Probleme und Bedürfnisse des pandemiebedingten Distanzunterrichts für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Schwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung

Die Corona-Pandemie stellte die gesamte Gesellschaft, die gesamte Wirtschaft, das gesamte Schulsystem und vieles mehr vor große Herausforderungen. Seit nun mehr als einem Jahr werden in den täglichen Nachrichten größtenteils pandemiebezogene Neuigkeiten thematisiert, dazu gehört auch der Distanzunterricht, welcher lange Zeit der traurige Alltag für Lehrer*innen, Eltern und insbesondere Schüler*innen war. Die mit dem Distanzunterricht einhergehenden Probleme betreffen sicherlich einen großen Teil der Lernenden, die Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf aber besonders. Dass und was sich diesbezüglich unbedingt ändern sollte und welche Schwierigkeiten zusätzlich auf Schüler*innen mit Förderbedarf im Schwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung (ESE), deren Eltern und Lehrer*innen zukommen, wird anhand zweier Studien dargelegt. Dieses Thema ist für Lehramtsstudierende, angehende Sonderpädagog*innen etc. von hoher Relevanz, da es keine Sicherheit gibt, dass die Covid-19-Pandemie die letzte Pandemie sein wird. Dafür sind entsprechende Medienkompetenzen auf Seiten der Lehrenden und der Lernenden erforderlich, ebenso wie digitale Förderkonzepte und vieles mehr, womit sich Studierende auch schon im Studium auseinandersetzen sollten.

Was gilt es also zu beachten? Davon nachfolgend mehr!

Sophie Hagedorn (Von Studierenden für Studierende) 

Der Distanzunterricht beeinträchtigt in erster Linie den persönlichen Kontakt zwischen Lehrenden und Schüler*innen, was sich v.a. zum Nachteil der Schüler*innen-Lehrer*innen- Beziehung von Kindern mit Förderbedarf im Schwerpunkt ESE auswirkt, welche ohnehin bereits geringere Bildungschancen haben als Schüler*innen ohne Förderbedarf (vgl. Goldan,J; Geist, S. & Lütje-Klose,B. (2020): Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf während der Corona-Pandemie – Herausforderungen und Möglichkeiten der Förderung. Das Beispiel der Laborschule Bielefeld. DDS – Die Deutsche Schule, Beiheft (16), S. 190). Auch der Zugang zum Internet oder digitalen Endgeräten ist begrenzt, da diese Kinder und Jugendlichen häufig mit vielen Geschwistern in beengten Wohnungen leben. Daraus resultierend kann nicht jedes Kind gleichzeitig an Videokonferenzen mit der Lerngruppe teilnehmen, alle Lernmaterialien ausdrucken oder an einem angemessenen Arbeitsplatz arbeiten. Auch die elterliche Unterstützung kann den Kindern häufig nicht gewährleistet werden, ebenso wie die finanziellen Mittel für Nachhilfe, zusätzliche Übungsmaterialien etc. oft fehlen. Zurückzuführen ist dies darauf, dass die Familien von Kindern mit Förderbedarf im Schwerpunkt ESE oft sozio-ökonomisch schwächer sind und ein generelles Armutsrisiko besteht, was dadurch, dass die Kinder häufiger Zeit in der elterlichen Wohnung verbringen und dadurch mehr Energie verbrauchen und eine Hauptmahlzeit mehr zu sich nehmen, verstärkt wird. In manchen Fällen führen diese Faktoren zu einer Gefährdung des Kindeswohls, da durch die Pandemie ebenfalls die Anzahl häuslicher Gewalttaten gestiegen sind (vgl. ebd., S. 192). 

Homeschooling und Lockdowns belasten Familien sehr, besonders, weil aufgrund des Gebots, Risikogruppen zu schützen, andere Betreuungsmöglichkeiten wie Kitas, offene Ganztagsschulen oder Verwandte/Bekannte wegfallen, was insbesondere für Alleinerziehende und/oder (in systemrelevanten Berufen) berufstätige Eltern problematisch ist (vgl. ebd., S. 189 ff.). 

Die soziale Isolation aufgrund des Ansteckungsrisikos und die Schwierigkeiten beim Erarbeiten der Lerninhalte können zu psychischen Problemen der Schüler*innen führen (vgl. ebd., S. 192). Wofür es im normalen Schulbetrieb fachlich ausgebildetes Personal benötigt, sind die Kinder mit Förderbedarf im Förderschwerpunkt ESE nun auf sich allein gestellt, was zu massiver Überforderung und der Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten, wie z.B. Depressionen und Angststörungen in Bezug auf das Versagen in der Schule, führen kann. 

Auch während einer Pandemie besteht das Recht auf inklusive Bildung, welche im Distanzunterricht aber nur unter erschwerten Umständen umsetzbar ist (vgl. ebd., S. 192). Eine Studie von Casale, Börnert-Ringleb und Hillenbrand (2020) stellte heraus, dass es keine Förderkonzepte für den digitalen Unterricht für Schüler*innen mit Förderbedarf mit Schwerpunkt ESE gibt und nur 4,6% der deutschen Lehrer*innen seit 2018 eine Fortbildung zur Medienkompetenz besuchten, wohingegen der internationale Durchschnitt 23,8% der Lehrenden beträgt (vgl. ebd., S. 193). Daran lässt sich zeigen, dass Deutschland bzgl. der Digitalisierung als Industriestaat eher das Rücklicht im globalen Vergleich bildet. Zusätzlich dazu fehlen an Schulen die Fachkräfte, digitale Lernplattformen und Konzepte für den Distanzunterricht, was darauf zurückzuführen ist, dass niemand auf eine Pandemie vorbereitet war und das deutsche Schulsystem insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung überarbeitungswürdig ist. Wird der Distanzunterricht nur unzureichend umgesetzt, kann es zu gravierenden Lücken bzgl. der Lerninhalte bei den Schüler*innen kommen.

