Es sind erschreckende Bilder, wenn Jugendliche, die nicht viel jünger sind als wir, zu Gewalttaten schreiten, ohne sich bewusst zu sein, was die Folgen für sich und die Opfer sein könnten. Dabei kann es zu Sach- und Personenschäden kommen, die meistens mehr sind als ein zerbrochener Kugelschreiber. So kann man oft zertrümmerte Schaufenster, brennende Mülleimer und Autos, verwüstete Geschäftsflächen und auch blutende, verletzte Menschen sehen.
Die vor wenigen Tagen erschienene Dokumentation „Außer Kontrolle – Jugendgewalt in Deutschland“ von ZDFinfo gewährt Einblicke in das Leben vieler Jugendliche, die Gewalt im Alltag erleben. Dabei werden Ursachen und Lösungen untersucht und Opfer und Täter*innen in gleichen Teilen befragt.
Die etwa 45-minütige Dokumentation ist noch bis zum 17.07.2023 unter folgendem Link zu erreichen: https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/ausser-kontrolle–jugendgewalt-in-deutschland-100.html
Timo Keseberg (Von Studierenden für Studierende)
Massenausschreitungen sind unter Jugendlichen nicht neu. So kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Jugendliche gewalttätig werden und randalieren, z. B. in Düsseldorf am 29. August 2017, wo 250 bis 300 Jugendliche der Zugang in eine Diskothek verwehrt wurde (https://www.derwesten.de/region/massenrandale-vor-disco-300-jugendliche-wueten-in-duesseldorf-id211743327.html). Im Juni 2020 sind Massenausschreitungen unter Jugendlichen in Stuttgart aufgetreten, die sich nach einer Drogenkontrolle mit einem 17-Jährigen solidarisiert haben sollen und daraufhin etliche Straftaten, wie z. B. schwere Körperverletzung, Raub, Diebstahl und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begangen haben (https://www.spiegel.de/panorama/stuttgart-interview-zu-ausschreitungen-und-gewalt-gegen-polizisten-a-01c7c237-b91c-4cd1-a196-40ce1263ad13).
Im Folgenden werde ich die Hauptaspekte der Dokumentation zusammenfassend darstellen. So sind die Auslöser oft eine aggressive Grundstimmung, Frustration der Jugendlichen, bestehende Einschränkungen und Kontrolle des öffentlichen Lebens, wie z. B. durch die aktuelle Corona-Pandemie, sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Wichtig ist es dabei für die Autoritäts- und Aufsichtspersonen einen Draht zu den Jugendlichen aufzubauen und sich nicht direkt über sie zu stellen und auf die Jugendlichen hinabzublicken. Dennoch muss man einschreiten, Präsenz zeigen und klarmachen, welches Verhalten in Ordnung ist und welches nicht. Maßnahmen müssen also ergriffen werden.
Die Justiz ist da sehr frei, was die Verurteilung nach Jugendstrafrecht angeht. So kann je nach Ausmaß der Straftat(-en) Verwarnungen, Arbeits- und Geldauflagen, Jugendarrest oder Jugendstrafe erteilt werden. Dabei reicht die Verwarnung in 70% der Fälle in der Regel aus. Jugendarrest wird erst bei mehrmaligem Wiederholen verhängt und soll pädagogischen Zwecken dienen. Dabei sollen die Jugendlichen erkennen, was es bedeutet eine Weile auf alle Privilegien verzichten zu müssen, die sie daheim hätten. Bei der Jugendstrafe sind in der Regel Haftlängen von bis zu fünf Jahren der Fall, mit einer Höchststrafe von 15 Jahren. Dies sollte aber der letzte Ausweg sein. Eine eher neuere Art der Jugendstrafe ist der „Jugendstrafvollzug in freien Formen“, bei der die Jugendlichen in Wohngemeinschaften mit klaren Tagesabläufen und Strukturen wohnen. Dabei ist die enge und restriktive Betreuung durch Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Ausbilder*innen wichtig, um das Ziel zu erreichen, dass die Jugendlichen Kontrolle über das Leben zurück erlangen und lernen ihre Emotionen zu regulieren.
Den Zuschauer*innen wird in der Dokumentation das Ausmaß von Gewaltakten verdeutlicht. So erzählt ein Opfer von den Folgen einer Körperverletzung, woraufhin er mehrere Monate im Krankenhaus verbracht hat und wie sein aktueller Alltag, mit der, aus der Tat resultierenden 80%igen Schwerbehinderung, aussieht. Ebenso werden Fakten dargestellt, wie zum Beispiel, dass bei den „Stuttgart-Krawallen“ von 2020, 40 Geschäfte beschädigt und 32 Polizist*innen verletzt wurden. Jedoch wird auch gezeigt, woher die Jugendlichen ihre Aggressivität und Gewaltbereitschaft nehmen: oft aus dem sozialen Umfeld und den Lebensumständen. Das Elternhaus spielt dabei eine wichtige Rolle: „wenn Gewalt als Konfliktlösemittel bekannt ist, ist dies etwas, was sie weitertragen“ (Seidel, ZDFinfo, 20:52-21:05). Des Weiteren werden Studien eingesetzt, wie die des Züricher Instituts für Delinquenz und Gewaltprävention, die zeigt, dass Jugendgewalt in Deutschland rückläufig ist, aber seit 2015 wieder ansteigt, um die Entwicklung von Jugendgewalt zu beschreiben.
Die Dokumentation hat mir sehr gut gefallen und erneut vor Augen geführt, wozu eine Ignoranz von Jugendgewalt führt. Sie ist extrem spannend aufgebaut und gewährt tiefe Einblicke in die Thematik in den gerade mal 45 Minuten. Es wird objektiv beschrieben, worum es bei Jugendgewalt geht und dennoch wird nichts „in Watte gepackt“. Es geht um rohe Fakten, die in Verbindung mit realen Geschehnissen eine ganz neue Perspektive bildet. Anhand von Beispielen aus der Praxis wird einem das Thema als sehr real vorgeführt, und nicht als ein Thema, wo man gerne Mal sagen würde „das betrifft uns aber nicht“. Für jeden, den das Thema Jugendgewalt interessiert, ist diese Dokumentation auf jeden Fall einen Blick wert.