviewed journal, or show the public impact of one’s publication. But these standards are insufficient by themselves to determine the quality of a published work. A dysfunctional state of affairs thus arises. Arbitrary conventions of academic style, such as whether or not a comma is to be placed after the title of the work, will delay or prevent the publication of otherwise fascinating and original research. On the other hand, some academics get away with re-working the same set of ideas several times, thereby scoring very highly on the “productivity” chart, only because they have mastered the art of getting through peer reviews. But in the same ways that scoring the highest marks in an exam does not necessarily coincide with having the best understanding of one’s subject, a high rate of publishing does not necessarily coincide with having the most original, interesting or beautifully expressed ideas in a field of study. In fact, publishing in the most prestigious journals often means writing in a style that is inaccessible to most people. The scandal of inaccessibility is compounded as most prestigious journals are owned by corporations who prohibit the public from freely accessing scholarly publications that have been publicly funded. Universities and institutions are the only ones usually able and willing to pay for access to these platforms. This requires yet more money. Obtaining this money requires appealing to more funders who insist on only awarding money to institutions that can generate a high number of publications. And so the joke continues. Until, like Ross from FRIENDS, an academic is astonished to learn that someone has actually checked out their book. Although as any student knows, checking out a book is not the same as reading it..

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#education #research #university #academics

Dr. Abdul Rahman Mustafa ist Postdoktorand am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn.

Heute arbeiten, um später zu leben

Das Telefon klingelt. Ich fange an zu raten, wer mich auf dem Festnetztelefon anrufen könnte. Bingo, es ist meine Bekannte, die Einzige, die mich noch auf diesem Weg erreicht. Diese Frau, jenseits des 80. Lebensjahres, körperlich und geistig fit wie ein Turnschuh und immer noch politisch sehr engagiert, teilt mir sofort ihr Anliegen mit: „Da ist ja schrecklich! Wir brauchen dringend ein Denkmal, habe ich doch schon immer gesagt!“ Ich ahne schon, dass sie das Buch Kartonwand von Fatih Çevikkollu gelesen hat. Ich vermute, dass es wieder einmal ein längeres Gespräch mit ihr werden wird. Fatih Çevikollu thematisiert in seinem jüngst erschienenen Buch das Trauma der Arbeitsmigration nach Deutschland am Beispiel seiner eigenen Familie. Wie viele Gastarbeiter haben seine Eltern den Traum, hier so viel zu verdienen, dass sie sich in der Türkei eine Existenz aufbauen können. Den Traum symbolisiert die Kartonwand: Türkeistämmige Menschen der ersten Generation hatten zu Hause eine Wand mit Kartons, in der sie die Einkäufe, die man mit in die Türkei nehmen wollte, aufbewahrten: Elektrogeräte, Besteck, Gläser, Bettwäsche und vieles mehr. Alles neu gekauft und noch originalverpackt. Die Wohnung in der Türkei sollte schön sein, fast luxuriös. Die schönen Dinge im Karton gelagert für den Traum von der Rückkehr. Der triste Alltag hingegen bestand nur aus Arbeiten und Funktionieren. Von dieser Pragmatik waren auch die Wohnungen geprägt. Schmucklose, geschenkte Möbelstücke, ohne jegliche Ästhetik zusammengestellt.

Die Kartonwand symbolisierte für viele Gastarbeiter all die Hoffnungen, Sehnsüchte, Träume und Wünsche, ein Stück Paradies auf der Heimaterde. Für ihr Paradies mussten sie sich in Geduld üben: Fern von der Herkunftsfamilie und allein in der Fremde sein. Als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Rassismus erfahren. In kleinen Wohnungen leben, damit sie bezahlbar bleiben. ‚Kofferkinder‘ wurden ihre Kinder genannt, die in die Türkei zu den Verwandten zum Teil schon im Säuglingsalter geschickt wurden, damit die Mütter auch arbeiten können. Dass die Trennung eine psychische Belastung für Mutter und Kind sein kann, stand nicht auf der Tagesordnung. 

Das Schicksal seiner Familie hat mich sehr berührt und nachdenklich darüber gemacht, inwieweit diese Familientragödie auch exemplarisch für viele nach Deutschland eingewanderte Familien ist? Das Buch weist darauf hin, dass die Generation der Gastarbeiter nie eine Anerkennung für ihre Leistungen erhalten hat. Die schönsten Jahre ihres Lebens hat sie damit verbracht, Deutschland aufzubauen und in die Sozialkassen einzuzahlen. 

Migration bedeutet immer Stress, sagt der Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani. Beim Lesen des Buches wurde mir bewusst, dass Çevikkollu auf eine längst überfällige Debatte anstoßen kann. Zum einen ist es die Geschichte von der Großelterngeneration vieler muslimischer Kinder und Jugendlicher. Zum anderen haben wir durch die aktuelle Migration der letzten zehn Jahre sicherlich auch jüngere Familien, die unter ähnlichen Bedingungen leben oder ein Leben in ihrem Herkunftsland erträumen. Es ist schon längst überfällig, migrationsspezifische Themen in den schulischen Unterricht, auch in den Religionsunterricht aufzunehmen. 

Um zurück zu meinem Gespräch vom Anfang zu kommen: Meine Stadt plant tatsächlich, den Gastarbeitern ein Denkmal zu setzen. Das kann der Anfang der Würdigung ihrer Leistungen für unser Land sein.

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#Kartonwand #Gastarbeiter #Migration #Kofferkinder

Naciye Kamcili-Yildiz ist Juniorprofessorin für Islamische Religionspädagogik und ihre Fachdidaktik am Paderborner Institut für Islamische Theologie der gleichnamigen Universität.

