Psychohygiene

Üblicherweise erkennt man erst dann, was Gesund-Sein bedeutet, wenn man es nicht mehr ist. Diese Binsenweisheit ist so unspektakulär wie existentiell bedeutsam, wie es uns die letzten zwei Jahre immer wieder bisweilen dramatisch vor Augen geführt haben. Plötzlich wurde im politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch im persönlichen Leben der Takt von einem Virus vorgegeben, mit dem man sich mittlerweile mehr oder weniger arrangiert hat, der allerdings nach wie vor seine Spuren im Alltag hinterlassen hat – angesichts von omnipräsenten Desinfektionsspendern, fallengelassenen Masken auf dem Bürgersteig und unbeholfenen Tanz-ähnlichen Bewegungen beim Begrüßen, da noch nicht ganz klar ist, ob der Handschlag rehabilitiert ist oder nicht. So wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neue Regeln aufstellen mussten und nun abwägen, welche dieser Regeln archiviert werden können, bevor sie im Herbst ihr Revival feiern, mussten wir für uns persönlich ebenfalls neue Abläufe und Gewohnheiten etablieren, unsere Art des Lebens anpassen und damit umgehen lernen, dass Krankheit und Tod traurige Must-haves in unser aller Leben sind. 

Die Allgegenwart von Krankheit führt dazu, dass die eigene körperliche Verletzlichkeit, die faktischen Einschränkungen, Verluste und Einschnitte, die man erlebt hat, irgendwie eingeordnet, verarbeitet und eventuell sogar sinnvoll in das eigene Leben integriert werden müssen. Resilienz als die Fähigkeit, das innere Gleichgewicht gegen Störungen und Angriffe von außen beizubehalten, hat hierdurch eine ganz neue Bedeutung erhalten. Auch wenn vieles jetzt gerade zurück zu „normal“ pendelt, können die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie nicht geleugnet werden. Entsprechend rückt in den Vordergrund, dass Gesundheit nicht nur eine Sache des Körpers, sondern eben auch der Psyche – oder etwas spiritueller ausgedrückt – der Seele ist. 

Wo aber die Seele im Spiel ist, da ist auch die Religion nicht weit. Zu der Frage, was Gott bzw. sein Handeln in der Welt mit Ursprung und Verlauf der Pandemie zu tun hat, ist schon viel aus theologischer Sicht geschrieben worden. Auf der ganz praktischen Ebene stellt sich für mich allerdings nach wie vor die Frage, ob man nicht noch mehr Lehren aus der Pandemie ziehen kann als die Einsicht, dass Weihwasserbecken in hygienischer Hinsicht dubios sind. Müsste man nicht gelernt haben, dass Krank-Sein immer nicht nur etwas mit dem Körper macht, sondern den ganzen Menschen mit Leib und Seele in Beschlag nimmt und wir deswegen nicht nur eine Körper- sondern auch eine Psychohygiene brauchen? 

Im Rahmen der in Kooperation von ZeKK, CTSI und der Theologischen Fakultät Paderborn stattgefundenen internationalen Tagung vom 16.-18.06. zum Thema „Health and Religion“ wurden aus interreligiöser Perspektive vielfältige Fragen zum Zusammenhang von Krankheit, Gesundheit, Religiosität und Gottes heilendem Wirken in der Welt (bspw. das islamische Konzept des shifa oder Christus als Arzt und Heiler) thematisiert. Den Hauptvortrag am Abend hielt der Professor für Global Health des Universitätsklinikums Bonn Walter Bruchhausen, der die Bedeutung des Zusammenwirkens von Religion und Medizin in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft betont hat. Dabei gehe es eben nicht darum, dass Religion die Aufgaben der Medizin übernehme, sondern darum, dass die große Bedeutung der persönlichen Spiritualität nicht nur derjenigen, die von Krankheit betroffen sind, sondern auch derjenigen, die im Gesundheitssektor arbeiten, stärkere Beachtung finden sollte. Hier kommt die Fähigkeit zur Resilienz wieder ins Spiel. Wer – auf welcher Seite auch immer stehend – tagtäglich mit Krankheit und Tod konfrontiert ist, braucht funktionierende coping-Strategien und eine Sinngebung für das eigene Tun, die über die Logiken des Marktes hinausgeht. Diese Sinngebung muss nicht zwingend religiös fundiert sein, allerdings zeigt sich Religion doch bleibend als wichtiger Player auf dem Spielfeld der Suche nach Motivation und Zielsetzung des eigenen Handelns. 

