…and breathed into him of My spirit…

Modern trends in theology do hardly deal with the scriptural figure of Satan. It is probably because it would cause more perplexity to our theological struggle with the problem of evil and the question of free will. Nevertheless, the Qur’anic account of Satan’s disobedience towards God and the attitude Satan assumes against human being is very enlightening if one takes this scriptural figure as a metaphorical manifestation of human darkest potentials.

The Qur’anic account of Satan’s dismissal from Divine proximity is centred around the story of the creation of Adam:

“Your Lord said to the angels, “I am creating a human being from clay. When I have formed him, and breathed into him of My spirit, fall prostrate before him.” So the angels fell prostrate, all of them. Except for Satan. He was too proud, and one of the faithless” (Q 38:71-74).

After the creation of Adam, God commands Satan as well as all angels to prostrate to his creation. Satan rejects prostrating to Adam due to the latter’s inferior nature (as he was created from clay) and becomes, therefore, the bad man of the story. The traditional interpretation of this narrative regards Satan, rejecting Divine command, as a bad role model or a vicious guide for those human beings who disobey God’s commands and reject God’s law. In the thought of certain Sufis, including ‘Ayn al-Quḍāt Hamadānī and Rūzbihān Baqlī, however, Satan is regarded highly for having an exclusive love for God. According to this interpretation, Satan did not include any other being than God as subject to veneration, at the expense of being dismissed from heaven. Satan’s disobedience in this respect is thus interpreted by those Sufis as true submission to Divine will, which actually required Satan’s disobedience. Although Sufis agree upon the fact that Satan’s love for God was of an imperfect sort as it did not recognize the manifestation of the Divine in Adam, I would like to put into question the very claim that Satan’s attitude should, by any means, be identified as love. No matter how innovative the Sufi interpretation, it overlooks the deeper understanding of the concept of love, which bears respect and recognition.  The traditional interpretation, on the other hand, already neglects a very subtle point (implied in Sufi interpretation) which would bring into light an important aspect of Satan’s sin: the fact that God has breathed into human being of His spirit. I would like to suggest that a big part of Satan’s sin in this regard lies in Satan’s refusal of acknowledging the Divine spirit in man. Satan is indeed a bad role model, but not only because of refusing God’s command, but also because of rejecting the Divinity within human being; the Divinity whose recognition in Adam would be a sign of love for God himself. Now the question is if this Divine element within human beings does not really require respect from all of us towards each other? Isn’t it the case that most evil we cause to each other is actually rooted in our disrespectful disregard of the Divinity within our fellow human beings and, therefore, in our lack of love for God and for each other?

Nasrin Bani Assadi ist Doktorandin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften in Paderborn.

„Was ich vermisse, ist eure Umarmung“,

sagte einer der trauernden Söhne den Teilnehmern in einer der beiden Trauerzeremonien, an der ich in den vergangenen Wochen teilgenommen habe. Es war die erste Yorzeit (jidd. Jahrzeit, der erste Todestag) für seine verstorbene Mutter. Die zweite Trauerfeier fand nach dem Ende der Schiva (hebr. „sieben“) oder Schive (jidd.) statt. Sie ist die siebentägige Trauerwoche, die unmittelbar nach dem Begräbnis des Verstorbenen beginnt.

Das wäre sicherlich nicht ein Motiv für einen Blog, hätten die Zeremonien nicht wegen Corona online, stattgefunden.

Die Anwesenden haben online den Kaddisch gesprochen (aramäisch „heilig“, „Heiligung“. Das Kaddisch verkündet bzw. heiligt den göttlichen Namen. Es wird als Trauergebet zu Ehren der Toten gesprochen) und die Familie konnte einige Worte über die Verstorbenen sagen. Im Anschluss gab es die Gelegenheit sich untereinander Erinnerungen über den Verlust auszutauschen.

