Theologische Forschung im Bereich der Tiertheologie ist auch innerhalb der theologischen Disziplin häufig noch nicht bekannt. Da Tiere in der Theologie so gut wie bedeutungslos sind, wird sich mit diesen gar nicht erst beschäftigt oder sie werden „vergessen“. Wenn ich erzähle, dass ich im Bereich der Tiertheologie forsche, erkenne ich häufig an der Reaktion meines Gegenübers, dass bis dahin tatsächlich vergessen wurde, dass es ja auch noch Tiere gibt. Dies ist nur eine weitere Bestätigung dafür, dass sogar – oder besonders – die theologischen Disziplinen die Tiervergessenheit in der Theologie nicht bewusst wahrnehmen oder diese so stark naturalisiert wurde, dass sie als Norm gilt und unhinterfragt bleibt. Der Anthropozentrimus in der Theologie ist beispielsweise ein Grund für diese Tiervergessenheit: Der Mensch steht eindeutig im Fokus theologischer Diskurse.
Doch diese Reaktionen auf meine Forschung sind bei den bisherigen Ausrichtungen der Disziplin auch nicht verwunderlich. Schaut man auf jene, im Vergleich zu anderen Themen, wenigen Publikationen, die sich mit Tieren in der Theologie beschäftigen, fällt auf, dass diese häufig apologetisch sind und/oder den Einfluss der christlichen Religion und ihrer Theologie auf den heutigen Umgang mit Tieren weder anerkennen noch hinterfragen. Es verwundert also nicht, dass andere Theolog*innen denken, dass ich zu „Tieren in der Bibel“ forsche, was zunächst nach einem netten Thema klingt. Denn genau das wurde und wird theologisch gerne fokussiert, indem ein biblischer Text beleuchtet wird, in welchem Tiere positiv dargestellt werden. Im Anschluss wird dann erklärt, dass die Tiere auch einen Eigenwert hätten, der in der Regel nicht weiter spezifiziert wird und ohne ethischen Orientierungsrahmen stehen gelassen wird. Nach diesem Schema lassen sich doch einige Beiträge zu Tieren in der Theologie finden.[1] Man findet selten Verantwortungsübernahme für die Denk- und Handlungsmuster, die die Theologie mitgeprägt hat, und das in einem Ausmaß, das schon längst nicht mehr nur religiöse Dimensionen betrifft. Denn eben diese Denk- und Handlungsmuster, die ursprünglich theologisch begründet wurden, sind längst im säkularen Raum angekommen und existieren dort meist ohne, dass die Verstrickung mit Religion(en) sichtbar ist. Denn jede atheistische oder religionsfremde Person kennt das Narrativ der „Krone der Schöpfung“, ohne dieses theologisch oder biblisch einordnen zu können. Doch klar ist zumeist, dass der Mensch wohl höherwertig sein muss. Da wo nicht-religiöse Argumentationen, wie z.B. eine fehlende Vernunftfähigkeit von Tieren nicht mehr greifen, werden religiöse Argumentationen wie die Gottesebenbildlichkeit oder der Herrschaftsauftrag hinzugezogen.[2] Diese fehlende Sichtbarkeit der Verstrickung von (ideologischen) Vorstellungen führt jedoch dazu, dass diese eben auch nicht hinterfragt werden (können). Eine zukunftsfähige Tiertheologie muss die eigene Disziplin teilweise hinterfragen, deren Vorannahmen erst dazu geführt haben, dass Tiere in der Theologie ein „neues Thema“ darstellen. Denn die Kritik von anderen Disziplinen an der Theologie, die durch ihren Blick von außen feststellen, dass die Theologie wenig zum Thema der Mensch-Tier-Beziehung beizutragen hat, ist (jedenfalls angesichts der Fülle apologetischer Beiträge) nicht ganz unberechtigt.
Die Selbstverständlichkeit, mit welcher Tiere aus der Theologie ausgeschlossen werden, spricht für sich. Immer mehr fällt mir auf, wie theologische Vorannahmen bestimmter Theologen unbewusst und unreflektiert übernommen werden oder strukturell und ideell verankert sind. Thomas von Aquins Einfluss auf die Vorstellung, dass Tiere nicht vernunftfähig sind und entsprechend weder ewigkeitsfähig noch erlösungsbedürftig sind, ist auch heute noch erkennbar. Doch leider zumeist unbewusst und entsprechend unreflektiert. Umso wichtiger ist die Frage, wo solche Glaubenssätze herkommen. Denn nur durch das Dekonstruieren bestehender theologischer Vorannahmen ist es möglich, vorherrschende (Macht)Strukturen, wie z.B. das gewaltvolle Mensch-Tier-Verhältnis zu hinterfragen und dieses nicht zu reproduzieren. Die Theologie muss als Disziplin Verantwortung für bestehende (Macht)Verhältnisse übernehmen, die sie zum Teil selbst erschaffen hat.
Das Thema der „Tiere in der Theologie“ ist also kein neues Thema und umfasst nicht nur die Darstellungen von Tieren in der Bibel, die, nebenbei gesagt, deutlich diverser (und teilweise auch gewaltvoller) sind, als es die klassischen Fokussierungen apologetischer Texte darstellen. Gleichzeitig gibt es aber auch biblische Texte, die wichtige Impulse für einen gewaltfreien Umgang mit Tieren bereitstellen, die, außerhalb des Bereichs der Tiertheologie, selten beleuchtet werden. Das Thema der Tiere in der Theologie ist ein Thema, das die Theologie schon lange ausgeblendet und ausgeschlossen hat, sodass es nun „neu“ erscheint. Um den Diskurs über Tiere in der Theologie zukunftsfähig zu gestalten, muss der (naturalisierte) Anthropozentrismus in der Theologie kritisch hinterfragt werden. Außerdem reichen apologetische Ansätze nicht aus, um diesen Anthropozentrismus zu überwinden. Hierfür ist die Tiertheologie essentiell, die auf blinde Flecke in der Theologie insgesamt aufmerksam macht, bestehende Strukturen hinterfragt und neue Deutungshorizonte anbietet.
[1] Eine klare Ausnahme stellt die „Dortmunder Tiertheologie“ dar.
[2] Ach, Johann S.: Das Tier als Mitgeschöpf? In: Horstmann, Simone (Hg.): Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt. Bielefeld: transcript 2021.
Henrike Herdramm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn im Bereich Praktische Theologie.
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