Mit Slogans wie diesen und einigen Wochen vehementen Instagram- „Terrors“ hat die Akademie für Lernpädagogik unter der pädagogischen Leitung von Jürgen Möller mich neugierig gemacht.
Das Familienseminar verspricht „Lernen kann man lernen. Konzentration und Spaß dabei auch!“ In 75 Minuten mit einfachen Übungen für den Alltag soll beides zurückgeholt werden. Corona-konform und bequem von zuhause (https://www.akademie-lernpaedagogik.de/familienseminar/).
Anstrengende Monate des Homeschooling, Homeoffice und digitalem Semester liegen hinter mir und meiner Familie und sind am Familienleben mit 3 schulpflichtigen Töchtern der Klassen 4, 8 und 10 nicht spurlos vorbeigegangen. Der erneute Start ins Semester und der Beginn eines neuen, besonderen Schuljahres taten ihr übriges. Was also hatte ich zu verlieren?! Nach kurzer Überzeugungsarbeit sitzen meine jüngste Tochter und ich also an einem Samstagmorgen gespannt, aber nicht ohne Skepsis gemeinsam vor Laptop und Tablet.
- Wie es uns ergangen ist?! Hier einen detaillierten Erfahrungsbericht des kostenlosen (online) Familienseminars für Eltern und Kinder (3. – 8. Klasse) der Akademie für Lernpädagogik lesen…
- Nur kurz Zeit?! Dann direkt zum Fazit am Ende scrollen 🙂
Christina Auge (Von Studierenden für Studierende)
Erfahrungsbericht: Nach einer kurzen gemeinsamen Einführung begibt sich meine Tochter für 25 min mit Jürgen Möller und Karlchen, dem pädagogischen Profi auf vier Pfoten, in einen gesonderten virtuellen Kinderraum. Dazu später mehr.
Im Elternteil des Seminars starten wir mit grundsätzlichen/allgemeinen Dingen. Familie sollte als Team agieren und unsere Kinder sollen in ihrem Selbstwert gestärkt werden. Entscheidungsfreiheit soll ihnen die Möglichkeit geben alles zu lernen, was sie wollen. „Lernen zu lernen ist der Schlüssel für ein glückliches Familienleben und eine entspannte Schulzeit.“ Soweit so gut. Jetzt kommt das ABER.
Durch andauernde Bewertungssituationen in Bildungseinrichtungen sowie durch Schulnoten, die als Indikatoren für den Wert eines Kindes missverstanden werden geht fast 99% der Schüler*innen die Lust am Lernen verloren. Die so entstandene Spirale einer Misserfolgserwartung – unser Gehirn liebt bekanntlich die Bestätigung – muss also durchbrochen werden. Denn ursprünglich hatten sich alle diese Kinder doch auf die Schule und das Lernen gefreut.
Bevor allerdings die Masterfähigkeiten des Lernens mit anschaulichen Beispielen und Übungen thematisiert werden, sind zunächst Kommunikation und Konzentration Thema. Die Grundlage einer neuen Kommunikationsebene soll ein Vertrag bilden, der jeweils drei Punkte der beiden Parteien (Eltern/Kind) in Form von gewünschten Verhaltensweisen der jeweiligen „Gegenpartei“ enthält. Wichtig hierbei: beide Seiten müssen „echte“ Zugeständnisse machen, und zwar auf Augenhöhe. Kommunikation auf Augenhöhe zu führen ist nicht neu, aber zwischen Theorie und Praxis gibt es eben häufig einen Unterschied. Umso wichtiger sich hier noch einmal selbst zu reflektieren. Die geschaffene „neue“ Kommunikationsebene soll für Verbindlichkeit sorgen und kann durch Belohnung, bekanntermaßen im Idealfall keine materiellen Dinge, ergänzt werden. Ergänzend zum „Lernvertrag“ (ein Vordruck kann heruntergeladen werden) soll eine neue Gesprächskultur eingeübt werden. Driften Diskussionen auf die Beziehungsebene ab, soll die Diskussion mit Hilfe von Paraphrasieren auf eine Sachebene überführt werden. Dies gilt für beide Parteien! In Bezug auf eine Hausaufgabensituation könnte das so aussehen: Kind: „Ich stelle fest, dass du wütend bist, weil ich die Hausaufgaben nicht mache“ Eltern: „Ich merke, dass du dich nicht mit den Hausaufgaben beschäftigen willst.“ Eine aktive Auseinandersetzung mit den Gefühlen des Gegenübers wird so erzeugt. Ergänzend wird ein „Codewort“ verabredet, das in außer Kontrolle geratenen Situationen/Diskussionen die Rückbesinnung auf diese Form der Gesprächsführung einleitet.