Die digitalen Zeremonien haben in meiner Heimatstadt Buenos Aires/Argentinien stattgefunden. Dort und in der umgebenden Provinz wird seit Monaten eine strenge Ausgangssperre verhängt. In der dichte der Stadt scheint die Zeit still zu stehen. Jetzt nach vielen Monaten kehrt ein kleines Gefühl der Normalität zurück, da wieder etwas gearbeitet wird. Die Schulen schließen gleich nach Ende der Sommerpause. Corona konfrontiert gerade jetzt die ärmsten Länder der Welt, in der 30 oder 50 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, mit ungenügenden medizinischen Kapazitäten und Reserven.  

Die Trauerriten, die den Übergang zu einem Leben ohne die geliebte Person markieren, der Abschied in Begleitung der Großfamilie und der Gemeinschaft wandeln sich zu Coronazeiten zu einer medialen Erfahrung.

Zudem wurde der kathartische Effekt bei den Teilnehmern rasch bemerkbar: die reale Trauer vermischte sich mit der Angst und der Ungewissheit über die aktuelle Zeit. Wie lange müssen wir noch so leben? Wann werden wir endlich unsere Lieben wiedersehen? Wann dürfen wir endlich wieder unseren Toten die letzte Ehre erweisen. Gleichzeitig ergeben sich auch Fragen für die Zukunft: Wann dürfen wir endlich wieder gemeinsam feiern, uns umarmen oder einfach das Leben zelebrieren?

Trauer und Leben sollten sich ab einer bestimmten Zeit wieder ergänzen: im Judentum ist die erste Woche nach dem Beerdigung ganz bedeutend: die Gemeinde begleitet sieben Tage lang die Familie des Verstorbenen. Die engsten Familienangehörigen verlassen während dieser Zeit nicht das Haus und sollten zu Hause barfuß sitzen. Trauernde tragen ein zerrissenes Kleidungstück. Um das Essen für die Hinterbliebenen kümmern sich Freunde und Bekannte.

Der Tradition nach, müssen die Trauernden den Gästen Gesprächsthemen anbieten. Dieser psychologische Trick soll die Trauernden etwas animieren, die Wortlosigkeit aus dem Geschehen zu nehmen. Während der Schiva werden die Spiegel zu Hause abgedeckt (es ist keine Zeit der Sorge um Schönheit und Ästhetik). Männer dürfen sich einen Monat lang nicht rasieren. Musik sollte ein Jahr lang nicht gehört werden. Und große Feiern sollten im engsten Kreis der Familie ein Jahr lang vermieden werden. Einen Monat lang dürfte der Friedhof normalerweise nicht besucht werden. Diese erste Etappe des Trauerzyklus dient dazu eine Distanz zu dem Verstorbenen aufzubauen. Dann beginnt wohl die schwierigste Etappe für die Hinterbliebenen: die aktive Umgestaltung des eigenen Lebens ohne die Präsenz des geliebten Menschen. Der Kaddisch wird danach noch ein Jahr lang von den nächsten Verwandten gesprochen.

Dieses Corona-Jahr wird wohl bei vielen Menschen als ein Jahr der Begrenzungen, der Distanzierung und der Häuslichkeit, in Erinnerung bleiben. Aber viel mehr ist ein Jahr  der immensen Trauer um die vielen unnötigen anonymen und kontaktlosen Tode. Es sollte ein Kaddisch für die 700,000* (Stand 2. August) Menschen gesprochen werden, die dem Corona-Virus schweigsam und allein zu Opfer gefallen sind.

Liliana Furman ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Jüdischen Studien der Universität Paderborn.

Gescheitert?

Die japanische Tradition zerbrochene Keramik durch eine Gold- oder Silberlegierung zu reparieren heißt kintsugi – mit Gold zusammen führen. Das Besondere: Kintsugi versucht nicht, die augenscheinlichen Makel der Reparatur, des Zerbrochenseins zu verbergen, vielmehr werden diese erinnert, betont, erhalten.

In einer Welt, die durch Erfolg-, Nutzen- und Leistungsimperative getaktet ist, wirkt eine solche Betonung des Zerbrochenen irritierend. „Brechen“ – zerbrechen, abbrechen, umbrechen, zusammenbrechen – ist ein Makel. Misserfolg, Versagen und Scheitern sind unerwünscht, werden gerne aus den Lebensläufen gestrichen oder an den Rand der Gesellschaft verbannt. Der Zwang zur körperlichen und geistigen Selbstoptimierung, die Forderung nach Perfektion bis in die Ruhephasen und gibt.

