Ist es in Ordnung, wenn eine Hauptfigur mit Behinderung von eine:r Schauspieler:in ohne Behinderung gespielt wird? Chrismon – das evangelische Magazin – veröffentlichte den Artikel „Superhelden, Sorgenkinder … und immer Single“, in dem der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen interviewt wurde.
Dieser hat sich während seiner Diplomarbeit mit der Darstellung von Behinderungen in Medien beschäftigt (vgl. https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2023/53714/chrismon-interview-raul-krauthausen-ueber-inklusion-in-filmen)
Sonja Schubert (Von Studierenden für Studierende)
Raul Krauthausen findet es nicht in Ordnung, wenn eine Hauptfigur mit Behinderung von einer Schauspielerin oder einem Schauspieler ohne Behinderung gespielt wird. Er behauptet: „Das ist nichts anderes als Blackfacing, nur eben zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.“ Dies wird auch cripping down (runterkrüppeln) genannt.
Er sagt, dass die Personen ohne Behinderungen, den Personen mit Behinderung den Arbeitsplatz wegnehmen würden. Außerdem versperre dies den Schauspieler:innen mit Behinderung die Möglichkeit sich zu entfalten.
Raul Krauthausen sagt, dass in Filmen Behinderungen häufig benutzt werden, um nicht behinderte Schauspier:innen glänzen zu lassen. Seiner Meinung nach sollten mehr Filme existieren, in denen die Person mit einer Behinderung die Storyline vorantreibt; Filme, in denen ohne die Person mit Behinderung die ganze Geschichte nicht mehr funktionieren würde.
Auf die Frage, ob es Situationen gibt, in denen es in Ordnung wäre, dass ein:e nicht behinderte:r Schauspieler:in eine Person mit Behinderung spielt, antwortet der Aktivist mit einem Vergleich zwischen Frauen und Männer. Wenn ein Mann eine Frau spielen will, weil er behauptet, dass seine Kompetenz besser sei und er könne sich schließlich empathisch in Frauen hineinversetzen, wäre das für unsere heutige Gesellschaft nicht vorstellbar. „Wir brauchen die Erkenntnis, dass Empathie nicht reicht.“
Ein:e Schauspieler:in, der:die drei Tage übt mit einem Rollstuhl umzugehen, könne dies nicht überzeugend spielen. Jede:r, der:die die Erfahrungen mit Rollstühlen hat, würde erkennen, dass dies lediglich gespielt ist.
In anderen Ländern funktioniert dies bereits besser. In dem Film „Verstehen Sie die Béliers?“ wurde die Familie, die gehörlos ist, von hörenden Menschen gespielt. In dem amerikanischen Remake „Coda“ wird die Familie von gehörlosen Schauspieler:innen gespielt.
In Deutschland gibt es häufig Ausschlusskriterien. Raul Krauthausen berichtet, dass er vor kurzem eine Filmproduktion beraten hat. Diese hätte gerne einen Schauspieler mit Behinderung beschäftigt. Allerdings musste die Filmproduktion sich gegen diesen Schauspieler entscheiden, da die Versicherung ihn nicht versichern konnte.
Raul Krauthausen weiß, dass einige Behinderungen so schwer sind, dass die Möglichkeit, mit diesen Schauspieler:in zu werden, sehr gering ist. Allerdings wünscht er sich, dass niemand von vornherein ausgeschlossen wird. „Die Möglichkeit Schauspieler:in […] zu werden, sollten theoretisch alle haben.“
Einen Lösungsvorschlag stellt Raul Krauthausen ebenfalls dar. Für ihn wäre ein:e Diversity-Koordinator:in eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Schnitt gerecht abzubilden.
Die Autorin des Interviews, Anke Sterneborg, schreibt in ihrem Abschlusssatz: „Wir sollten es probieren, schauen wir doch mal, wie weit wir kommen. Und ja, wir werden auf Probleme stoßen, wir werden vielleicht scheitern. Aber wenn ein Kind Angst hat vorm Laufen, weil es umfallen könnte, wird es nie laufen lernen“ (vgl. https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2023/53714/chrismon-interview-raul-krauthausen-ueber-inklusion-in-filmen).