EndeavorRX – so lautet der Name des Computerspiels, das Anfang letzter Woche von der amerikanischen Lebensmittel- und Arzneiüberwachungsbehörde (FDA) erstmals zur therapeutischen Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bei Kindern medizinisch zugelassen worden ist. Damit gilt dieses Videospiel in den USA nun als verschreibungspflichtiges Medikament und soll laut einer amerikanischen Studie Kindern mit ADHS helfen, ihre Konzentration zu fördern.
Doch zocken, um gesund zu werden? Passt das überhaupt zusammen und könnte diese Therapie zukünftig auch in Europa eingesetzt werden?
Anna Heeke (Von Studierenden für Studierende)
Amerikanische Ärzte können Kindern mit ADHS künftig eine App in Form eines Spiels für das Handy oder das Tablet verordnen. Das Spiel „EndeavorRx“ kann schon bald auf Rezept für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren erworben werden, bei denen ADHS diagnostiziert wurde. EndeavorRx wurde entwickelt, „um neuronale Systeme durch die Präsentation sensorischer Reize und motorischer Herausforderungen zur Verbesserung der kognitiven Funktionen direkt anzuvisieren und zu aktivieren“ (https://de.pdvg.it/2020/06/15/akili-announces-fda-clearance-of-endeavorrxtm-for-children-with-adhd-the-first-prescription-treatment-delivered-through-a-video-game/.
Laut dem Fachbereichsleiter der FDA biete das Spiel „eine nichtmedikamentöse Option zur Verbesserung der Symptome im Zusammenhang mit ADHS bei Kindern.“ Vielen Kindern mit ADHS fällt es schwer, sich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren und sie können ihre Impulse häufig weniger gut kontrollieren. Genau hierbei soll dieses Spiel helfen. Es soll Kinder dabei unterstützen, sich zu konzentrieren und ruhiger zu werden. EndeavorRx ermöglicht Kindern die Steuerung von Zeichentrickfiguren auf einer Art Raumschiff durch einen bunten Fantasie-Weltraum voller Fabelwesen und das Erleben von kleinen Abenteuern(https://www.familie.de/schulkind/videospiel-als-medikament-von-diesem-game-sollen-kinder-mit-adhs-profitieren/).
Die Zulassung von EndeavorRx erfolgte nach randomisierten Studien mit etwa 600 Kindern mit der Diagnose ADHS, die über den Zeitraum von sieben Jahren durchgeführt wurden. An der zentralen „STARS-ADHD“-Studie, die vom Duke University Medical Center geleitet wurde, nahmen an 20 Zentren in den USA 348 Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren teil, bei denen ADHS diagnostiziert worden war. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Kinder keine Medikamente nahmen oder diese vor Beginn absetzten und keine weiteren psychiatrischen Diagnosen bei ihnen gestellt wurden.
Die Kinder bekamen den Auftrag, vier Wochen lang jeweils an 5 Tagen 25 Minuten lang ein bestimmtes Spiel auf einem Tablet zu spielen. Sie wurden hierfür in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe spielte in diesem Zeitraum ein Spiel mit Elementen, die gezielt die Aufmerksamkeit, die Impulskontrolle und das Bewältigen mehrerer Anforderungen trainieren sollten. Die Kontrollgruppe spielte hingegen ein Spiel, das diese Elemente nicht enthielt. Vor und nach dieser Testphase wurden die Kinder nach dem digitalen Assessment-Programm TOVA („Test Of Variables of Attention) beurteilt. Dieser berücksichtigt verschiedene Elemente der Aufmerksamkeit (https://www.tagesspiegel.de/wissen/zocken-gegens-zappeln-ein-neues-computerspiel-soll-gegen-adhs-helfen/25939612.html).
Die Studienteilnehmer*innen, die mit der App mit den gezielt designten Elementen trainiert hatten, schnitten bei diesen Tests deutlich besser ab. Das tägliche Spielen habe dazu geführt, dass sich die Kinder besser konzentrieren konnten. Die genauen Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in „The Lancet Digital Health“, einer amerikanischen Zeitschrift veröffentlicht. (https://www.thelancet.com/journals/landig/article/PIIS2589-7500(20)30017-0/fulltext).
Jedoch wird das Computerspiel und vor allem die ihm zugrunde liegenden Studien von einigen sehr kritisch betrachtet. Das Technik Portal „The Verge“ kritisiert beispielsweise die Vertrauenswürdigkeit der Studie, da diese von Ärzt*innen erstellt wurde und ein Verfasser der Studie an Aktien des Spieleherstellers Akili beteiligt sein soll (https://www.theverge.com/2020/6/15/21292267/fda-adhd-video-game-prescription-endeavor-rx-akl-t01-project-evo).
In Europa ist dieses Spiel anders als in den USA bislang nicht als Therapie zugelassen. Jedoch wird man laut Hans Willner, dem Chefarzt der Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter des St. Joseph Krankenhauses in Berlin, „grundsätzlich […] nicht umhinkommen, digitale Therapieangebote zu machen.“ Medien haben in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen einen so selbstverständlichen Stellenwert, dass die darin liegenden Chancen auch in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Arbeit aufgegriffen werden müssten. Es müsse hierbei jedoch sichergestellt werden, dass die Familien kontinuierlich angeleitet werden und das digitale Therapeutikum eine klare Zielsetzung hat. Es solle für „mehr Aufmerksamkeit und Fokussierung der Kinder sorgen“, stelle aber „kein Mittel gegen die andere Komponente der Krankheit dar, die starke körperliche Unruhe und motorische Aktivität“ (https://www.tagesspiegel.de/wissen/zocken-gegens-zappeln-ein-neues-computerspiel-soll-gegen-adhs-helfen/25939612.html).
Bis auch in Deutschland ein Computerspiel als therapeutische Hilfe für Kinder auf den Markt gebracht werden könnte, bedarf es jedoch zunächst weiterer Tests und Studien, damit die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme wirklich nachweisbar ist.