What is Idolatry in the 21st Century

Up until today shirk has been and is considered to be the greatest sin in Islam. But how can a phenomenon (traditional practice of idolatry) belonging for the most part to the historical past, at least in Muslim countries today, be understood nowadays if we take the message of the Quran to be time-transcending? Could it be that the Quran is up to something bigger and yet subtler here? It might be a consideration worth pondering on as to how this concept concerns our lives in the modern era – otherwise we just might make it a little too easy for ourselves.

All too often we put our materialistic concerns before interests of other human and non-human beings, e. g. buying unethically sourced things (being it due to child labour, inhumane working conditions or animal factories). 

But then, these every-dayish, less-than-optimal actions like buying something seem unlikely be considered by the proclaimer of the Quran to be the unforgivable sin … 

While the relevance of this concept appears first and foremost theological, we might want to ask, what might be the secular side of the moral lesson that the Quran wants to teach us when introducing shirk. What could a Christian, Hinduist, an Atheist, a Druid learn from it?

To me, battling shirk would include doing more frequently things that serve not necessarily me but bring joy to my loved ones, friends, neighbors in every sense of this word, and simply people (and animals!), getting involved in a charity, spending time to help somebody. And yet – even charity might become an Ersatz, a god of sorts. Not being a mushrik today is for me following this inner moral compass, which we can all feel and which at times, alas, defies absolute interpretations… 

In this sense I think the concept of shirk could also encompass practices of radical materialism – Après moi, le déluge!

I do not want to demonise materialism though, since the Quran itself reminds us not to shun terrestrial delights (Q 7:31, 2:172, 30:21). What I mean is rather its radical form that is not concerned about the other, and which has born such ugly fruits in history and still continues doing so – when human (or for that being said, living, beings) are reduced to a mere means for some purpose – child labour being one of the most terrible examples of it, forced prostitution another one. It is not by mere chance that in German, English and French some of the worst words have a „utilitarian“ root: Missbrauch, abus, abuse, Vernutzung, exploitation.

While a moderate materialism grounds us on this earth, its extreme forms can lead to some of the worst crimes – which God is protesting, rebelling against – in the Quran and in the Old and New Testaments. 

Klaus von Stosch writes: „It is JHWE who gives those that are marginalized, underprivileged and without hope, new courage; he alone and that because he is alone God and only his interpretation as Savior and Liberator is correct.“[1]His Holy envy is that of a human rights activist – He is taking the side of the exploited and abused ones.

Thus for me, personally, the message of the Quran about shirk could also be understood as being about a boundless materialism going into extreme, when the welfare of another being is sacrificed on the altar of one’s own whim and convenience. It is this kind of „idolatry“, I think, which the Quran rebukes most – in the modern world.


[1] Klaus von Stosch, „Vollendungsgewissheit und Gewalt“, 110 in: Klaus von Stosch, Muhammad Sven Kalisch, Jürgen Werbick (Hrsg.), Glaubensgewissheit und Gewalt. Eschatologische Erkundungen in Islam und Christentum, Paderborn 2011, 105-116. [Here my translation.]

Dr. Elizaveta Dorogova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#theQuran #materialism #childlabour #idolatry

Osterwege

In der Mitte der „Osterwoche“ angekommen, blicke ich zurück und nach vorn auf die beiden Evangelien des vergangenen Ostersonntags (Joh 20,1-18) und des kommenden Weißen Sonntags (Joh 20,19-31), welche die Osteroktav rahmen. In diesen Osterevangelien, die aus dem Osterzyklus des Johannesevangeliums stammen, geht es um visionäre Erfahrungen, die angesichts von Tod das Leben verkünden.

Davor und jeweils zu Beginn spiegelt sich jedoch in den Evangelienerzählungen die Karfreitagskrise – der ersehnte Messias ist tot, seine Anhängerschaft orientierungslos und verängstigt, die erwachten Hoffnungen auf ein neues Leben scheinen zerschlagen. Alles aus und vorbei?

Beim Verlust eines geliebten Menschen bricht stets eine Welt zusammen. Wo kann es da Hoffnung geben? Kann es weitergehen?

Ostern zeigt gegenüber den Todes- und Krisenerfahrungen einen Neuanfang auf – Aufbrüche angesichts von Tod und Scheitern, verschiedene Wege und Erfahrungen eines tiefer blickenden „Sehens“, inspirierende Begegnungen, visionäre Zeugnisse.

Im Osterzyklus des Johannesevangeliums sind verschiedene Ostererfahrungen erzählerisch verdichtet an zunächst einem einzigen Tag. An diesem „ersten Tag“ der Woche – der in Entsprechung zur Schöpfungserzählung (vgl. Gen 1,5) gleichsam eine neue Schöpfung einläutet – kommt am frühen Morgen Maria von Magdala zum Grab. Es herrscht Finsternis, sie sucht nach einem Toten. Noch in der Nacht machte sie sich auf den Weg, wie im Hohelied die Liebende ihren Geliebten sucht (Hld 3,1-4). Dann aber ist sie irritiert: der Stein ist weg – ist auch „der Herr“ weg, für immer verloren? Gibt es nicht einmal mehr einen Haftpunkt für die Erinnerung? Ihre Nachricht lässt Petrus und „den Jünger, den Jesus liebte“, ebenfalls zum Grab laufen. Letzterer kommt aufgrund der Zeichen, die er vorfindet, zum österlichen „Sehen“ – doch er kehrt mit Petrus „nach Hause zurück“.