Die Tagung hat die Möglichkeiten eines Zusammenspiels von Spiritualität bzw. Religiosität und Health Care eindrucksvoll vor Augen geführt und damit noch einmal deutlich gemacht, inwieweit Religionen durchaus systemrelevant sein können. 

Dr. Cornelia Dockter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholisch-theologischen Fakultät Bonn.

#Krankheit #Religion #Mental Health #Resilienz

Islam through the lens of Drama 

 “Faten Amal Harbi” represents my Egyptian dramatic discovery of this year. The events of the work revolve in a dramatic social setting, around the tragedy of „Faten“, with her husband and her marital problems with him, so she decides to separate from him, thinking she has managed to eliminate her problems, but she faces other crises with certain provisions of the Personal Status Law, which decides under the name of law derived from Sharia to deprive her of her two daughters if she remarries another person.

Faten’s struggle continues in the court of Judge David, who has always been a supporter of one side (Sharia), and who always insists on telling her that his job is to apply the laws and not to make justice.  Faten, after making sure that the source of this law is human, resorts to the Qur’anic text, proves the illegitimacy of this law, and even succeeds in sending it back for revision and modification. 

In general, both Drama and cinema are faced with rejection and hostility from many jurists, who keep on making fatwas regarding the forms and contents of works. However, both Arts continue to stimulate the Muslim realities and many works moved on from treating the topic of the Muslim history and victories and tried to break the silence on other topics that touch on the details of the sensitive reality within Muslim societies. The Drama embraced thorny issues, overlapping and clashing with the hottest of these topics; such as differences in religions, the relationship between Muslims and Christians, issues of religious extremism, violence, terrorism, and other propositions that used to be the preserve of news bulletins.

“Faten Amal Harbi” is a work that sparked a lot of debates not only in Egypt but also in many other Muslim countries, not only because it succeeded in reviewing a law that is derived from Sharia, but also because it succeeded to trigger the Muslim awareness to reconsider the divine laws which are set in the Qur’anic text and the human laws which are based on al-‚ijma’, al-ijtihad, al-iastihsan, or al-qiyas and to differentiate between what is variable and what is invariable. And how many Davids, who apply the rules and not justice, still exist in our courts?

Nadia Saad ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#Drama #Islam #Justice

Wenn Kinder Theologie betreiben

Meine Kinder haben sich neulich gestritten. Das an sich ist kein Novum. Aber das Thema ihres Streitgesprächs fand ich diesmal hochinteressant. Es enthielt viele Reminiszenzen theologischer Debatten der Frühphase islamischer Theologie. Zum Kontext: An dem Tag war die Mama gesundheitlich angeschlagen und lag flach im Bett. Meine Tochter (7,5 Jahre), Erstklässlerin, besucht den Moscheeunterricht in unserer Gemeinde, und der Hodscha, der zugleich auch deren Opa ist, erklärt ihr so manchmal „die Welt“. Der Sohn ist sechs und geht in den Kindergarten. Ich skizziere kurz deren Streitgespräch, das ich am liebsten aufgenommen hätte:

Sie: „Weißt du, Mama ist krank, weil Gott es so will. Dedo (Opa) hat gesagt, dass alles was passiert, dass es so Gott will.“

Er: „Nein!“

Sie: „Doch! Dedo hat das so in der Moschee gesagt. Gott will alles und er weiß alles.“

Er: „Nein! Gott will nicht, dass Mama krank ist!“

Sie: „Aber Dedo hat das so gesaaaagt!“

Das wiederholte Autoritätsargument brachte den Kleinen zum Weinen. Ihm fehlten die Argumente, die Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekräftigen, und in seinem lauten Aufschrei erklang der Protest gegen die Vorstellung eines Gottes, der auch das Üble in der Welt will und erschafft. Zu dem Zeitpunkt war ja die Tatsache, dass Mama krank ist, das größte Übel seiner kleinen Welt. Meine Tochter fing dann auch gleich an zu weinen: entweder weil er ihr nicht glaubt oder weil sie selbst diese Erklärung der ewigen Frage „unde malum?“ nicht mag.

Ich musste mich dann in das Gespräch einmischen, als es nicht mehr um die geäußerten Argumente ging, sondern nur darum, wer lauter schreien und besser weinen kann, um somit das Streitgespräch zu gewinnen. (Ich frage mich jetzt aber, ob es auch nicht so ähnlich – mit vielleicht etwas sophistizierteren Methoden – in den theologischen Debatten der Frühzeit gewesen ist?!)

