Fetale Alkoholspektrumstörungen sind eine häufige Ursache für sprachliche Schwierigkeiten im Kindesalter. Etwa 80% bis 90% aller Kinder mit FASD sind von Sprachverzögerungen oder Sprachentwicklungsstörungen (SES) betroffen, die meist sowohl das Sprachverständnis als auch den Sprachgebrauch beeinträchtigen (vgl. Bohn & Obry 2020, https://www.researchgate.net/profile/Svenja-Obry/publication/337325108_Pragmatic_communication_skills_of_children_with_fetal_alcohol_spectrum_disorders_FASD/links/5dd27d2f4585156b351c186b/Pragmatic-communication-skills-of-children-with-fetal-alcohol-spectrum-disorders-FASD.pdf). Dieser Beitrag befasst sich mit den Ursachen der Entstehung von SES im Zusammenhang mit FASD. Zudem wird die Problematik der sogenannten „Cocktailparty-Konversation“ erläutert.
Lara Johanna Bus (Von Studierenden für Studierende)
Die Ursachen für das Auftreten sprachlicher Schwierigkeiten bei Kindern mit FASD können vielfältig sein. Zunächst ist der Einfluss des sozialen Umfelds auf den Erwerb pragmatischer Kompetenzen zu beachten. Gemäß interaktionistischer Spracherwerbstheorien ist die sprachliche Interaktion zwischen Kindern und sprachlich kompetenten Bezugspersonen von enormer Bedeutung (vgl. Bohn & Obry 2020). Letztere schaffen sprachliche Unterstützungssysteme, welche Hilfestellung und Orientierung im Spracherwerb bieten. Wichtige sozialpragmatische Faktoren sind die Herstellung gemeinsamer Aufmerksamkeit und der Einbezug von Sprache in emotional konnotierte Interaktionsroutinen. Zudem werden Kinder zum Erzählen animiert, indem Bezugspersonen entwicklungsangemessene Erzählanlässe schaffen. Ein hoher Anteil der Kinder mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen wächst (zu Beginn ihres Lebens) in einem Umfeld auf, in dem sie eine unzureichende Betreuung erleben. Häufig liegen Substanzenmissbrauch, psychische Probleme und soziale Schwierigkeiten in der Herkunftsfamilie vor. Frühe Deprivation, Vernachlässigung und Missbrauch führen in vielen Fällen zu posttraumatischen Störungen und Bindungsstörungen (vgl. Millians 2015,https://www.researchgate.net/publication/280350080_Educational_Needs_and_Care_of_Children_with_FASD). Aus interaktionistischer Sicht, wirken sich die eben beschriebenen Umständen auch negativ auf den Spracherwerb aus, da weniger Situationen geteilter Aufmerksamkeit, responsives Verhalten der Bezugspersonen und emotional positiv besetzte Interaktionsroutinen entstehen. Die Bezugspersonen können häufig nicht angemessen auf das Kind eingehen und förderliche Interaktionen herstellen. Die Kooperationsbereitschaft der Bezugspersonen zur Ko-Konstruktionen von Kommunikationssituationen ist damit für das Kind nicht zuverlässig erkennbar (vgl. Bohn & Obry 2020).
Sprachliche Schwierigkeiten können auch aus kognitiven Beeinträchtigungen resultieren, denn die pränatale Alkoholexposition beeinträchtigt meist vor allem die Entwicklung des Gehirns. Dieses wächst und entwickelt sich während der gesamten Schwangerschaft und ist deshalb besonders anfällig für die teratogene Wirkung des Alkohols (vgl. Thomsen A., Michalowski G., Landeck, G. & Lepke, K. 2018. FASD – Fetale Alkoholspektrumstörungen. Auf was ist im Umgang mit Menschen mit FASD zu achten? Ein Ratgeber).
Bohn und Obry (2020) erwähnen ein häufiges Auftreten signifikanter Defizite auf allen formalsprachlichen Ebenen bei Kindern mit FASD. Häufig liegt z.B. ein mangelndes Verständnis von Einzelwörtern vor. Bei vielen Betroffenen lässt sich zudem eine abweichende semantische Kategorisierung semantisch-lexikalischer Einträge feststellen, welche bzgl. Kategorie, Funktion oder physischer Ähnlichkeit weniger gut vernetzt sind (vgl. Bohn & Obry 2020). Neben diesen Schwierigkeiten auf der semantischen Ebene, bestehen nicht selten auch Defizite auf der morphologischen und syntaktischen Ebene. Viele Kinder mit FASD produzieren Sätze, die grammatisch weniger vollständig und syntaktisch weniger komplex sind als die Sätze altersgleicher normalentwickelter Kinder. Auch Auslassungen von Präpositionen und morphologische Fehler bei der Bildung von Plural- und Verbformen sind häufig zu beobachten.
Die soziale Kommunikation stellt meist eines der größten Defizite von Kindern mit FASD dar (vgl. Bohn & Obry 2020). Viele Betroffene sind in der Lage, fließend und lebhaft zu sprechen, was den Anschein erweckt, dass sie über eine altersangemessene Sprachkompetenz verfügen. Die Äußerungen scheinen zwar oberflächlich flüssig, sind in ihrer Tiefenstruktur jedoch sinn- und inhaltsarm. In diesem Kontext spricht man auch von „Cocktailparty-Konversationen“. Die scheinbar durchschnittlich entwickelten Sprachkompetenzen täuschen häufig über gravierende Sprach- und Kommunikationsdefizite hinweg.
Menschen mit FASD haben häufig Schwierigkeiten damit, den Wissenshintergrund ihrer Kommunikationspartner:innen richtig einzuschätzen sowie komplexe und abstrakte Instruktionen zu verstehen und umzusetzen. Dies führt dazu, dass es ihnen oft nicht möglich ist, angemessen auf ihre Kommunikationspartner:innen zu reagieren (vgl. Bohn & Obry 2020).
Zudem fällt es vielen Betroffenen schwer, kohärent zu erzählen, Unterhaltungen zu beginnen und aufrechtzuerhalten.
Fetale Alkoholspektrumstörungen können die sprachliche Entwicklung betroffener Kinder in vielfältiger Weise beeinflussen und gehen häufig mit Sprachentwicklungsstörungen einher. Die Ursachen für die sprachlichen Schwierigkeiten können in der Hirnschädigung sowie im Erleben von bestehender frühkindlicher Deprivation liegen. Oberflächlich gute und scheinbar durchschnittliche Sprachkompetenzen täuschen über schwerwiegende sprachliche Schwierigkeiten hinweg. So ist es von besonderer Bedeutung, dass Fachkräfte über entsprechendes Wissen und Kompetenzen verfügen, um die sprachliche Entwicklung von Kindern mit FASD angemessen einschätzen und fördern zu können.