Anschließend macht Maria von Magdala ihre eigene „Sehenserfahrung“ in der Begegnung mit dem Auferstanden (es ist schade, dass in der liturgischen Praxis vielerorts der Auferstandene nach dem Wettlauf der beiden Jünger keinen Auftritt mehr erhält und auch das wichtige Zeugnis der ersten Apostelin ungehört bleibt). Für diese Begegnungserfahrung ist eine doppelte Wende der Weinenden und Klagenden vom Grab als Ort der Trauer nötig, bis sie den Lebendigen – den sie in ihrem beredten Missverständnis als „Hüter des Gartens“ tituliert – erkennt. Bei dieser beglückenden Erfahrung soll sie aber wiederum nicht stehen bleiben (es geht nicht um ein Berührungsverbot), sondern erhält einen Auftrag. Ihre Verkündigung der Osterbotschaft, die in der Formulierung „ich habe den Herrn gesehen“ an prophetische Beauftragungsvisionen erinnert (vgl. z.B. Jes 6), bildet den Auftakt zur Osterwoche.

Im Erzählduktus lässt ihr Osterbekenntnis den Auferstandenen in der Mitte der Gemeinschaft der noch verängstigten Jüngerinnen und Jünger gegenwärtig werden – die „am Abend dieses ersten Tages“ dann eine analoge Erfahrung machen, welche ihre Trauer und Furcht in inspirierte Freude verwandelt. So erfüllt sich Marias Sendung. Wer könnte heute die Rolle der visionären Prophetin und Apostelin in krisengeschüttelter Gesellschaft und Glaubensgemeinschaft einnehmen?

Von dieser gemeinschaftlichen Erfahrung ist allerdings Thomas ausgeschlossen. Er beharrt in der Folge auf eigenem Sehen, scheint handgreifliche Beweise zu brauchen, weist das Zeugnis der anderen, von Jesus Gesandten zurück. Sein Anliegen ist verständlich. Wie könnte auch so unerwartet ein Happy End der erlebten Katastrophensituation eintreten?

Acht Tage darauf, am Beginn einer neuen – in die Zukunft weisenden – Woche wird ihm während einer erneuten Offenbarung des Auferstandenen eine eigene Sehens- und Glaubenserfahrung geschenkt. Demgegenüber werden spätere Generationen auf das „Buch“ (in Joh 20,30 auf das 4. Evangelium bezogen) mit all diesen Geschichten verwiesen, das wie für den Geliebten Jünger „Zeichen“ zur glaubenden Deutung bereithält und so Leben vermittelt. – Inwiefern kann dieses heute ebenso als Quelle der Hoffnung dienen?

Andrea Taschl-Erber ist Professorin für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.

#Osterevangelien #Hoffnung #Leben #MariavonMagdala

Jeder Ramadan ist ein Unikat

Seit nun zwei Wochen befinden sich Muslim*innen weltweit im Fastenmonat Ramadan. Es ist sozusagen Halbzeit. Ein Anlass, auf diese besondere vergangene Zeit für Muslim*innen zu schauen.

Dieser Ramadan ist anders. Ein Satz, der von vielen Muslim*innen zu hören ist, wenn sie ihre aktuellen Erlebnisse mit den früheren Fastenmonaten vergleichen. Dieser Ramadan ist gerade deshalb anders, weil er an die Erfahrungen vor der Corona-Pandemie anknüpft. Waren in den letzten drei Jahren gemeinsames Fastenbrechen oder Tarawihgebete nur eingeschränkt möglich, genießen viele Gläubige die zurückerhaltenen Möglichkeiten. Manch anderes Notprogramm, wie etwa digital gemeinsam den Koran zu lesen, scheint dagegen aufgrund der einfachen Handhabbarkeit die Pandemie überlebt zu haben. Dieser Ramadan ist außerdem besonders, weil er auch viele Muslim*innen mit türkischen und syrischen Wurzeln in Deutschland der erste Ramadan nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 ist, an dem viele ihre Angehörigen verloren haben. Ihnen sind nur noch die schönen Erinnerungen an vergangene Ramadane mit ihren verstorbenen Freunden und Familienmitgliedern geblieben. Diese Verlusterfahrung prägt ihren Ramadanalltag, indem oft für die Verstorbenen gebetet wird. Andere wiederum engagieren sich in der Hilfe für die Menschen in dieser Region, spenden für diese oder andere Menschen in Not, sammeln oder organisieren Hilfe. Gerade im Ramadan ist die Hilfsbereitschaft unter Muslim*innen besonders groß.

Der Ramadan 2023 ist besonders. Nach der Studie muslimisches Leben 2020 halten sich etwa 76% der befragten muslimischen Personen in Deutschland ganz bzw. teilweise an die Fastenvorschriften. Es ist überraschend, dass sich dieser Untersuchung zufolge deutlich mehr Muslim*innen in Deutschland an das Fastengebot halten als an das rituelle Gebet. Der Anteil von täglich betenden Muslim*innen liegt der Studie nach nämlich nur bei 40%. Über die Gründe kann man spekulieren, nicht abwegig erscheint dabei das Argument, dass das Fasten gerade durch das gemeinsame Fastenbrechen am Abend einen starken sozialen Charakter hat und damit die Zugehörigkeit mit der Gemeinschaft sowie die Verbundenheit mit Familie und Freunden fördert. Gerade in der Minderheitensituation scheint es in besonderer Weise identitätsfördernd zu sein und zur Stärkung der Gemeinschaft beizutragen.

