Die Psalmen als Geistliche Basis einer Gemeinschaft

Mir erzählte letztens ein katholischer Geistlicher eine interessante Geschichte. Die Ordensbrüder einer Ordensgemeinschaft waren mit sehr unterschiedlichen Aufgaben innerhalb und außerhalb des Ordens beschäftigt. Daher suchten sie nach einer gemeinsamen spirituellen Basis. Nach dem, was sie geistlich alle verbindet. Da jeder Bruder bisher seine Spiritualität anders lebte, war der Austausch über das, was sie spirituell trägt, sehr bereichernd. Und eine Gemeinsamkeit lässt sich von außen gesehen in vielen spirituellen Praktiken oder auch Ordensregeln vermuten. Ich denke hier zuerst an die Regel des Heiligen Benedikt.

Ich jedenfalls war sehr überrascht, dass die Gemeinschaft ihre Gemeinsamkeit in der spirituellen Tiefe der Psalmen fand. Bei näherem Hinsehen fand ich diese Gemeinsamkeit sehr verständlich. In den Psalmen finden sich die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens, das Lob und die Klage, die Erfahrung der Menschen im Gespräch mit Gott, die Geschichten und Gestalten der Bibel , die poetische und musikalische Weise und vieles mehr…

Auch im interreligiösen Dialog mit Jüdinnen und Juden sowie mit Muslim*innen haben die Psalmen meiner Erfahrung nach oft eine große verbindende Bedeutung. Sie sind nicht nur Teil der Hebräischen Bibel und der Gebetstradition des Judentums. Auch der Sprache des Korans ist der der Psalmen sehr ähnlich, wie u.a. Angelika Neuwirth festgestellt hat. Auch wenn das Beten der Psalmen in den religiösen Traditionen natürlich sehr unterschiedlich verankert ist, so scheint doch auch hier das poetisch verfasste Gespräch mit Gott, wie es die Psalmen in großartiger Weise festhalten, eine Basis dieser drei Traditionen zu sein.

Mehr als Noten: wenn Leistung nicht das letzte Wort hat

Kurz bevor es in die Sommerferien geht, erleben Schüler*innen einen Moment, der gemischte Gefühle hervorruft: es gibt Zeugnisse. Während es die einen voller Stolz und Freude präsentieren, zeigt sich bei Anderen Frustration, Enttäuschung, Unsicherheit oder Angst. Viele Kinder und Jugendliche erleben in der Schule nicht nur einen Raum, in dem Lernen und Entwicklung stattfindet, sondern auch Leistungsdruck, Vergleich und die Angst vor dem Scheitern. Zeugnisse sollen Leistungen abbilden, aber oft bewerten sie mehr: den Menschen dahinter.

Das Konzept des Growth Mindset nach Carol Dweck[1] kann helfen, das Spannungsfeld rund um Schulnoten und Zeugnisse zu dekonstruieren und gerade in Kombination mit religiöser Bildung zu einem reflektierten und differenzierten Umgang damit beitragen. Es geht davon aus, dass Fähigkeiten und Intelligenz nicht angeboren und statisch, sondern durch Lernbereitschaft, Anstrengung und Ausdauer entwickelbar sind. Fehler werden dabei als Helfer und Chance zur Weiterentwicklung angesehen und gehören zum natürlichen Entwicklungsprozess. In der Schule ist die Realität jedoch oft eine andere: Noten werden als vollendete Tatsache und als Ausdruck des eigenen Wertes verstanden. Fehler scheinen der Beweis für Unzulänglichkeiten zu sein. Sie zeigen: ich bin nicht gut genug, ich kann nichts, ich bin ein hoffnungsloser Fall.

Spannend ist: es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen religiöser Bildung und dem Growth Mindset. Religiöse Traditionen erzählen Ähnliches, egal ob im Judentum, Christentum oder Islam: Der Mensch ist kein fertiges Produkt, sondern ein Wesen auf dem Weg. Fehler sind dabei keine Niederlagen, sondern Stationen im Prozess des Werdens. Biblische Figuren wie Mose, David oder Petrus zeigen, dass Fehler und Scheitern zum menschlichen Leben dazugehören und gerade daraus Neues entstehen kann. Nach christlichem Verständnis ist jeder Mensch ein Ebenbild Gottes, unabhängig von Fähigkeiten und Leistung besitzt jeder Mensch Würde und Wert. Die Annahme und Liebe Gottes gilt bedingungs- und voraussetzungslos und kann und muss nicht verdient oder erarbeitet werden. So entsteht ein Raum, in dem Leistung nicht das letzte Wort hat, sondern Wachstum, Gnade und Würde im Mittelpunkt stehen.

