In der letzten Zeit habe ich viel über Frauen in der Moderne gelesen. Über die Anfänge der feministischen Kämpfe, die Errungenschaften für das Frauenwahlrecht (in Deutschland und Österreich 1918, USA 1920), vom späten Zugang der Frauen zu den Universitäten, vom Kampf um das Recht auf Arbeit, kurz gesagt, um ihr Leben selbst zu bestimmen.
Diese Selbstbestimmung ist für Frauen des 21. Jh. fast eine Selbstverständlichkeit in Europa und in großen Teilen der Welt geworden.
Mit der Rückkehr des Taliban-Regimes und der Sorge um den Status der Frauen in Afghanistan, aber nicht nur dort, frage ich mich einmal mehr die ganz einfache Fragen:
Wie ist es möglich, dass Frauen immer noch als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden, die vom öffentlichen, sozialen oder religiösen Leben weitgehend ausgeschlossen, in der Arbeit unterbezahlt sind, oder als Ware behandelt werden?
Wie kann es möglich sein, dass wir in 2021 weiterhin für die Grundrechte kämpfen müssen, die doch jeder Mensch haben sollte?
Und während die Rückkehr der Taliban eine unerträgliche Situation in Afghanistan darstellt, aber in beträchtlicher Entfernung von unserem bequemen europäischen Leben gelebt wird, erleben wir auch hier vor Ort die alltäglichen Diskriminierungen von Frauen, die von Gewalterfahrungen bis hin zu Mord (Feminizid) führen können.
In Deutschland gab es im Jahr 2019 141.792 Fälle von Gewaltdelikte
(dazu gehören Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, Nötigung, sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigungen, Vergewaltigung, um die häufigsten zu nennen) gegen Frauen (Quelle Bundeskriminalamt 2019 Partnerschaftsgewalt Berichtsjahr 2019), davon endeten 394 mit einem Mord.
Es besteht kein Zweifel daran, dass hier alle Disziplinen angesprochen sind, die etwas über menschliche Beziehungen zu sagen haben, über Moral, Ethik und Geschlechterbeziehungen, von der Psychologie und Soziologie bis hin zur Politik als Raum des Handelns und der Veränderung und zur Theologie als Reflexion des Göttlichen und seinen Einfluss auf unsere Welt. Sie sollten Zeit und Energie darauf verwenden, dieses Phänomen zu überdenken und programmatisch dazu beitragen Strategien für seine Bekämpfung zu entwickeln.
Vom neu gegründeten Pnina Navé Levinson, Seminar für Jüdische Studien, bin ich begeistert, dass ab nächstes Semester die Geschlechterfrage ein Schlüsselthema sein wird:
Wir werden Seminare und Vorträge veranstalten, (u.a. auch in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Geschlechterstudien), um die Problematik der Ungleichheit der Frauen in unseren heiligen Texten und ihrer Exegese zu analysieren. Dabei wird es wichtig sein ihre Projektion im rituellen und institutionellen Leben zu besprechen und Mechanismen der Einbeziehung und Gleichberechtigung zu eruieren.
Wir laden jeden von Ihnen ein, sich an diesen Diskussionen zu beteiligen und die vergleichende Perspektive zu erweitern.
Liliana Furman ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Jüdischen Studien der Universität Paderborn.
#Gender #Feminismus #Gleichberechtigung