Wenn man sich an die eigene Schulzeit zurückerinnert, denkt man an die Zeit mit seinen Freund:innen in der Pause, den Unterricht und eventuell auch an die Lehrkräfte. Womöglich denkt man aber auch an unfaire Noten oder das Gefühl, dass die eigene Leistung anders bewertet wurde als von einem Mitschüler/ einer Mitschülerin. Doch sollten nicht alle Schüler:innen die gleichen Chancen erhalten? Vera Moser, Professorin der Stefan und Kathrin Quandt Stiftungsprofessur für Inklusionsforschung an der Goethe Universität Frankfurt, Sprecherin des Graduiertenkollegs »Inklusion-Bildung-Schule« und Gründungsdirektorin des Zentrums für Inklusionsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin ist der Meinung, dass der Erfolg in der Schule ein Glücksspiel sei und von vielen Punkten, wie der Schule und den Lehrkräften abhängig wäre. Dementsprechend erhalten ihrer Meinung nach nicht alle Schüler:innen die gleiche Chance. In ihrem Artikel begründet sie diese Position und geht auf eine mögliche Lösung ein (vgl. https://www.spiegel.de/panorama/bildung/chancengleichheit-das-leere-versprechen-des-deutschen-schulsystems-a-1fe759aa-f275-4aff-99d5-b6160fd7df23).
Anna-Lea Reiche (Von Studierenden für Studierende)
Chancengleichheit ist nicht nur laut Moser in den deutschen Schulen nicht gegeben, sondern auch Ergebnis der PISA-Studien; das Bundesverfassungsgericht und verschiedenste Bildungsforscher:innen bekräftigen diese Aussage. Befunde der PISA-Studie zeigen, dass ¼ der 15-Jährigen die unterste Kompetenzstufe im Bereich Lese-, mathematische und naturwissenschaftliche Leistungen nicht erreicht. Dazu muss gesagt werden, dass Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht mitgerechnet wurden, obwohl sie etwa 10% eines Jahrgangs ausmachen. Diese Schüler:innen bzw. Schüler:innen, die nicht auf eine Regelschule gehen, haben jedoch ein erhöhtes Risiko am Ende ihrer Schullaufbahn keinen Schulabschluss zu erhalten.
Bisher wird probiert mit Hilfe von Rückstellungen bei der Einschulung, Klassenwiederholungen, Nachteilsausgleichen etc. familiäre Probleme auszugleichen. Dieser Versuch ist jedoch erfolglos geblieben, weshalb Moser als Lösung des Problems die Garantie eines qualitativ hochwertigen Bildungsangebots als Mindeststandard anführt. Dies bestätigt auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2021, welches besagt, dass Kinder einen Anspruch auf Bildungsangebote haben, die unverzichtbare Mindeststandards in Bezug auf die chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten einhalten. Jedoch wurden in den Forschungen der letzten 20 Jahre gerade die Standarddebatten um Inklusion und Digitalisierung ausgelassen. Das heißt nach 10 Jahren der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es noch immer keine Antwort auf die Frage, was einen inklusiven Unterricht auszeichnet. Vielmehr können sich Schulen ohne nachgewiesene Kriterien mit Labels wie ‚inklusiv‘, auszeichnen. Moser ist der Meinung, dass Standards fehlen. Es gibt zwar Standards in der Lehrkräftebildung (https://www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/lehrkraefte/lehrerbildung.html) und es gibt die fächerbezogenen Regelstandards (https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html#c2585 ), aber es fehlen beispielsweise die Standards und Kriterien, ab wann sich eine Schule als inklusiv bezeichnen darf.
Weiter sollte auch eine Untersuchung der Qualität von Unterricht stattfinden, um einen einheitlichen Rahmen festlegen zu können. Um dies zu ermöglichen sind nationale Vorgaben und Mindestanforderungen wichtig, denn die bisher bundesländerspezifisch angesetzten Qualitätsbereiche sind sehr verschieden und scheinen willkürlich.
Insgesamt sind die Chancen in der Schule sehr ungleich und unfair verteilt, sodass gerade Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Schüler:innen aus heraufordernden Lebenssituationen, wie z.B. Armut, besonders benachteiligt werden. Es muss also noch viel getan werden, damit auch diese Schüler:innen dieselben Chancen auf Erfolg in der Schule haben.