Wenn uns etwas aus dem Jahr 2020 in Erinnerung bleiben wird, dann ist es wohl die Covid-19 Pandemie. Ahnte Anfang 2020 noch niemand, was uns in den kommenden Monaten erwarten würde, stand das restliche Jahr durchweg auf dem Kopf: Kontaktbeschränkungen, Lock-Downs, jede Menge Insolvenzen, Schulschließungen und Online-Unterricht. Die Corona-Pandemie hat das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben fest im Griff. Auch der Inklusionsgedanke und deren Umsetzung werden in dieser Zeit vor neue Herausforderungen gestellt. Dies hat einige negative Effekte auf Inklusion, macht aber vor allen Dingen auch auf einige ihrer bisherigen Schwachstellen aufmerksam und kann uns in Zukunft vielleicht sogar helfen, Inklusion weiter voranzutreiben.
Nina Schneider (Von Studierenden für Studierende)
„Wir müssen aufpassen, dass wir keinen Rückwärtssalto machen und uns die Pandemie zurückwirft“, sagte der Sonderpädagoge und Professor Menno Baumann in Bezug auf die Entwicklung der Inklusion in Zeiten der Covid19-Pandemie. Baumann erforscht an seinem Lehrstuhl für Intensivpädagogik an der Fliedner FH in Düsseldorf aktuell die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf behinderte und kranke Schüler*innen. Mit Deutschlandfunkkultur sprach er über die bisherigen Ergebnisse seiner Forschung, aber auch darüber, was Corona uns seiner Meinung nach in Bezug auf Inklusion langfristig lehren kann (vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/inklusive-schule-waehrend-corona-von-bildungsgerechtigkeit.3991.de.html?dram:article_id=487624).
Die Ergebnisse seiner Studie sind ernüchternd. Vor allen Dingen das gemeinsame Unterrichten, was der Kerngedanke von Inklusion ist, ist mit dem Aufkommen der Pandemie um einiges schwieriger geworden. So gab es für Kinder und Jugendliche, die wegen einer meist geistigen Behinderung die Coronaregeln wie z.B. Maske tragen und Abstand halten nicht einhalten konnten, kein Alternativbildungsangebot und diese Kinder wurden somit schlicht vom Unterricht und der Möglichkeit auf Bildung ausgeschlossen. Der Ausschluss der Schüler*innen mit Behinderung wird noch dadurch verstärkt, dass auch Schulbegleiter*innen (als „externe Erwachsene“) die Schulen teilweise nicht mehr betreten durften. So verlieren die Kinder nicht nur das Angebot auf Schulbildung, sondern in den meisten Fällen auch ihre Tagesstruktur. Das führt dazu, dass einige der Schüler*innen sich immer weiter zurückziehen und zudem bereits Erlerntes wieder vergessen. Schüler*innen mit körperlichen Behinderungen oder chronischen Erkrankungen haben häufig nur zwei Auswahlmöglichkeiten: Entweder Beschulung ohne besondere Schutzmaßnahmen oder die Befreiung von der Regelbeschulung durch eine Attestierung des Arztes.
Menno Baumann bemängelt in solchen Fällen vor allen Dingen die fehlende bzw. nicht ausreichende Unterstützung für die Eltern. Wenn die Eltern unterstützen können, haben die Kinder Glück. Wenn die Eltern Unterstützung durch ihre berufliche, finanzielle, etc. Lage allerdings nur bedingt oder gar nicht leisten können, setzt dies die gesamte Familie massiv unter Druck und belastet sie zusätzlich. Dies betraf bisher nur eine kleinere Gruppe. Mit dem Aufkommen von Corona betrifft dies allerdings plötzlich die Mehrheit der Familien und es wird endlich sichtbar und ernst genommen. Alle müssen plötzlich verstehen, wie es ist bildungstechnisch Nachteile zu erfahren.
Mit dem Andauern der Pandemie gibt es immer mehr Alternativen, Unterrichtsmaterialien und das Lehren über verschiedenste Plattformen zu vermitteln. So gibt es die verschiedenste Lernplattformen, Nachhilfeinstitute, die ihre Materialien kostenfrei zur Verfügung stellen und viele Schulen stellen ihren Unterricht auf Onlineformate um, damit die Schüler*innen auch von Zuhause zumindest ein wenig Zugang zu Unterricht und Lernmaterialien bekommen. Es ist keine Frage, dass dies nicht mit dem Unterricht in Präsenz zu vergleichen ist. Auch der Onlineunterricht und das eigenständige Lernen sorgen für neue Herausforderungen: Nicht alle Kinder haben Zugang zu einem Computer, vor allem jüngere Schüler*innen benötigen Unterstützung der Eltern, Mehraufwand für Lehrer*innen, etc. Ganz abgesehen davon, dass Onlineunterricht für Schüler*innen mit geistiger Behinderung zum Teil nicht umsetzbar ist, insbesondere dann, wenn dabei nicht die nötige Unterstützung durch die Eltern geleistet werden kann.
Allerdings wurden mit dem Aufkommen dieser vielfältigen neuen Lernkonzepte nun die ersten Schritte gelegt, die auch in Zukunft sehr hilfreich für die Inklusion sein können. Baumann erachtet einen Inklusionsbegriff, der sich auf alle Kinder zur gleichen Zeit im selben Raum bezieht, für zu einfach. Er sieht die Teilhabe aller Schüler*innen als das Spannendere und Wichtigere an. Diese Teilhabe aller kann mit den neuen Lernformaten in Zukunft erleichtert werden. So könnten auch Schüler*innen, die sich beispielsweise immer wieder in einer Klinik befinden und somit nicht am Regelschulunterricht teilnehmen können, weiterhin beschult werden und am Unterricht teilhaben. Was lange unvorstellbar galt, wurde mit der Corona-Pandemie bedingt dadurch, dass es alle betrifft, nun möglich. Das Sichtbarwerden von den Benachteiligungen, mit denen einige Familien schon seit Jahren zu kämpfen haben und das Aufkommen der neuen Möglichkeiten können in Zukunft immer wieder genutzt und optimiert werden, damit alle Schüler*innen am Unterricht teilhaben können. „Lasst uns die Pandemie nutzen, um an diesen Personenkreis zu denken und zu überlegen, wie man solche neu erschaffenen Strukturen nutzen kann, um ihnen diesen Teil des Alltags angenehmer zu machen“, bringt es Abiturient Lukas (Schüler mit einer langjährigen, lebensbedrohlichen Krankheit) in seinem Blog auf den Punkt (vgl. https://krisenclub.wordpress.com/2020/05/28/wie-schwer-ist-schule-fur-schwer-kranke-junge-menschen/).
Den ganzen Bericht zum Nachlesen inkl. zwei Beispiele des Schulalltags von Schüler*innen mit Behinderung zu Coronazeiten findet Ihr hier: https://www.deutschlandfunkkultur.de/inklusive-schule-waehrend-corona-von-bildungsgerechtigkeit.3991.de.html?dram:article_id=487624.