In Japan wird ein solcher perfekter Lebenslauf mit einer gewissen Bewunderung aber ebenso Skepsis betrachtet – denn ist der Moment des Fallens, der Moment des Scheiterns nicht auch der Moment an dem sich die Tiefe des Seins allererst offenbart? Lernt der Mensch nicht allererst dort seine Menschlichkeit anzunehmen, wo er seiner eigenen Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit begegnet?

Das japanische „Shikata ga nai“ – was so viel bedeutet wie „kann man nichts machen“ – sind dann aber nicht etwa Ausdruck der Resignation angesichts des Zerbrochenen, sondern die Anerkennung, dass wir nicht immer alles kontrollieren können, dass es Umstände und Situationen gibt (und geben darf!), die uns Menschen an die Grenzen unserer Fähigkeiten, unseres Wissens und unserer Einflussnahme führen. Erst im Scheitern, im Brechen und Vergehen kann etwas entstehen, dass auf eine Wirklichkeit jenseits der Vereinnahmung Selbstoptimierung, Gewinnmaximierung und Beschleunigung verweist.

Wo sollen wir aber das Gold in den, in unseren Lebens-Bruchstellen finden? Woher sollen wir den Mut zum Scheitern nehmen in einer Gesellschaft die doch so wenig von den Brüchen wissen will? Woher kommt die Zuversicht auch im Zerbrochenen ein Zeichen der Hoffnung setzen, einen Weg in die Freiheit finden zu können? Wir Christ*innen finden das Gold im bedingungslosen Zuspruch Gottes…und unterm Kreuz: denn auch Jesus hat dort wohl in aller Härte erkennen müssen, dass die Wahrheit seiner Botschaft nicht in ihrem Erfolg liegt, sondern in seinem treuen Zeugnis, im Einstehen für diese Wahrheit – gerade und selbst in dem radikalsten Moment des Scheiterns dieser Botschaft. Das Annehmen des Scheiterns ist also das Ansehen der Bruchstellen. Das anhaltende Zeugnis für die dahinter liegende Vision, die dahinter liegende Wahrheit, ermöglicht es dann vielleicht diese Bruchstellen wieder mit Gold zusammenzuführen.

Dr. Anne Weber ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg „Kirche-Sein in Zeiten der Veränderung“ an der Theologischen Fakultät Paderborn.

Die Stunde der Wissenschaft?

Der Ausnahmezustand der vergangenen Monate hat allerhand Unerwartetes gebracht. Dazu zählt sicherlich die neue Rolle der Wissenschaft. Virologen-Duelle werden im Boulevard ausgefochten und der – zu Krisenbeginn – tägliche NDR-Info-Corona-Podcast mit Christian Drosten hat derartigen Kultstatus erreicht, dass Punkbands ihm eigene Lieder widmen. Er war auch Teil meiner täglichen Homeofficeroutine. Natürlich wollte ich dabei vor allem einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand zur Pandemielage bekommen. Weil jeder aber mit seinen eigenen Ohren hört, habe ich mich immer wieder gefragt, ob die Erläuterungen von Methode und Wissensgewinn auch geeignet wären, einem Publikum das Vorgehen der Geisteswissenschaften nahezubringen (und außerdem darüber gestaunt, dass es in der Immunologie – wirklich! – den Begriff der „antigenetischen Ursünde“ gibt.) Darum einige lose Gedanken nach dem Hören von 51 Podcast-Folgen:

1) Wem trauen wir Expertise zu? Wer sich an der Universität mit Religionsfragen befasst, kennt das Auseinanderklaffen von öffentlicher Debatte und fundierten Kenntnissen, das sich derzeit bei der Diskussion um Corona-Maßnahmen beobachten lässt. Immerhin hinterfragt ein großer Anteil inzwischen sogar die Publikationslisten von Virus-Experten. Eine ähnliche Differenzierung könnte der nächsten großen Religionsdebatte nicht schaden.