Dieser Ramadan fällt auf. In den Massenmedien gab es zu Beginn des Ramadans viele Berichte, die –anders als in den letzten Jahren – deutlich wertschätzender von dieser besonderen Zeit der Muslim*innen berichtet haben. Die gelebte Praxis scheint in diesem Fall Würdigung zu erhalten, wenn von der Bischofskonferenz bis zum Bundespräsidenten Glückwünsche an die Muslim*innen veröffentlicht werden, was man durchaus als Zeichen eines diversitätssensiblen Umgangs in der Gesellschaft verstehen kann. Dieser gute Wille zeigt sich aber auch an vielen anderen Orten. Haben bis vor kurzem Muslim*innen religiöse oder politische Würdenträger zum gemeinsamen Fastenbrechen in die Moschee eingeladen, ist es heute keine Seltenheit mehr, dass u.a. Ministerpräsident*innen, Bürgermeister*innen, politische Parteien oder Kirchengemeinden die Rolle der Gastgeber*in übernehmen und eine Einladung zum Iftar an Muslim*innen aussprechen. Essen verbindet, über Religionsgrenzen oder Weltanschauungen hinweg.

Dieser Ramadan macht Hoffnung. Ohne negieren zu wollen, dass der antimuslimische Rassismus immer noch die am weitesten verbreitete Form der Diskriminierung in Deutschland darstellt, bewerte ich den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Ramadan als Zeichen, dass unsere Gesellschaft mittlerweile Fortschritte in Richtung einer Gesellschaft der Vielfalt und Kultur der Anerkennung gemacht hat, wenn auch im Tempo einer begabten Schnecke. Als Religionspädagogin stelle ich mir die Frage, ob wir diesen Umgang miteinander nicht in andere gesellschaftliche Bereiche übertragen können? So wie eine gemeinsame Iftarveranstaltung für viele Teilnehmende eine (spirituell) relevante Entdeckung bereithält, könnten nicht auch gesellschaftliche Ereignisse Anlass zu Begegnung und Austausch sein, bei denen die Andersartigkeit des Anderen gewürdigt und gegenseitige Gastfreundschaft gewährt wird, sodass es alle Menschen reicher macht?

In diesem Jahr fallen Pessach, Ostern und Ramadan an diesem (langen) Wochenende zusammen. Ich wünsche allen Christ*innen frohe Ostern und allen Menschen jüdischen Glaubens ein fröhliches Pessachfest.

© Bild von Freepik

Jun.-Prof. Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Juniorprofessorin für Islamische Religionspädagogik und ihre Fachdidaktik am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#Ramadan #Solidarität #Erdbeben #Diversity

Maria und Kind… auf Reisen

Da sitzt sie nun, die Maria, und blickt die Betrachterin an. Sie zeigt ihr Kind, den ein wenig missmutig schauenden Jesus, der sich ihren Händen überlässt und mit seinen Füßchen auf ihrem Schoß ruht. Was sieht man in ihren Augen, ihrem Gesicht? Ein zartes und stolzes Lächeln, dass sie den Erlöser geboren hat? Ein Gefühl des Stolzes, dass sie zur Mutter Gottes geworden ist, und das in ihrem Alter? Vielleicht sind ihre schweren Augenlider aber auch ein Zeichen dafür, dass sie wie jede Mutter eines Kleinkindes übermüdet ist.

Der Marienaltar aus dem Naumburger Dom, der jetzt im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen ist, wurde von Michael Triegel geschaffen. Oder vielleicht sagt man besser: komplettiert. Denn der 1968 in Erfurt geborene Leipziger Maler hat mit seiner Mitteltafel einen beschädigten mittelalterlichen Altar wieder vervollständigt. Die Flügeltafeln mit Heiligenfiguren und einer Darstellung des Stifters stammen von Lucas Cranach dem Älteren. 1517-1519 wurde der ursprüngliche Marienaltar für den Naumburger Dom geschaffen, nach der bilderstürmerischen Zerstörung 1541 jedoch wieder abgebaut. Der Westchor in Naumburg mit seinen berühmten Stifterfiguren war dann bis zum Juli 2022 im Zentrum leer.

In vielerlei Hinsicht ist der alte/neue Marienaltar ein Kind seiner Zeit, wirkt stilgerecht und doch modern, regt zur Diskussion an. Zu sehen sind mehr Frauen als Männer, eher ungewöhnlich für solche Darstellungen. Keine Engelchen umschweben Maria und ihr Kind, sondern musizierende und lachende Mädchen stehen um sie herum. Eines hält ein Banner in die Höhe: „Magnificat“, als ob sie die Betrachter genau dazu, zum fröhlichen Lobpreisen, einladen will. Die Erwachsenen der „Sacra Conversazione“ im Hintergrund sind eine Mischung aus Heiligen und Personen der Gegenwart. Petrus wird mit Base-Cap dargestellt, für ihn stand ein Obdachloser in Rom Modell. Paulus erscheint als nachdenklich blickender weiser Rabbiner. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der von den Nationalso- zialisten getötet wurde, ist deutlich zu erkennen. Ein Kind am Bildrand hat dunkle Haut. Für die Mutter der Maria, Anna, empfand der Maler das Abbild seiner Ehefrau nach, für Maria ließ er sich von seiner Tochter inspirieren. Als der Altar wieder neu eingeweiht wur- de, standen der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, und sein katholischer Magdeburger Kollege, Bischof Gerhard Feige, gemeinsam im Westchor. Ein Zeichen der Hoffnung auf ein ökumenisches Miteinander sollte das sein.

Cranach, der bekannte deutsche Künstler der Frühen Neuzeit, zusammen mit Triegel, einem renommierten Vertreter der Neuen Leipziger Schule … das könnte doch eine wunderbare Kombination sein, die Tradition und Gegenwart gelungen verbindet. Das Erzbistum Paderborn spricht von einem „epochalen künstlerischen Brückenschlag“, der da gelungen ist. Und doch löste dieses Kunstwerk einen Streit aus.

