Als ich und meine Studierenden am Freitag, den 20.05. im Seminar sitzen und über den Umgang mit dem Koran in pädagogischen Kontexten diskutieren, schaue ich hin und wieder aus dem Fenster und denke, dass die Wettervorhersage mit der Unwetterwarnung wieder einmal übertrieben hat. Abgesehen von mal kräftigen/kurzen Regenschauern und Nieselregen, kann ich noch nichts Beunruhigendes sehen. Erst am späten Abend, als ich wieder in meinem Zuhause 100 km entfernt von Paderborn ankomme, sehe ich bestürzt in den Nachrichten, was in Paderborn, ca. 4 km von der Universität entfernt, in kürzester Zeit passiert ist: demolierte Autos, zersprungene Fensterscheiben, ein Meer aus Dachziegeln, Ästen und Scherben auf den Straßen und viele verletzte Menschen. Freund*innen und Kolleg*innen posten in den sozialen Medien ihre Aufnahmen von durch die Luft fliegenden Gegenständen und Verkehrsschildern und Ampeln, die wie Streichhölzer umzukippen scheinen.
Die Ereignisse der letzten Woche zeigen uns anschaulich, dass die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise auch in unserem Leben angekommen sind.
Wenn ich mich mit Muslim*innen über den Klimawandel unterhalte, nehme ich unterschiedliche Reaktionen darauf wahr. Für manch eine ist es ein Zeichen der nahenden Apokalypse, von dem der Koran in vielen Suren anschaulich berichtet und ähnliche Weltszenarien eindrücklich beschreibt. Die Mehrheit hingegen sieht den Klimawandel als von uns Menschen gemacht an und erkennt einen Zusammenhang zwischen unserem Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde und unserem Lebensstil. Auch wenn mein soziales muslimisches Umfeld kein repräsentatives Abbild der muslimischen Communities in Deutschland darstellt, ist zunächst festzuhalten, dass das Thema Umweltschutz auch Muslim*innen durchaus beschäftigt. Noch vor einigen Jahren belächelt, wenn ich es vorgezogen habe, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, plastikreduziert einzukaufen oder die Kinder nicht mit Wegwerfwindeln zu wickeln, setzen sich nun auch verstärkt Muslim*innen mit Umwelt- und Klimaschutz auseinander.
Längst gibt es Initiativen, die etwa Halal nicht nur auf die Schlachtung des Tieres beziehen, sondern dazu auch die artgerechte Tierhaltung zählen. Auch gibt es Initiativen, die Alternativen gegen Lebensmittelverschwendung und Plastikgeschirr beim gemeinschaftlichen Fastenbrechen im Ramadan in Moscheen anbieten. Es verwundert nicht, dass diese in ihren Internetauftritten auch islamisch-theologische Inhalte aufweisen und eine islamische Umweltethik auf der Grundlage des Korans aufarbeiten. Es dürfte klar sein, dass man kaum Muslim*innen finden würde, die den Inhalten dort theologische Gegenargumente entgegenbringen könnten.
Geht man nun einen Schritt weiter und betrachtet, wie viele Muslim*innen bestrebt sind, ihren Alltag ökologisch bewusster zu gestalten, stößt man jedoch auf eine große Diskrepanz: Umweltschutz ist unter Muslim*innen weiterhin nur eine Randerscheinung, die die große Mehrheit der Muslim*innen nicht erreicht bzw. nicht für sich als relevant erachten. Umweltschutz taucht weder als Thema in medialen Beiträgen noch in der Praxis der Moscheen oder der großen Dachverbände auf, eher im Gegenteil: Der Anblick der Müllberge beim Besuch von Kermesveranstaltungen in vielen Moscheen derzeit oder auf dem Festi Ramazan im April rufen bei vielen den Alltag umweltbewusst gestaltenden Muslim*innen blankes Entsetzen hervor und führen zu Diskussionen darüber, wie man sich in dieser Situation gleichzeitig solidarisch mit der Moschee zeigen soll und dabei ignorieren könne, welche Schäden die bei der Aktion entstehenden Müllberge aus Einweggeschirr für die Natur bedeuten.
Dabei gibt es bislang erprobte Konzepte zur Müllvermeidung speziell für Großveranstaltungen. Über die Gründe dieses fehlenden Einsatzes unter vielen Muslim*innen kann nur spekuliert werden. Möglicherweise sind umwelt- und klimabewusstes Handeln ein Thema des Bildungsbürgertums. Studien belegen, dass auch in der Mehrheitsgesellschaft das Thema überwiegend bei bildungsorientierten Schichten Anklang findet. Auch wenn Muslim*innen in Deutschland zu den Bildungsaufsteiger*innen zählen, bilden sie aber noch lange nicht die Mehrheit in den einzelnen Moscheevereinen ab.
Um Veränderungen zu bewirken, bedarf es einer intensiven Diskussion in muslimischen Communities. Möglicherweise zählt auch das Argument, dass viele Muslim*innen sich weiterhin an ihren Herkunftsländer orientieren. Da Umweltschutz dort keine allzu wichtige Rolle spielt, verwundert es kaum, wenn es für sie auch nicht auf der Tagesordnung steht.
Deshalb setze ich meine Hoffnung in die junge Generation, die sich, anders als ihre Elterngeneration, als deutsche Muslim*innen verstehen und durch ihr verändertes Bewusstsein und wachsendes gesellschaftliches Engagement manch einen muslimischen Dachverband und Moscheeverein zu mehr umwelt- und klimabewusstem Verhalten bewegen.
Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Paderborner Institut für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.
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