„Ich glaube an …“ Lehrkräfte und die Sprache über den eigenen Glauben im Klassenzimmer

„Sie glauben aber nicht wirklich an den ganzen Quatsch, den Sie unterrichten, oder?“

Ich, damals 19 Jahre alt, befinde mich gerade in meinem Eignungs- und Orientierungspraktikum. Ich studiere Deutsch und katholische Religion. Auf die obenstehende Frage, welche mir eine Schülerin im Religionsunterricht stellt, habe ich erst einmal keine richtige Antwort. Nicht, weil ich keinen Glauben habe oder die religiösen Inhalte des Unterrichts nicht vertreten kann, sondern, weil ich im Studium bisher nicht gelernt habe, wie man vor und mit anderen Menschen über seinen Glauben sprechen kann. Ich bin überfordert mit der Situation und kann keine richtige und vor allem zufriedenstellende Antwort geben, woraufhin Gelächter ausbricht.
Mittlerweile habe ich mein Studium abgeschlossen und arbeite als wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Religionsdidaktik an der Universität Paderborn. Die Situation hat mich während meines ganzen Studiums nicht mehr losgelassen.

„Bin ich hier überhaupt richtig, wenn ich noch nicht mal über das sprechen kann, woran ich glaube?“ „Kann ich so überhaupt eine richtige Religionslehrkraft werden?“

Inzwischen verhalte ich mich geübt und selbstbewusst – wahrscheinlich auch, weil ich mir noch klarer über meinen Glauben geworden bin – im sprachlichen Umgang mit meinem Glauben und dessen Vollzug. Damals fehlte mir jedoch noch die richtige Sprache, um darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen.
„Gibt es überhaupt die eine Sprache, um mit anderen, besonders mit Schüler*innen, ins
Gespräch über den persönlichen Glauben zu kommen?“
Mittlerweile habe ich meine eigene Sprache gefunden und kann ohne Probleme meinen
Glauben artikulieren und vollziehen. Wenn mich jedoch andere Personen nach meinem Glauben fragen, gerade wenn sie meinen Glauben infrage stellen, sehe ich mich manchmal noch in die Situation aus dem Eignungs- und Orientierungspraktikum zurückversetzt.

Ich frage mich, ob es anderen angehenden Religionslehrkräften, egal ob im oder nach dem Studium, genauso geht. Von Religionslehrkräften wird im besonderen Maße sowohl von der Kirche als auch im Bildungsplan gefordert, ihren Glauben und ihren Glaubensvollzug authentisch im Religionsunterricht zu bezeugen. Was für mich im katholischen Religionsunterricht schon als große Herausforderung und auch Überforderung wahrgenommen wurde, wird vor dem Hintergrund einer immer pluraler und heterogener werdenden Gesellschaft und Phänomenen wie Individualisierung und Säkularisierung, welche auch immer mehr im Religionsunterricht an Präsenz gewinnen, noch einmal zu einer schwierigeren Anforderung. Ich habe im Studium keine Sprachkompetenz erlernen dürfen, die mich dazu befähigt, über meinen Glauben zu sprechen und mich authentisch zu positionieren. Gerade im Umgang mit Schülerinnen braucht es jedoch eine besondere Sensibilität, seinen Glauben zu artikulieren. Schülerinnen erhalten gerade durch den bezeugten gelebten Glauben der Lehrperson Zugang zu einem existentiellen erfahrungsbezogenem Glaubensvollzug, wodurch auf vorbildhafte Art und Weise der Umgang mit Pluralität, die eigene Standpunktbildung und die Orientierung in einer pluralen Gesellschaft erlernt werden kann.
Aber wie soll ich diesen Zugang herstellen, wenn ich während meines Studiums nicht gelernt habe, wie ich über meinen eigenen Glauben spreche? Wo von Schülerinnen im Unterricht gefordert wird, einen eigenen Standpunkt in religiösen Fragen zu entwickeln, wird dies von Lehrkräften bereits vorausgesetzt. Doch wie kann ich von meinen Schülerinnen verlangen, Position zu beziehen, wenn ich selber im Studium nicht gelernt habe, wie so etwas geht?

Die Positionalität der Lehrperson empfinde ich als einen wichtigen Faktor im Religionsunterricht, um das Innere einer Religion, nämlich den existentiellen Glaubensvollzug, kennenzulernen. Gerade über die Positionalität der Lehrperson kann über rein religionskundliches Wissen hinausgegangen werden, um Schüler*innen eine Orientierungs-, Handlungs- und Dialogfähigkeit im Hinblick auf religiöse Fragestellungen und vor dem Hintergrund einer pluralen Gesellschaft zu vermitteln.
Die Situation des Praktikums war für mich ein Auslöser, sich intensiver mit dem eigenen
Glauben und der Fähigkeit, darüber zu sprechen, auseinanderzusetzen. Nicht jede angehende Religionslehrkraft erfährt solche Auslöser und nicht jede angehende Religionslehrkraft ist nur aufgrund ihrer/seiner Persönlichkeit in der Lage, frei und vor jeder Person Rede und Antwort zu ihrem/seinen Glauben zu stehen.

Man stellt sich dann nur vor, dass sich eine Religionslehrkraft, welche auch nicht gelernt hat, den eigenen Glauben vor Schüler*innen zu bezeugen, in der gleichen Situation wie ich befindet. Nur, dass es diesmal keine Praktikumssituation, sondern eine richtige Unterrichtssituation nach dem Referendariat sein könnte. Um angehende Religionslehrkräfte davor zu bewahren und eine Sprachkompetenz bezüglich des eigenen Glaubens an die Hand zu geben, braucht es während des Studiums Erfahrungsräume, in denen gelernt wird, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Damit Religionslehrkräfte nach dem Studium nicht schweißgebadet in den Religionsunterricht gehen und vor die Frage gestellt werden: „Woran glauben Sie eigentlich?“

Jonas Hüster ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn im Bereich Religionsdidaktik.

#persönlicherGlaube #Religionsunterricht #Religionslehrkraft #Studium

Experience with Multi-Religious Prayer – Room of One.