In der Schule kann religiöse Bildung durch Impulse zur Selbstannahme und -reflexion (z.B. durch Psalm 139), durch biblische Vorbilder (s.o.) oder Kritik an der Leistungsgesellschaft (insbesondere unter Berücksichtigung von Inklusion) ein Gegengewicht zum ständigen Leisten und Bewerten bieten. Sie erinnert daran, dass Lebenswege keine linearen Erfolgsgeschichten, sondern als ein Prozess mit Brüchen und Heilung zu verstehen sind. Sie schafft Räume, in denen Kinder und Jugendliche sich nicht über Noten definieren, sondern die Geschichten dahinter sehen und sich jenseits von Leistungserwartungen erleben und entfalten dürfen. Lernen ist mehr als das, was sich in Zahlen ausdrücken lässt, Schüler*innen sind mehr als ihre Noten und vielleicht brauchen wir genau das:

Ein Bildungsideal, das Mut macht, Fehler zu machen.

Ein Menschenbild, das nicht bei Leistung und Noten stehen bleibt.

Und eine Hoffnung, die sagt: Du darfst wachsen – ein Leben lang.


[1] Vgl. Dweck, Carol: Mindset: The New Psychology od Success, New York 2006. Deutsche Ausgabe: Dweck, Carol: Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge oder Niederlangen bewirkt, München 7. Auflage 2017.

Komparative Theologie und Soziale Arbeit?!

Einmal im Jahr findet traditionell das „International Meeting on Comparative Theology“ statt. Ziel dieser Tagung ist es, Doktorand*innen und Nachwuchswissenschaftler*innen aus der Komparativen Theologie und verwandter Disziplinen eine interdisziplinäre Plattform für den Gedankenaustausch zu bieten. Gemeinsam wird sich zu einem aktuellen Thema der Forschung zur Komparativen Theologie, der verschiedenen Theologien oder des interreligiösen Dialogs am Schnittpunkt zu gesellschaftlichen Herausforderungen ausgetauscht, um neue Perspektiven zu gewinnen. Die diesjährige Konferenz widmet sich dem Thema „Komparative Theologie und Soziale Arbeit“.

Worum geht es?
Unsere Tagung rückt Fragen in den Fokus, die das Verhältnis von Religion, (psycho-)sozialer Arbeit, sozialer Gerechtigkeit und sozialer Ungleichheit betreffen. Wir möchten gemeinsam diskutieren, wie religiöse Traditionen, theologische Grundsätze und interreligiöse Zusammenarbeit zu sozialem Engagement beitragen – und welche Perspektiven sich daraus für die Soziale Arbeit ergeben.

Einblicke ins Programm
In den ersten beiden Panels – Comparative Theology and Social Work?! sowie (Comparative-)Theological Key Concepts and Social Work – beschäftigen wir uns zunächst damit, wie die Denkweisen und Methoden der Komparativen Theologie die Soziale Arbeit bereichern können. Zugleich werden aber auch Grenzen deutlich: Wo stößt der theoretische Anspruch auf die Realität der Praxis?

Spannend ist auch der Blick auf zentrale anthropologische und theologische Begriffe, die für die Soziale Arbeit aus islamischer und christlicher Perspektive bedeutsam sind oder das Handeln in ihren Kontexten motivieren. Diese Überlegungen werden durch eine Keynote aus der Praxis der Gemeindearbeit kritisch ergänzt: Welche Aufgaben warten konkret noch auf die Theologien?

In den beiden letzten Panels – (Comparative) Theology, Pastoral Care & Psychosocial Support und Comparative Studies on Social Spaces – wenden wir uns der Praxis zu. Hier diskutieren wir beispielsweise

  • die Herausforderungen und Chancen religiöser Impulse in der psychosozialen Beratung,
  • die Rolle von muslimischer Seelsorge bei akuten suizidalen Krisen für ein kulturell sensibles Gesundheitswesen,
  • interreligiöse und interdisziplinäre Ansätze in der Militärseelsorge,
  • kulinarische Zugänge als Türöffner für den interreligiösen Dialog
  • sowie die Schnittstellen von Komparativer Theologie und schulischem Unterricht in konfessionell-kooperativen Settings.

Herzliche Einladung! – Wir freuen uns auf alle, die sich für das Zusammenspiel von Theologie und Sozialer Arbeit interessieren und sich mit uns austauschen möchten.

Weitere Informationen

Das diesjährige „International Meeting on Comparative Theology“ findet am 16. und 17. September 2025 an der Universität Paderborn im Rahmen des AIWG-Formats „ITS-Colloquium“ statt. Hier geht es zum vollständigen Programm.

Organisiert von …

  • dem Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK) & Paderborner Institut für Islamische Theologie (PIIT), Universität Paderborn
  • dem Center for Comparative Theology and Social Issues (CTSI), Universität Bonn
  • der Theologische Fakultät Paderborn (THF).

Anmeldungen …

sind per Mail an Tarik Eroglu an imoc2025@kw.uni-paderborn.de bis zum 01. September 2025 möglich.