2) Wer nimmt welche Rolle ein? Ein Virologe muss einen anderen Blick auf dieselbe Situation haben als die Kinderärztin oder der Ökonom, und alle diese Perspektiven haben ihr Recht. Analoges gilt bereits theologieintern und kann sich auch da zu einer Art Tauziehen entwickeln: etwa, wenn eine Exegetin den Dogmatiker warnt, allzu abgehoben zu spekulieren.

3) Ein Podcast-Klassiker ist der Hinweis, dass Wissensgewinn durch Kritik und Korrektur eigener Annahmen erfolgt. Eigentlich selbstverständlich. Als Uni-„Nachwuchs“ finde ich das dennoch ermutigend, und besonders oft habe ich den Satz „Jetzt sehe ich das anders“ auf Konferenzen noch nicht gehört.  

4) Natürlich sind die Fächer am ZeKK und die derzeit hoch im Kurs stehenden Disziplinen der Medizin völlig unterschiedlich. Und doch eint sie das Dach der Universität. Das von ihnen generierte Wissen sollte nicht unter diesem Dach bleiben, sondern kommuniziert werden – auch das zeigt der Podcast-Erfolg, auf den wohl keine Wissenschaftsjournalistin vorab gewettet hätte.

Lukas Wiesenhütter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn.

When are actions not recorded?

“-Is madness contagious, Doctor?… Do you know that mad people go to paradise immediately, they are not held accountable?

– It is said that their actions are not recorded by the pen.

– This is what the Imam has said in the mosque, Shoot! I wanted it to be contagious, hence I can transmit it to all whom I love to make them go to heaven!”[1]

I was reading a book during this crazy time of Corona and this conversation between Aymen Daboussi, a writer and a psychologist, with one of his schizophrenic patients made me read between the lines. What really attracted me is not only the funny unless intelligent way in which this patient is thinking but also the questions that his words stuck in my mind and I tried to find out how religions have dealt with mental disorders.

With this issue Islam tries to find answers to most of the questions that it triggers. Although the consequence of the absence of will in a mental disorder case is clearly expressed in a hadith of the Prophet “The pen does not record (evil actions) against the sleeper until he awakes, or against the boy until he reaches puberty, or against the madman until he recovers his wits”[2], Muslim thinkers built their explanation of mental disorders on different trends: in the organic approach, based on biology and pathophysiology, the psychologist who examines the intrapsychic processes and conflicts, and the magical or sacred which apprehends insanity through a supernatural and divine scope[3]. The majority classify mental disorders into different types based on the variety of meanings hidden in the prophet´s words “until he recovers his wits”. Not everyone that suffers from mental disorders is considered as “not free”. A person who is born with an infantile psychosis is not in the same legal situation as an addict or a person who is suffering from kleptomania. This classification is used in solving judicial issues and God “does not charge a soul except its capacity” (Q2:286). Islam´s interpretation of this topic reminds me of Western philosophical debates about free will and mental disorders. Widerker and McKenna state that “not all persons are morally responsible agents (such as small children, the severely mentally retarded, or those who suffer from extreme psychological disorder)”[4]. While in his Freedom of the Will and the Concept of a Person, Frankfurt H. describes an addict as a person who is not free. More precisely, on Frankfurt’s account, “acting of one’s own free will implies that one wants the actions and also wants to have the will to perform the action. An addict who has the will (or first order desire) to use heroin but who does not want to have this will is not free when using heroin.[5]” It is obvious that the philosophers agree on the idea that mental disorders undermine both the free will and the responsibility of the human being. Yet it is relevant that not all mental disorders are considered as an excuse in a legal situation and God “will not let you be tempted more than you can bear” (1 Corinthians 10:13).


[1] Daboussi Aymen, Akhbar al-Razi, p16. 2017

[2] Sunan at-Tirmidhi, 1423

[3] Georgios. A Tzeferakos and Athanasios.I Douzenis, Islam and Mental Health and Law: A General Overview

[4] Widerker D, McKenna M, editors. Moral responsibility and alternative possibilities: Essays on the importance of alternative possibilities. Aldershot: Ashgate; 2003.

