Stagnation der Inklusion? – Eine Bilanz nach zehn Jahren Inklusion

Mehr als zehn Jahre nach der Ratifizierung der UN wurde die Entwicklung des Ausbaus des inklusiven Unterrichts nun in einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung analysiert. Die Ergebnisse? – Eher ernüchternd. Trotz der festgestellten wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz und der Vorteile eines gemeinsamen Lernens wird für die bisher eher geringen Fortschritte bis zum Jahr 2030 mit einer vollständigen Stagnation der Exklusionsquote gerechnet (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2020/juni/zoegerlicher-ausbau-des-gemeinsamen-lernens-trotz-hoher-gesellschaftlicher-akzeptanz). Bezüglich des Abbaus der Exklusionsquote konnten dabei große regionale Unterschiede festgestellt werden – „Ob ein Kind eine Chance auf Inklusion hat, hängt in Deutschland maßgeblich vom Wohnort ab“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Johanna Möller (Von Studierenden für Studierende)

Insgesamt konnte für den Anteil der Schüler*innen, die an Förderschulen unterrichtet werden, nur eine geringfügige Abnahme erzielt werden. Während im Schuljahr 2008/2009 4,8 Prozent der Kinder der Jahrgangstufen 1 bis 10 an Förderschulen unterrichtet wurden, waren es zehn Jahre später (Schuljahr 2018/2019) noch 4,2 Prozent. Zusätzlich wurde evaluiert, dass im Schuljahr 2018/2019 deutschlandweit noch knapp 26.000 Schüler*innen von Grund- und weiterführenden Schulen an Förderschulen überwiesen wurden. Fortschritte bezüglich des Ausbaus des gemeinsamen Lernens konnten nur punktuell beobachtet werden: Insbesondere den drei Stadtstaaten (Bremen, Hamburg, Berlin) und den beiden Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein gelang es, ihre Exklusionsquoten stark zu verringern. In anderen Bundesländern – wie Bayern, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz – ist hingegen sogar ein Anstieg der Exklusionsquote verzeichnet worden. Eine Änderung dieser Tendenz ist in den kommenden zehn Jahren nicht zu erwarten: So wird basierend auf der Analyse der Bertelsmann-Stiftung erwartet, dass die Exklusionsquote auf einem Wert von 4,2% stagniert, während sich die regionalen Unterschiede noch vergrößern würden (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2020/juni/zoegerlicher-ausbau-des-gemeinsamen-lernens-trotz-hoher-gesellschaftlicher-akzeptanz).

Ferner hat die Studie im Rahmen einer Befragung zahlreicher Lehrkräfte ergeben, dass sich ca. die Hälfte bis ein Drittel aller Befragten nicht gut auf die Durchführung eines inklusiven Unterrichts vorbereitet und unterstützt fühlen und daher tendenziell lieber keine Leitung inklusiver Klassen übernehmen möchten. Auch die räumliche und personelle Ausstattung inklusiver Schulen wurde in diesem Zuge kritisiert (https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/20200625_Inklusive-Bildung-Zwischen-Licht-und-Schatten_ST-IB.pdf).

Eben diese Bilanz steht nicht nur mit den eigentlichen Zielsetzungen der UN-BKR im Konflikt, sondern auch mit den Ergebnissen der Elternbefragung, die im Rahmen dieser Studie erhoben wurden: Die aktuelle Elternbefragung zeigt insgesamt eine grundsätzliche Akzeptanz des gemeinsamen Lernens, welche jedoch je nach sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf der Kinder variiert. Während sich die Mehrheit der Eltern für eine gemeinsame Beschulung der Kinder mit den Förderschwerpunkten Körperliche und Motorische Entwicklung, Sprache und Lernen aussprach, waren insgesamt nur ca. ein Drittel der Eltern positiv gegenüber eine inklusive Beschulung von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten im emotional-sozialen Bereich und Kindern mit geistiger Behinderung gestimmt. Zudem hat sich gezeigt, dass inklusionserfahrene Eltern insgesamt zufriedener mit den Schulen, Klassen und Lehrkräften ihrer Kinder sind, als jene ohne Erfahrungen mit Inklusion. Darüber hinaus wurde konstatiert, dass Kinder im gemeinsamen Unterricht vergleichsweise eher besser lernen würden, wobei sich keine Nachteile für die Kinder ohne spezifischem Förderbedarf ergeben. Die erhobenen Daten ergeben diesbezüglich, dass inklusiv beschulte Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf häufiger einen Hauptschulabschluss erzielten als diejenigen, welche ein exklusives Setting besuchten (https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/20200625_Inklusive-Bildung-Zwischen-Licht-und-Schatten_ST-IB.pdf).

Eben diese Lernerfolge und elterliche Unterstützung sollte sich die Politik zunutze machen und die Inklusion weiter vorantreiben, denn „mehr Inklusion ist möglich“ – so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

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