I believe that prayer is the greatest refuge for a person of faith; even in the midst of human-caused catastrophes, people still seek God’s guidance.

Much may be said about it, but I’d like to offer my own experience at Müster Bonn, where I joined the first multi-religious prayer. It is a bold initiative of CTSI at the University of Bonn and Prof. Klaus Von Stosch. It aims to offer faith communities a space to have collective experience of prayer and a support in their desire for a peaceful and habitable world. Faiths united in their desire for climate concerns and a more peaceful global civilization and.

A multi-religious group prayer appears to be a stylish and trendy concept. However, during my time there, I was reminded of several instances in faith history where loyal communities longed for and banded together for a greater cause and what greater cause could there be than a peaceful, sustainable earth for all lifeforms?

Prayer is perhaps a believer’s last resort. What could be more meaningful than praying for one another? Prayer can be an act of self-interest, but when done for the Other, regardless of kinship or religious beliefs, it becomes something wonderful. Praying is both a private conversation with God and an appropriate means of connecting with oneself. The following verse from the Quran sprang to mind: „And when believers ask you, concerning Me – truly I am near. When the supplicant calls out to Me, I hear him (2:186).

Instances of silence, followed by the chiming of bells and the trickling of water, let me forget the grief and suffering in the present world. My thoughts began to wander as I listened to the Adhan and Psalms. In mystic traditions, it is considered that one can have a wandering mind, but it should not stray unduly. Contemplating the situation, I imagined what might happen if politicians from opposite regions, such as the Middle East, joined us in prayer or had a chance to sit and ponder on a different pathway. When will we get your response my God? I sat and waited.

While we invoked God’s name in German, Arabic, and Hebrew, the overwhelming emotions overtook my spirit and I felt a sense of relief in my heart. The expression of a shared desire for peace in a variety of linguistic forms, such as Frieden, Salam, and Schalom, may aid in the development of a sense of community and harmony while also allowing us to express our concerns about the accelerating rate of lifeform extinction and the effects of climate change.

The Room of One is a possibility; it is a model invitation to chant the name of our creator together. „We pray for our loved ones who perished in the madness of wars, My Lord,“ I mumbled in my heart. I prayed for our deceased relatives, including those we had never met, as well as those who lived in war-torn areas. As I listened intently to the prayers, I noticed emotions of delight and contentment mirrored in their smiles and cheerful eyes, complemented with a quiet and calm ambiance. I understood that while the difficulties that humanity faces may appear complex, they may not be; they may be as simple as having an open heart.

Where is the solution? I was wondering, and then we all sang together from the booklet designed for multireligious prayer, that we should have the courage to inquire, even in difficult circumstances; we should have the courage to ask, even if the response appears distant; we should still ask for forgiveness, even if we feel pious… We should inquire and pray as equals. 

Our hearts contain the answer. 

#Prayer #ClimateChange #Peace #RoomofOne

Dr. Abdul Basit Zafar is a research assistant at the International Center for Comparative Theology and Social Issues (CTSI) of the University of Bonn.

Das Gebet im Room of One findet im Rahmen des vom MRK NRW geförderten Verbundprojekts zum Transfer Komparativer Theologie in die Gesellschaft zwischen der Universität Paderborn und der Universität Bonn statt. Hier finden sich weitere Infos zum wöchentlichen Gebet:

Sterben wollen – Leben müssen – Sterben dürfen?[1] – Gedanken zur Debatte um den assistierten Suizid

Wir nähern uns mit großen Schritten dem Feiertag und röm.-kath. Hochfest Allerheiligen (lat. Festum Omnium Sanctorum). Traditionell am 1. November begangen, verrät bereits der Name, worum es sich dabei handelt: Die katholische Kirche gedenkt an ihm aller Heiligen, also den bekannten wie auch unbekannten Personen, die ihren Glauben (im Verborgenen) gelebt, verteidigt und die die christliche Botschaft verkündet haben. Dazu gehören auch jene, die nicht offiziell in den Kreis der Heiligen aufgenommen wurden.[2] An Allerheiligen schließt jährlich am 2. November ein zweiter Totengedenktag an, das Fest zu Ehren aller Verstorbenen: Allerseelen. Beide Feste haben ihren Ursprung im Glauben bzw. der Überzeugung, dass durch Jesu Sterben und Auferstehung als Erstlingsgabe auch der eigene Tod nicht das Ende, sondern der Anfang des ewigen Lebens ist.[3]

In der Besinnung auf diese Tage, mit dem Gedenken an die bereits Verstorbenen rücken auch die nach wie vor tabuisierten Themen von Tod und Sterben in den Vordergrund. Gedanken um den eigenen Tod und das Sterben lassen Erinnerungen an die jüngeren und jüngsten Debatten im Deutschen Bundestag zu den Regelungen am Lebensende wach werden: Am 26. Februar 2020 sprach das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid (BVerfGE 153, 182) mit sofortiger Wirkung jedem Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ohne Bedingungen zu. Zugleich wurde der Reformbedarf bekannt gegeben: „Der Staat sei verpflichtet, für die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung dieses Anspruchs zu sorgen.“[4] Dieses Jahr wurde im Bundestag darüber – teils heftig – debattiert und noch vor der Sommerpause dann zwei Vorschläge eingereicht, die am 6. Juli zur Abstimmung gestellt wurden. Die beiden Abgeordneten der SPD und CDU, Lars Castellucci und Ansgar Heveling, schlugen eine Regelung ähnlich dem Schwangerschaftsabbruch vor, nämlich Sterbehilfe grundsätzlich unter Strafe zu stellen und diese nur in Ausnahmefällen zu erlauben. Der zweite Vorschlag um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast und die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr war liberaler: Sterbewilligen solle der Zugang zu tödlichen Medikamenten ermöglicht werden, nachdem sie eine (ergebnisoffene) Beratung durch eine anerkannte Beratungsstelle in Anspruch genommen haben. Letztlich sind beide Vorschläge im Bundestag gescheitert.