Weiter geht es im Elternteil des Seminars mit dem Thema Konzentration. Konzentrationsschwierigkeiten kennen wir alle. Das aber Tagträume einige positive und notwendige Aspekte haben, war mir nicht, oder zumindest nicht in dem hier geschilderten Ausmaß bewusst. Beim Tagträumen regeneriert unser Gehirn. Wir (und natürlich allen voran unsere Kinder) schützen uns so vor Reizüberflutung und Stress. Wir bauen Frust ab und trainieren unsere Vorstellungskraft. Durch die andauernde Auseinandersetzung mit Wunschvorstellungen können wir diese leichter in die Tat umsetzen. Nicht schlecht, denke ich. Jetzt gilt es dies sinnvoll auszunutzen. Unsere Tagträume zu steuern kann z.B. mit Hilfe von Fantasiereisen gelingen. Um Konzentration zu fördern wird auch die Technik eines sogenannten „Konzentrationsankers“ vorgestellt. Mit Hilfe einer Reiz-Reaktions-Kopplung (vgl. klassische Konditionierung: Pawlow) soll eine Möglichkeit geschaffen werden, immer und überall Konzentration herbeizuführen. Christiano Ronaldo soll sich so laut der Dozentin vor jedem Elfmeter fokussieren. Scheint also zu funktionieren. Liest meine Tochter ein Buch, so kann die Welt um sie herum untergehen, also die perfekte Situation, um einen Konzentrationsanker einzuüben. Eine Hand- oder Fingerbewegung (die Hände sind ja immer dabei), die immer wieder für ca. 10 Sekunden während des Lesens ausgeführt wird, sorgt so für die Reiz-Reaktions-Kopplung und das Gehirn verbindet die Handlung zukünftig im Idealfall mit Konzentration. Ich halte das für realistisch, schließlich sind mir die Theorien bekannt und bin gespannt auf das Ergebnis.
Als weiterer Grund für Konzentrationsschwierigkeiten wird im Anschluss das Thema Angst in diesem Seminar thematisiert. Angst verhindert Fokussierung, blockiert unser Denken und lähmt. Gerade im schulischen Kontext sind vor allem Situationen der Leistungsbewertung und die damit verbundene Reaktion des persönlichen Umfeldes ein Angstauslöser, soweit die Ausführungen der Dozentin.
Wir machen eine Übung mit 10 Aufgaben unter Zeitdruck, um uns die alltägliche Situation der Kinder besser vorzustellen. Puh, ich bin überrascht, wie groß der Druck tatsächlich ist. Denkt man zunächst man könne problemlos damit umgehen, erhöht sich der Druck bei jeder Aufgabe, die nicht sofort und problemlos lösbar ist, denn die Zeit läuft. Erfolgreiches Lernen soll hier Abhilfe schaffen und helfen mit dieser Angst umzugehen. Die Dozentin macht eine einfache Rechnung auf. Lernen lernen, um so Erfolgserlebnisse zu sammeln, damit die Angst besiegen und die Spirale des Misserfolgs durchbrechen. Ist das so einfach?? Im Folgenden wird eine Technik vorgestellt, die einen konzentrierten Start in eine Arbeitsphase gewährleisten soll. Hier als innerer Dialog vorgestellt, soll eine Art Checkliste die konzentrierte Arbeit an einer Aufgabe erleichtert. Ein Frage-Antwort Spiel im Geiste: Was will ich tun? – Ich mache jetzt Mathe.; Was brauche ich dafür? – Lineal, Bleistift (was würde passieren, wenn es fehlt?); Was sehe ich vor mir (Aufgabenstellung)? usw.
Die Kinder kommen aus ihrem virtuellen Kinderraum zurück. Ich bin gespannt und meine Tochter ganz aufgeregt. Innerhalb von gut 15 Minuten haben die Kinder mit Hilfe der Körperlistentechnik die 10 größten Bundesländer in absteigender Reihenfolge gelernt. Wie aus der Pistole geschossen kann meine Tochter das 7. größte Bundesland nennen. Ich bin verblüfft. Im Rahmen der Körperlistentechnik werden allen Bundesländern „Briefkästen“ am Körper zugeordnet. Der erste Briefkasten an den Füßen beherbergt das Bundesland Bayern. Die Kinder assoziieren: Nr. 1 im Fußball = größtes Bundesland. Nach der kurzen Demonstration ihres (Lern-)Erfolgs sind die Kinder „entlassen“ und wir Eltern widmen uns interaktiv den 5 Masterfähigkeiten des Lernens.