Schöpfungszeit – Zeit für die Schöpfung

Ein heißer Sommer nähert sich seinem Ende. Diese Septemberwoche ist bestimmt von ambivalenten Erfahrungen – geschenkten Spätsommertagen auf der einen Seite, zerstörerischen Wetterkapriolen auf der anderen Seite. Die diesjährigen Hitzewellen, Brände hervorrufenden Dürreperioden und extremen Starkregen mit Überflutungen wurden mit „apokalyptischen“ Szenarien verglichen. Folgen des Klimawandels? Die Dringlichkeit des Klimaschutzes durch gesamtgesellschaftliche und individuelle Verhaltensänderungen tritt damit besonders drastisch vor Augen.

Der September firmiert im kirchlichen Kalendarium als „Schöpfungszeit“: Im Kirchenjahr wird damit der Zeitraum zwischen dem 1. September und dem 4. Oktober (Gedenktag des Franziskus von Assisi)[1] bezeichnet: Ausgerufen von der dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung der Kirchen 2007 im rumänischen Sibiu, erinnert die ökumenische Zeit der Schöpfung daran, sich auf die Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung zu besinnen. 

Die Initiative kam von orthodoxer Seite: Der 1. September gilt in den orthodoxen Kirchen als der Tag der Schöpfung. Bereits 1989 hatte der damalige Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Dimitrios I. (1914–1991), „die gesamte christliche Welt“ eingeladen, „jedes Jahr an diesem Tag den Schöpfer aller Dinge anzurufen und anzuflehen, ihm Dank zu sagen für die grosse Gabe der Schöpfung und ihn um ihre Bewahrung und ihr Heil zu bitten“. Mit Rekurs auf die Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel mahnte er: „Indem der Mensch seine Sonderstellung in der Schöpfung und Gottes Auftrag ‚über die Erde zu herrschen (Genesis 1,28)‘ missbraucht, hat er die Welt an den Rand apokalyptischer Selbstzerstörung geführt …“[2]

Hier zeigen sich die unterschiedlichen Lesarten biblischer Schöpfungsnarrative in der Rezeptionsgeschichte. Wie lässt sich die priesterschriftliche Schöpfungserzählung im ersten Kapitel der Genesis gegenüber traditionellen Deutungsmustern auslegen? Die sich aktuell potenzierenden Krisen rufen nach einer Kritik und Veränderung überkommener Logiken im „Anthropozän“, das sich mit aus der Bibel abgeleiteten anthropozentrischen Überlegenheitsansprüchen legitimierte. 

Im Horizont altorientalischer Vorstellungswelten verweist die imago Dei in Gen 1,26–28 auf ein „demokratisiertes“ Herrscherideal in Repräsentanz Gottes („Gottesbildlichkeit“ des Menschen gleichsam als Statthalterschaft): Das als königliche Herrschaft – die nun der Menschheit kollektiv übertragen wird – verbildlichte dominium terrae ist nicht als Freibrief zur Ausbeutung der Schöpfung und zur Zerstörung von gemeinschaftlich überantworteten Ressourcen zu verstehen, sondern verkündet einen Dauerauftrag zum Einsatz für die Vielfalt der Schöpfung. Anstatt von Dominanz die Verbunden-, Verwoben- und Verwiesenheit in der gemeinsamen Kreatürlichkeit im Schöpfungskollektiv zu sehen, bringt einen notwendigen Perspektivenwechsel in der handlungsleitenden Interpretation.

In seiner Botschaft anlässlich des Weltgebetstages für die Schöpfung am 1. September (seit 2015 im katholischen Kirchenkalender verankert) forderte Papst Franziskus zu „ökologischer Umkehr“ auf, sich „an die Seite der Opfer von Umwelt- und Klimaungerechtigkeit zu stellen und diesen sinnlosen Krieg gegen die Schöpfung zu beenden“.[3] In einer gemeinsamen Erklärung zum Auftakt der „Schöpfungszeit“ riefen auch der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) zur Beteiligung auf: Eine gerechtere und nachhaltigere Lebensweise für die gesamte Menschheit hänge vom Engagement aller für das „gemeinsame Haus“ ab.[4] Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland lud am 1. September zur zentralen Feier des diesjährigen Ökumenischen Tages der Schöpfung (seit 2010 am ersten Freitag im September) in Bremen ein.

Am heutigen Freitag, dem 15. September setzen verschiedene Klimaschutzbewegungen, Religionsgemeinschaften (z.B. Religions For Future in Wien) und Jugendorganisationen mit einem „globalen Klimastreik“ ein öffentliches Zeichen.

Schöpfungszeit als interkonfessionelles (und interreligiöses) Programm – es ist höchste Zeit für die Schöpfung.


[1] In der EKD der 3. Oktober (Todestag).

[2] Europäisches Christliches Umweltnetz [ECEN], Eine Zeit für Gottes Schöpfung. Ein Aufruf an die europäischen Kirchen, hg. v. Isolde Schönstein und Lukas Vischer, Genf 2006, 10–11; online zugänglich unter: 2006_ecen_schoepfungszeit.pdf (unibe.ch).

[3] Papstbotschaft zum Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung: Wortlaut – Vatican News.

[4] Kirchen in Europa: Klima braucht mehr politischen Einsatz – Vatican News.


#Schöpfungszeit #Klimaschutz #biblische Schöpfungserzählung

Prof. Dr. Andrea Taschl-Erber verantwortet den Bereich Biblische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.