Dass auch drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch kein Gesetz zum assistierten Suizid verabschiedet worden ist, zeigt neben den Debatten im Bundestag an, wie kontrovers das Thema diskutiert wird und wie stark professionelle Haltung mit persönlicher Einstellung verknüpft ist. Im Kern geht es um eine Auseinandersetzung, in der das zugrunde liegende Menschenbild eine zentrale Rolle spielt: Verstehe ich (verkürzt und vereinfacht gesagt) den Menschen entsprechend dem Menschenbild der Moderne ausschließlich als autonomes Subjekt, das selbstbestimmt auch über seinen Tod verfügen kann, oder sehe ich ihn dem christlichen Verständnis entsprechend als Beziehungswesen – auch in seiner transzendenten Dimension. Mit letzterem verbindet sich ein Gottesbild, das Gott als Schöpfergott versteht (vgl. u.a. Gen 1; 2), der den Menschen als Imago Dei, als Bild Gottes, geschaffen hat (vgl. Gen 1,26f.) und für diesen sorgt (vgl. Gen 1,29). Haucht Gott dem Menschen in Gen 2,7 Lebensatem ein, so wird überdies der Geschenkcharakter des Lebens deutlich. Als Geschenk Gottes an den Menschen, zu dem Gott in Beziehung tritt, gilt es das Leben zu schützen und zu wahren.[5] Als Beziehungswesen ist der Mensch zudem angewiesen auf seine Mitmenschen (vgl. Gen 2,21-23).

Darin, den Mitmenschen mitzudenken, liegt eine Stärke dieses Menschenbildes in der Diskussion um den assistierten Suizid. Denn über die Frage der Selbsttötung hinaus liegt eine Problematik m.E. auch darin, diejenigen nicht zu vergessen, denen die Suizidassistenz zugemutet wird: Wie können Pflegekräfte und Angehörige damit in ihrem Leben zurechtkommen? Mascha Kaléko verdichtet in Memento[6]: Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,/ Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind./ Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? […] Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,/ Doch mit dem Tod der andern muß man leben. Und, so ist in diesem Sinne hinzuzufügen: mit dem Tod derer, denen ich Beihilfe geleistet habe.

Unter Berücksichtigung dessen wäre anzufragen, ob das Menschenbild der Moderne den Menschen nicht zu sehr darauf reduziert, ein autonomes Subjekt zu sein… So oder so tritt ein m.E. zentraler Aspekt in der Debatte noch zu wenig in den Fokus: die Suizid-Prävention. Im oben genannten Vorschlag von Künast und Helling-Plahr wird die ergebnisoffene Beratung vorgeschlagen, die jedoch erst an dem Punkt einsetzt, wenn ein Suizidvorhaben bereits (fix) besteht. Präventive Maßnahmen werden nicht in den Blick genommen; z.B. Sozialstationen mit ihren Hilfswerken ebenso zu stärken wie die zumeist auf Spenden angewiesenen Hospize und Hospizdienste, die palliativen Hilfen, die Trauerarbeit u.a., um stärker vorbeugend tätig werden zu können. Zu diesem Schluss kommt auch die Ärztekammer Hamburg, die „bei beiden Vorschlägen ausreichende Maßnahmen zur Suizid-Prävention [vermisst]. ‚Sowohl der restriktive Ansatz der Gruppe um die Abgeordneten Castellucci und Heveling als auch der offenere Vorschlag von Künast und Helling-Plahr äußern sich nur unzureichend zur Suizidprävention. Das ist umso schwerwiegender, wenn man bedenkt, dass die überwiegende Mehrzahl der Suizide hierzulande Folge einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, sind. Flächendeckende und gut erreichbare Präventionsangebote müssten daher eigentlich vor einer Neuregelung der Sterbehilfe aufgebaut werden, mindestens aber parallel dazu.‘“[7]

[1] Titel und Thema der Veranstaltung des Instituts für Kirche und Gesellschaft an der Evangelischen Akademie Villigst am 20.-21. Oktober 2023.

[2] Art. Allerheiligen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerheiligen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[3] Art. Allerseelen; verfügbar unter: https://www.vivat.de/magazin/jahreskreis/weitere-gedenk-und-feiertage/allerseelen-bedeutung/ [Stand: 10.10.23].

[4] Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 828/21, Abs. 4; verfügbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/11/rk20211103_2bvr082821.html [Stand: 14.10.23].

[5] Dementsprechend positioniert sich der Fuldaer Bischof Michael Gerber: „Der assistierte Suizid ist für uns auf der Basis unseres Gottes- und Menschenbildes keine Option“, verfügbar unter: https://katholisch.de/artikel/45910-suizidbeihilfe-debatte-bischof-baetzing-fordert-neues-schutzkonzept [Stand: 10.10.23].

[6] Mascha Kaléko, Verse für Zeitgenossen, München 42017, 12.

[7] Bundesärztekammer, Assistierter Suizid: Prävention sollte im Vordergrund stehen (Hamburg, 6.7.23), verfügbar unter:

https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/assistierter-suizid-praevention-sollte-im-vordergrund-stehen [Stand: 10.10.23].

Bild von Pixabay

#Assistierter Suizid #Menschenbild #Suizidprävention

Dr. Saskia Breuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Katholischen Institut der Universität Paderborn im Bereich Biblische Theologie.

Kaffee und Spiritualität: die perfekte Mischung

Heute nahm ich mir vor, diesen Blog-Beitrag am Abend bei einer Tasse Kaffee zu schreiben. Während die Stunden verstrichen und ich in meinen alltäglichen Aufgaben versunken war, erfüllte mich der Gedanke an diese abendliche Ruhepause mit Freude. Weniger das Schreiben als vielmehr der Kaffee, denn in letzter Zeit habe ich reichlich geschrieben. Mehrfach malte ich mir aus, wie angenehm es sein würde – den Kaffee meine ich, nicht das Schreiben.

