Kinder- und Jugendbücher prägen unsere Sicht auf die Welt und die in ihr lebenden Menschen, Tiere und uns selbst von Kindheitstagen an nachhaltig. Das Medium Buch vermittelt ein Welt-, Menschen- und Selbstbild auf vielfältige Weise und hat damit großen Einfluss auf die Entwicklung heranwachsender Kinder und Jugendlicher. Viele der Bücher, die heute noch gelesen werden, sind Kinder- und Jugendbuchlassiker, die schon vor 50 Jahren gerne gelesen wurden. Doch, sind diese Bücher heute noch ohne Bedenken und ohne kritische Reflexion lesbar?
Und in welcher Form kann dies geschehen?
Clara Hallerbach (Von Studierenden für Studierende)
Betrachtet man die schwedische Bauernhof-Idylle in Astrid Lindgrens „Wir Kinder aus Bullerbü“ wird bereits in der Vorstellung der Protagonist*innen deutlich, dass hier geschlechtliche Stereotype bedient werden. Zieht man die ersten beiden von vier Zielen des Anti-Bias-Ansatzes von Louise Derman-Sparks hinzu, können Textstellen mit stereotypen Geschlechterrollen aufgedeckt und mit den weiteren zwei Zielen Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden (Hahn, Kübler & Kontzi, 2012; https://www.anti-bias-netz.org/start/methode/).
Bei Ziel eins geht es darum, die Ich-Identität und die Bezugsgruppenidentität zu stärken: Die Jungen werden als mutig, schnell, stark, und anstrengend beschrieben und wollen Drehumdiebolzeningenieur, Häuptling oder Lokomotivführer werden. Die Mädchen spielen mit Puppen und helfen in der Küche. Sie fürchten sich, wenn die Jungen ihnen einen Streich spielen und zumindest die Protagonistin Lisa möchte Mama werden und den Haushalt machen. Durch diese stereotype Beschreibung der Protagonist*innen wird den Kindern ein Verhalten zugeschrieben, welches sich gesellschaftlichen Normen nach für Jungen und Mädchen „gehört“, mit dem sich aber möglicherweise nicht alle Leser*innen identifizieren können. Die Entwicklung des Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls Seitens der Leser*innen kann so erschwert werden, wenn keine Identifizierung mit einer der Protagonist*innen erlebt wird.
Ziel zwei sieht vor den Umgang von Vielfalt zu fördern: Die Kinder, die diese Geschichten lesen oder vorgelesen bekommen, nehmen diese Rollenverteilung als gegeben auf und entwickeln eine entsprechende Haltung und bewerten entsprechend ihr Umfeld. Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen werden deutlich, jedoch sind die Mädchen häufiger die unter Streichen und Hänseleien der Jungen Leidtragenden.
Anhand der Ziele drei und vier kann das kritische Denken der Rezipient*innen gefördert und mit ihnen über konkrete Handlungsmöglichkeiten gegen Ungerechtigkeit nachgedacht und Aktionen entwickelt werden.
Ein diversitätskritischer Blick in die mögliche nächste Lektüre lohnt also insofern, als dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Möglichkeit bekommen, ihre Kompetenzen und ihre Haltung in Bezug auf die Vielfalt, die unsere Gesellschaft abbildet, zu erweitern und Ungerechtigkeiten zu erkennen sowie dagegen vorzugehen.