Friedrich von Bodelschwingh d. J. (1877-1946) leitete Bethel während der NS-Zeit. Er stand vor den großen Herausforderungen seiner Zeit. Studierende der Evangelischen Theologie der Universitäten Bielefeld und Paderborn griffen im Sommersemester 2017 seine Biografie anhand von Originaldokumenten auf. Sie thematisierten insbesondere seinen Standpunkt zu ‚Eugenik‘ und ‚Euthanasie‘ im Rahmen eines gemeinsamen Blockseminars und entwickelten aus den Quellentexten eine Performance. An verschiedenen Schauplätzen in Bielefeld-Bethel wurden bei vier Aufführungen im Juni 2017 unter freiem Himmel die Widersprüche, die in seinem Leben deutlich werden, szenisch umgesetzt. Der szenische Rundgang anlässlich des 150. Jubiläums von Bethel wurde in Kooperation mit dem Hauptarchiv Bethel und der Berliner Theaterpädagogin Bettina Frank konzipiert.
Bodelschwingh, eine der führenden Persönlichkeiten im deutschen Protestantismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurde am 27. Mai 1933 zum Reichsbischof der ‚Deutschen Evangelischen Kirche‘ gewählt, musste aber nach wachsendem politischem Druck durch die Deutschen Christen am 24. Juni 1933 zurücktreten. Als Leiter der Bethelschen Anstalten sah sich Bodelschwingh dann mit der nationalsozialistischen Rassepolitik konfrontiert und setzte sich gegen deren ‚Euthanasie‘-Maßnahmen ein, obwohl er sich zuvor ‚eugenischen‘ Maßnahmen, insbesondere gegenüber der Zwangssterilisation, aufgeschlossen gezeigt hatte. Die Studierenden reflektierten, inwiefern Bodelschwinghs Leben im Mikrokosmos Bethel, seine religiöse Prägung, seine politische Überzeugung und seine gesellschaftliche Stellung ineinander griffen: Einerseits sind aus dem Zeitraum von 1934 bis 1945 bislang 1250 Fälle von Zwangssterilisation in Bethel bekannt. Andererseits setzte Bodelschwingh sich hartnäckig für seine Schutzbefohlenen ein, indem er unablässig Briefe an offizielle Stellen gegen die ‚Euthanasie‘-Aktion ‚T4‘ schrieb. Durch die Intervention blieben die Bewohner*innen von Bethel vor der Vernichtungsaktion weitgehend verschont, sieben Patient*innen jüdischer Herkunft konnten jedoch nicht geschützt werden. Sie wurden in der Tötungsanstalt Brandenburg-Havel ermordet. Die Fragen, ob Bodelschwingh als Widerstandskämpfer angesehen werden könnte und welche Schlüsse aus seinem ambivalenten Verhalten für heute zu ziehen seien, beschäftigten sowohl die Darstellenden als auch das Publikum. Sie wurden im Anschluss an die Rundgänge in lebhaften Diskussionsrunden erörtert.