„Ich glaube an …“ Lehrkräfte und die Sprache über den eigenen Glauben im Klassenzimmer

„Sie glauben aber nicht wirklich an den ganzen Quatsch, den Sie unterrichten, oder?“

Ich, damals 19 Jahre alt, befinde mich gerade in meinem Eignungs- und Orientierungspraktikum. Ich studiere Deutsch und katholische Religion. Auf die obenstehende Frage, welche mir eine Schülerin im Religionsunterricht stellt, habe ich erst einmal keine richtige Antwort. Nicht, weil ich keinen Glauben habe oder die religiösen Inhalte des Unterrichts nicht vertreten kann, sondern, weil ich im Studium bisher nicht gelernt habe, wie man vor und mit anderen Menschen über seinen Glauben sprechen kann. Ich bin überfordert mit der Situation und kann keine richtige und vor allem zufriedenstellende Antwort geben, woraufhin Gelächter ausbricht.
Mittlerweile habe ich mein Studium abgeschlossen und arbeite als wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Religionsdidaktik an der Universität Paderborn. Die Situation hat mich während meines ganzen Studiums nicht mehr losgelassen.

„Bin ich hier überhaupt richtig, wenn ich noch nicht mal über das sprechen kann, woran ich glaube?“ „Kann ich so überhaupt eine richtige Religionslehrkraft werden?“

Inzwischen verhalte ich mich geübt und selbstbewusst – wahrscheinlich auch, weil ich mir noch klarer über meinen Glauben geworden bin – im sprachlichen Umgang mit meinem Glauben und dessen Vollzug. Damals fehlte mir jedoch noch die richtige Sprache, um darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen.
„Gibt es überhaupt die eine Sprache, um mit anderen, besonders mit Schüler*innen, ins
Gespräch über den persönlichen Glauben zu kommen?“
Mittlerweile habe ich meine eigene Sprache gefunden und kann ohne Probleme meinen
Glauben artikulieren und vollziehen. Wenn mich jedoch andere Personen nach meinem Glauben fragen, gerade wenn sie meinen Glauben infrage stellen, sehe ich mich manchmal noch in die Situation aus dem Eignungs- und Orientierungspraktikum zurückversetzt.

Ich frage mich, ob es anderen angehenden Religionslehrkräften, egal ob im oder nach dem Studium, genauso geht. Von Religionslehrkräften wird im besonderen Maße sowohl von der Kirche als auch im Bildungsplan gefordert, ihren Glauben und ihren Glaubensvollzug authentisch im Religionsunterricht zu bezeugen. Was für mich im katholischen Religionsunterricht schon als große Herausforderung und auch Überforderung wahrgenommen wurde, wird vor dem Hintergrund einer immer pluraler und heterogener werdenden Gesellschaft und Phänomenen wie Individualisierung und Säkularisierung, welche auch immer mehr im Religionsunterricht an Präsenz gewinnen, noch einmal zu einer schwierigeren Anforderung. Ich habe im Studium keine Sprachkompetenz erlernen dürfen, die mich dazu befähigt, über meinen Glauben zu sprechen und mich authentisch zu positionieren. Gerade im Umgang mit Schülerinnen braucht es jedoch eine besondere Sensibilität, seinen Glauben zu artikulieren. Schülerinnen erhalten gerade durch den bezeugten gelebten Glauben der Lehrperson Zugang zu einem existentiellen erfahrungsbezogenem Glaubensvollzug, wodurch auf vorbildhafte Art und Weise der Umgang mit Pluralität, die eigene Standpunktbildung und die Orientierung in einer pluralen Gesellschaft erlernt werden kann.
Aber wie soll ich diesen Zugang herstellen, wenn ich während meines Studiums nicht gelernt habe, wie ich über meinen eigenen Glauben spreche? Wo von Schülerinnen im Unterricht gefordert wird, einen eigenen Standpunkt in religiösen Fragen zu entwickeln, wird dies von Lehrkräften bereits vorausgesetzt. Doch wie kann ich von meinen Schülerinnen verlangen, Position zu beziehen, wenn ich selber im Studium nicht gelernt habe, wie so etwas geht?

Die Positionalität der Lehrperson empfinde ich als einen wichtigen Faktor im Religionsunterricht, um das Innere einer Religion, nämlich den existentiellen Glaubensvollzug, kennenzulernen. Gerade über die Positionalität der Lehrperson kann über rein religionskundliches Wissen hinausgegangen werden, um Schüler*innen eine Orientierungs-, Handlungs- und Dialogfähigkeit im Hinblick auf religiöse Fragestellungen und vor dem Hintergrund einer pluralen Gesellschaft zu vermitteln.
Die Situation des Praktikums war für mich ein Auslöser, sich intensiver mit dem eigenen
Glauben und der Fähigkeit, darüber zu sprechen, auseinanderzusetzen. Nicht jede angehende Religionslehrkraft erfährt solche Auslöser und nicht jede angehende Religionslehrkraft ist nur aufgrund ihrer/seiner Persönlichkeit in der Lage, frei und vor jeder Person Rede und Antwort zu ihrem/seinen Glauben zu stehen.

Man stellt sich dann nur vor, dass sich eine Religionslehrkraft, welche auch nicht gelernt hat, den eigenen Glauben vor Schüler*innen zu bezeugen, in der gleichen Situation wie ich befindet. Nur, dass es diesmal keine Praktikumssituation, sondern eine richtige Unterrichtssituation nach dem Referendariat sein könnte. Um angehende Religionslehrkräfte davor zu bewahren und eine Sprachkompetenz bezüglich des eigenen Glaubens an die Hand zu geben, braucht es während des Studiums Erfahrungsräume, in denen gelernt wird, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen und darüber ins Gespräch zu kommen.

Damit Religionslehrkräfte nach dem Studium nicht schweißgebadet in den Religionsunterricht gehen und vor die Frage gestellt werden: „Woran glauben Sie eigentlich?“

Jonas Hüster ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn im Bereich Religionsdidaktik.

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