Bei den Recherchen zu meiner Dissertation zur Johannesapokalypse stoße ich immer wieder auf verschiedene Vorstellungen vom Begriff „Apokalypse“. Eines fällt dabei schnell auf: Er hat im Laufe der Zeit einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren und wird heute oft in einem ganz anderen Kontext verwendet als in seiner ursprünglichen Bedeutung. Ein kurzer Einblick in die Blütezeit der Apokalyptik am Beispiel der Johannesapokalypse sowie ein Vergleich mit der gegenwärtigen Verwendung sollen dies verdeutlichen.
Doch was genau ist eine „Apokalypse“? Der Begriff „Apokalypse“ stammt ursprünglich aus dem Griechischen (ἀποκάλυψις/apokalypsis) und bedeutet „Offenbarung“ oder „Enthüllung“. Als die Apokalypse schlechthin prägte das erste Wort der Offenbarung des Johannes – die einzige Apokalypse im neutestamentlichen Kanon – eine ganze literarische Gattung (zur apokalyptischen Literatur zählen z.B. auch die Kapitel 7-12 des Buches Daniel des Alten Testaments sowie die apokryphen Apokalypsen, bspw. das Äthiopische Henochbuch (1 Hen), die Apokalypse des Baruch (2 Bar) oder das 4. Buch Esra (4 Esr)). Im biblischen Sinn bezeichnet der Begriff vor allem die Offenbarung göttlicher Geheimnisse – insbesondere im Hinblick auf zukünftige Ereignisse, dem Ende der gegenwärtigen Welt, dem Kommen des göttlichen Reiches und der Parusie (der Wiederkunft Christi). So werden im biblischen Buch der Offenbarung (auch „Apokalypse des Johannes“ genannt) eindrucksvolle Visionen vom göttlichen Gericht (vgl. Offb 14-18) und von der Entstehung einer neuen, gerechten Welt geschildert (vgl. Offb 20-21). Zentral in diesen Darstellungen ist der Gedanke der Hoffnung: Den Schwachen wird hier die Aussicht auf göttliche Rettung und Erlösung nach einer Zeit der Bedrängnis und Prüfung verheißen. Durch die Verkündigung göttlichen Eingreifens und das Versprechen eines endgültigen Endes des Bösen (im Fall der Johannesapokalypse das als Babylon chiffrierte Rom; vgl. Offb 17-18) soll die Johannesapokalypse trösten und zum Ausharren ermutigen. In genau dieser bedrohlichen Situation sollen die Menschen auf die Wiederkehr Christi warten und in Gottes Wirken vertrauen. So steht nicht primär das Ende der Welt im Fokus, sondern die Schaffung einer neuen, heilen Welt (so auch die Klimax in Offb 20-22). Durch diese subversive Kontrastwelt, in der Gott über das mit dämonischen Mächten gleichgesetzte politisch unterdrückerische Rom siegt (vgl. bes. Offb 13), wird eine Heterotopie geschaffen, in der die Schwachen die Siegenden sind.
Wirkmächtig waren in der Rezeptionsgeschichte aber v.a. die Bilder des göttlichen Gerichts, die sich in den drei Siebenerreihen offenbarten: Die sieben Siegel (Offb 6,1-8,1), die sieben Posaunen (Offb 8,2-9,21; 11,15-19) und die sieben Schalen (Offb 15,1-16,21). Unser heutiges Verständnis von Apokalypsen wurde stark auf eben diesen zerstörerischen Aspekt reduziert und häufig mit Katastrophen und dem finalen Weltuntergang gleichgesetzt. Der Begriff verweist meist auf destruktive Szenarien wie großflächige Naturkatastrophen, Kriege, Klimakatastrophen oder andere existenzbedrohende Ereignisse.
Denkt man an apokalyptische Filmproduktionen, stößt man direkt auf den Kriegsfilm Apocalypse Now (1979), bei dem sich der Titel auf die Grundstimmung des Films und die verheerenden Auswirkungen des Vietnamkriegs bezieht. Aber auch die Zombie-Apokalypse ist längst zu einem geprägten Motiv der Literaturwelt geworden, welchem sich u.a. die 2010 erschienene US-Serie The Walking Dead bedient, in der die Gesellschaft unter dem Ansturm eines globalen Zombievirus zusammenbricht. Auch der post-apokalyptische Film „I Am Legend“ (2008) greift das Motiv der Zombie-Apokalypse auf, indem der Protagonist (gespielt von Will Smith) als einer der letzten überlebenden Menschen die Verantwortung dafür trägt, ein Heilmittel gegen das Zombievirus zu finden bzw. dieses an die Überlebenden zu übergeben. Der Kampf um das Überleben der Menschheit wird zum Hauptanliegen der erzählten Welt. Ein göttlicher Heilsplan, wie er für jüdisch-christliche Apokalypsen ausschlaggebend ist, fehlt gänzlich. Das Ende wird hier als Folge unkontrollierter und oft chaotischer Ereignisse dargestellt, die durch menschliche Fehlentscheidungen oder Naturkatastrophen ausgelöst werden. Der Weltuntergang erscheint als unausweichlich, ohne die Aussicht auf ein göttliches Eingreifen oder eine letzte Rettung. Oder anders ausgedrückt: Während die Dystopie in Hollywoodfilmen auf die Apokalypse folgt, ist die Dystopie in der religiösen Apokalyptik bereits gelebte Gegenwart. Während moderne Apokalypsen in erster Linie Furcht und Schrecken erzeugen, vermitteln biblische Apokalypsen in besonderem Maße Hoffnung. Es geht um die Überwindung der jetzigen als ungerecht empfundenen Welt und um die göttliche Zusage einer besseren, gerechten Welt, wie ein Blick in Offb 21,4 zeigt:
Er [Gott] wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.
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Daniel Wiebe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie im Fachbereich Biblische Theologie (Neues Testament) an der Universität Paderborn.