Das nahezu rituelle Element des Kaffeetrinkens lässt mich heute nicht los. Zu Hause habe ich meine besondere Lieblingstasse, und ich weiß genau, wie jedes Detail vorbereitet sein muss, um den Kaffee wirklich genießen zu können. Ebenso sorgfältig bereite ich mich auf das Gebet vor; beide Elemente meiner Morgenroutine bieten mir Trost und ein Gefühl der Kontinuität.

Am liebsten mag ich MEINEN Kaffee, obwohl ich weiß, dass es unzählige Kaffeesorten gibt. Auch wenn jemand anderes meinen Kaffee zubereitet, ist es einfach nicht dasselbe. Ähnlich verhält es sich mit meinem Glauben: So wie es unendliche Kaffeevarianten gibt – Espresso, Latte, Americano, Macchiato –, so gibt es auch zahlreiche Wege und Zugänge zum Göttlichen, jeder mit seinem eigenen „Beigeschmack“ in Form von Philosophie oder Ritualgestaltung. Manche wirken wie ein kräftiger, Augen öffnender Espresso, andere eher wie ein tröstender Latte.

Eines kann noch in diesem Vergleich gesagt werden, zumindest im Hinblick auf die drei monotheistischen Religionen: jeder Kaffee beginnt als eine einzelne Bohne, aber die unterschiedlichen Zubereitungsmethoden führen zu einer Vielzahl von Ergebnissen. Ähnlich verhält es sich mit unseren spirituellen Wegen: Alle haben einen gemeinsamen Ursprung, werden jedoch durch individuelle Praktiken und Traditionen „gewürzt“ und verfeinert.

Mein Kaffee ist koffeinhaltig, und mir ist klar, dass das Koffein die „Seele“ des Kaffees ist. Es gibt jedoch auch Menschen, die entkoffeinierten Kaffee bevorzugen. Ähnliche Gegensätze lassen sich in religiösen Diskursen finden: Es gibt Gelehrte (und Gläubige), die auf einer wörtlichen Auslegung der heiligen Texte beharren und diese als „Seele“ der Religion bezeichnen – ähnlich wie diejenigen, die nur koffeinhaltigen Kaffee schätzen. Doch innerhalb jeder religiösen Gemeinschaft gibt es auch Menschen, die die Religion „entkoffeinieren“, indem sie freiere Interpretation der Texte vorziehen und somit die Substanz jenseits des Koffeingehalts zu schätzen wissen.

Also bietet sich beim nächsten Schluck des Lieblingskaffees an, einen Moment innezuhalten und über die eigene spirituelle Reise zu sinnieren. Vielleicht wird dabei klar, dass der Latte mehr ist als nur ein Kaffeegetränk – er wird zu einer dampfenden Tasse existenzieller Fragen. Die Vielfalt der Kaffeevarianten reflektiert dabei die Diversität religiöser Überzeugungen und Praktiken, und das ist völlig in Ordnung. Beim Genuss des Lieblingsaufgusses könnte man also überlegen, einen metaphorischen Schluck spiritueller Erleuchtung zu nehmen. Denn letztendlich geht es sowohl beim Kaffee als auch bei der Religion darum, die perfekte Mischung für sich selbst zu finden. Prost!

#Spiritualität #Kaffee #Glaube #Rituale #Erleuchtung

Ahmed Husić ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Paderborner Institut für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

„Apokalypse“ überall?

Der Begriff „Apokalypse“ ist gerade in aller Munde. Klimaschutz, Kriege wie der in der Ukraine, Verbrenner vs. Elektroautos, Erdbeben, Chemieunfälle, Überschwemmungen – alle diese Themen werden in den Medien und auch im modernen Sprachgebrauch als „apokalyptisch“ bezeichnet. Und auch meine nicht wissenschaftliche und stichprobenhafte Suche bei der Online-Ausgabe des Spiegel ergab ein ähnliches Bild. Während der Spiegel in den letzten Jahrzehnten das Wort „Apokalypse“ durchschnittlich 20-22 pro Jahr nutzte, erschien das Substantiv schon 105 Mal im letzten Jahr. Das Adjektiv „apokalyptisch“ wurde in der Vergangenheit durchschnittlich 5-6 Mal pro Jahr beim Spiegel benutzt, im letzten Jahr jedoch 16 Mal.

Zufällig begegnete mir ein Ausdruck mittelalterlichen apokalyptischen Denkens im Sommerurlaub in Rouen in der Normandie. Die dortige Kathedrale stehe auf dem Haus des Römers Praecordius, heißt es, der es für die ersten Gottesdienste der Christen zur Verfügung stellte. Im vierten und fünften Jahrhundert wurde dort ein Vorgängerbau errichtet, von dem man einige wenige Spuren gefunden hat. Die romanische Kathedrale wurde dann in Anwesenheit von William the Conqueror im Jahr 1063 geweiht, die heutige Kathedrale am Anfang des 13. Jahrhunderts im gotischen Stil neu errichtet. An einem ihrer Portale, dem „Portail des Libraires“ aus dem späten 13. Jahrhundert, sieht man mittig oben am Tympanum eine wahrhaft apokalyptische Szene: das letzte Gericht, Gräber öffnen sich, Tote werden quicklebendig. An den Seitenstreben des Portals schweift der Blick zu kleineren Darstellungen. Oben findet man hin und wieder Szenen, die dem Genesisbuch zugeordnet werden können, wie eine Darstellung von Adam und Eva, die von Gott Kleidung und Arbeitsgeräte gereicht bekommen. Weiter unten und direkt auf Blickhöhe aber tummeln sich Mischwesen und Phantasietiere wie ein Ziegenbock, der mit Menschenhand eine Glocke läutet, oder ein Schwein, das ein Streichinstrument spielt. Kunstvoll in die Steine einer gotischen Kathedrale gehauen, konservieren diese Bilder die apokalyptische Vorstellungskraft der Handwerker, die im Mittelalter hier tätig waren.