[5] Frankfurt H. Freedom of the will and the concept of a person. Journal of Philosophy. 1971, 68(1) :5–20. 

Nadia Saad ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

Religiöse Ideale und die Black-Lives-Matter-Bewegung

Es ist inzwischen fast 30 Jahre her, dass ich zur kleinen Pilgerfahrt Mekka besucht habe.

Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, nicht in den Kanon der mir damals gefühlsselig vorkommenden Emotionen einzustimmen, die mir aus diversen Pilgerberichten entgegenschlugen, haben mich die Eindrücke überwältigt. Die Erfahrung, Wege nachgehen zu dürfen, die Million von Menschen vor mir gegangen sind auf der Suche nach Gottes Nähe, war größer und eindrücklicher als ich erwartet hatte.

Nach Erfüllung meiner Gebete und Pilgeriten habe ich auch einfach nur Zeit im Haram (Gebiet um die Kaaba) verbracht und die vielen Menschen aus allen Ländern der Welt beobachtet, ich fürchte allzu oft auch mit vor andächtigem Staunen geöffnetem Mund. Ich war erfüllt von der Erfahrung, dass der eine Gott alle diese verschiedenen Menschen zusammenführt.

Eine Begegnung hat mich dabei nachdrücklich geprägt. Eine große und schlanke Frau, wahrscheinlich aus dem Sudan, kam auf mich zu, gab mir die Hand zur Begrüßung und setze sich zu mir. Wir fingen eine etwas stockende Unterhaltung auf Arabisch an und ich hatte das schöne Gefühl, dass sie mich in dem Haus Gottes, dass ihr viel vertrauter schien als mir, begrüßen wollte. Ich fühlte mich willkommen geheißen und geehrt. Nach einer Weile gab sie mir zum Abschied wieder die Hand und ließ mich mit einem beglückten Lächeln zurück.

Meine Tante, die diese Szene beobachtet hatte, sprach mich an und warnte mich: Wolle ich denn Ärger mit den religiösen Wächtern im Haram provozieren, da ich der Frau Geld gegeben hätte? Den Bedürftigen im Haram etwa zu geben, wäre doch verboten. Verwirrt klärte sie mich auf. Dass die Frau mir zweimal die Hand gegeben hatte, war meine zweimalige Chance ihr verstohlen Geld zuzustecken!

Und da wurde mir klar: Ihr würdevolles Auftreten und meine religiöse romantische Versenkung in der spirituellen Welt des Islam haben mich daran gehindert, diesen Code entschlüsseln zu können.

Es ist kein Zufall, dass ich durch die derzeitige Black-lives-matter-Bewegung wieder an diese Erfahrung erinnert wurde und selbstkritisch anmerken möchte: Die Ideale meiner Religion sind wunderbar und großartig. Wenn ich an die Abschiedsrede des Propheten Muhammad denke, dann fällt mir sofort folgender überlieferter Satz ein: „Die gesamte Menschheit stammt von Adam und Eva.  Ein Araber hat weder einen Vorrang vor einem Nicht-Araber, noch hat ein Nicht-Araber einen Vorrang vor einem Araber. Weiß hat keinen Vorrang vor Schwarz, noch hat Schwarz einen Vorrang vor Weiß.“

Diese Ideale können ein Antrieb sein, nach ihrer Verwirklichung zu streben. Sie sind die selbige noch nicht. Sie sind anziehend und können das Beste im Menschen hervorbringen. Aber Ideale werden zu einer Gefahr, wenn sie sich wie ein romantischer Schleier über die oft hässliche Wirklichkeit legen und Probleme wie latenter oder auch offen ausgetragener Rassismus unter Muslimen darunter zu verschwinden droht und allzu oft einfach negiert wird. Es braucht den Blick von unten, von dort, wo es nicht schön ist, als Korrektiv. Nicht nur, um die Wirklichkeit mit all ihren Facetten wahrnehmen zu können, sondern auch um den Idealen ihren rosa Schleier zu nehmen und sie zu einem wahren Imperativ werden zu lassen.