Die Domstifter, die Michael Triegel beauftragt hatten, und ICOMOS, eine Organisation, die das UNESCO World Heritage Council berät und über die Einhaltung der Weltkulturerbe-Kriterien wacht, können sich nicht über den Verbleib des Altars einigen. Das Retabel sei zu modern, zu groß, die Sichtachsen gestört, und überhaupt könnte der Altar ja überall hingestellt werden, nur nicht in den Westchor, darüber ist man sich bei ICOMOS einig. Die Befürworterinnen und Befürworter dagegen fragen: Sind Kirchen Museen oder lebendige Orte des Glaubens? Viele Gemeindemitglieder in Naumburg freuen sich über den Zuspruch der Touristen und darüber, dass in ihrer traditionsreichen Kirche auch Neues wachsen kann. Der leere Westchor mit den Stifterfiguren ist ein wunderbares Kunstwerk. Aber mit dem Altar versehen, bekommt er ein funktionierende Mitte. Alle Stifterfiguren an den Wän- den schauen dort hin. Warum wäre das so, wenn sie nicht auf etwas blicken würden?

Die Mehrzahl der 70.000 Besucherinnen und Besucher, die den Altar in Naumburg erlebt hatten, waren begeistert. Michael Triegels Werk bescherte der Kirche einen Besucherrekord. Viele berichten durchaus emotional, dass sie lange vor dem Altarbild gesessen haben, sich von der leuchtenden und schon von Weitem sichtbaren Maria in den Bann gezogen fühlten.

Seit 2018 ist der Naumburger Dom Weltkulturerbe. Nun ist dieser renommierte Status möglicherweise gefährdet. Für das Entziehen des Weltkulturerbetitels gibt es auch einen Präzedenzfall. 2004 wurde das Dresdner Elbtal als Kulturlandschaft mit dem Welterbe-Titel geehrt, als aber eine neue Brücke gebaut wurde, entschied die UNESCO 2009, Dresden den Titel wieder abzuerkennen. In Naumburg fürchtet man nun, dass das auch dort geschehen könnte. Und so wurde der Marienaltar am Nikolaustag 2022 wieder abgebaut und verschickt. Erste Station Paderborn. In’s Museum. Vielleicht beruhigt das die Stimmung, erhofft man sich.

Was tun mit diesen gegensätzlichen und emotional aufgeladenen Diskussionen? Die Vereinigten Domstifter und die Landeskirche unterstützen den Verbleib des Altars in Naumburg. Landesbischof Friedrich Kramer äußerte sich folgendermaßen exklusiv für diesen Blog-Beitrag:

„Diese Projekt ist großartig, weil es eine historische Wunde markiert. Der Altar wurde im reformatorischen Eifer zerstört und sollte wieder vervollständigt werden. Dadurch ist ein interessantes modernes Bild entstanden, gemalt von einem Künstler, der es mit einem hohen Wissen um Bildsprache und Symbolik gestaltete. Der Altar ist dadurch wieder hergestellt, die Änderung aber auch markiert. Die heilige Welt um Maria besteht aus Menschen aus unserem Umfeld, das macht es für mich auch noch einmal besonders interessant. Wir haben den Altar in Gebrauch genommen und haben das groß ökumenisch gefeiert. Wir finden, dieser Altar ist ein liturgischer Gebrauchsgegenstand und hoffen, dass es bald wieder eine Möglichkeit gibt, den Altar liturgisch zu nutzen, natürlich ohne das UNESCO-Weltkulturerbe des Doms zu gefährden. Ich finde: Das Zentrum des Naumburger Doms ist wieder hergestellt.“

Wohin der nun wieder vollständige Cranach-Triegel-Marienaltar gehört, ist auch in seiner weiteren Bildsprache unverkennbar: in den Naumburger Dom. Die Rückseite der Mitteltafel zeigt den auferstandenen Christus Victor, wie er in der Architektur des Naumburger Doms auf die Betrachterin zugeht.

Nun ist der Altar aber erst einmal unterwegs. Wohin soll die Reise gehen? Vielleicht könnte man auch diese Frage in den Blick der jungen Mutter Gottes hineininterpretieren. Trotzdem: Willkommen in Paderborn, Maria mit dem Kind!

Der Naumburger Altar ist noch bis zum 11. Juni 2023 im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen. Das Museum hat Di-So von 10-18 Uhr geöffnet. Studierende der Universität Pader- born haben mit dem Kulturticket freien Eintritt. Ansonsten kostet die Karte 4,00 Euro.

© Vereinigte Domstifter, Foto: Falko Matte ;  Bildrecht VG-Bildkunst Bonn 2022.

PD Dr. Claudia Bergmann ist Professurvertreterin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Biblische Exegese und Theologie an der Universität Paderborn.

#Naumburg #Dom #Paderborn #Altar #Cranach #Maria #Kunst #Triegel

Pantheon

Wörtlich übersetzt bedeutet πάνθειον (pántheion) ‘allen Göttern’ geweiht. Und in der Tat lässt sich der Geschichte des ›Pantheon‹ genannten Bauwerks in Rom und seiner Nachbauten entnehmen, was den Menschen zu verschiedenen Zeiten heilig war. 

Errichtet in der Regierungszeit des Augustus als ein Tempel für alle Götter Roms, versteckte sich hinter dieser Widmung der beginnende römische Kaiserkult. Erst durch den Neubau unter Hadrian erhielt es seine suggestive architektonische Form: eine Tempelvorhalle vor kreisförmigem Kultraum, der von einer gigantischen Kuppel überwölbt wird – Erdkreis und Himmelssphäre zu einem Raum vereint. Licht bekommt er durch eine kreisförmige Öffnung am Scheitel der Kuppel, womit diese zum Rahmen für den Himmel und die Sonnenscheibe wird, dessen Besucher auf sie hin orientiert. Sinnfälliger kann Architektur Transzendenz nicht vermitteln. “Beam us up, Scotty!”

