Dorothee Sölle (1929-2003) ist nicht nur als Theologin des 20. Jahrhunderts bekannt, sondern auch als Dichterin, Feministin, Mystikerin und Aktivistin. Am 28.09.2024, zwei Tage vor Sölles 95. Geburtstag, wurde in Frankfurt am Main der Dorothee-Sölle-Preis an Katharina von Kellenbach und Carlotta Israel verliehen. Das Institut für Evangelische Theologie freut sich insbesondere mit Katharina von Kellenbach über diese Auszeichnung, weil das Ökumenische Netzwerk „Initiative Kirche von unten“ (ikvu.de) den Preis nur an Personen vergibt, „die ihr christliches Engagement aus der politischen Verantwortung für unsere Gesellschaft herleiten und darin die Erinnerung an Jesus von Nazareth wach halten.“ Da Prof. Dr. Katharina von Kellenbach seit diesem Wintersemester den Lehrstuhl für Systematische Theologie vertritt, können sich die Studierenden in Paderborn selbst von diesen Fähigkeiten überzeugen und schon jetzt in den Podcast „Bildstörungen“ der EAB hineinschnuppern.
In ihrer Dankesrede ging von Kellenbach sowohl auf die frauenarme theologische Vergangenheit ein, in der Dorothee Sölle und sie selbst als Studentin lebten, als auch auf ihre späteren Erfahrungen als deutsche Theologin in den USA. Sie begründete das eigene Engagement in Theologie und Gesellschaft für alle Hörer*innen und Leser*innen nachvollziehbar in der Verbindung von biografischen Erfahrungen, persönlicher Betroffenheit und Forschungsdrang:
Traditionsbildung und Geschichtsschreibung waren Frauen aller Religionszugehörigkeiten jahrhundertelang verwehrt. Deshalb fühlt es sich oft so an, als müssten Frauen in jeder Generation das Rad neu erfinden. Immer geht es um Ausnahmen und Einzelschicksale. Was uns fehlt sind Traditionsketten, in denen Wissen von einer Generation an die nächste Generation weitergegeben wird. […]
Als Deutsche in den USA musste man immer auf die Frage „What did your daddy do during the war?“ vorbereitet sein. Und weil in meiner Familie, wie in den meisten deutschen Familien, das große Schweigen herrschte, bin ich in die Archive gegangen. Dort bin ich leider fündig geworden. Und damit waren meine theologischen Themen – Schuld und Versöhnung, Rechtfertigung und Verantwortung, Gnade und Gesetz – für die nächsten Jahrzehnte gesetzt. Im Gespräch mit jüdischen Überlebenden und deren Familien wollte ich wissen, ob und wie diese christlichen Glaubenslehren wahr und wirklich werden und wann sie zu schalen Floskeln verkümmern, mit denen Dialog und Begegnung mühsam wird. Für diese Suche nach einer theologischen Sprache jenseits traditioneller Floskeln gibt es kein besseres Beispiel, kein größeres Vorbild als Dorothe Sölle.
Das Institut gratuliert herzlich zu der Ehrung und hofft auf die positive Wirkung einer feministisch-theologischen, politisch aktiven Professorin in Forschung und Lehre. Denn das Paderborner Institut hat nicht zuletzt durch die langjährige Mitwirkung an dem Übersetzungsprojekt „Bibel in gerechter Sprache“ ein Interesse daran, dass die Traditionsketten feministischer, jüdisch-christlicher und politischer Theologie nicht abbrechen, sondern weitergeführt werden.
Bilder: U. Ettler