Jun.-Prof. Dr. Muna Tatari ist Juniorprofessorin am Seminar für Islamische Theologie im Bereich Islamische Systematische Theologie der Universität Paderborn.

Black Theology Matters

Die Stimmen der Black Lives Matter-Bewegung und anderer anti-rassistischer Initiativen haben in den vergangenen Wochen insbesondere rassistische Polizeigewalt in den Vordergrund der Debatte gerückt. Wo aus Deutschland anfänglich noch empört in die USA geblickt wurde, schielt mittlerweile immerhin ein einsichtiges Auge auf Strukturprobleme im eigenen Land. Als Geisteswissenschaftlerin ist es ein Leichtes, Rassismus in der ausführenden Staatsgewalt anzuprangern und sich über fehlende Selbstreflexion und Einsichten der Ernsthaftigkeit eines systemischen Rassismusproblems auf politischer Ebene zu eschauffieren. Was dabei schnell aus dem Blick geraten kann, ist der strukturelle Rassismus im eigenen Kosmos. Wie trage also ich als weiße, europäische Theologin dazu bei, dass rassistische Strukturen erhalten bleiben oder im schlimmsten Fall sogar verstärkt werden?

Schaue ich mir die Literaturverzeichnisse meiner Seminare an, lese ich viele Namen, die zu westeuropäischen, weißen Männern aus vergangenen Jahrhunderten gehören. Zweifelsohne haben Luther, Kant & Co. gewichtige Beiträge zur geisteswissenschaftlichen Entwicklung geleistet und erfahren zurecht internationale Beachtung. Jedoch bleibt bei aller inhaltlichen Komplexität in den Seminardiskussionen allzu häufig aus, dass auch philosophische und theologische Vordenker*innen ihrer Zeit Teil eines rassistischen Systems waren, das sie teils implizit, aber häufig auch explizit zu rassistischem Denken und Schreiben bewegt hat.

Dass das Christentum eine Weltreligion ist, steht bei meiner Lehre selten im Vordergrund, schwebt aber meist als selbstverständliche Hintergrundinformation in den Köpfen herum. An Diskussionen über deutsche und europäische Kolonialverbrechen und die Rolle christlicher Missionsarbeit kann ich mich allerdings weder im Rahmen meiner Schulzeit noch meines Studiums oder meiner bisherigen Lehrerfahrungen erinnern.

Theologische Lerninhalte zur Gottebenbildlichkeit und der Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott erscheinen unvollständig, wenn gleichzeitig über Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen von Mitmenschen etwa in kirchlichen Kontexten geschwiegen wird. Auch die Förderung eines wünschenswerten Interesses an sogenannten ‚interreligiösen‘ Begegnungen und Gesprächen ist trügerisch, wenn systemimmanente Gefahren einer christlichen Mehrheitsgesellschaft à la Eurozentrismus und Imperialismus im verschlossenen Hinterzimmer bleiben.

Systemischer Rassismus in der christlichen Theologie beginnt bei der Unsichtbarkeit theologischer Vielfalt auf Seminarplänen, nährt sich durch ausbleibende Reflexion der eigenen Missionsgeschichte sowie Privilegien und endet nicht bei unhinterfragten weißen Gottesvorstellungen und Jesusbildern. Besonders schwerwiegend sind diese Problematiken, wenn sie zudem Teil eines Lehrer*innenausbildungssystems sind, das wiederum die Schulbildung prägt. Sicherlich genügt es nicht, Rassismus in der Theologie isoliert zu betrachten. Vielmehr müssten hier auch intersektionale Perspektiven berücksichtigt werden, wie es etwa zum Teil in befreiungstheologischen Ansätzen der Fall ist. Auch hätte ich angesichts der Überschrift dieses Textes besser Stimmen der Black Theology stark gemacht als meine eigenen Versäumnisse beklagt. Dies ist aber hoffentlich nicht mein letzter BloKK-Beitrag und sowohl zu Beginn als auch in der Mitte eines kontinuierlichen Lernprozesses, kann es nie schaden, sich kritisch selbst zu fragen: Wie begünstige ich mit meiner Theologie und meiner Lehre rassistische Denkstrukturen?