Diesen Eindruck teilten möglicherweise die frühen Christen, als sie den Tempel in eine Kirche verwandelten und diese „Maria bei den Märtyrern“ weihten – bei den Märtyrern, weil man Reliquien aus den Katakomben holte, um sie in einem Nischenaltar zu verehren; der Sonnentempel wurde in ein Auferstehungsversprechen transformiert. Die nächste Verwandlung kam in der Renaissance, als man Raffael und weiteren Malern sowie Architekten im Pantheon Grabmäler errichtete. Die Kirche erhielt den Charakter einer Ruhmeshalle für die wie Helden verehrten Künstler. Sie entwickelte sich zur Denkstätte für eine Kunstreligion.

Dabei galt die Verehrung auch dem Bau selbst. Als besterhaltenes Gebäude der Antike wurde es zum Inbegriff architektonischer Perfektion, solange man eine so breite Kuppel nicht nachbauen konnte, zur Herausforderung, zum Modell. Damit begannen die zahllosen Adaptationen, die Grundformen des Pantheons in neue Zusammenhänge übertrugen und ihnen immer weitere Funktionen gaben. 

Am spektakulärsten geschah dies durch den Neubau des Petersdoms. Von Bramante und Michelangelo als überkuppelter Zentralbau konzipiert, eingelassen in den Grundriss eines griechischen Kreuzes, erklärte das Papsttum sich zum Überbieter der Antike und erneuerte den römischen Weltherrschaftsanspruch. Diese Provokation wurde zuerst im Osmanenreich beantwortet. Sultan Süleyman ließ mehrere Moscheen mit breiteren Kuppeln in viel kürzerer Zeit errichten, um auszudrücken, dass der „Kaiser der Römer“ (so einer von Süleymans Herrschertiteln) im islamischen Rom am Bosporus residierte. Die Protestanten errichteten mit St. Paul’s in London oder der Frauenkirche in Dresden eigene Programmbauten. Mit der Isaak-Kathedrale gaben die Zaren St. Petersburg ein orthodoxes Zentrum. Auch der Deismus der Aufklärer fand sich in der Symbolik des Pantheons wieder, weshalb Toleranzdemonstrationen wie die Hedwigkathedrale in Berlin oder die Synagoge in Wörlitz ebenfalls Pantheonform erhielten.

Schon Palladio hatte den Bautypus auf Villen wie die Rotonda übertragen, um der herrschaftlich-ländlichen Muße ideale Bedeutung zu verleihen. Über die Landhäuser der englischen Aristokratie führte der Weg zur Plantagenarchitektur der amerikanischen Sklavenhalter. Mit Wolfenbüttel und Oxford begann die Verwendung des Bautyps für Bibliotheken (Geistestempel), in Paris und Charlottesville für Universitäten, in Dublin und Washington gab man Parlamentsbauten Pantheongestalt. Spätestens damit und mit der Umwidmung der Pariser Kirche Sainte Geneviève in eine „Panthéon“ genannte Ruhmeshalle der französischen Revolutionshelden nahm die Bauform zivilreligiöse Bedeutung an. Fortan konnte sie ein innerweltlich-politisches Heiliges bezeichnen, zu dem im 19./20. Jh. mit Bankgebäuden und Bahnhöfen weitere profane Verehrungsansprüche kamen. Die Entwicklung ist offen. Besseres Material für eine politische Geschichte des Heiligen lässt sich nicht finden.

Prof. Dr. Johannes Süßmann ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit und im Vorstand des ZeKK der Universität Paderborn.

#Pantheon #Tempel #Antike #Bauwerk #Religionen

Machtstabilisator?!

Mit einem Blick in die Geschichte kann man feststellen, dass die Kirche eine durchaus wandlungsfähige Institution ist. Angefangen im Römischen Reich, in dem sich die Kirche etablierte und die Vielgötterei ablöste, anschließend in der Karolingerzeit, in der Kirche als Machtstabilisator eingesetzt wurde, später in der Ottonenzeit, in der Kirche vermehrt Verwaltungsaufgaben übernahm oder im Habsburger Reich, in dem sich eine Weltkirche entwickelte. Aber auch im Rahmen der Industrialisierung und der „Entzauberung der Welt“[1] hat sich Kirche weiterentwickelt und kurze Zeit später entmystifiziert.

Nun leben wir in Deutschland seit 70 Jahren in einer Demokratie. Das Volk ist also der Souverän. Das bedeutet, dass Teilhabe und Partizipation in der Gesellschaft eines jeden Individuums gewünscht und wertgeschätzt wird. Hannah Arendt spricht dabei von der menschlichen Fähigkeit „nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“[2] Der Synodale Weg hat sich dieses Ziel auch für die Kirchenreform als Ziel gesetzt. Nun ist die fünfte Synodalversammlung vorbei und nachdem es auch aus Rom Druck gab, ist von diesen Zielen leider nicht mehr sonderlich viel zu sehen; die idealistischen Zielsetzungen sind verwässert. Die Veränderungen in der Predigtordnung sind vielleicht ein erster kleiner Schritt zu mehr Teilhabe.

Dabei trägt Teilhabe in einer Demokratie auch zu Lernprozessen bei. Wäre in einer Zeit, in der die Spiritualität von jungen Menschen wieder steigt, die christliche Sprachfähigkeit in der deutschen Gesellschaft verloren geht und Charismen einiger zu einem spirituellen Personenkult führen, eine menschenfreundliche und partizipative Katholische Kirche nicht wünschenswert? In der christlichen Botschaft steckt so viel Gleichberechtigung, Menschenwürde und Freiheit, dass Kirche und Staat in Deutschland gemeinsam viel Potential entfalten könnten, um die Demokratie zu stärken und gleichzeitig eine religiöse Sprachfähigkeit zu entwickeln, die einen den Glauben reflektieren lässt und somit auch innerkirchlichen Problemen vorbeugen kann.


