Ein physikalisches Phänomen mit Symbolcharakter

Vor genau 500 Jahren, am 15. Mai 1525, waren die Bauern auf eine Anhöhe bei Bad Frankenhausen im Thüringischen gezogen. Sie waren bewaffnet, zwar nicht so gut wie die etwa 8000 Soldaten des hessisch-braunschweigisch-albertinischen Heeres, das ihnen entgegenstand, aber in ihren Händen war mehr als Sense und Dreschschlegel. Sie führten ihre Fahne mit, die sie und ihre Anliegen schon seit Wochen begleitet hatte: ein weißes Stück Stoff mit einem aufgenähten Regenbogen und den Worten „Verbum domini maneat in aeternum“ (Das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit). Und der Prediger Thomas Müntzer war bei ihnen, der sie in den letzten Monaten immer wieder bestärkt und mit seinen Visionen von einer gerechteren Welt verzückt hatte. Außerdem waren die Bauern etwa so viele wie das ihnen gegenüberstehende Heer. Die Bauern hatten Hoffnung. Heute sollte nun die alles entscheidende Schlacht stattfinden. Zeitzeugen berichten, dass kurz vor der Schlacht ein Regenbogen am Himmel erschien, oder auch ein Sonnenhalo. Die Bauern und Müntzer selbst deuteten das als göttliches Zeichen. In seiner Predigt auf dem Bad Frankenhäuser Berg sagte Müntzer dann: „Sehent ihr nicht den Regenbogen am Himmel? Der bedeut, daß Gott uns, die wir den Regenbogen im Banner führen, helfen will …“ Als die Bauern noch den Worten des Predigers lauschten und das Himmelsphänomen staunend betrachteten, griff das fürstliche Heer überraschend an. Am Ende des Tages waren etwa 6000 Bauern, aber nur sechs Söldner auf der Seite der Fürsten tot. Weitere hunderte Gefangene, auch Thomas Müntzer, wurden in den darauffolgenden Tagen gefoltert und hingerichtet.

Der Regenbogen, der die Bauern als Fahne und als Himmelserscheinung begleitete und der bei der entscheidenden Schlacht des Bauernkrieges die (unglückliche) Wende gebracht hatte, ist nichts anderes als ein physikalisches Phänomen. Ganz stark vereinfacht: Sonnenstrahlen treffen auf Wassertropfen, die wie durch ein Prisma optisch gebrochen werden, sodass verschiedene Farben zu sehen sind. Je nach Betrachtungswinkel und anderen Umständen sind dann einfache oder doppelte Regenbogen zu sehen, aus großer Höhe sogar kreisförmige und in sich geschlossene. Doch seit hunderten und tausenden von Jahren wird dieses physikalische Phänomen von religiösen Menschen als Zeichen göttlichen Beistands gelesen und in den Religionen und außerhalb mit dem Thema Hoffnung verbunden. Im Genesisbuch der Hebräischen Bibel / des Alten Testaments heißt es, dass Gott einen Regenbogen an den Himmel setzte als Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen (Genesis / 1. Mo 9). Der Regenbogen sei ein Erinnerungszeichen dafür, dass Gott es gut mit den Menschen meine und keine Vernichtungsabsichten hege. Und auch im Islam steht der Regenbogen für die Macht und Güte Gottes.

Der Regenbogen ist auch in der Moderne ein Hoffnungszeichen. Eine queere Jugendliche sagte bei einem Gespräch, die Regenbogenfahne sei für sie eine Sicherheitsgarantie, wenn sie abends noch unterwegs sei und eventuell Hilfe bräuchte. Dann würde sie sich an Menschen wenden, die einen Regenbogen-Pin trügen oder eine ebensolche Tasche bei sich hätten. Kürzlich leuchtete der Regenbogen auf den Socken eines Lokalpolitikers auf, der eine Rede der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verfolgte. In Orlando, Florida, färbte die Stadtverwaltung einen Zebrastreifen in Regenbogenfarben ein, um an die Opfer eines Anschlags auf die Queere Gemeinschaft im Jahr 2016 zu erinnern. Zahlreiche andere Städte, auch in Deutschland, schlossen sich an.

Das Symbol des Regenbogens bekommt aber nicht nur Applaus. Schon im Bauernkrieg vor 500 Jahren stand er als Zeichen der aufrührerischen Bauern in der Kritik. Heute wird diskutiert, ob Regenbogenfahnen vor öffentlichen Gebäuden in Deutschland gehisst werden sollen. Der regenbogenfarbene Zebrastreifen in Orlando wurde aufgrund der politischen Situation in den USA und auf Anweisung des US-Verkehrsministeriums kürzlich wieder schwarz-weiß übermalt.