Das Mittelalter scheint eine Zeit gewesen zu sein, in der apokalyptische Ideen in großer Mode waren. Nicht nur steinerne Zeugen wie die Kathedrale von Rouen beweisen das, sondern auch schriftliche Zeugnisse aus jüdischer und christlicher Tradition, die bis heute erhalten sind. Dort liest man von Visionen eines gemeinsamen Mahles mit Gott oder einer Wiedereröffnung des Paradieses oder einem Gericht, das Gerechte und Ungerechte voneinander trennt und nur Erstere überleben lässt. Historische Dokumente sprechen von apokalyptischen Predigern, die das Ende der Welt voraussagten, von ekstatisch tanzenden Menschengruppen, die durch Mitteleuropa zogen, von Messiassen, die vor den Toren Roms um Anhänger buhlten.

Um der „Apokalyptik“ auf den Grund zu gehen, muss man aber noch weiter zurückschauen. Namensgeberin für den Begriff ist das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung des Johannes, entstanden wahrscheinlich am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeit. Offenbaren, griechisch apokalypto, bedeutet: „das Verborgene sichtbar machen“. In der Offenbarung will der Seher Johannes das ihm offenbarte Wissen an die christlichen Gemeinden weitergeben. Damals verfolgte der römische Staat die frühen Christen, sodass diese fürchteten, ihre Gemeinde und ihre Welt würde verschwinden. Und auch die jüdischen Gemeinden hatten in diesen Jahrhunderten und davor ähnliche Katastrophen erlebt. Im Jahr 70 unserer Zeit zerstörten die Römer ihr zentrales Heiligtum, den Tempel von Jerusalem. Vorher erlebten Jüdinnen und Juden Exil und Diaspora. Offenbartes (apokalyptisches) Gedankengut, die dramatische Sprache des Kampfes zwischen Gut und Böse, versprach den Unterdrückten und Bedrohten damals Abhilfe. Gott würde am Ende siegen, so die Hoffnung im frühen Judentum und frühen Christentum, Und mehr noch: Gott hatte den Konflikt schon vorausgesehen und lenkt die Geschichte, glaubte man. Wenn diese Welt, die nicht mehr zu verbessern ist, endet, beginnt eine neue: die Kommende Welt, wie man in der jüdischen Tradition sagte, das Reich Gottes, wie es das Neue Testament nennt.

Und das ist der große Unterschied zwischen den Ursprüngen apokalyptischen Denkens und dem inflationären Gebrauch des Begriffes im heutigen Sprachgebrauch. Heute steht „Apokalyptik“ allein für das Ende der Welt, früher aber stand es für das Ende der Welt, das dem Neuanfang mit Gott vorausgeht.

Einer frommen Legende nach wurde Martin Luther einmal gefragt, was er denn vom Weltuntergang halte. Er habe geantwortet: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Selbst wenn diese schöne Legende nicht historisch verortbar ist, zeigt sie uns einen einen Menschen des 16. Jahrhunderts, der dachte wie die frühen Apokalyptiker. Das Ende mag vielleicht kommen, aber niemand weiß, wann das geschehen wird. Und der Neuanfang ist schon von Gott geplant.

Allerdings kann man mit dieser frühen und eigentlichen Bedeutung des Begriffs „Apokalyptik“ heute keine Klicks in den Online-Ausgaben der Zeitungen generieren…

  • Bild: privat

Claudia D. Bergmann ist Professurvertreterin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Biblische Exegese und Theologie an der Universität Paderborn.

#Apocalypse #Endederwelt #Neuanfang #Spiegel

Zwischen woken Vibes und Weihrauchdüften: Meine Suche nach einer interkulturellen Identität

Seit ich vor zweieinhalb Jahren den Schritt gewagt habe von Paderborn nach Berlin zu ziehen, kann ich zufrieden feststellen, mich in sozialen Räumen aufzuhalten, die den Charakter eines Safer Spaces annehmen können. Ich umgebe mich mit Menschen, mit denen ich Erfahrungen und eine milieubedingte Sprache teile. Wir setzen uns sensibel und meistens selbstkritisch mit Themen wie Rassismus, Sexismus, queeren Kämpfen und Klimawandel auseinander, hinterfragen und kritisieren Gendernormen mit einem unübersehbaren Gendersternchen, kämpfen für die Normalisierung von Mental Health-Themen und streben eine befreite Sicht auf Sexualität an. Gepierct und tätowiert, mit einer Heirat höchstens aus steuerlichen Gründen im Hinterkopf, streben wir nach Jobs in Teilzeit, tragen stolz Secondhand-Kleidung und füllen unseren Insta-Feed mit inszenierten Fotos des letzten Urlaubs, die ja so viel mehr sind als Schnappschüsse. Klassenordnungen? Diese enthüllen sich uns wohl am deutlichsten, wenn wir vor der überteuerten Vielfalt an Tickets der Deutschen Bahn stehen. Und während wir unsere Tattoos in veganen Secondhand-Cafés sitzend zur Schau tragen, fragen wir uns manchmal mit einem Augenzwinkern, ob wir die Avantgarde der Individualität oder einfach nur Fans von nachhaltigem Koffein-Konsum sind. Inmitten dieser ironischen Verflechtung aus hedonistischem Lebensstil, kritischer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und beruflichen Perspektiven wird mir zunehmend bewusst, dass mein Arbeitsverhältnis als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der katholischen Religionspädagogik nicht mehr nur eine alltägliche Verantwortung darstellt, sondern zunehmend zum Katalysator für tiefgreifende Diskussionen über Vorurteile und Annahmen in meiner so geliebten ‚woken‘[1] Bubble wird.

