Aufgrund des Krieges in der Ukraine sind bereits mehrere Millionen Menschen mit ihren Familien in angrenzende Staaten geflüchtet, um dort Schutz zu suchen. Bildungspolitiker*innen schätzen, dass ca. die Hälfte der ukrainischen Kriegsflüchtlinge Kinder und Jugendliche seien.
Doch wie genau soll das deutsche Bildungssystem auf Kinder reagieren, welche mit solch dramatischen und traumatisierenden Erlebnissen konfrontiert wurden? Isoliert, oder in Regelklassen? Sollen sie direkt beschult werden oder erst nach einer Eingewöhnungsphase?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Spiegel-Artikel „Bildungsforscher sprechen sich gegen Willkommensklassen für ukrainische Grundschüler aus“ (https://www.spiegel.de/panorama/bildung/ukraine-kmk-experten-sprechen-sich-gegen-willkommensklassen-fuer-ukrainische-grundschueler-aus-a-74a5e903-0f91-450a-8a5e-be9ff80b26a6)
Jens-Maximilian Finger (Von Studierenden für Studierende)
Ein Expertenrat der Kulturministerkonferenz hat im Hinblick auf Bildungsangebote für geflüchtete ukrainische Kinder und Jugendliche eine Empfehlung ausgesprochen, deren Kern der baldmöglichste Besuch von Kita oder Schule darstellt. Dort solle ihnen unter anderem ermöglicht werden, ihren Bildungsweg fortzusetzen und Hilfe bei der Verarbeitung möglicher Traumata zu erhalten, denn es sei davon auszugehen, dass 25% bis 35% der Kinder und Jugendlichen, welche aus der Ukraine geflohen sind, unter schweren psychischen Belastungen leiden. Der Kontakt zu Gleichaltrigen bilde hierbei einen wesentlichen Schutzfaktor.
Während Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sich zunächst für die Unterbringung in ‚Willkommensklassen‘ ausgesprochen hatte, in welchen die Schüler*innen, vorab getrennt von Regelklassen, primär im Fach Deutsch unterrichtet werden, forderte die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka, dass ukrainische Schüler*innen weiterhin nach ukrainischem Vorbild unterrichtet werden sollten. Da der Aufenthalt der Kinder nur temporär sei, gelte es, die Kontinuität der Bildungsprozesse und die nationale Identität zu erhalten. Stark-Watzinger plädierte daraufhin dafür, dass das übergeordnete Ziel sein müsse, eine Balance zwischen der Integration in das deutsche Bildungssystem und der Bewahrung der ukrainischen Identität zu gewährleisten. Zwar hoffe sie, dass die Kinder und ihre Familien baldmöglichst wieder in ihre Heimat zurückkehren können, jedoch müsse man auch darauf vorbereitet sein, dass sich ihr Aufenthalt langfristiger gestaltet.
Expert*innen empfehlen zudem, soweit möglich, die Bereitstellung von Unterricht ergänzenden Bildungsangeboten auf Ukrainisch, damit die Schüler*innen bei einer möglichen Heimkehr gut weiterlernen könnten. Sie empfehlen auch Grundschulkinder direkt in Regelklassen anstelle von Willkommensklassen oder in Sammelunterkünften zu unterrichten, da so der Kontakt zu Gleichaltrigen begünstigt werde und gewährleistet werden könne, dass zur Förderung erforderliche Infrastruktur vorhanden sei. Zudem sollen aus der Ukraine geflüchtete Pädagog*innen, Therapeut*innen und Lehrkräfte von Beginn an miteinbezogen werden, jedoch müsse man diese zunächst für diese Aufgabe gewinnen und professionalisieren.
Zwar stellt Bildung einen zentralen Aspekt unserer Entwicklung dar, jedoch sollte vor allem das Kindeswohl an vorderster Stelle stehen. Für die ukrainischen Flüchtlingskinder muss eine sichere Atmosphäre geschaffen werden, in der sie das Erlebte verarbeiten können, indem sie unter anderem Kontakt zu Gleichaltrigen pflegen, mit ihnen spielen und einfach nur Kinder sein können. Denn verpasster Schulstoff kann wieder aufgeholt werden, ein mögliches Trauma jedoch nicht adäquat zu behandeln, kann schwerwiegende Folgen haben, welche Kinder und Jugendliche in ihrer weiteren Entwicklung und persönlichen Entfaltung stark einschränken können.