Ein physikalisches Phänomen wird aufgrund seiner Symbolkraft zum Hoffnungszeichen oder zum Politikum und Stein des Anstoßes. Mit welchen Gedanken mögen die wenigen Überlebendes des Bauernkrieg-Massakers wohl Regenbögen nach dem 15. Mai 1525  betrachtet haben? Hielten sie den Regenbogen noch für ein Zeichen Gottes, oder hatte der Bogen am Himmel seinen Zauber und seine Symbolkraft für sie verloren? In Orlando jedenfalls reagierten Aktivist*innen sofort auf die politisch aufgeladene Aktion der US-Verkehrsministeriums und nutzten Straßenkreide, um den Zebrastreifen in kürzester Zeit wieder bunt einzufärben. Sie wollten sich die Hoffnung nicht nehmen lassen.

Das Müntzer-Zitat stammt aus Dokumente aus dem Deutschen Bauernkrieg, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig (1974).

Ausstellungen zum Thema 500 Jahre Bauernkrieg sind u.a. noch in Mühlhausen zu sehen (https://www.bauernkrieg2025.de).

1525: Müntzer, der Bauernkrieg und die Schlacht bei Frankenhausen

Vor 500 Jahren erhoben sich die Bauern in verschiedenen Regionen Deutschlands, um sich von der Unterdrückung freizumachen. Das Unverständnis der Adligen ihren Untertanen gegenüber brachte das Fass zum Überlaufen. Bei ihrem Kampf ums Überleben konnten sie nicht damit rechnen, von der Obrigkeit unterstützt zu werden. Von Süddeutschland aus breiteten sich die Aufstände aus und führten dazu, dass Klöster und Burgen von den Rebellierenden zerstört wurden. Es ging dabei aber nicht nur um politische Ziele, sondern Prediger der neuen reformatorischen Bewegungen gesellten sich dazu. So verband sich kirchliche mit politischen Anliegen. In der Gestalt des Thomas Müntzers lässt sich beides beobachten. Er war von den Gedanken Martin Luthers zunächst fasziniert und durch Luthers Vermittlung erhielt er seine erste Pfarrstelle. Doch gehörte er zu denen in der aufkommenden Reformation, die mehr wollten. Von Luther wissen wir, dass er in manchen Dingen sehr behutsam vorging, um die Menschen nicht zu überfordern. Aufruhr und Unordnung war etwas, mit dem er nicht umzugehen wusste. Es war Müntzer, der den Gottesdienst komplett in Deutsch feierte. Er zog die Konsequenzen und wollte nicht warten. So war es auch in seiner Predigt und der Unterstützung des Anliegens der Bauern. Dabei scheint es so zu sein, dass Müntzer sehr charismatisch gewesen sein musste. Es wird von allen seinen Wirkungsorten berichtet, dass er die Menschen in seinen Bann zog und sehr schnell für Aufruhr in der Kirchengemeinde und dem jeweiligen Ort sorgte. Er polarisierte. Seine letzte Wirkungsstätte war die freie Reichstadt Mühlhausen. Gegenüber der Marienkirche steht das Pfarrhaus, in dem er mit seiner Frau und Kind wohnte. Von hier zog er mit den Aufständischen in die Schlacht bei Frankenhausen, wo die Bauern regelrecht niedergemetzelt wurden. Wie an vielen anderen Ort wurde den Aufständen ein blutiges Ende bereitet. Selbst Luther war darüber erschrocken. Auf Anfrage hatte er den Landesherrn bescheinigt, gegen die Bauern vorgehen zu können. Doch er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass dabei so viel Blut vergossen würde. Entsprechend könnte die DDR Luther dann auch als „Fürstenknecht“ lesen und in Müntzer einen Exponenten der „frühbürgerlichen Revolution“. Es war klar, dass der sozialistische Staat sich auf die Seite der Bauern und Müntzers stellte.

Die Marienkirche in Mühlhausen wurde in eine Gedenkstätte für Müntzer umgewandelt und in den Darstellungen wurde ihm ein Schwert in die Hand gedrückt. Wie man in der thüringischen Landesausstellung in Mühlhausen sehen kann, hat Müntzer jedoch selbst nicht zum Schwert gegriffen. Er blieb Geistlicher, der mit den Bauern in den Kampf zog, dabei war sein Schwert das Wort.

Das nach der Vorlage von Albrecht Dürer gestaltete neue Denkmal in Mühlhausen.

„So habe ich gehört …“

Über den Buddhismus haben wir hier in Deutschland schon so einiges gehört. Zum Beispiel, dass es sich dabei um eine atheistische Religion handelt. Dass Buddhisten meditieren. Dass der Buddha um 600 v. Chr. gelebt hat. Und so weiter.

Auch die meisten buddhistischen Sutras beginnen damit, dass jemand etwas gehört hat. Die Formel „So habe ich gehört …“ steht am Beginn fast eines jeden Sutras. Was wir dann aber hören, ist eine ganz andere Geschichte als die, die man uns hier erzählt hat. Wir hören von Äonen mal Äonen mal den Sand des Ganges zählende Buddhas, und von unendlich zahlreichen und weiten Buddhaländern, aus denen sie zusammenkommen. Wir hören nicht nur von einem Himmel, sondern von etlichen, in denen unterschiedliche Wesen leben. Wir hören aber nicht nur von Himmeln, sondern auch von Höllen. Von kalten und heißen. Von weiten und fernen.