Nicht erst seit meinem Umzug nach Berlin stelle ich fest, dass mein Arbeitsverhältnis bei vielen meiner woken Peers zu hochgezogenen Augenbrauen führt: „Moment mal? Du? Katholisch? Ich hätte erwartet, dass du in deinem Rucksack einen Haufen feministischer Theorie herumträgst und nicht die Bibel.“ Als wäre ihnen der Messias selbst erschienen, schaut manch eine*r fast panisch, wenn er*sie bemerkt, dass sich eine katholische Himmelsdetektivin in den eigenen Reihen befindet. In diesen erstaunten Gesichtern scheinen meistens nicht bloße Neugierde und Interesse auf, sondern Vorurteile und Ablehnung. Ich frage mich zunehmend, wieso ich nicht beides in meinen Rucksack werfen kann. Aber Schwarzsein, Jungsein, Frausein, Wokesein – all das scheint wohl nicht so recht in das verstaubte Klischee einer Katholikin zu passen. In diesen Erfahrungen spiegelt sich zum einen ein verzerrtes Bild von Theologie und zum anderen eine gesellschaftliche Realität wider, denn Religiosität, und in verstärkter Weise Katholizität, wird gerne mit dem Gegenteil von Vernunft und mit Konservatismus gleichgesetzt, als ob der konservative Flügel der Herren in den Klerikerreihen nicht schon genug im Rampenlicht steht.

Im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit machtkritischer Forschung wird mir zunehmend bewusst, dass diese vorherrschenden Bilder von Katholischsein in enger Verknüpfung mit von Macht durchdrungenen Selbst- und Fremdrepräsentationen im Diskurs stehen. Innerhalb der durch den Diskurs gesetzten Rahmenbedingungen wird deutlich, dass auch in den institutionellen katholischen Hierarchien konservative Ausrichtungen eine spürbare Machtposition innehaben, wodurch sie das Narrativ eines konservativen Katholizismus in signifikanter Weise mitgestalten. Dieses Machtgefüge wirkt gleichzeitig als Motor für die Marginalisierung abweichender katholischer Identitäten, was zu einem vermeintlich einheitlichen und konservativen Bild des Katholizismus führt. Hier wird die immense Wirkmacht des Diskurses deutlich, der nicht nur passiv widerspiegelt, sondern aktiv Realitäten konstruiert und formt. Dieser komplexe Zusammenhang ist es, der die erstaunten Reaktionen meiner Peer-Group hervorruft. Angesichts dieser vielschichtigen Dynamik drängt sich die Frage auf: Welche Darstellungen des Katholizismus dominieren in diesem Szenario, und welche Perspektiven sind marginalisiert? Eine Suche nach Repräsentationen von jungen, nicht-weißen, queeren und behinderten Personen, die sich als katholisch verstehen, sowie nach ‚woken‘ katholischen Weltzugängen, würde sich meines Erachtens nicht nur zugunsten des christlichen ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘ lohnen, sondern könnte dem Katholizismus auch eine Prise neuer Würze verleihen. Oder ist die Suche zwecklos, weil die Woken ihre Kirchenmitgliedschaften bereits abgegeben haben wie die Vorstellung von einer binären Geschlechterordnung?

Eine nicht zu vernachlässigende Perspektive in diesem Kontext ist, dass sich gerade für uns weniger repräsentierten Katholik*innen das Bekenntnis zum Katholischsein als besonders herausfordernd gestaltet. Der Konflikt zwischen Aufrechterhaltung unserer Identität und den ausgrenzenden Praktiken der kirchlichen Institution, stellt uns vor die große Herausforderung, innerhalb der katholischen Gemeinschaft überhaupt unseren Platz zu finden. Dieser Platz will dann noch vor der eigenen kritischen Selbstbetrachtung und vor den hochgezogenen Augenbrauen gerechtfertigt werden. Und meistens fühlt sich das für mich so an, als ob ich zwischen woken Vibes und Weihrauchdüften stecke und versuche, im Dunst aus emanzipatorischer Energie und Heiligkeit den Ausgang aus diesem interkulturellen Labyrinth zu finden.

Glücklicherweise haben sich bisher alle Personen, dessen hochgezogene Augenbrauen ich bestaunen durfte, schnell davon überzeugen lassen, dass mein Katholischsein kein Hindernis für eine Freundschaft oder auch einfach ein nettes Gespräch sein muss. Den Titel eines ‚positiven katholischen Einzelfalls‘ in meiner Bubble mit Stolz zu tragen? Da muss ich passen. Und apropos Christ*insein ohne christliche Gemeinschaft – wäre das nicht sowas wie Selfie ohne Filter? In meiner Bubble hingegen erlebe ich eine andere Form der Verbundenheit: ein Netz aus Solidarität und gemeinsamem Engagement für Gleichberechtigung in Kombination mit einem gemeinschaftlichen Ausbrechen aus Arbeitsstress und Verpflichtungen. In dieser Dynamik, die zwischen progressiven Kämpfen und wohldosierten hedonistischen Fluchten hin und her schwankt, wird für mich eine Art Spiritualität erfahrbar, die wie ein modernes Spiegelbild traditioneller Weisheiten wirkt. Diese Spiritualität offenbart sich mir nicht mehr nur in traditionellen Ritualen, sondern auch in unseren Kämpfen, unserer Empathie und unserem Streben nach einem gerechteren Miteinander.

Während ich zwischen woken Vibes und Weihrauchdüften jongliere, fühlt sich meine Suche nach einer interkulturellen Identität an wie eine unendliche Debatte über Gendersternchen. Bin ich jetzt Undercover-Katholikin der Woke-Revolution oder eine fromme Wokeologin? Vielleicht brauche ich einfach einen Regenbogen-Rosenkranz.


[1] „Woke“ bedeutet im Englischen so viel wie „aufgeweckt“, „wachsam“. Im öffentlichen Diskurs wird er oft verwendet, um Personen innerhalb dieses bestimmten sozialen Milieus zu kritisieren, die durch Moralismus, unreflektierte Privilegien und distanziertes Eigenlob auffallen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass ich die hier beschriebene Gruppe nicht im Sinne einer selbstbezogenen und moralisierenden Haltung als „woke“ verstehe. Vielmehr wird der Begriff ironisch als Selbstbezeichnung verwendet, die eine gewisse Haltung der Wachheit und Bewusstheit für gesellschaftliche Ungleichheit verkörpert, die sicherlich aber auch mit blinden Flecken einhergeht.