Das Theodizeeproblem musste ich also derart aufklären, dass beide Seiten zufrieden sind. Einerseits muss weiterhin gelten, was der Hodscha in der Moschee erzählt, denn eine der sechs Glaubenssäulen im Islam ist ja der Glaube an qadar, dass nämlich „alles was passiert, mit dem Willen Gottes passiert.“ Außerdem hat das doch der Hodscha gesagt, und „er weiß ja alles über Gott und Islam.“ Andererseits müsste ich die Vorstellung eines liebenden, barmherzigen Gottes, der ja nur das Beste für alle Menschen will – so auch für die momentan kranke Mama – untermauern.

Ich bin auf eine klassische versöhnende Erklärung ausgewichen, während sie beide ihre Tränen weggewischt haben: „Es stimmt, dass Gott alles will. Er will aber Mama durch die temporäre Krankheit nichts Böses antun, sondern nur prüfen, ob Mama mit Allem, was so von Gott kommt, zufrieden und dankbar ist, oder ob sie bei jeder Kleinigkeit jammert. Also, ihr beide habt recht: Gott liebt uns alle, und will nicht, dass es uns schlecht geht. Und für alles was uns an Bösem trifft, solange wir zufrieden, geduldig und dankbar sind, werden wir von Gott belohnt.“ Meine Tochter schien mit dem Schiedsspruch zufrieden zu sein, da ihre Weltvorstellung noch standhielt: der Hodscha/Opa hatte doch recht und sie hat es gut im Moscheeunterricht verstanden und dem Bruder übermittelt. Meinem Sohn schien noch ein abschließendes Argument für die „Verteidigung“ seiner Position zu fehlen. Nicht etwa ein Koranvers, denn er kennt diese noch nicht. Als Argument fiel mir dann ein Kinderlied aus seinem evangelischen Kindergarten ein. Ich fragte: „Singt ihr denn auch etwa nicht beim Essen im Kindergarten: 

Alle guten Gaben, 

alles, was wir haben, 

kommt, o Gott, von Dir, 

wir danken Dir dafür.

Jedes Tierlein hat sein Essen, 

jedes Blümlein trinkt von Dir. 

Hast auch Du uns nicht vergessen 

Lieber Gott, wir danken Dir.

Damit hat er sich begnügt und beendete das ihm sehr bekannte Lied: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – Guten Appetit ihr Lieben!“. Und dieser Ohrwurm, der sich mir – gesungen von 20 Kleinkindern vor dem Essen in einer sehr stressigen Eingewöhnungsphase im Kindergarten – tief ins Gedächtnis eingeprägt hat, hat sich endlich auch gelohnt!

Ahmed Husic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#kinder #theologie #Gott #Wille

Dust to Dust

Some stories about our lives we live to tell. But many we do not, for these may only be told after we are no longer alive to tell them.   

Walking through a cemetery provides ample opportunity to reflect on how the dead speak, or are spoken for, by the graves that contain them. For some, nothing less than a mini mausoleum will do. What shape this takes will depend on one’s faith, tastes and graveyard by-laws (death might liberate us from suffering and mortality but the coils of administrative rules endure into the great abyss!). I must admit I usually walk quickly past these graves. The elaborate carvings of angels, the miniature domes and elaborate calligraphic laments appear to me to be an unceasing howl from the big beyond. Do the dead get bored seeing the same engraving over themselves until they are resurrected out of their graves? I am always drawn to the graves that narrate in silence the lives extinguished beneath them. Muslims will often leave instructions that their graves are to be a mound of earth and dust with nothing solid to record their existence. What I hear when I see these graves are the words of the Qurʾān: “All that is upon it perishes: and there remains only the face of your Lord of majesty and honor” (Q. Al-Raḥmān 55:27). 

On a recent walk through a Muslim cemetery, I was struck by the irony and profundity of a marbled tombstone etched with words from the Sufī poet Bābā Farīd, reflecting on our most enduring memorial:

“Behold Farīd, blowing dust

Dust piling upon more dust.

Laughing dust, weepy dust

Dust ending into dust.

Say not, servant, “me” and “mine”

For it is not yours, nor mine.

Our world is a four day bustle

Then a pile of dust.“

Abdul Rahman Mustafa ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.

#dust #graves #cemetry