Das viele Hören von Dingen kann verwirren. Was soll man denn glauben, wenn man so viele unterschiedliche Erzählungen hört? Am letzten Samstag war ich mit einer Gruppe von Studierenden im Tempel des EKO-Hauses in Düsseldorf. Er gehört zum Zweig des JodoShinshu, auch Reine-Land-Buddhismus genannt. Wir begannen mit einem Ritus im Tempel – und genau da passierte es. Alles wurde plötzlich fremd. Ein Priester erzählte etwas von einem Buddha Amida, einem Buddha des unermesslichen Lichtes, der ein Reines Land im Westen gegründet hat, in das alle hineingeboren werden, die zehnmal vertrauensvoll seinen Namen ausrufen. Sind Buddhisten nicht die, die stundenlang still vor einer weißen Wand sitzen? Auch solche haben wir an diesem Tag noch gesehen. Aber auch sie haben zunächst auch gebetet, bevor sie sich hingesetzt haben. Für den Schutz der Menschen in der Stadt und das Heil aller Wesen im Samsara. Zu wem haben sie gebetet? Zu unterschiedlichen Göttern und Wesen. Das ist wieder eine andere Geschichte.

Doch gab es nur Geschichten an diesem Tag? Tatsächlich fand auch eine Begegnung statt. Wir konnten uns sehr lange mit einem Priester austauschen und plötzlich wurde etwas präsent. Eine Lebendigkeit, die erlebbar wird, wenn Menschen einander begegnen, die nicht nur etwas gehört, sondern auch etwas durchlebt haben. Genau hier wurde deutlich, was an der Praxis der Komparativen Theologie anders ist. Ja, so haben wir gehört an diesem Tag. Wir haben aber auch gesehen und miterlebt – und ich glaube, auch verstanden. Nicht alles. Aber in der Begegnung wurde etwas zugänglich, das in den Texten verborgen bleibt.

Auch die Texte selbst berichten immer wieder von Begegnungen. So trifft der Gelehrte Schüler Subhuti den Bodhisattva Avalokiteśvara. Er bittet ihn um Erläuterung der komplizierten Philosophie der buddhistischen Tradition. Dieser ent-täuscht ihn zunächst im wahrsten Sinne des Wortes. Alles, was er bisher gehört hat, existiert nicht auf die Weise, wie er es sich vorgestellt hat. Das ist zunächst deprimierend. Wofür hat Subhuti das denn alles gelernt? Die Antwort ist einfach: um es alles zu vergessen. Vergiss, was du gehört hast, und begegne dem, was ist. Befrei dich von den Bildern in deinem Kopf, die dir eher den Blick auf die Wirklichkeit verstellen, als dass sie ihn ermöglichen.

Wenn wir einmal genau in unser Leben schauen, dann passiert uns genau dieses Muster ständig. Irgendjemand hat ein Bild von uns. Er oder sie hat etwas gehört. Nichts von dem Bild entspricht dem, was wir wirklich sind. Auch da kann eine ehrliche Begegnung für eine heilsame Ent-Täuschung sorgen. Manchmal aber auch für mehr Frustration. Was aber passiert ist etwas Wesentliches: Wir begegnen im anderen einem uneinholbaren Geheimnis, dem wir uns nicht einfach so bemächtigen dürfen. Das passiert uns in der Begegnung der Kulturen, aber auch in der einfachen, zwischenmenschlichen Begegnung im Alltag.

Plötzlich erleben wir, dass das Gebot, dass Gott dem Menschen sich selbst gegenüber gegeben hat, nicht nur gegenüber Gott, sondern auch gegenüber allen Menschen und Kulturen gelten sollte: Du sollst Dir kein Bild von mir machen. Was würde passieren, wenn wir diesem Gebot in unseren Alltäglichen Begegnungen etwas mehr folgen würden? Dass ist ein hoher Anspruch und in Teilen, vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen, unglaublich anstrengend. Gleichzeitig ist es aber, wenn man mich fragt, die wertvollste Haltung, die man im Leben einnehmen kann.

Folgt man dieser Spur eröffnet sich uns nämlich eine neue Weite der Wirklichkeit, die uns verborgen bleibt, wenn wir an unseren Bildern hängen bleiben. In der Begegnung zwischen den Kulturen, den Religionen, aber vor allem den Menschen liegt etwas Wunderbares. Die Dinge werden erst durch die Menschen, die sie durchleben, erlebbar und verstehbar. In der Tiefe verstanden öffnen sie uns aber immer wieder neu für das Geheimnis, das der oder die andere im Wesentlichen ist. Das wurde mir an diesem Samstag deutlich. Ich freue mich schon auf das nächste Mal. Bis dahin bleibt mir nur die Haltung: „So habe ich gehört …“, „So habe ich gesehen …“ und „So habe ich es erlebt …“ und doch nicht ganz verstanden.