Mit der Schulmaterialienkammer zu mehr Bildungsgerechtigkeit

Wenn die Schule anfängt, muss die Schultasche mit Material gefüllt werden. Und die Klassenkasse verlangt nach einem Beitrag. Und für Kunst muss Material angeschafft werden. Doch wer bezahlt das, wenn es die Erziehungsberechtigten nicht können? Die Schulmaterialenkammer in Paderborn hilft aus und die Leiterin Nicole Vogt gibt Antworten im Interview.

Annika Wickel (Von Studierenden für Studierende)

Willkommen in der Klasse 1a! Für den Schulbeginn benötigt werden:

         Dicke Buntstifte

         2 dicke Bleistifte

         Farbkasten (Pelikan)

         Wachsmalkreiden (Markenqualität!)

         Hausschuhe

… und vieles weitere.  Mit dem Schulstart beginnt der Ernst des Lebens (oder wann war das nochmal?) und eine jährliche finanzielle Herausforderung für die nächsten zehn oder 13 Jahre. Vom Bleistift bis zur Schultasche fällt eine lange Rechnung an, die nicht jeder Haushalt bewältigen kann. Die Klasse 1a ist sicher eine heterogene Schulklasse, aber die Materialliste ist für eine homogene Gehaltsklasse geschrieben. Wer bezahlt das Schulmaterial derer, die es nicht selbst bezahlen können?

„Derzeit erhalten Familien im Leistungsbezug 174,00 Euro pro Schuljahr. Zudem können Leistungen für Bildung und Teilhabe beantragt werden, zum Beispiel für Klassenfahrten. Das Geld reicht einfach nicht“, sagt Nicole Vogt von der Schulmaterialenkammer in Paderborn (https://www.diakonie-pbhx.de/paderborn/beratung-und-hilfe/schulmaterialienkammern.html).

Die Schulmaterialenkammer hilft da aus, wo das Geld aus dem Leistungsbezug knapp wird. Das Prinzip der Schulmaterialienkammern sei an die Kleiderkammern angelegt, erklärt Nicole Vogt: „Hier erhalten Schüler und Schülerinnen aller Klassen Hefte, Blöcke, Füller, Zirkel, Farbkasten usw. kostenlos. Die Schulmaterialienkammer finanziert sich komplett aus Spendengeldern, zudem helfen viele engagierte und motivierte ehrenamtliche Mitarbeiter:innen.“ Vogt berichtet, dass in Paderborn die erste Schulmaterialienkammer entstand und sich das Konzept von hier aus in andere Gemeinden und Kreise verbreitete. Die Nachfrage werde immer größer, einerseits, weil es Änderungen im Leistungsbezug gegeben habe, andererseits wegen der enormen Preissteigerung von Schulmaterialien von 14%. Die Preissteigerung und der Mangel an Ehrenamtlichen mache auch der Schulmaterialenkammer zu schaffen.

Dabei kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass die Arbeit in der Schulmaterialienkammer eine wunderschöne ist: nur an einigen Tagen im Jahr öffnet die Kammer ihre Tore und das Gewusel beginnt. Wie in einem Ameisenhaufen melden sich Menschen an, ihr Bedarf wird geprüft, Hefte, Stifte, Etuis und Farbkästen werden nach individuellem Bedarf gepackt und ausgegeben: „Welches ist deine Lieblingsfarbe? Welches Etui magst du haben? Die Textmarker in Gelb sind leider aus… Schreibt Ihr Kind mit dicken oder dünnen Stiften?“ Einige Fragen, einen Materialberg und ein Kinderlächeln später kann der Kunde verabschiedet werden. Was bleibt, wenn der Kunde die Schulmaterialienkammer wieder verlassen hat? Nicole Vogt meint: „Einen kleinen Einblick in die Lebenssituation [bekommen zu haben, der] das Gefühl vermittelt, ein ganz kleines Stück Erleichterung, zumindest für den Moment, vermittelt zu haben.“ Vogt weiß, dass die Schulmaterialienkammer ein „Tropfen auf den heißen Stein“ sei, doch steter Tropfen höhle den Stein. Vogt formuliert die Vision der Initiatorin der Schulmaterialienkammer, die auch alle haben, die dort mitanpacken: „Die Bildungschancen eines Kindes dürfen nicht von seiner sozialen Herkunft abhängen.“

Nicole Vogt, was muss sich verändern, damit diese Vision Wirklichkeit wird? „Eine sozialstaatliche Absicherung, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder orientiert ist wünschenswert. […] Die Bildung und Ausbildung der Kinder sollten unabhängig vom Bildungsinteresse der Eltern sein. Konkret für die Ausstattung mit Schulmaterial würde das bedeuten, eine echte Lernmittelfreiheit zu gewährleisten. Einige Schulen geben Hefte und Co. bereits in den Klassen aus. Auch durch so eine Maßnahme ist eine echte Gleichheit gewährleistet.“ Für diese Entwicklung muss man nicht warten, bis politische Entscheidungen getroffen wurden. Als angehende Lehrkräfte könnt Ihr später selbst überprüfen, welche finanzielle Belastung die von euch festgeschriebenen Materiallisten darstellen. Bis dahin arbeiten die Ehrenamtlichen der Schulmaterialienkammer für mehr Chancengleichheit.

Wer jetzt denkt, dass das doch eine gute Sache ist und gerne zwischen Schreiblernheften, Collageblöcken, Pinseln und Textmarkern unterwegs ist, der kann gerne mithelfen! (Die Schulmaterialienkammer ist auch direkt neben der Uni) 🙂