Hannah Drath ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

#Woke #Katholisch #Diskursmacht #Identität #Interkulturalität

Ein Dialog zwischen Gott und Engel

In einem inspirierenden Dialog in der Sure (15:28-29) teilt Gott den Engeln Seinen Plan mit. Es ist Sein Vorhaben, einen Menschen ins Leben zu rufen, ihn zu formen und ihm schließlich durch Seinen Geist Leben zu geben. Wenn ich die Worte Gottes lese: „Wenn ich ihn dann wohlgestaltet und von meinem Geist in ihn geblasen habe – dann fallt vor ihm, euch niederwerfend, nieder!“ , und darüber nachdenke, dass jeder Mensch einen Teil des göttlichen Geistes in sich trägt, wird mir bewusst, welche großartige Ehre die Menschen haben. Ein Mensch, der einen Hauch des göttlichen Geistes in sich trägt, sollte in sich selbst einen wertvollen Schatz erkennen.
In einer prophetischen Überlieferung vom Propheten Mohammed wird berichtet, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Dies deutet meiner Auffassung nach darauf hin, dass Gott dem Menschen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten übertragen wollte. Diese göttliche Absicht spiegelt sich weiter in einem anderen Vers (2:30) des Korans wider, der besagt, dass der Mensch als Statthalter Gottes auf der Erde eingesetzt wurde.
Aus diesem Kontext ergibt sich die Bedeutung, dass jeder Mensch vor seinen Handlungen innehalten sollte, um zu prüfen, ob diese im Einklang mit den Eigenschaften Gottes stehen. Wenn der Mensch als Verwalter auf dieser Erde eingesetzt wurde, trägt er zweifellos eine bedeutende Verantwortung sowie eine erhabene Berufung gegenüber sich selbst und seine Umwelt.
Angesichts dieser Verantwortung sollte jeder Einzelne bestrebt sein, Charakterzüge zu kultivieren, die unsere Umwelt zum Besseren führen würden.

[1] Koranübersetzung von Hartmut Bobzin

Ahmed Elshahawy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.

#MenschlicheVerantwortung #Umweltverbessern #guteEigenschaften

Auszeit

Was ist eine Auszeit? Diese Frage stelle ich mir im universitären Kontext manchmal, z. B. wenn mich Abgabetermine für Aufsätze auch in Zeiten jenseits von Kernarbeitszeiten einer Fünftagewoche an den Computer treiben oder wenn Studierende sehr besorgt sind, weil sie per Email darum bitten, eine Frist für eine Hausarbeitsbegutachtung ausnahmsweise um wenige Tage nach hinten zu verschieben. Wann schalten wir Menschen im leistungsorientierten System Universität im wahrsten Sinne des Wortes ab? Gelingt es, dass Handy, Laptop, Tablet etc. ein Time Out haben und Lehrende, Forschende, Verwaltungskräfte und Studierende nicht erreichbar sind?

Dabei möchte ich nicht kulturpessimistisch verstanden werden, im Sinne von „Wo soll das nur alles noch hinführen?!“, auch wenn soziologisch die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit mit teils negativen Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden beobachtet werden kann und theologisch Fragen der Endlichkeit der menschlichen Leistungsfähigkeit und des Perfektionsdrucks diskutiert werden. Dass Universitäten Orte des Strebens nach Höchstleistungen sind, macht sie für mich besonders reizvoll. Die hohe Taktzahl an Aufgaben für alle Beteiligten führt vor Augen, was Individuen und Arbeits- und Studiengruppen zu leisten im Stande sind.

Gleichwohl bin ich überzeugt, dass es Auszeiten zum Atemholen und Innehalten braucht. Mit dieser Überzeugung, dass Ruhephasen ein existenzielles menschliches Bedürfnis sind, bin ich nicht alleine, sondern das ist theologisch common sense. Bereits im biblischen Schöpfungskontext wird der Schabbat als Ruhe- und Besinnungstag als göttliche Gabe eingeführt (vgl. Gen 2,2f.) und spätestens in den Zehn Geboten (Ex 20,8f.) wird die Heiligung des arbeitsfreien Tages für alle als religiöse Pflicht verankert. Nicht zuletzt steht auch der Text „Alles hat seine Zeit“ aus dem Buch Kohelet (Koh 3,1-11) für die Phasierung des Lebens. In der christlichen Theologie hat sich daraus ein Nachdenken über Zeit und Rhythmen entwickelt. Bieritz oder Fechtner als etablierte Stimmen des theologischen Zeitdiskurses prägten dabei u.a. die evangelische Perspektive auf zyklisch wiederkehrende religiöse Festzeiten als Auszeiten vom Alltag, vom Arbeiten.[1]

Nun sind die umgangssprachlichen „Semesterferien“ oder korrekter die vorlesungsfreie Zeit von Mitte Juli bis Anfang Oktober keine quasireligiöse Festzeit, geschweige denn eine andauernde arbeitsfreie Ruhepause.[2] Dennoch möchte ich mit theologischer Begründung dafür plädieren, dass Arbeits- und Ruhezeiten sich abwechseln dürfen – nicht nur, aber auch im universitären Kosmos – und wir bei aller Freude am wissenschaftlichen Arbeiten bewusst ausruhen, um Atem zu holen (im ganzheitlichen Sinne des griechischen pneuma) und sich zu besinnen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen während der vorlesungsfreien Zeit, im sogenannten Sommerloch immer wieder AUS-Zeiten für bereichernde Gedanken, Müßiggang, gute Lektüre und wohltuende Begegnungen, die anschließend wieder leistungsbereit werden lassen.


[1] Vgl. u.a. Bieritz, Karl-Heinrich (2014): Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. Neu bearbeitet und erweitert von Christian Albrecht. 9. Aufl. München: C.H.Beck. Ebenso: Fechtner, Kristian (2007): Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Neuere Veröffentlichungen greifen das theologische Thema Auszeit nach wie vor auf, z. B. Grießer-Birnmeyer, Franziska Lisa (2020): Auszeit als heilsame Unterbrechung. Entwicklungslinien von Sonntag und Sabbatical und deren Gestaltung in der Spätmoderne aus praktisch-theologischer Perspektive. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Außerdem: Rahmsdorf, Olivia L. (2019): Zeit und Ethik im Johannesevangelium. Theoretische, methodische und exegetische Annäherungen an die Gunst der Stunde. Tübingen: Mohr Siebeck.