Ansprechpartner*innen im Organisationsteam:
Tarik Eroglu, Gülbahar Erdem und Sarah Lebock

„Wie erkennt man die Schönheit der Differenz der anderen?“ Ein ZeKK Live-Interview von Prof. Dr. Claudia Bergmann mit Hadija Haruna-Oelker

Inwiefern nützt die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität dazu, auf Vielfalt, Diskriminierung und Rassismus in der Gesellschaft aufmerksam zu machen? Eine relevante Frage, die es aus theologischer Sicht und aus sozialwissenschaftlicher Sicht zu hinterfragen, geht. Dies versuchen Frau Prof. Dr. Claudia Bergmann und Frau Haruna-Oelker in ihrem Dialog im ZeKK-Interview innerhalb von 45 Minuten auf den Punkt zu bringen. Bekannt geworden ist Frau Haruna-Oelker für ihre journalistische Arbeit zu der Vielfalt der Gesellschaft, das Stereotype-Denken und rassistische Vorurteile. Die Journalistin Hadjia Haruna-Oelker stellt sich in dem Interview als offene, interessierte Person vor und plädiert dafür, als Journalistinnen und Journalisten stets mutig und engagiert gesellschaftlich relevante Themen zu erforschen und kritische, kontroverse Fragen zu diskutieren. Prof. Dr. Claudia Bergmann fragt Frau Haruna-Oelker nicht nur nach den zentralen Inhalten und Intentionen ihres digitalen Blogs, den sie mit dem Leitbild der Neugier untermalt, sondern auch bezüglich ihres Buches „Die Schönheit der Differenz“ (März 2022). Als Frau Prof. Bergmann nach dem Schreibprozess des Buches fragt, reflektiert die Journalistin, dass sie durch das Schreiben des Buches zu einer klareren Person geworden sei. So konnte sie diverse Themen für sich reflektieren, Erfahrungen sortieren und besonders ihre gesellschaftliche Stellung wahrnehmen, auch um sich selbst besser in der Pluralität der Gesellschaft verordnen zu können. Sie betont, nicht nur selbstbewusster geworden zu sein, sondern auch an Selbstwertgefühl gewonnen zu haben. Haruna-Oelker steht in der Öffentlichkeit, gibt persönliche Einblicke in ihr Leben preis und ist sich der Intimität ihrer eigenen Texte bewusst. So beschreibt sie aus journalistischer Perspektive, dass sie im Sinne einer Ich-Reportage bewusst auf persönliche Weise von biografischen Erlebnissen in ihrem Leben berichtet, um in einem Kollektiv beispielsweise auf Themen, wie die Rollenbilder und das Stereotype-Denken der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Aus ihrer Perspektive dient die Darstellung ihrer persönlichen Geschichten als stilistisches Mittel, um durch die Verknüpfung ihrer biografischen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im besten Sinne eine Art „Memorial“ zu entwerfen. So ist ihr Buch politisch, aber auch persönlich. Haruna-Oelker sieht sich als schwarze Journalistin, die durch ihr Buch versucht, die Menschen zu verbinden. In ihrem Buch dekliniert die Journalistin Differenzmerkmale und gibt Einblicke in ihre eigene Identität als schwarze Frau aus einer muslimisch und christlich geprägten Familie, um ein Beispiel vorzustellen. Sie nennt sich selbst „biracial-kid“ mit migrantisierten Erfahrungen, betont aber auch ihre Stellung als rassifizierte Person, da sie schwarz ist. Zugleich stellt die Schriftstellerin ihre feministische Haltung als eine selbstbewusste Frau vor, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht identifiziert. Demgegenüber differenziert sie die Merkmale und Positionierungen, die sie bei anderen Menschen in ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und ihrem beruflichen Umfeld feststellt, jedoch nicht auf sich selbst beziehen kann. Folglich geht es auch um die Fremdwahrnehmung anderer Personen, also dem Konzept des Otherings, welches darauf abzielt, die vielfältigen Heterogenitätsmerkmale zu kennen und wahrnehmen zu können. Aufgrund dessen zielt die Journalistin mit ihrem Buch darauf ab, Wissen über Vielfalt zu generieren, um ihre Leserinnen und Leser über die Heterogenitätsdimensionen aufzuklären. Diese umfassen nicht nur das angeborene Geschlecht einer Person, sondern beispielsweise auch das Gender, die sexuelle Orientierung, die Herkunft, die Sprache, die Beeinträchtigungen und die Religion einer Person. Zusammenfassend geht es darum, zu wissen, wer die anderen Personen sind, um eine positive Verbundenheit in der Gesellschaft erreichen zu können. So geht es der Journalistin mit ihrer Arbeit und ihrem Buch auch darum, für mehr Achtsamkeit und Anders-Denken zu plädieren, um Empowerment-Strategien gegen Rassismus zu verbreiten. Ziel bleibt, dass mehr Menschen lernen und verstehen, dass die Gesellschaft vielfältig ist, dass Rassismus nicht tolerierbar ist und dass man sich gegenseitig in der Vielfalt und Eigenheit der Identität akzeptieren lernen muss. 

Quelle: Bildausschnitt aus dem Interview 45 Minuten mit Hadija Haruna-Oelker, ZeKK Live, veröffentlicht am 03.07.2024, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=HSa_fja5tfI.