Seit gut einer Woche bedrängen uns täglich Szenen über schreiende Not und Ohnmacht in Afghanistan.
Die 28-jährige Bürgermeisterin in Maidan Shar Sarifa Ghaffari teilte vor einer Woche in deutschen Medien mit, dass sie jetzt, nachdem die Taliban Afghanistan zurückerobert haben, um ihr Leben fürchten muss, weil sie gewagt hat, als Frau politisch aktiv zu werden. Ihren Vater haben Islamisten bereits im vergangenen Jahr getötet.
Eine Woche später gehört sie zu den wenigen, die mit ihrer Familie nach Deutschland evakuiert werden. Eine von Unzähligen.
Auch Vertreter der Taliban sehen wir auf unseren Bildschirmen, mit Gewehren, wie sie Menschen bedrohen, und ohne Gewehre, wie sie uns versichern, sich geändert zu haben und mit Warnungen davor, sie wirtschaftlich zu isolieren. Schon jetzt, solange sie noch kurze Zeit wenige ausreisen lassen, haben sie Frauen verboten, unbegleitet aus dem Haus zu gehen, und allen afghanischen Menschen, das Land zu verlassen.
Die „Mission“ des politischen Westens, Afghanistan vor der Talibanherrschaft mit Waffengewalt und Humanität zu bewahren und Demokratie zu ermöglichen, ist gescheitert.
Gewalt, Freiheitsberaubung, Entrechtung, Morde, Zensur, im Namen Gottes.
Die Geschichte lehrt uns, dass durch Waffen erzwungene Befriedung langfristig nicht möglich ist. In den Heiligen Schriften unserer Religionen und in philosophischen Schriften lernen wir, dass bleibender Frieden an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit den Schwachen gebunden ist. Mit Gottes Hilfe küssen sich Frieden und Gerechtigkeit, verheißt Psalm 24.
Was können wir tun außer hilflos zuzusehen?
Politische Schuld im Einzelnen eingestehen.
Fehler genau analysieren.
Auf den begrenzten Sinn von Waffengewalt verweisen und weiter an nachhaltigen gewaltfreien Friedensprojekten und Konfliktlösungen arbeiten.
Die Gewalttraditionen in den Religionen kritisch aufarbeiten und das Potenzial für Theologien des Friedens in allen Religionen zur Geltung bringen.
Rettungen einzelner als Hoffnungszeichen wahrnehmen trotz und im unermesslichen Leiden.
Bleiben wir damit nicht in unseren Einsamkeiten, nicht nur in unseren Familien und Freundeskreisen, nicht nur in unseren Religionsgemeinschaften, sondern kommen wir zusammen zum öffentlichen Friedensgebet, sichtbar, hörbar, im Schweigen.
Prof. Dr. Helga Kuhlmann ist Professorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie und Ökumene am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
Die Naturkatastrophen in den letzten Wochen und Monaten schreien zum Himmel. Man kann regelrecht hören und sehen, wie sie vor Augen führen, welche Folgen die menschliche Undankbarkeit und Unachtsamkeit mit sich bringen, wenn das anvertraute Gut – die Schöpfung – ausgebeutet, zweckfremd und verschwenderisch genutzt wird.
Im Qurān wird die Natur als Zeichen und Zeuge genannt. Wiederholt werden Ereignisse wie Tag und Nacht, Regen und Trockenheit, Tiere und Pflanzen, Himmel und Erde und auch der menschliche Körper und Geist als Zeichen erwähnt, über die nachgedacht werden soll. Die Zeichen sollen verdeutlichen, dass es eine Verbindung und ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gibt. Der Mensch ist verantwortlich, die von Gott erschaffene Ordnung im Gleichgewicht zu halten.
Die ökologische Krise entsteht, wenn der Mensch meint, von Gott und Natur unabhängig zu sein und nur eins als sein Lebensziel gilt: Gewinn um jeden Preis. Die Entwicklung und der Wohlstand werden materiell wertvoll gesehen, die Nachhaltigkeit und sorgfältige Nutzung der Ressourcen sind eher zweitrangig. Die qurānische Aussage, dass der Mensch in seiner Natur nach Transzendenz greift und im tiefsten Inneren auf Gott ausgerichtet ist, drückt die intensive Verbundenheit mit der Schöpfung aus und weist darauf hin, dass alle Geschöpft aufeinander angewiesen sind. Die Schöpfungsordnung soll durch Hören, Sehen und Verstehen erschlossen werden. Die Erkenntnis, die laut dem Qurān durch Einsatz von Augen, Ohren und Herzen erlangt werden kann, soll den Menschen ermöglichen, umsichtig und vernünftig zu handeln. Ein nachhaltiger und umsichtiger Umgang mit der Natur kann nur funktionieren, wenn der Mensch die göttliche Ordnung wahrnimmt und mit Achtsamkeit sich um deren Erhalt bemüht.
