Psychische Krankheiten in Videospielen? Potential oder Risiko

Die Darstellung von psychischen Erkrankungen in modernen Medien nimmt zu. Das Videospiel „Hellblade: Senuas Sacrifie“ hat sich auf die Fahne geschrieben das erste Videospiel mit einer psychisch erkrankten Hauptfigur zu sein. Das wirft die Frage auf, inwiefern dieses Medium geeignet für die Aufklärung zu diesem Thema ist.

Till Verch (Von Studierenden für Studierende)

Wahnvorstellungen, Störungen der Wahrnehmung, Stimmen, die aus dem Nichts zu hören sind, Paranoide Wahnvorstellungen sowie Zwangshandlungen, traumähnliche Zustände und traumähnliche Zustände mit lebhaften szenischen Halluzinationen. Das alles sind Symptome, die sich im Katalog der Erkrankungen ICD 10 hinter den Störungsbildern zwischen F20-29, der Schizophrenie und den schizotypen und wahnhaften Störungen verbergen. Damit einher geht eine erlebte Realität, die für einen Außenstehenden nicht nachvollziehbar ist. Auch wenn Halluzinationen in Fallbeschreibungen konkretisiert werden, können wir uns doch nicht vorstellen, wie es ist z.B. verstorbene Verwandte wahrzunehmen, wo eigentlich niemand ist. Wie kann man also Menschen diese psychische Belastung verdeutlichen, denn immerhin erleben 1 bis 2% der Menschheit einmal in ihrem Leben eine Psychose. Die anderen 98 bis 99% können sich zwar theoretisch mithilfe von beispielsweise Büchern an die Wahrnehmung annähern, die praktische Selbsterfahrung allerdings nicht vollziehen.

Digitale Medien können weitere Zugänge bieten. Filme können zum Beispiel eine Person mit derartigen Symptomatiken ausführlich darstellen, Ursachen aufzeigen und zum Teil die Perspektive der Betroffenen vorstellen. Es gibt allerdings ein Medium, das sich bisher kaum an derartige Symptomatiken herangetraut hat: Videospiele.

Die Produktionsfirma Ninja Theorie hat sich jedoch als Ziel gesetzt einen Hauptcharakter mit einer psychotischen Störung zu verwirklichen und das Spiel im August 2017 unter dem Namen „Hellblade: Senuas Sacrifie“ herausgebracht. Mit dem Spiel veröffentlichten sie eine 24-minütige Kurzdokumentation, die den Entstehungsprozess darstellt. Zu finden ist diese nicht nur auf der Videospiel-Disc, sondern auch auf YouTube (Tipp: mit Kopfhörern anschauen, dies hat einen extremen Effekt auf die dargestellten Symptomatiken, u.a. Stimmen aus allen Richtungen): https://www.youtube.com/watch?v=r51-vA3wBgI.

Bietet dieses Konzept einen Mehrwert zu anderen Darstellungen der digitalen Medien?

Meiner Meinung nach durchaus. Im Gegensatz zu Filmen, in denen man eindeutig keinen Einfluss auf die Handlung hat, kann der Charakter eines Videospiels gesteuert und, in moderneren Spielen, sogar Einfluss auf die Geschichte genommen werden. Die Spielgeschichte lässt sich nicht, wie z.B. in „The Witcher III“ oder der „Assasins Creed“-Reihe manipulieren, die Darstellung der Symptomatiken und der eigene Umgang mit diesen wird allerdings umso deutlicher. Mir persönlich erging es wie es die Betroffenen in der Diskussion beschrieben: Zunächst empfand ich die dargestellten Symptome als ungewöhnlich und befremdlich. Nach und nach allerdings akzeptierte ich die Stimmen, hörte ihnen mal mehr, mal weniger zu, nahm die optischen Verzerrungen hin und fühlte nichtsdestotrotz von Zeit zu Zeit die Beklemmung, die die Optik oder die Situationen verursachten. Wohlgemerkt habe ich das Spiel mit einem Sourround-Sound-System gespielt, so dass die Stimmen aus allen Richtungen hörbar waren, ohne deutlich zu merken, dass diese aus Kopfhörern kamen.

Ein kritischer Blick darf allerdings nicht fehlen. Zuallererst ist der Kontext zu kritisieren. Die dargestellte Geschichte zeigt eine piktische Kriegerin, die ihre eigene Hölle im Helheim der Wikinger erlebt. Daraus automatisch einen Realitätsbezug abzuleiten, ist nicht möglich. Um zu begreifen, was dort dargestellt werden soll, muss sich proaktiv zumindest mit der Kurzdokumentation befasst werden. Erst dort werden das Ziel und die Symptomatiken genannt und erklärt. Zudem wird erst da deutlich, dass das entworfene Bild eine äußerst schwere Form der Psychose vorstellt, die auf keinen Fall die psychotischen Erlebnisse aller Betroffenen widerspiegelt.

Mithilfe einer Fallstudie von Joseph Fordham und Christopher Ball wurde systematisch untersucht, welches Bild von psychischen Erkrankungen das Spiel entstehen lässt. Darin werden noch weitere Potenziale, Kritikpunkte und Grenzen aufgezeigt. Den Artikel im „JIMR Ment Health“ zur Studie ist hier zu finden: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6495293/

Ein weiterer Kritikpunkt ist das wirtschaftliche Interesse dahinter. Das Spiel muss sich in erster Linie verkaufen und zumindest die Produktionskosten decken. Ob die Darstellung dabei lieber authentisch ist oder der*dem Endbenutzer*in gefällt, ist also eine relativ einfach zu beantwortende Frage.

Trotz der vielen Kritikpunkte finden sich in diesem ersten Versuch wichtige Potentiale, um eine gesellschaftliche Sensibilität für psychische Erkrankungen zu entwickeln. Interessant wäre zu betrachten, wie der zweite Teil des Spiels konstruiert wird und ob die aus der wissenschaftlichen Perspektive geäußerten Kritikpunkte überarbeitet werden. Dieser Teil, „Senuas Saga: Hellblade II“, soll voraussichtlich im Jahr 2022 erscheinen.