- Unser Gehirn lernt grundsätzlich gern! Es gilt dessen Vorlieben zu kennen und zu nutzen. Mal wieder denke ich: So einfach? Warum fällt es dann so vielen Menschen so schwer? Es werden im Seminar nun im Folgenden verschiedenen Lerntechniken/Masterfähigkeiten beispielhaft vorgestellt. Wir beginnen mit einer Merkübung. 16 Begriffe, durch Kommata getrennt, sollen sich innerhalb von 30 Sekunden eingeprägt und in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben werden. Soweit so gut, ich schaffe 11 und bin ganz zufrieden. Wir wiederholen das Experiment mit 16 neuen Begriffen ähnlicher Länge und Komplexität. Diesmal strukturiert und in Kategorien zusammengefasst nebeneinander und jeweils in 4er-Gruppen untereinander. Problemlos können alle Teilnehmer nach 30 Sekunden nahezu alle Begriffe nennen. Klappt also.
- Anschaulich beschreibt die Dozentin unser Gehirn als Lagerhalle. Ohne Lerntechnik wird alles immer in das gleiche Regal gestellt, am Ende fällt so immer ein Teil heraus, wenn etwas Neues „eingeräumt“ wird. Mit Lerntechnik hingegen werden verschiedene Regale genutzt und Wissen wird „wiedergefunden“. Kategorien zu bilden und Lernstoff bewusst zu strukturieren mag unser Gehirn also. Zugegeben ist mir das nicht völlig neu, aber hier besonders anschaulich erklärt. Das merke ich mir auf jeden Fall, um diese Technik an andere weiterzugeben. Strukturen können auf vielfältige Weise genutzt werden und sind individuell. Unregelmäßige Verben zu kategorisieren nach „Miau“ – sing-sang-sung; oder „Laubfrosch“ – teach-taught-taught, ist mir neu, macht aber Spaß und wird auf jeden Fall sofort ausprobiert.
- Da unser Gehirn bunt und in Bildern denkt, ist Visualisierung eine häufig automatisch genutzte Technik und ist vor allem für Rechtschreibung und Vokabelnlernen gut anwendbar. Begriffe zunächst als Bild und dann als Wort „lernen“ und mit Hilfe von Karteikarten einüben. Ok, auch nicht unbedingt eine bahnbrechende Neuigkeit, aber nicht immer präsent. Mind-Maps werden als „Gedächtnislandkarten“ vorgestellt. Mit deren Hilfe bestehendes Wissen mit neuem verknüpft werden kann. Wissen kann so „ins passende Regal der Lagerhalle des Gehirns“ abgelegt und wiedergefunden werden. Wir werden im Seminar ermutigt z.B. als Vorbereitung auf Klassenarbeiten mit unseren Kindern (ältere Kinder, die das Format kennen auch allein) entsprechend große (Plakat) Mind-Maps anzufertigen und aufzuhängen. Warum eigentlich nicht? Ich selbst nutze zwar schon lange recht erfolgreich Karteikarten in verschiedenen Größen, wird aber auf jeden Fall ausprobiert, denke ich.
- Was aber mit der Anfangshürde, dem inneren Schweinehund? Unser Gehirn mag es spannend. Aus aktuellen Seminaren weiß ich, Interesse und Motivation zu erzeugen ist ein wichtiger Aspekt, um erfolgreiches Lernen zu fördern. Hier wird nochmal Bezug zur Körperlistentechnik hergestellt, mit der die Kinder die Bundesländer gelernt haben. Meine Tochter fand es auf jeden Fall spannend.
- Als fünfte Masterfähigkeit des Lernens wird die Reduzierung kurz erwähnt. Was ist wichtig, was nicht? Klingt plausibel und macht auf jeden Fall Sinn, wenn der Lernstoff, aus welchen Gründen auch immer, die individuellen Möglichkeiten übersteigt.
Wir sind am Ende des Seminars angelangt und fassen die 10 wichtigen Punkte zusammen, um den Familien-Lernalltag zu erleichtern, als Fahrplan sozusagen:
- mit dem Lernvertrag eine gleichberechtigte Ebene schaffen
- emotionale Botschaften paraphrasieren
- Tagträume unterstützen die Kreativität
- Trainieren Sie den Konzentrationsanker
- Unterstützen Sie ihr Kind mit der natürlichen Angst umzugehen
- mit Hilfe des Inneren Dialogs eine förderliche Herangehensweise an Aufgaben schaffen
- Helfen Sie ihrem Kind Strukturen zu erkennen und zu kreieren
- Nutzen Sie Visualisierungstechnik, um Rechtschreibung und Vokabeln zu trainieren
- Mind-Maps dienen als Gedächtnislandkarte
- Üben Sie die Körperlistentechnik, um mit Spaß zu lernen
Wie sollte es bei einem kostenlosen Angebot auch anders sein, folgte noch ein Werbeblock über das kostenpflichtige Lerntraining des pädagogischen Leiters Jörg Möller. Ausgelegt auf ein Jahr mit mtl. Kosten und individuell auf das Kind und die Eltern zugeschnitten mit nur einer Stunde Aufwand pro Woche. Unterteilt in 4 Module werden Lerntechniken eingeübt, an der Konzentration gearbeitet und die Selbstorganisation verbessert. Auch an Motivation und Selbstvertrauen gearbeitet. Alles scheint wissenschaftlich fundiert und von positiven Elternbeiträgen untermauert. Die Kosten sind in Zeiten von Corona mit 65€ pro Monat nicht allzu hoch gegriffen. Fraglich bleibt, ob nicht auch dies eines von vielen Angeboten ist, die am Ende doch nur wenigen zugänglich sind. Werden nicht diejenigen außen vor gelassen, die „wirklich“ Unterstützung benötigen? Aber das soll hier nicht Thema sein.
