ADHS ist keine Modediagnose 

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist einer der häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen. Dies sorgt dafür, dass sich viele Menschen fragen, ob es sich dabei um eine Modediagnostik handelt. Wie viel Wahrheit steckt hinter diesem Vorwurf?

Lara Zimmermann (Von Studierenden für Studierende)

In der neuen Podcast Folge „Psychologie to go“ (Modediagnose ADHS? https://www.podcast.de/episode/606856600/modediagnose-adhs-interview-mit-angelina-boerger-die-erst-als-erwachsene-die-richtige-diagnose-bekam) wurde Angelina Boerger als Betroffene interviewt. Was sagt sie zu den Vorwürfen, dass ADHS nur eine Modediagnose ist?

Angelina Boerger erhielt mit Ende zwanzig die Diagnose ADHS und machte es sich zur Aufgabe mit ihrem Instagram Kanal „kirmesimkopf“ die Menschen aufzuklären, was hinter dieser Krankheit steckt und wie es sich vor allem bei Erwachsenen auswirkt.

Unter vielen ihrer Beiträge liest Angelina oft „Jetzt hat irgendwie jeder ADHS“, „früher haben wir die Kinder einfach rausgeschickt“, „wir mussten uns früher alle zusammenreißen“. Da stellt sich die Frage: Ist es nicht gut, dass sich in der heutigen Zeit die Menschen nicht mehr verstecken müssen und ihr Problem einen Namen bekommt?

In den letzten Jahren gab es einen hohen Anstieg der ADHS-Diagnose. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die Wissenschaft weiter fortgeschritten ist und wir mittlerweile wissen, dass nicht nur der „Zappelphilipp“ ADHS hat, sondern die Krankheit sich, vor allem bei Mädchen und Frauen, im Kopf abspielt, was dazu führt, dass sie eine innere Unruhe empfinden. Viele Menschen sind der Meinung, dass ADHS überdiagnostiziert wird. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob ADHS die ganzen Jahre eher unterdiagnostiziert wurde. Um diese Frage zu klären, muss man die Wissenschaft genauer betrachten (vgl. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-47350-4_6).

Hierbei gibt es zwei Aspekte, die relevant sind: Zum einen wurde in einer Studie untersucht, wie oft eine Fehldiagnose getroffen wurde. Das Ergebnis zeigt, dass es vereinzelt Personen gibt, die falsch diagnostiziert wurden, dies ist somit nicht der Auslöser dafür, dass die Zahl der ADHS-Patient:innen so stark gestiegen ist. Zum anderen muss man sich ansehen, wie eine Diagnose zustande kommt. Es ist ein langer Prozess, bis jemand eindeutig diagnostiziert wird. Es ist nicht so einfach wie bei einem Knochenbruch, bei dem sich die Ärztin oder der Arzt ein Röntgenbild anguckt, und weiß, was los ist. Bei einer psychologischen Diagnostik muss der Mensch genauer bzw. auf verschiedene Weise angeschaut und mehrere Tests müssen durchgeführt werden, um eine Fehldiagnose ausschließen zu können. Leider gibt es immer weniger Fachleute, die sich diese Zeit nehmen können oder wollen.

Viele Eltern, die bei ihren Kindern ADHS feststellen, setzen sich dann genauer mit den Symptomen auseinander und stellen oft fest, dass sie ähnliche Symptome wie ihre Kinder haben, da ADHS vererbbar ist. Auch durch die Medien werden die Menschen aufmerksamer und reflektieren ihr Verhalten. Sie fragen sich, ob sie „normal“ sind oder ob sie bisher einfach unwissend mit den Symptomen und damit einhergehenden Schwierigkeiten von ADHS gelebt haben. Viele ziehen erstmals in Erwägung, dass genau das der Name für ihr Problem ist und erkennen, dass ihnen nun möglicherweise geholfen werden kann. Früher wurde das Thema ADHS eher versteckt und verdrängt oder eben gar nicht erkannt, wodurch viele durch ihre Mitmenschen nur zu hören bekamen, wie nervig sie seien.

In ihrem Instagram Beitrag schreibt Angelina Boerger „Ich wünschte es wäre Mode, dass alle Menschen frei über ihre mentale und körperliche Gesundheit sprechen könnten, ohne dafür belächelt, bemitleidet oder deswegen beurteilt zu werden. Dann würde es uns nämlich allen deutlich besser gehen.“  Viele Menschen haben ein falsches Bild von ADHS und wissen gar nicht, dass sich diese Krankheit nicht nur nach außen hin zeigt.

Oft haben Menschen mit ADHS mit Depressionen zu kämpfen oder können Termine nicht einhalten, sie haben einfach Chaos im Kopf.  Dadurch, dass diese Seiten der Krankheit weniger bekannt sind, wissen viele Menschen nicht, dass sie ADHS haben, hinzukommt, dass ihnen oft nicht geglaubt wird, wenn sie erzählen, dass sie die Krankheit hätten. Daher erleben viele Reaktionen wie: „Du hast gar kein ADHS, machst du den Trend jetzt etwa auch mit?“.

Damit diese Sätze in der Zukunft weniger fallen, muss die Gesellschaft aufgeklärt werden und wir müssen lernen, anderen Leuten zuzuhören und ihr Gesagtes zu verstehen und zu akzeptieren.