Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, an welcher im Durchschnitt 1% der deutschen Bevölkerung im Alter von fünfzehn bis sechzig Jahren erkrankt. Es kann sich dabei um kurze Episoden, akute Erkrankungen mit hoher Rückfallquote oder auch chronische Schizophrenie handeln (vgl. Türkmen, 2021, S. 171).
In dem Buch ,,Als Mama mit der Lampe sprach – Meine Kindheit mit einer schizophrenen Mutter‘‘ (2021) spricht Nilüfer Türkmen über ihre ganz persönliche Geschichte, wie es ist mit einer schizophrenen Mutter aufzuwachsen.
Mit ihrem Erfahrungsbericht nimmt sie die Leser:innen mit auf eine emotionale Reise durch ihre Kindheit und Jugend. Sie möchte mit ihrer Lebensgeschichte über die Krankheit ihrer Mutter aufklären und andere sensibilisieren. Nilüfer Türkmen wünscht sich, „dass wir alle netter mit psychisch kranken Menschen umgehen würden.“
Nele Mittnacht (Von Studierenden für Studierende)
Nilüfers Reise beginnt in der Türkei, wo sie mit ihren Eltern sowie mit der anderen Ehefrau ihres Vaters und deren Kindern zusammenlebt. Als dann ihr Vater stirbt, ist Nilüfer erst vier Jahre alt. Ab diesem Zeitpunkt sind ihre kranke Mutter und sie auf sich allein gestellt. Bevor sie nach Deutschland auswandern, sind beide eine Zeit lang obdachlos, da sie im Hause des verstorbenen Vaters und der anderen Ehefrau nicht länger willkommen waren. Dort mussten sie „hinter großen Müllcontainern [ihr] Geschäft verrichten und auf einer ausgetrockneten Wiese am Straßenrand […] ohne Decke und ohne Kissen […] schlafen“ (Türkmen, 2021, S. 25).
In Deutschland muss Nilüfer dann die Hürde überwinden Deutsch zu lernen, was sich als sehr schwierig erweist, denn auch soziale Kontakte zu knüpfen ist für Nilüfer eine Herausforderung. Andere Kinder finden sie „komisch“ (ebd., S. 34), da sie nach dem Zigarettenrauch ihrer Mutter riecht. Ihre Mutter hat wenig Zeit sich um Nilüfer zu kümmern, da sie durch ihre Auseinandersetzungen mit ihren Fantasiefiguren wenig Zeit hat zu kochen und durch die starken Medikamente oft und viel schläft (vgl. ebd., S. 11).
Schon am Ende ihrer Kindergartenzeit hat Nilüfer das Gefühl es mit den Verhaltensweisen ihrer Mutter nicht mehr aushalten zu können und stürzt sich mit einem Seil fünf Stockwerke tief von ihrem Balkon. Sie überlebt diesen Suizidversuch. Daraufhin folgt ihre Unterbringung im Heim und wenig später auch die Einweisung ihrer Mutter in die Psychiatrie.
Ihre Zeit im Heim ist geprägt von Struktur, gesunder, regelmäßiger Ernährung und Duschzeiten, all das, was sie während des Zusammenlebens mit ihrer Mutter nie hatte (vgl. ebd., S. 112). Jedoch wird ihr während ihrer Jugend schnell bewusst, dass die Hirngespinste ihrer Mutter sie mehr beeinflussen als sie dachte. Obwohl ihr der Abstand zu ihr gut tut, wird sie mit Briefen ihrer Mutter überhäuft, die einerseits sehr liebenswert sind und ihr bewusst machen, wie sehr ihre Mutter sie liebt, manche sie andererseits aber wütend machen, da ihre Halluzinationen und Wahnvorstellungen Oberhand gewinnen. Zusätzlich ist Nilüfers Heimleiter wenig unterstützend und demotiviert sie in ihrem Vorhaben ihr Abitur zu absolvieren. Ihre Frustration und Traurigkeit sich nicht geliebt und wertgeschätzt zu fühlen, bringt sie dazu sich mit Drogen zu betäuben (vgl. ebd., S. 124f.).
Trotz all den negativen Momenten in ihrem Leben berichtet Nilüfer davon, wie sehr sie es schätzt mit so viel Liebe großgezogen worden zu sein und würde ihre Mutter trotz ihrem Leidensweg gegen keine andere tauschen wollen (vgl. ebd., S. 176).
Heute studiert Nilüfer Türkmen Politik- und Rechtswissenschaften und engagiert sich in der Aufklärungsarbeit zu psychischen Erkrankungen. Ebenfalls besucht sie ihre Mutter regelmäßig in dem betreuten Wohnheim, in dem sie lebt.
Dieses Buch kann durch das Fallbeispiel von Nilüfer einen Einblick darüber vermitteln, was im familiären Umfeld eines Kindes stattfinden kann und wie stark die Auswirkungen sein können. Als angehende Sonderpädagog:innen ist es wichtig für solche Hintergründe sensibilisiert zu werden, um Hilferufe zu erkennen und vorzeitig handeln zu können. Es ist nachgewiesen, dass Mütter, die an Schizophrenie erkrankt sind, in der Krankheitsphase „desorganisiert, unsensibel und unberechenbar“ gegenüber ihren Kindern auftreten (Mäder, A. (2014). Kinder schizophrener Eltern. Risiken einer schizophrenen Erkrankung eines Elternteils und die Bewältigungsressourcen der Kinder, S. 15), aber auch Väter ihrer Erziehungsrolle nicht gerecht werden können. Diese Handlungen der Eltern können, wie auch in Nilüfers Erfahrungsbericht beschrieben, zu „Gefühle des Verlustes, der Schuld, der Scham und der Trauer“ (ebd., S. 22) führen. Wie es auch Nilüfer beschreibt, können Kinder schizophrener Eltern häufig dazu neigen, Ängste um ihre eigene Gesundheit zu entwickeln, da sie lernen, dass die Krankheit vererbbar ist (vgl., ebd., S. 21).
Durch die Figur des Heimleiters wird verdeutlicht, dass gerade die Rolle der Pädagog:innen in dem Leben von Kindern, bei denen das familiäre Umfeld instabil ist, sehr wichtig ist. Dadurch, dass die Motivation und die Aufmerksamkeit nicht aus dem Elternhaus kommen, müssen wir als angehende Pädagog:innen diese Rolle übernehmen und ernst nehmen, denn ein demotivierendes und respektloses Verhalten gegenüber Kindern, kann starke negative Auswirkungen haben. Um die Entwicklung von Kindern schizophren erkrankter Eltern fördern zu können, sind diese auf Schutzfaktoren wie personale -, familiäre – und soziale Ressourcen angewiesen (vgl. ebd., S. 27f.). Der Heimleiter stellt in Nilüfers Geschichte eine soziale Ressource dar. Soziale Ressourcen sind dafür da, die Kinder in Krisensituationen zu unterstützen und ihnen „Schutz, Sicherheit und Rat [zu] bieten“ (ebd., S. 31). Diese soziale und emotionale Unterstützung bietet der Heimleiter Nilüfer nicht, weshalb sie starke Zweifel entwickelt und eine drastisch negative Veränderung aufweist. Dadurch wird noch deutlicher, wie wichtig die stabile und unterstützende Präsenz der Lehrperson in solchen Fällen ist.
Mich persönlich hat Nilüfers Geschichte sehr beeindruckt und mir das Thema Schizophrenie nähergebracht. Ich denke, sie kann mit ihrer Geschichte vielen Leuten Mut machen, so dass „wie alle netter mit psychisch kranken Menschen umgehen“, wie es ihr Wunsch ist.