Wenn Kinder Theologie betreiben

Meine Kinder haben sich neulich gestritten. Das an sich ist kein Novum. Aber das Thema ihres Streitgesprächs fand ich diesmal hochinteressant. Es enthielt viele Reminiszenzen theologischer Debatten der Frühphase islamischer Theologie. Zum Kontext: An dem Tag war die Mama gesundheitlich angeschlagen und lag flach im Bett. Meine Tochter (7,5 Jahre), Erstklässlerin, besucht den Moscheeunterricht in unserer Gemeinde, und der Hodscha, der zugleich auch deren Opa ist, erklärt ihr so manchmal „die Welt“. Der Sohn ist sechs und geht in den Kindergarten. Ich skizziere kurz deren Streitgespräch, das ich am liebsten aufgenommen hätte:

Sie: „Weißt du, Mama ist krank, weil Gott es so will. Dedo (Opa) hat gesagt, dass alles was passiert, dass es so Gott will.“

Er: „Nein!“

Sie: „Doch! Dedo hat das so in der Moschee gesagt. Gott will alles und er weiß alles.“

Er: „Nein! Gott will nicht, dass Mama krank ist!“

Sie: „Aber Dedo hat das so gesaaaagt!“

Das wiederholte Autoritätsargument brachte den Kleinen zum Weinen. Ihm fehlten die Argumente, die Liebe und Barmherzigkeit Gottes bekräftigen, und in seinem lauten Aufschrei erklang der Protest gegen die Vorstellung eines Gottes, der auch das Üble in der Welt will und erschafft. Zu dem Zeitpunkt war ja die Tatsache, dass Mama krank ist, das größte Übel seiner kleinen Welt. Meine Tochter fing dann auch gleich an zu weinen: entweder weil er ihr nicht glaubt oder weil sie selbst diese Erklärung der ewigen Frage „unde malum?“ nicht mag.

Ich musste mich dann in das Gespräch einmischen, als es nicht mehr um die geäußerten Argumente ging, sondern nur darum, wer lauter schreien und besser weinen kann, um somit das Streitgespräch zu gewinnen. (Ich frage mich jetzt aber, ob es auch nicht so ähnlich – mit vielleicht etwas sophistizierteren Methoden – in den theologischen Debatten der Frühzeit gewesen ist?!)

Das Theodizeeproblem musste ich also derart aufklären, dass beide Seiten zufrieden sind. Einerseits muss weiterhin gelten, was der Hodscha in der Moschee erzählt, denn eine der sechs Glaubenssäulen im Islam ist ja der Glaube an qadar, dass nämlich „alles was passiert, mit dem Willen Gottes passiert.“ Außerdem hat das doch der Hodscha gesagt, und „er weiß ja alles über Gott und Islam.“ Andererseits müsste ich die Vorstellung eines liebenden, barmherzigen Gottes, der ja nur das Beste für alle Menschen will – so auch für die momentan kranke Mama – untermauern.

Ich bin auf eine klassische versöhnende Erklärung ausgewichen, während sie beide ihre Tränen weggewischt haben: „Es stimmt, dass Gott alles will. Er will aber Mama durch die temporäre Krankheit nichts Böses antun, sondern nur prüfen, ob Mama mit Allem, was so von Gott kommt, zufrieden und dankbar ist, oder ob sie bei jeder Kleinigkeit jammert. Also, ihr beide habt recht: Gott liebt uns alle, und will nicht, dass es uns schlecht geht. Und für alles was uns an Bösem trifft, solange wir zufrieden, geduldig und dankbar sind, werden wir von Gott belohnt.“ Meine Tochter schien mit dem Schiedsspruch zufrieden zu sein, da ihre Weltvorstellung noch standhielt: der Hodscha/Opa hatte doch recht und sie hat es gut im Moscheeunterricht verstanden und dem Bruder übermittelt. Meinem Sohn schien noch ein abschließendes Argument für die „Verteidigung“ seiner Position zu fehlen. Nicht etwa ein Koranvers, denn er kennt diese noch nicht. Als Argument fiel mir dann ein Kinderlied aus seinem evangelischen Kindergarten ein. Ich fragte: „Singt ihr denn auch etwa nicht beim Essen im Kindergarten: 

Alle guten Gaben, 

alles, was wir haben, 

kommt, o Gott, von Dir, 

wir danken Dir dafür.

Jedes Tierlein hat sein Essen, 

jedes Blümlein trinkt von Dir. 

Hast auch Du uns nicht vergessen 

Lieber Gott, wir danken Dir.

Damit hat er sich begnügt und beendete das ihm sehr bekannte Lied: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben – Guten Appetit ihr Lieben!“. Und dieser Ohrwurm, der sich mir – gesungen von 20 Kleinkindern vor dem Essen in einer sehr stressigen Eingewöhnungsphase im Kindergarten – tief ins Gedächtnis eingeprägt hat, hat sich endlich auch gelohnt!

Ahmed Husic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

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