Die Fragilität der Existenz der Welt und seine Geschöpfe und auch die Wiederherstellung seiner Stärke, sind wiederkehrende Themen in den jüdischen Quellen, beginnend mit den Erzählungen der Tora.
Bereits Genesis berichtet, dass es seit der Schöpfung gerade einmal nur neun Generationen dauerte, bis eine göttliche Flut alles Leben auf der Erde vernichtete. Nur Noah, seine Familie und die Tiere, die sie retteten, überlebten diese Tragödie. Die Botschaft der Geschichte spielt auf die Fragilität der Umwelt an, auf die Unvorhersehbarkeit natürlicher Zyklen, wenn der Mensch die göttlichen Spielregeln nicht respektiert. Eine der ersten Handlungen Noahs auf trockenem Land war das Pflanzen eines Weinbergs. Und das Leben nahm seinen Lauf.
Ein paar Kapitel später schildert Gen 11 die Illusion von Macht und Eigenständigkeit, die mit dem Bau des Turms von Babel gefeiert werden sollte. Dann der nächste Bruch: Gott intervenierte, indem er Sprachen schuf und mischte. Eine verständliche Kommunikation zwischen Menschen untereinander wurde unmöglich. In diesem Fall versucht die Geschichte nicht nur, die Ätiologie menschlicher Sprachen zu erklären, sondern schlägt auch vor, dass Kommunikation ebenso entscheidend ist wie Biologie. Es zeigt, dass erst eine Zusammenarbeit mit anderen und Sprache ein Zusammenleben der Menschen ermöglicht.
Szenenwechsel: Abraham wird in Gen 22,1-19 auf die Probe gestellt, als er seinen Sohn Yitzchak fast opfert. Sein bedingungsloser Glaube hätte ihn als Person zerstören können. Die Ausübung von blindem und absolutem Glauben wird somit vollständig abgelehnt. Der Patriarch hat die Prüfung bestanden und sein Leben ging irgendwie weiter. Seine Frau Sarah starb dagegen vor Kummer, als sie die Nachricht hörte, berichtet der Midrasch. Aber wie war Yitzchaks weiteres Leben? Chaim Guri, ein israelischer Lyriker, schreibt in seinem Gedicht Heritage (Erbe) „Isaac, as the story goes, was not sacrificed. He lived for many years(…).But he bequeathed that hour to his offspring.They are born with a knife in their hearts.” Es ist die Zerbrechlichkeit der Psyche und die Erfahrung eines Traumas, die Guri thematisiert.
Ein Beispiel für die Fragilität der national-politischen Institutionen ist die Zerstörung des zweiten Tempels 70 u.Z. Unter den vielen Reflektionen nach diesem traumatischen Ereignis findet sich ein Kommentar aus dem rabbinischen Denken, der Mut und Hoffnung machen soll. Er lehrt, dass der Moment der ersehnten Erlösung beschleunigt würde, wenn Israel Gute Taten (Gemilut Hasadim) und Teschuwa (Umkehr zu Gott) praktiziert würde.
Eine der dramatischsten Vorstellungen von Fragilität verkörpert sich im mystischen Gedanken der Kabbala mit der Idee der „zerbrochenen Gefäße“. Vereinfach dargestellt: während des Schöpfungsprozesses der Welt hatte sich die Kraft Gottes in seiner Kontraktion (zimzum), gewaltsam zerstreut,, um Platz für die Welt zu schaffen. Um das Ungleichgewicht zu reparieren, sind es nun die guten Taten der Menschen (Tikkun Olam), die die verlorenen Scherben wieder zusammenbringen können.
Die Texte der jüdischen Tradition erarbeiten eine fertige und fragile Welt. Die Vollkommenheit der Welt zu erreichen, ist eine Aufgabe und ein Ideal, das der menschlichen Spezies zugeordnet ist, eine Mission, die nur in messianischen Zeiten endet. Das ist die andere Seite der Fragilität: die Kraft des Menschen, durch seinen Glauben und seine Handlungen die Harmonie der Welt und insbesondere im mystischen Denken des Kosmos zu restaurieren.
Zwischen Zeiten der Fragilität und denen der Wiederherstellungskraft öffnet sich der Ort der Hoffnung. Yeshayahu Leibowitz, Philosoph und Wissenschaftler (1903-1994), einer der angesehensten und umstrittensten Intellektuellen in Israel, antwortete auf die Frage nach der Figur des Messias für das Judentum: „Ich glaube, dass der Messias am kommen ist“ und erklärt weiter: „das ist die Essenz des Messias, er ist immer auf dem Weg“.
Auf welchen Wege wandelt noch der Messias, der bekannterweise nach jüdischer Tradition nicht angekommen ist und laut Leibowitz niemals ankommen wird?
Wie die Schritte zum unerreichbaren Horizont, die der Uruguayer Schriftsteller Eduardo Galeano beschreibt. Wenn ich zum Horizont gehe, bewegt er sich auch weg. Also gehen wir auf einen Horizont zu, der unweigerlich zurückgeht. Aber der Horizont hilft uns und dafür gibt es dem Glauben an den Messias: um zu wandeln.
Liliana Furman ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Jüdischen Studien der Universität Paderborn.
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