[1] Weber, Max, Wissenschaft als Beruf. In: Kaesler, Dirk (Hg.), Max Weber. Schriften 1894–1922, Stuttgart 2002, 488.

[2] Arendt, Hannah, Macht und Gewalt, München 162005, 45.

Julian Heise ist WHB am Institut für Katholische Theologie und Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn.

#KatholischeKirche #SynodalerWeg #Demokratie #Macht #Religion

Im Erwarten des Ramadans

In zwei Wochen beginnt der Monat Ramadan. In vielen muslimischen Gemeinden und Familien hat die Vorbereitung für diese Zeit längst begonnen. Lokale Imame erinnern in den Predigten, dass der Ramadan keine Feierlichkeit ist, und kein Monat des Wettbewerbs im Vorbereiten des Essens, und insbesondere kein Wettbewerb im Verzehr dieser. Ramadan ist eine Fastenzeit, eine Zeit des Zu-sich-Kommens und die Zeit der Suche nach der Stille, in der ein Gläubiger seine Gedanken in Richtung der Schöpfung und des Schöpfers setzt.

In diesem Beitrag will ich auf vier verschiedene Dimensionen des Fastens kurz erinnern:

(1) Eine physische, in der der Verzicht auf Essen und Trinken die physische Gesundheit und die Funktionalität des Körpers in jeder Hinsicht verbessert. (2) Eine intellektuell-kognitive Dimension, in der durch das Fasten das mentale Wohl des Individuums und seine Selbstkontrolle und Selbstvertrauen gestärkt werden. (3) Eine geistige Dimension, in der der Geist des Menschen Klarheit erfährt und in der sich das Gefühl des Hungrig- und Durstigseins in das Gefühl der Freude und Dankbarkeit umwandelt. Die Fastenden verbringen mehr Zeit zusammen, indem sie in diesem besonderen Zustand das Essen vorbereiten. Die Seele erfährt durch die Gebete mehr Achtsamkeit für sich selbst und – durch die sozialen Aktivitäten in den Familien und den Gemeinden – mehr Achtsamkeit für die nahestehenden Mitmenschen. (4) Eine emotionale Dimension, die sich aus den drei genannten entwickelt: die Liebe, die Freude, das Vergnügen und die Barmherzigkeit den anderen gegenüber sollen im Ramadan durch die Zuwendung an Gott und die intensivere Annäherung an die Offenbarung gestärkt werden. Die gemeinsamen Fastenbrechen in den Familienkreisen tragen dazu maßgeblich bei.

Fasten soll immer ganzheitlich sein und erst indem man es in allen seinen Dimensionen erlebt, kann dem koranischen Gebot der „Gottesbewusstsein“ (taqwā) gefolgt werden: „O ihr, die ihr glaubt! Das Fasten ist euch vorgeschrieben, so wie es denen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr gottesbewusst werdet.“ (Q 2:183)

Das Fasten im Ramadan soll uns den Weg zu unserer eigenen Bedürfnislosigkeit zeigen. Im Ramadan erkennen wir den positiven Wert des Wortes „Verzicht.“ In seiner inneren Dimension ist Ramadan ein Monat des Verzichtes auf alles, was den Menschen tagtäglich derart beschäftigt, dass er keine Zeit für das selbstreflexive Gespräch mit der eigenen Seele und deren Annäherung an den Schöpfer findet. Durch die intensivierte Hingabe an Gott und die Offenbarung im Ramadan verzichtet man nicht nur auf das Essen und das Trinken, sondern auch – und viel wichtiger – auf alle Nebensachen, die einem im Leben die wertvolle Zeit rauben. In der Suche nach der Nähe Gottes und der Seelenruhe ersetzt man solche Aktivitäten mit sinnstiftenden Inhalten. So heißt das für jeden Serien-Junkie einen (wenn auch anteiligen) Verzicht auf Netflix, für jeden TikTok-Suchtenden einen (wenn auch anteiligen) Verzicht auf das ewige Scrollen durch die kurzen Videos, oder für jeden Fußball-Begeisterten den (wenn auch anteiligen) Verzicht auf das Viertelfinale der Champions League. Machbar, auch wenn es aufs Erste nicht einfach klingelt. Ramadan mubarak!

Ahmed Husić ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#Ramadan #Verzicht #Hingabe #Fasten

Jetzt ist die Zeit (Mk 1,15)

So lautet die Kirchentagslosung in diesem Jahr. Manchmal wird sie flankiert von den beiden Worten Hoffen.Machen. Im Februar wird an vielen Stellen in Deutschland Kirchentagssonntag gefeiert. Als Präsidiumsmitglied freue ich mich, zum vom 7.-11. Juni 2023 einzuladen zum gemeinsamen Suchen nach Gott, der Welt und dem Frieden.

Jetzt ist die Zeit! Die Losung des Kirchentags hat einen heiklen Kontext: Markus 1,14-15:

„Nachdem aber Johannes gefangen genommen war, da ging Jesus nach Galiläa und verkündigte die Frohe Botschaft Gottes. Er spricht: ‚Jetzt ist die Zeit! Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!‘“

Nachdem Johannes der Täufer gefangen genommen war – Was für ein Schock für die, die er getauft hat. Was für ein Schock für seine Schüler. Jesus war beides: Täufling und Schüler von Johannes. Nachdem Johannes gefangen genommen war – grundlos, willkürlich. Was für ein Schock für Jesus!

