Seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 haben sich auch die deutschen Bundesländer dazu verpflichtet, das Recht für Schüler:innen mit Behinderungen eine Regelschule besuchen zu dürfen und hier die angemessene Förderung zu erhalten, Schritt für Schritt umzusetzen (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1). Präziser haben sich die Vertragsstaaten – neben der Durchsetzung eben dieses Rechts – bspw. dazu verpflichtet, angemessene individuelle Förderung Einzelner zu gewährleisten und Menschen mit Behinderungen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen (vgl. https://www.behindertenrechtskonvention.info/bildung-3907/).
Nun kann man sich die Frage stellen, wie gut derartige Vorsätze bisher in Deutschland umgesetzt werden konnten. Wie also verhält sich Deutschland im internationalen Vergleich bei der Umsetzung der Inklusion? Wie gut gelingt die Umsetzung dieser Schritte innerhalb Deutschlands und in jedem Bundesland?
Max Voß (Von Studierenden für Studierende)
Um die Fragen der Umsetzung eines inklusiven Schulentwicklungsprozesses zu beantworten, ziehe ich eine Studie von Steinmetz, Wrase, Helbig und Döttinger aus dem Jahre 2021 heran, die sich unter anderem mit eben solchen Fragen auseinandersetzt (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1). Zuvor sei noch erwähnt, dass der von der Konvention zugrunde gelegte Behinderungsbegriff in diesem Zusammenhang Schüler:innen mit langfristigen, körperlichen, seelischen, geistigen Beeinträchtigungen oder Sinnesbeeinträchtigungen, welche eine volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft nicht zulassen, einschließt (vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf). Das heißt, die Studie schließt Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein, aber auch jene mit chronischen Erkrankungen (vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf).
Um sich nun der Beantwortung der Frage einer erfolgreichen Inklusion zu nähern, kann man verschiedene Thesen aufstellen. So kann man aus diesen Vorgaben den Schluss ziehen, dass die Zahl der Förderschulen innerhalb eines Staates im Laufe der Zeit zurückgehen müsste. Betrachtet man jedoch die Exklusionsquote in Deutschland, d.h. die Quote an Schüler:innen, die keine Regelschule besuchen, fällt auf, dass sie im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Italien, Irland oder Norwegen mit 3,1% (Schuljahr 2016/2017) im internationalen Vergleich höher ist (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1). Und auch was die Umsetzung von Inklusion innerhalb Deutschlands betrifft, scheint es zwischen den deutschen Bundesländern teilweise große Unterschiede zu geben (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1).
Allerdings erscheint es sinnvoll bei einer solchen Fragestellung nicht allein auf die Anzahl von Förderschulen oder die Anzahl von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen zu schauen, sondern auch zu berücksichtigen, wie gut es Regelschulen gelingt, sich auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen der entsprechenden Schüler:innen einzustellen. Tatsächlich gibt es teilweise deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, was die Umsetzung des gemeinsamen Lernens, wie es hier genannt wird, betrifft. Auf Grundlage der Schulgesetze, die in den jeweiligen Ländern vorherrschen, kann man ableiten, dass es in den Ländern Bremen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen vorgesehen ist, dass alle Schulen bereit und in der Lage sind, Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterrichten, während Bayern, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen dies zwar ebenfalls vorsehen, die Einrichtung weiterer Schwerpunktschulen aber ebenfalls unterstützen (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1). Wohingegen Rheinland-Pfalz sich im Kontext der Inklusion sogar überwiegend auf Schwerpunktschulen beschränkt (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1).
Im nationalen Schnitt ist vor allem festzustellen, dass die Zahl an Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf seit Jahren steigt und auch die Inklusionsquote in vergleichbarem Maße zunimmt, wobei die Exklusionsquote nicht nennenswert sinkt (vgl. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748924401.pdf?download_full_pdf=1).
Für diese divergente Entwicklung gibt es laut der zuvor erwähnten Studie mehrere Gründe. Als Reaktion auf die UN-Behindertenrechtskonvention wurde 2011 ein Beschluss verabschiedet, welcher neben den Regelschulen als Ort des gemeinsamen Lernens auch Förderschulen nicht ausschließt (vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf). Wobei hier klar formuliert ist, dass eben diese Förderschulen stets alle Entwicklungen unterstützen, die eine Wiederaufnahme in eine Form des gemeinsamen Lernens ermöglichen können (vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-Inklusive-Bildung.pdf). Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sprach sich 2016 für den Fortbestand der Förderschulen aus (vgl. https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/HRBodies/CRPD/GC/RighttoEducation/Germany.pdf).
Auf Grundlage solcher Erkenntnisse kann man ableiten, dass eine einheitliche und weitgehende Abwendung von Förderschulen in Deutschland bspw. von Institutionen wie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nicht vorgesehen ist. Wie zu Beginn bereits erwähnt, kann aus den Vorgaben, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, der Schluss gezogen werden, dass die Zahl der Förderschulen zurückgehen müsse. Die UN-Behindertenrechtskonvention unterstützt und befürwortet die Möglichkeit eines inklusiven Unterrichts, nennt eine umfassende Abwendung von Förderschulen als solche aber niemals als Ziel (vgl. https://www.behindertenrechtskonvention.info/bildung-3907/). Der Fortbestand von Förderschulen und die simultane Erreichung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention schließen sich somit nicht grundsätzlich aus.
Kehrt man zurück zur Fragestellung, wie erfolgreich die Inklusion in Deutschland seit der UN-Behindertenrechtskonvention gelingt, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sowohl Förderquote als auch Inklusionsquote in Deutschland seit Jahren steigen, wobei zu bedenken ist, dass die Inklusion nicht in jedem Bundesland gleichermaßen weit vorangeschritten ist. Die konstante Exklusionsquote mag einer Durchsetzung der Inklusion, wie sie bspw. in zuvor erwähnten Ländern erreicht werden konnte, nicht zuträglich sein, der Erreichung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention steht dieser Umstand aber nicht im Wege.