[2] Das ist nicht in allen Universitätskulturen und Mentalitäten gleich: Die frankophonen westeuropäischen Länder zelebrieren nach wie vor ‚les grandes vacances‘ als Zeit des Aufatmens, Unverfügbarseins und des Reflektierens.

Anne Breckner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie.

#Auszeit #Unileben #Ruhe #Schabbat #Zeit #Rhythmus

Quo vadis, ZeKK Blog?

Liebe BloKK-Leser*innen,
der eigentlich für diese Woche geplante BloKK-Artikel wird leider ausfallen.
Wir möchten diese leere (Homepage-)Seite trotzdem nicht blank lassen, sondern diese Gelegenheit einfach mal dafür nutzen, um uns ein wenig Feedback von Ihnen und Euch zu holen!
• Was können wir besser machen?
• Was soll so bleiben?
• Welche Themen sind besonders interessant?
• Habt ihr Wünsche?
• …
Wir freuen uns auf Ihre Ideen und eure konstruktiven Impulse bis zum 10. August an zekk@upb.de! Gerne können auch Vorschläge per PM über unsere Social Media-Kanäle hinterlassen werden.

Sei gegrüßet, o Libori

In dieser Woche wird in Paderborn Libori gefeiert. Ein großes Fest, welches Kirche und Kirmes miteinander verbindet. Es geht zurück auf die Überführung der Gebeine des heiligen Liborius aus Le Mans nach Paderborn im Jahr 836. Ihm zu Ehren gibt es einige Prozessionen, in denen der Schrein mit den Gebeinen noch heute präsentiert wird. 1521 wurde dann mit dem Magdalenenmarkt auch noch ein weltlicher Markt in derselben Zeit abgehalten. Daraus entstand das Libori-Fest, wie man es heute kennt.

Der Tradition nach soll 836 die gesamte Strecke von Le Mans nach Paderborn ein Pfau der Reisegruppe vorangeflogen sein und sich auf dann auf dem Paderborner Dom niedergelassen haben. Als alle den Dom betreten hatte, fiel der Pfau tot um. Dieser Mythos machte den Pfau, insbesondere seine Federn, zu einem bekannten Symbol in Paderborn. Pfauen sind generell auffällige Tiere, gerade die Schwanzfedern und die Präsentation dieser sind wunderschön anzuschauen. Es ist also kein Wunder, dass Pfauen oder seine Federn oft in Paderborn zu sehen sind: In städtischen Einrichtungen oder in Geschäften zum Beispiel. Selbst der SC Paderborn nutzt für die Saison 2023/2024 stilisierte Pfauenfedern als Muster auf seinen Heimtrikots. Auch in den kirchlichen Prozessionen spiegelt sich der Pfau wider: Ein unverzichtbares Objekt in der Liturgie zum Libori-Fest ist ein großer Pfauenwedel. Es ist einer der wenigen noch im liturgischen Gebrauch benutzten Wedel in der katholischen Kirche.

So erstaunlich die Verbindung eines Tieres aus dem asiatischen Raum mit einer ostwestfälischen Stadt hat, umso normaler erscheinen die Verbindungen in Religionen, die der Herkunft der Pfauen näher sind:

In der griechischen Mythologie ließ Hera durch den vieläugigen Riesen Argus ihre Nebenbuhlerin Io beobachten, sodass ihr Gemahl Zeus nicht mit ihr verkehren konnte. Argus wird schließlich durch eine Pan-Flöte eingeschläfert und getötet. Als Erinnerung an dessen „Argusaugen“ überführt Hera diese in das Gefieder der Pfauen.

Auch in persischen und islamischen Kontexten kommt der Pfau vor. Die Schwanzfedern schmücken häufig Abbildungen von mythischen geflügelten Wesen, wie etwa dem Simurgh aus der persischen Mythologie oder Buraq, dem Reittier, auf dem der Prophet Muhammad seine Himmelsreise angetreten haben soll. Pfauen sind auch häufig auf Malereien zu sehen. Auch hier könnte man noch weitere Geschichten erzählen.

Eine zentrale Rolle spielt der Pfau im ezidischen Glauben. Gott schuf zunächst sieben Engel, die ihn repräsentieren und die Schöpfung in der Folge weiter ausführten. Der größte und ehrenvollste davon ist Melek Taus, der als Pfau dargestellt wird. Er wird als Vermittler zwischen Gott und den Menschen gesehen. Der Begründer des Ezidentums wird als Inkarnation Melek Taus gesehen. So wurde der Pfau zum wichtigen Symbol im Ezidentum.

In Indien ist der Pfau Nationalvogel, man begegnet ihm dort in vielerlei Hinsicht. Neben ästhetischen Gründen wird er in hinduistischen Strömungen und anderen Erzählungen als Reittier von Göttern und Göttinnen gesehen. Zudem verzehren Pfaue junge Schlangen, sodass sie auch ganz praktische Gründe haben.

Christliche, griechische, islamische, persische, ezidische, hinduistische Kulturen: Sie alle haben ihre eigenen Geschichten, Ideen und Vorstellungen von Pfauen.  Es gäbe so viel, was man sich erzählen könnte, so viele verschiedene Perspektiven, so viel Stoff für den interreligiösen Dialog!

Wie eingangs erwähnt, fußt die Paderborner Pfauensage auf der Reliquienüberführung des hl. Liborius aus Le Mans nach Paderborn, die genauen Umstände sind aber unklar. Was hingegen klar ist: Seit 836 sind die Städte Le Mans und Paderborn miteinander verbunden. Damit ist es die älteste noch erhaltene Städtepartnerschaft europaweit. Vielleicht vermag auf diese Weise der hl. Liborius mit der Pfauensage nicht nur ein Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen Kirche und Welt, sondern auch zwischen Religionen sein.

Benedikt Körner ist Referent für den interreligiösen Dialog sowie Sekten- und Weltanschauungfragen des Erzbistums Paderborn.

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