Der Mensch steht in einem Beziehungssystem – zu sich selbst, zu Mitmenschen, zu Tieren und Pflanzen, zu Gott – und hat als denkendes und mit Vernunft erschaffenes Wesen eine besondere Rolle in diesem Beziehungssystem. Im Qurān wird oft erwähnt, dass alle Geschöpfe -auch Pflanzen und Tiere- auf ihre eigene Art Gott preisen, durch Hingabe zu Gott sind sie miteinander verbunden.
In den islamischen Überlieferungen werden die Menschen gelobt, die vorsichtig mit Ressourcen umgehen, bescheiden und bereit zum Teilen sind. Verschwendung und Geiz sind zwei Eigenschaften, gegen die immer wieder gemahnt wird. Die Erzählungen z.B. vom Propheten Salomon, der die Sprache der Tiere verstand, sollen verdeutlichen, dass auch die Tiere Rechte haben, die von Menschen immer wieder vernachlässigt werden. In einer Geschichte geht es um eine Ameise, die die anderen warnt, als Salomon sich mit seinem Pferd ihnen nähert. Salomon hört die Ameise, lächelt und bewegt sich vorsichtig, damit sein Pferd die Ameisen nicht vernichtet. Eine schöne Geschichte, wenn die kleine Ameise den mächtigen König und Prophet zurechtweist, und dieser bereit ist, auf sie zu hören und seinen Weg zum Wohle der Tiere zu ändern.
Während die Tiere und Pflanzen intuitiv und von Natur aus ihre Beziehung zu Gott haben, indem sie das tun, was ihnen als Aufgabe auferlegt wurde, ist der Mensch fähig, kraft der ihm gegebenen Vernunft seine Beziehungen zu reflektieren. Er kann durch Überheblichkeit und ständige Grenzüberschreitungen diese Beziehungen stören und missachten. Er kann aber auch an der Natur ein Beispiel nehmen und lernen, wie er verantwortungsbewusst mit ihr umgeht. Der Mensch braucht Wegweiser, die ihn zum Nachdenken und zur Neuorientierung führen.
Hamideh Mohagheghi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften an der Universität Paderborn.
From women who go topless to the streets of Berlin, demanding the right to be able to appear topless in the public space like men,[1] to the decision of the German women’s Olympic gymnastics team to wear full-length unitards instead of traditional leotards, to the Muslim women hashtaging “HandsOffMyHijab”[2], I see nothing but the loud cry of women to the world, to give them back the possession of their body, and their freedom of choice to cover or uncover it the way they want; their demand to be the “owners of their own bodies”. Their fight against any double standards, of any kind, in rules and regulations, that treat female body differently than the male body. In this global call, Muslim women are also included. They too want to get all their civil rights and the possession over their bodies, even those who wear “headscarf”. YES, even those!
To think that because they wear something which from the European perspective is “a symbol for oppression and patriarchy” therefore a Muslim woman can, by no means, be a “feminist” – what I keep hearing ever since I am here – is very simplistic, if not paternalistic. I know of many Muslim women, who are perfectly well aware of the fact that veiling might have little to do with religious piety and the divine decree but rather with patriarchal intents to restrict the scope of the freedom of women in the society, and a product of male perspective regarding woman’s body as the “object of sexual attraction and provocation” etc., but still follow that, since for them it is part of their identity and lifestyle as a “Muslim woman”. Their choice!
I also know of many pious Muslim women for whom their headscarf is neither a symbol for an ideology nor a medium to propagate any belief or idea. For them, to cover their head is part of their tradition, and their piety, and thus identity. To force them to follow our narratives of their headscarves, to force them to choose between their choice of dressing and the possibility to work, to try to “enlighten” them by force is itself following an ideology. A rather very dangerous one![3]
It is clear what I am addressing here: the European Court of Justice decided recently that headscarf can be banned at work.[4] Isn’t it really clear, that even if under “certain conditions”, this ban gives carte blanche to the (male) employers to discriminate a certain group of women? And even if it is issued out of Islamophobic intentions, isn’t it clear that again it is the Muslim woman, who is paying for that? For as a result of this ban, a Muslim man, no matter how conservative, if not radical and fundamentalist, he is, can attain these jobs, and a Muslim woman not, even if she is a pacifist. Simply because she is allegedly wearing a “sign”, a “symbol”, for her belief. Again, a woman should pay!
In a society where the law makers seek to level the hierarchical structures, in a society where the attempt is to more and more democratize rules and regulation, by issuing decrees that give more rights to the marginalized and the under-privileged, by taking them from the privileged – and in the case of women, by applying positive discrimination – isn’t it contradictory to see that, in the very same society, a certain group of women that belong to the marginalized, are deprived of certain rights?
Based on studies, and not mere speculation, we are now well aware of the fact that in the dominantly “white” societies, a kind of hierarchy of rights exists. Based on color and ethnicity, on top of the pyramid stands the white middle-class man, then the white middle class woman, then the non-white man, and down at the bottom the non-white woman. For the “Muslim woman”, with the immigration background, it is even worse. She is not only from another color and ethnicity, but also another nationality and religion. And not just that: she belongs to the religion which has, in the Western setting, been rendered to the “enemy image”. Taking all these into consideration, the Muslim woman falls deep down in this pyramid of “privileges”. Is it then okay for a court of justice to issue a ban, without having an eye on the consequences of it for the marginalized of the marginalized, for the lowest of the lowest level of the social hierarchy?