Da ging Jesus nach Galiläa und verkündigte die frohe Botschaft Gottes. Als sein Täufer, Lehrer und Freund dem Tod ins Auge blicken musste, da blieb Jesus nicht sitzen. Als sich seine Hoffnung, dass andere es schon richten würden, zerschlugen, da ging Jesus los. Da verharrte er nicht in Angst und Mutlosigkeit, Verzweiflung oder Selbstvorwürfen, sondern da machte er sich auf. Sich aufmachen, sich öffnen, was für eine verheißungsvolle Bewegung!

Jesus machte sich auf: Nicht nach Jerusalem, sondern nach Galiläa, ins verarmte Niemandsland an den Arsch der Welt. Nicht ins Zentrum der Macht, sondern an den Rand, da, wo noch Bewegung drin ist, wo noch nicht alles auf Konfrontation aus ist. Nicht nach Düsseldorf oder Berlin, sondern nach OWL. Entscheidend ist auf dem Platz, da, wo’s weh tut; da, wo gelebt wird; da, wo geliebt wird. Hier, Jetzt: Da geht Jesus hin und verkündigt die frohe Botschaft Gottes: Es ist noch lange nicht aller Tage Abend! Denn Du bist ein bedingungslos geliebtes Gotteskind! Es ist noch nicht aus mit uns hier und jetzt! Es gibt Hoffnung mit Dir und mir. Fass Vertrauen in diese frohe Botschaft, in dieses eu-angelion, in dieses Evangelium Gottes: Jetzt ist die Zeit! Das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!

Oder wie Martin Luther übersetzte: Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Mit diesem Bibelvers beginnt Luther seine 95 Thesen. Mit diesem Bibelvers beginnt die Reformation: These 1: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘ usw. (Mk 1,15), wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen ein Bußetun sein sollte.“

Das ganze Leben ein Bußetun? Ist das nicht ein bisschen weltfremd? Lieber Martin Luther: Besteht der christliche Glaube protestantischer Lesart etwa nur darin, Spaßverderber zu sein? Wie soll und will man denn mit Spaßverderbern – und natürlich auch mit Spaßverderberinnen – die Welt verändern?

Buße ist ein schwieriges Wort für uns. Der Kirchentag übersetzt mit „Umkehren“. Das ist schon deutlich besser. Denn wenn wir auf das Ende einer Sackgasse zulaufen und die Karre an die Wand fahren – und die Klimakatastrophe ist wahrlich eine solche Sackgasse – dann macht es Sinn umzukehren, und zwar schleunigst und gründlich. Völlig egal, ob wir dabei Buße tun, uns schuldig fühlen oder nicht, Umkehren tut echt not, wenn die Welt den Bach abgeht. Doch geht das täglich, Umkehren? Wer ständig umkehrt, dreht sich doch auch nur im Kreis, oder um sich selbst, oder? Was meint Jesus also damit, wenn er die Frohe Botschaft Gottes so einleitet? Hier ist es klug, in den griechischen Text zu schauen:

Das Reich Gottes, die basileia tou theou, die Königsherrschaft Gottes ist engikän, ist ganz eng bei uns, förmlich da, mit den Händen zu greifen, gar nicht mehr aufzuhalten oder abzuwehren. Hört auf, euch dagegen zu wehren und zu verwahren. Fangt an, die Welt mit Gottes Augen der Liebe zu sehen. Denkt doch endlich um, meta-noeite – das ist das Wort, das Luther mit Bußetun und der Kirchentag mit Umkehren übersetzt. Meta – das kennen wir von Metaphysik oder Metamorphose oder Zuckerbergs Metaversum. Meta meint eine Richtungsänderung, eine Volte, eine Bewegung weg von der Wand, an die wir den Karren zu fahren drohen. Und noeite kommt von nous: Verstand, Denken, Einstellung. Also: Meta-noeite! Denkt um! Das ist gemeint. Komm heraus aus Deinen eingefahrenen Denkweisen! Komm heraus aus Deinem Gefängnis, das da lautet: Wir machen das so, weil wir das immer schon so gemacht haben! Lass den Riss der Gnade und den Lichtspalt der Liebe in Deinem Denken zu. Denkt um – und: Vertraut – pisteuete. Vertraut darauf, dass Gottes Königsherrschaft ganz nah ist, da ist – bei Dir und bei mir – mitten unter uns, wie es bei Lukas heißt. Hör auf, Gott, der Welt und den Menschen zu misstrauen. Investiere Dein Vertrauen in Gottes nahe Königsherrschaft. Setz Dich dieser Kraftquelle aus und vertrau darauf, dass sie alle Kräfte des Bösen, des Widrigen und der Feindschaft in Liebe wegschmelzen oder auch verbrennen wird. Glaube dieser Kraft. Sie verwandelt dich und alle Welt. Sie überwindet den Tod. Jetzt ist die Zeit! Dann kommst Du von selbst ins Hoffen.Machen – oder anders gesagt, ins Bußetun – ein Leben lang.

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Harald Schroeter-Wittke ist Professor für Didaktik der Ev. Religionslehre mit Kirchengeschichte an der Universität Paderborn und Mitglied im Präsidium des Kirchentags.