Rebecca Meier ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.

Only Lovers Left Alive

Since late January Albert Camus’ La Peste (The Plague) – first published in 1947 – has become a global sensation, being sold with an unprecedented record, making publishers rush out reprints. Although it has often been read as an allegory for fascism, due to its relevant theme to our present situation, the story strikes people today in a more literal light, and thus the infectious disease (=plague) no longer stands for us metaphorically for the Nazi occupation of France, but is rather understood in the literal sense of the word: an infectious disease; Covid-19. We can relate to the story since we see our own dramatic situation reflected in it: a city being suddenly stricken by a lethal epidemic.

Those who read the novel literally are fully justified to do so, but it is my strong conviction that Camus’s intention was not story-telling, and that he has used this literary medium in order to imply a much deeper message. He is talking about a disease that lies in the fabric of human society; “that each of us has the plague within him; no one, no one on earth is free from it”. We spread the plague, the moment we are witness to an instance of injustice – however trivial it might be – taking place in front of our very eyes, and when turn away in cold blood. We afflict others with the disease, the moment we empty our hearts of any affection and love, and think egoistically of our own personal progress and well-being. We are plagued, when we turn deaf and blind to the environmental catastrophes we bring about to the world, due to our unmindful modern life style. We are contributing to the spread of the plague in the world, if we don’t question the unjust status quo – simply because we are its direct or indirect beneficiaries. Such easy is being plague-stricken and plague-distributer. We have the plague in us and keep spreading it, without even being aware of it. And the experience with Covid-19 showed us, how dramatically well it can work – to be a medium of a disease without knowing it.

However, the situation is not that desperate. We still have a way out of this vicious circle. The path taken by the members of the plague-fighting squad in the novel: first realizing and admitting the fact (acceptance) that we are plagued, and then rally all our forced against it. Our sole weapon in this fight is “love and compassion for others”, while taking responsibility and action. However absurd the situation might be – due partly to our inherent ignorance as humans and partly to immensity and lethality of the disease – we must keep fighting. In spite of its absurdity, we fight! To give in to this absurdity, is to fail being human. What is interesting in Camus’ position is his emphasis on “love” – a central religious concept – as the sole way to our survival as humans, in our fight against this lethal human disease. Both the plague and the love come from the human being; the source of the ailment and the cure both lie in the human being. And, it is completely upon us to choose either of them: “All I maintain is that on this earth there are pestilences and there are victims, and it’s up to us, so far as possible, not to join forces with the pestilences”.[1]


[1] All the quotations are from Camus’ novel.

„Only Lovers Left Alive“ is the titel of a 2013 film written and directed by Jim Jarmusch.

Saida Mirsadri ist Doktorandin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften in Paderborn.

Wer ist mein Nächster?

Ein schwarzer Demonstrant auf einer „Black Lives Matter“ Demonstration in London trägt einen verletzten Gegendemonstranten aus dem Gedränge, um ihn zu retten. Das beeindruckende und berührende Bild von Patrick Hutchinson ging in der letzten Woche um die Welt. (z.B. https://www.zuonline.ch/du-tust-einfach-was-du-tun-musst-739139551106) Der als Held gefeierte Schwarze, der den Weißen oder den Feind rette, spricht im Interview von einer Selbstverständlichkeit für ihn und seine Freunde, den verletzten Fremden, aus der Gefahrenzone zu bringen.

Das Bild erinnert mich an die Geschichte vom „barmherzigen Samariter“ im Lukasevangelium (10,25-37), die Jesus auf die Frage hin erzählt, wer denn der Nächste sei, dem die Nächstenliebe gelte. Nicht der Priester und auch nicht der Levit helfen dem halb totgeschlagenen, ausgeraubten Mann am Wegesrand, aber der Samaritaner wird dem Ausgeraubten zum Nächsten. Er versorgt die Wunden des Mannes und bringt den Verletzten auf seinem Reittier in eine Herberge. Dort pflegt er ihn bis er am nächsten Morgen weiterziehen muss und gibt dem Wirt Geld, damit er die Aufgabe übernimmt.