Anhand der Bielefelder Laborschule, einer inklusiven Gesamtschule, wird im Folgenden gezeigt, wie die bereits erläuterten Problematiken zumindest in gewisser Weise gelöst werden können, auch wenn nicht jede Schule über die benötigten Mittel verfügt. In erster Linie benötigen alle Kinder mit Förderbedarf mehr Unterstützung als andere Schüler*innen, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass Lehrer*innen sich aufgrund des Distanzunterrichts nun nicht mehr um diese Unterstützung kümmern müssten und die betroffenen Lernenden mit den Problemen allein gelassen werden. Auch wenn der Distanzunterricht einen erhöhten Aufwand für die Lehrenden mit sich zieht, benötigen Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf trotzdem besondere Unterstützung. Dies kann durch differenzierte Aufgaben, besondere Unterstützung, beispielsweise durch Telefonate, Videokonferenzen oder ggf. Hausbesuche, je nach Notwendigkeit zum Aufrechterhalten der Beziehungen und des Kontakts zu den Erziehungsberechtigten, insofern dieser gewünscht und möglich ist, geschehen. Wichtig ist, dass Lehrende ein schnelles und individuelles Feedback für eingereichte Aufgaben geben und alle Akteure, z.B. Lehrer*innen, Eltern, Pädagog*innen etc., miteinander kooperieren (vgl. ebd., S. 198). Um die Klassengemeinschaft zu stärken, können auch regelmäßige Spielenachmittage per Videokonferenz eingeführt werden, damit die Kinder nicht den Kontakt untereinander verlieren und die Entwicklung psychischer Störungen aufgrund der sozialen Isolation vermieden wird.

Auch die Politik sollte Maßnahmen gegen die Vernachlässigung der inklusiven Bildung verhängen. Bei der Wiederöffnung von Schulen sollte Kindern mit Förderbedarf (im Schwerpunkt ESE) ein Vorteil verschafft werden (vgl. ebd., S. 199), was in den jüngsten Entwicklungen zwar für Grundschulen galt, aber nicht für Schüler*innen mit Förderbedarf im Schwerpunkt ESE an inklusiven weiterführenden Schulen. Außerdem sollten Schulen über angemessene finanzielle Hilfen zum Ausbau des digitalen Distanzunterrichts verfügen, sodass, jede/-r Lernende ein digitales Endgerät erhalten kann (vgl. ebd., S. 199). An vielen Schulen können sich Kinder gegen eine Gebühr von ungefähr 40€ jährlich ein digitales Endgerät leihen, aber diese Gebühr kann nicht von jeder sozio-ökonomisch schwachen Familie, die häufig mehrere Schulkinder hat, aufgebracht werde, auch wenn es zunächst nach einer geringen Summe klingt.

Eine Studie der Universität Oldenburg (vgl. Koglin, U.; Schütz, J. & Weichert, A. (2020): Subjektive Einschätzungen von Jugendlichen mit dem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in der emotionalen-sozialen Entwicklung zum Thema Homeschooling zu Zeiten von Covid-19. Oldenburg: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) stellte anhand von semistrukturierten Leitfadeninterviews von 13 Jugendlichen heraus, dass sich diese mehr Digitalisierung (39%) und mehr Unterstützung (14%) in Bezug auf den Distanzunterricht wünschen (vgl. ebd., S. 1). 

Selbstverständlich bringt die Pandemie für jedes Individuum und alle Institutionen zahlreiche Herausforderungen mit sich. Trotzdem sollten Schüler*innen, insbesondere jene mit Förderbedarf, mehr gehört und berücksichtigt werden und die Politik sollte in deren Zukunft investieren, denn alle Kinder bilden die Zukunft von morgen. Auch wenn es für die Lehrer*innen mehr Aufwand bedeutet, sollte inklusiver Unterricht auch im Home-Schooling umgesetzt werden und alle Kinder sollten ein individuelles Feedback und Möglichkeiten zum Erhalt der zwischenmenschlichen Beziehungen bekommen. Dazu sind angemessene Förderkonzepte für Förderschüler*innen und Fachkompetenzen hinsichtlich der Mediennutzung bei allen Beteiligten wichtig, weshalb diese unbedingt vermittelt werden sollten, sei es eine Vermittlung für die Kinder in der Schule, die Lehrer*innen, Pädagog*innen etc. durch Fortbildungen und die Lehramts- und Sonderpädagogikstudierenden im Studium. Auch in außergewöhnlichen Zeiten, die nun auch schon seit über einem Jahr anhalten, sollten alle individuellen Lern- und Unterstützungsbedürfnisse befriedigt werden unter besonderer Rücksichtnahme auf Schüler*innen mit Förderbedarf (im Schwerpunkt ESE). 

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