From the case of the “white women”, challenging the double-standards in regard to dress codes – at the price of getting fined –, to the case of the “Muslim dark-skinned women”, asking for their right to study and work, while having the right to cover their body the way they want, there is only “one call” to be heard: questioning the “male gaze” and demanding the possession of one’s own body. It is, therefore, high time to heed their call. In a (still) paralyzing patriarchal setting, all they want is: to rise up, to leap… to soar up. Let us help them in their flight! Don’t cut off their wings!
[3]I have never seen this ideology be presented as transparent as at this talk show on France 24, where a “French white woman” mansplains a “dark-skinned Muslim woman” as how with her headscarf she is being manipulated by the male Muslim fundamentalists, to spread their ideologies, and teaches her what veiling “actually” means, and what a “good Muslim woman” must look like:
In den vergangenen Tagen und Wochen vergeht kein Tag, ohne dass ich die Zeitung öffne und mit Nachrichten über Naturkatastrophen konfrontiert werde: Hier steht ein nächster Waldbrand an, dort zieht ein ungewöhnlich starker Hurrikan auf, und ganz woanders kommt es wieder zu heftigen Überschwemmungen. Doch schienen mir solche oder ähnliche Nachrichten als Zeugnis eines auch vom Menschen mitverursachten Klimawandels zumeist sehr fern im klimatisch ausgewogenen Deutschland. Die Horror-Überflutungen in Ahrweiler, Ahrtal, Hagen und in zahlreichen weiteren Ortschaften vor wenigen Wochen jedoch rückten nicht nur geographisch, sondern auch emotional das unvorstellbare Leid der betroffenen Menschen in unser all Lebenswirklichkeit in Deutschland. So ohnmächtig und hilflos eine solche schreckliche Naturkatastrophe einen auch zunächst macht, so sehr traten für mich während und unmittelbar nach den Überflutungen auch so klar wie lange nicht mehr die Konturen dessen zutage, wer wir sind und wer wir sein wollen. So hat mir ein ganz zufälliger Halt an einer Raststätte im Ruhrgebiet das eindrucksvolle Mitgefühl und die Solidarität mit den Betroffenen Menschen klargemacht: Ein junger Mann, allenfalls 20 Jahre alt, war umgeben von einigen Polizeibeamten. Ich hatte mein Fahrzeug nur wenige Meter entfernt geparkt und konnte sehr deutlich die lautstarke Unterhaltung zwischen dem jungen Mann und den Polizeibeamten wahrnehmen. Der junge Mann hatte sich mit seinem Fahrrad auf die Autobahn begeben und wollte wohl von Arnsberg nach Hagen, um den von den Hochwassern betroffenen Menschen zu helfen. Während die Polizeibeamten mit aller Nüchternheit dem jungen Mann versuchten zu erklären, dass er nicht mit einem Fahrrad die Autobahn befahren dürfe, da er ansonsten sich und die anderen Verkehrsteilnehmer in erhebliche Gefahr bringe, erwiderte der junge Mann immer wieder: „Ich habe leider kein Auto, will aber den Menschen in Hagen helfen. Ich fühle mit ihnen und kann nicht untätig bleiben!“ Mitgefühl ist das Wesen des Gläubigen wird in einem Ausspruch des Gesandten Muḥammad überliefert. Nicht allein Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft des Einfühlens, sondern Mitgefühl. Der Mitfühlende will handeln, also helfen, dort sein wo die Gegenwart Gottes erfahrbar wird. Der kanadische Wissenschaftler und Autor Paul Bloom hat es einmal so formuliert: „Empathie heißt, ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt. Mitgefühl bedeutet: Ich kümmere mich um den anderen, ich sorge für ihn.“ Beim Mitgefühl so Imam al-Ghazālī (gest. 1111) werden Herz und Verstand eins und münden in eine Handlung. Dieses Einstehen und die Verbundenheit des Einzelnen mit dem Schicksal der gesamten Schöpfung sei die Kernbotschaft aller Propheten so al-Ghazālī an anderer Stelle. Spannend ist, dass sich Mitgefühl hier nicht allein dem Menschen gegenüber erschöpft, sondern ebenso die Natur miteinbezieht. Ein Blick in die Prophetenbiographie Muḥammads und seiner tiefen Verbundenheit mit der Natur als Kind unter Beduinen sowie der Zeichen-Theologie des Korans lassen unverkennbar die Notwendigkeit des Mitgefühls mit der Natur offenbar werden. „Niemand ist eine Insel“ heißt es in einem Vers eines Gedichts des englischen Lyrikers John Donne. Auch wir nicht in Deutschland!
Dr. Idris Nassery ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.