Fazit: Viele Inhalte des Seminars waren mir bekannt, habe ich schon mal darüber gelesen oder sie wurden in den vergangenen drei Semestern an der Uni thematisiert. Wie wichtig gute Kommunikation ist, Verbindlichkeit und die unbedingte Notwendigkeit den Wert eines Kindes nicht auf Basis von schulischen Leistungen zu bemessen. Seine Ängste ernst zu nehmen und es im Lernprozess gezielt zu unterstützen. Die Familie als ein Team zu sehen. All das wird thematisiert und scheint im Besonderen durch das Studium und 15 Jahre „Mutter sein“ auf den ersten Blick für mich nicht neu. Tipps zur Konzentrationssteigerung und die Vorstellung verschiedener Lerntechniken runden das Seminar ab. Insgesamt ist es, meines Erachtens, sinnvoll und schlüssig aufgebaut und wissenschaftlich fundiert. Jedenfalls soweit ich das beurteilen kann. Am Ende ein erwartbarer Werbeblock für ein kostenpflichtiges Angebot eines Lerntrainings der Akademie.
Hier soll aber nicht den Eindruck erweckt werden ich hätte nichts „gelernt“. Wie so oft bleibt man im Alltag hinter seinen theoretischen Möglichkeiten zurück. Es ist ungeheuer wichtig sich immer wieder selbst zu hinterfragen. Das ist nicht nur im Hinblick auf den „Job“ als Eltern, sondern auch als zukünftige Lehrkraft unerlässlich. Besonders die positiven Aspekte von Tagträumen waren mir in diesem Ausmaß nicht bewusst. Ich freue mich also über mein kreatives Kind, dessen Gehirn prima regeneiert ist, wenn es einfach aus dem Fenster schaut und sich Tagträumen hingibt. Außerdem nutzen wir Lese-Auszeiten zukünftig, um die Konzentration à la Christiano Ronaldo per Konzentrationsanker zu trainieren. Die „Langzeitstudie“ hierzu steht noch aus 😉
Neben der „Reaktivierung“ von bereits vorhandenem Wissen nehme ich außerdem zwei entscheidende Aspekte aus dem Seminar mit:
- Richtig schlecht läuft es bei uns zuhause nicht, vieles machen wir gut oder haben zumindest einen guten Weg eingeschlagen, das beruhigt.
- Veränderungen in der Alltagsstruktur und die Einschränkungen der Pandemie zeigen aber auch, es ist noch Luft nach oben und wir müssen uns stetig weiterentwickeln.
Beeindruckt haben mich auch die Ergebnisse der praktischen Übungen, sowohl im Elternteil des Seminars als auch im Kinderteil. Mit kleinen Kniffen kann unglaublich viel erreicht werden! Strukturiert angeordnet und kategorisiert lassen sich um ein Vielfaches mehr Begriffe in kurzer Zeit lernen. Das klingt zwar auch in der Theorie logisch, aber am eigenen Leib erfahren wirkt es einfach besser. Dass meine Tochter heute (zwei Monate nach dem Seminar) noch fast alle der 10 Bundesländer aufsagen kann, ohne dass wir darüber zwischenzeitlich nur ein Wort verloren hätten, überzeugt mich.
Ich kann also abschließend sagen, diese 75 Minuten waren ganz sicher nicht umsonst, wenn auch kostenlos 😉. Als Anstoß etwas zu verändern, als Erinnerung daran, was ich eigentlich für mein Kind will: Nämlich, dass es gern zur Schule geht, ohne Angst und zusätzlich, künstlich erzeugten Leistungsdruck (das macht die Regelschule ohnehin schon). Um den Fokus nicht zu verlieren, denn Schule ist nur ein kleiner Teil im Leben unserer Kinder. Das Seminar kann Eltern zwar in 75 Minuten keine Musterlösung für Probleme im Lern- und Familienalltag liefern, aber den Blick schärfen und den ein oder anderen Tipp für kleine Veränderungen geben, die möglicherweise mehr bewirken als man zunächst erwartet hätte.