Mir geht es nicht um einen detaillierten Vergleich oder den Aspekt des Mitleids. In beiden Geschichten beeindruckt mich die Selbstverständlichkeit des Handelns in der Not. Kein Grund, keine Angst und kein Gegenargument hat in diesem Moment Platz. Kritiker mögen Im Nachhinein viele Antriebe der Helfer aufführen, die sie zum Handeln bewogen haben könnten: Ist es die Angst um einen weißen Toten auf einer „Black Lives Matter“ Demonstration oder die Sorge um das eigene ewige Leben im Kontext der Beispielerzählung im Lukasevangelium? Doch meiner Meinung nach werden diese Spekulationen dem Moment der Selbstverständlichkeit nicht gerecht, mit der auch andere schon ihr eigenes Leben für den Unbekannten, Fremden, Feind aufs Spiel gesetzt haben.

Das Paradoxe für die Helfer ist, dass die Selbstverständlichkeit ihrer Tat bewundert wird. Aber es ist eben leider keine Selbstverständlichkeit, dem unerwartet begegnenden Notleidenden oder sogar Gegner meine Aufmerksamkeit und Hilfe anzubieten, sondern vielmehr ein Anspruch. Berühren die beiden Bilder deshalb so sehr, weil sie die Frage zurückspiegeln: Hättest du in diesem Moment so selbstverständlich handeln können? Wie viele notleidende Menschen sind mir begegnet, die ich nicht bemerkt habe, bemerken wollte? Kann man eine solche Empathie, solchen Mut üben? Hoffentlich sind es solche Bilder bzw. Erzählungen, dessen Schönheit der Nächstenliebe berührt, die zu dieser Bereitschaft beitragen.

Cordula Heupts ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie im Bereich der Systematischen Theologie der Universität Paderborn.

Have I Arrived?

A lot of my time these days is spent streaming movies and friends often ask me for movie recommendations while they’re stuck at home like me. For the last few years my first recommendation has always been the same: Arrival. If you haven’t already seen it, stop reading this and watch it. Now. 

Of all the movies I have seen (and I have seen a lot) I don’t think there is another that deals so gracefully with the problem of alterity, with otherness. Tolstoy reportedly said that all great literature was one of two stories: a man goes on a journey or a stranger comes to town. On its surface, Arrival tells the story of a set of alien spaceships that land on earth and how a professor of linguistics attempts to communicate with the strange beings on board. In any other movie, we could predict what happens next. The professor tries, fails and tries again until she successfully cracks the code, allowing her to communicate with the alien. The End. In Arrival, the professor doesn’t crack the code. The code cracks her. Like I said, you really need to watch it. Now

Liberalism promises each of us something like the generic Hollywood ending. With the right, liberal frame of mind, I am told, I can learn to understand, tolerate and accommodate people of different races, religions and ethnicities if I just learn to communicate. But look at the way this sentence is structured. I. Understand. Them. Subject. Verb. Object. I am doing the understanding and they are becoming another object that gets added to the range of objects I have successfully brought within my understanding. 

This model of understanding – and its sheer inadequacy – has been exposed during the recent Black Lives Matter protests. Many of us do not understand the discrimination, victimization and suffering of black individuals even where we all speak a shared language that allows us to communicate. And that is the lesson for those of us involved in interfaith theological dialogue. To understand the other one must allow one’s self to be transformed. Understanding is an act of hospitality and vulnerability that goes beyond communication with signs and symbols. If I’m going to attempt to understand you, I have to accept that there is no linguistic code I can crack to do so. I have to allow myself to be fundamentally transformed from the person I was before I knew you to the person I have become after I came to know you. In that act of being transformed by you, of no longer being who I was, I might have come to understand you, and myself. 

Dr. Abdul Rahman Mustafa ist Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.