„Die Nickis“ wurden 1961 im Körper von Sonja in der Nähe von Gütersloh geboren. Dort entstanden sie im Feld eines religiösen Kults und waren seit früher Kindheit schwerer ritualisierter und sexueller Gewalt ausgesetzt. Ihre Eltern, Geschwister und der gesamte Kreis des Kults beutete sie aus, zwang sie zur Prostitution und behandelte sie stets gewaltvoll. Um sich zu schützen und um zu überleben ist Sonja zu den Nickis geworden: zu sieben verschiedenen Persönlichkeiten. Die Spaltung ihrer Persönlichkeit war eine Anpassung an die bestehenden Stressoren und den Missbrauch. Die frühen Gewalterfahrungen haben dafür gesorgt, dass Sonja keine einheitliche Persönlichkeit entwickeln konnte. Stattdessen haben sich von ihr verschiedene Innenpersonen abgespalten – „Die Nickis“ –, die in den verschiedenen Situationen für sie eintreten konnten.
1991 bekamen die Nickis die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ (DIS). DIS bedeutet, dass eine Person mehrere Persönlichkeiten entwickelt, welche ganz unterschiedlich sein können, zudem abwechselnd die Kontrolle über das Handeln, Denken und Fühlen der Person übernehmen und sich durch ihren individuellen Charakter auszeichnen.
Heute leben die Nickis gemeinsam und bewältigen den Alltag als Gemeinschaft, denn sie haben gelernt, dass sich die anderen Persönlichkeiten nicht unterdrücken lassen, ansonsten rebellieren diese und machen sich wieder eigenständig, was zu bspw. Erinnerungsverlust für einen bestimmten Zeitraum der anderen Persönlichkeiten führt.
Mit einer dissoziativen Identitätsstörung zu leben, ist wahrhaftig nicht einfach. Die gesamte Geschichte der Nickis zum Anschauen findet Ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=SNv6VejUAds und https://www.youtube.com/watch?v=caros7UXxh4)
Lena Ax, (Von Studierenden für Studierende)
Und mit dieser Diagnose sind die Nickis nicht allein. Schätzungsweise sind ca. 820.000 Menschen in Deutschland von einer dissoziativen Identitätsstörung betroffen, was 1,1–1,5% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Darüber hinaus gibt es noch eine Dunkelziffer. Die wenigsten Menschen werden psychotherapeutisch behandelt. Bei einer Therapie geht es darum, dass die Persönlichkeiten näher zusammengebracht werden und sich gegenseitig informieren und nicht mehr unabhängig nebeneinander existieren. Das kann ansonsten dazu führen, dass Betroffene unter Erinnerungsverlust leiden, da oft verschiedene Persönlichkeiten handeln und die anderen Persönlichkeiten davon nichts mitbekommen. (https://ze.tt/wir-sind-die-nickis-wie-eine-frau-mit-sieben-persoenlichkeiten-lebt-multiple-persoenlichkeit-dissoziative-identitaetsstruktur-dokumentation/).
Ein weiteres Ziel einer Therapie ist es, den Teufelskreis zu durchbrechen und bspw. aus der Sekte oder dem Kult auszutreten, der ihnen das Leid zufügt, wobei das oftmals nicht einfach ist.
In wenigen Fällen erheben die Betroffenen Anzeige und nicht selten werden sie nicht ernst genommen und noch weniger verstanden.
Dass Betroffene allgemein bereits mit schweren sozialen, beruflichen und emotionalen Problemen zu kämpfen haben, ist denkbar, aber, dass es darüber hinaus wenige Anlaufstellen für sie gibt und auch die Polizei die Erläuterungen Betroffener manchmal abweist, ist ein schwerer Rückstoß.
Gewalt- und Missbrauchserfahrungen werden oft bereits in der frühen Kindheit gemacht, weswegen man insbesondere als Lehrkraft aufmerksam gegenüber seinen Schüler*innen sein sollte, um gegebenenfalls einschreiten, im besten Fall präventiv handeln zu können. Das Mindeste, was man in jedem Fall tun kann, ist, jedem Menschen bei seinen Erfahrungen und seinem Leid zuzuhören und ihn ernst zu nehmen. Denn nur, wenn man Themen wie diesem eine Plattform bietet und nicht wegsieht, diese für Kinder und Jugendlichen unfassbaren Erlebnisse nicht verleugnet, können wir einen weiteren Schritt zur Integration und Menschlichkeit tun.