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Krisen und Ohnmacht

Erdbeben in Syrien und der Türkei, Massenproteste und Hinrichtung von Demonstrierenden im Iran, Krieg in der Ukraine, Inflation, Hungerkrise in Ostafrika, Pandemien, Missbrauchsfälle und der Umgang damit in den Kirchen, Fluchtbewegungen, Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit, Pandemien, der wachsende Nationalismus in Europa, strukturelle Diskriminierung …

Diese Reihe von Tragödien, Katastrophen und krisenartigen Zuständen könnte ich beliebig fortführen und mit meinen ganz persönlichen Krisen im Privat- und Arbeitsleben ergänzen. Auf dem Sperrbildschirm meines Smartphones erreichen mich über Pushnachrichten die Bilder brennender Wälder, zerbombter Häuser, hungernder Menschen, Razzien und Menschen auf der Flucht. Bestätigt wird dieses Bild davon, dass ich seit einiger Zeit überall lese, dass wir in Krisenzeiten leben: „Von einer Krise in die Nächste“, „Fastnacht in Krisenzeiten“, „Geld für Bildung in Krisenzeiten“, „Vorsorge in Krisenzeiten“ usw.

Bei vielen von uns löst die beständige Flut an schlechten Nachrichten Gefühle der Machtlosigkeit und Ohnmacht aus, denn sie überschreiten unseren direkten Einfluss- und Handlungsbereich. Krisen führen uns vor Augen, wie komplex unsere globalisierte Welt ist, wie viele Akteur*innen in den Krisen mitspielen und wie sich einige Krisen wie der Klimawandel durch strukturelle Faktoren wie eine kapitalistische und auf Konsum ausgerichtete Grundordnung scheinbar verselbstständigt haben. Dabei verstärkt soziale und strukturelle Ungleichheit für viele das Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit. Menschen sind nicht alle im gleichen Maße von Krisen betroffen und lassen sich auch nicht im gleichen Maße von ihnen betreffen. Die ungleiche Betroffenheit kann u.a. mit strukturellen Ungleichheitsverhältnissen und gesellschaftlichen Exklusionsmechanismen zusammengedacht werden und anschließend sind Sexismus, Rassismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit, Klassismus, aber auch die massive globale Ungleichheit als eigene Krisen zu verstehen; als Krisen für die jeweils Schlechtergestellten. Ungleichheitsverhältnisse und Krisen sind ineinander verwoben, werden durch sie ausgelöst oder lösen sie aus. 

Ich beobachte in meinem sozialen Umfeld zahlreiche Wege des Umgangs mit Krisen. Im Bewusstsein, dass Einzelne die Welt nicht retten können und unser individueller Einfluss vielleicht so gering ist wie nie, werden Personen aktiv: Viele junge Menschen setzen sich für Klimagerechtigkeit und -schutz ein, BIPoCs und ihre Allys gehen gegen strukturellen und institutionellen Rassismus auf die Straße, Wissenschaftler*innen analysieren Fragen von Bildungsgerechtigkeit, die älteren Generationen bilden sich zum Thema Queerness, viele Menschen spenden Geld, v.a. Frauen erheben ihre Stimme für Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. Menschen zeigen politisches und soziales Engagement, selbst wenn ihnen ganz bewusst ist, dass sie als Einzelperson keine große Revolution auslösen werden. 

Ich glaube, dass diese Strategien eine Funktion haben, die über den Wunsch von Veränderung und Verbesserung des Status quo hinausgeht. Für den*die Einzelne*n, mich eingeschlossen, sind sie wichtige Strategien, das Ohnmachtsgefühl, den Kontrollverlust, die Machtlosigkeit, die Krisen auslösen, auszuhalten. Im Moment des Aktivismus, des Ehrenamts, des Einsatzes für uns selbst und andere, erlangen wir unsere Agency zurück, die die Krise uns nimmt. Ohnmacht kann durch Aktivität ein produktives Potenzial entfalten, kann uns Wege eröffnen, ein Gespür für die Krisen im Nahbereich sowie für das Potenzial aus diesen eine nachhaltige Veränderung herbeizuführen, zu entwickeln. In diesem Moment kann aus Ohnmacht Macht, aus Passivität Aktivität und aus Akzeptanz Kritik werden. Vor allem beschäftigt mich die Frage, ob die Welt nicht schon immer in Krisenzeiten war. Ist nicht die Menschheitsgeschichte eine einzige Krise? 

Und trotz Aktivismus und Engagement bleibt immer ein Rest, der sich unserer individuellen Kontrolle entzieht. Religiöse Menschen verweisen in diesem Rest auf Gott, auf etwas Höheres, dessen Größe und Transzendenz unzugänglich für uns bleibt. Für mich bleibt v.a. die Hoffnung auf etwas Größeres, das im direkten Gegensatz zu meinem Krisenerleben steht und darauf, dass ich das bleibende Gefühl der Machtlosigkeit annehmen kann, denn ich als Mensch bin nicht dafür bestimmt, alle Zügel in der Hand zu halten. Krisenzeiten in einer globalisierten Welt bedeuten nicht nur die Möglichkeit zur nachhaltigen Veränderung, sondern auch die Notwendigkeit, Survival Strategies im Gewahrsein eines Ohnmachtempfindens zu entwickeln. 

Hannah Drath ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich für Katholische Religionsdidaktik an der Universität Paderborn.

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Religious Morals in the Workplace: A Mirror of Personal Values

Religious principles and beliefs could have a significant impact on both our personal and professional life, affecting the choices we make, how we relate to others, and how we approach our work. While for some people religion serves as a moral compass to help them make decisions, for others it serves as a source of support, inspiration, and motivation.

Religious ethics could be beneficial in work, but they could also cause problems and conflicts. For instance, a worker’s religious convictions might conflict with corporate rules or procedures, or they might unintentionally offend or alienate coworkers who have different values.

It is crucial for people to reflect on their personal values and how they relate to their religious beliefs in order to negotiate these issues. They should also think about how they may respectfully and inclusively incorporate these values into their job.

This could involve being conscious of how others may interpret one’s behavior and words, as well as making an effort to interact and work along with coworkers from various backgrounds and viewpoints. It can also entail looking for ways to apply one’s principles and religious convictions to positively influence the workplace and society at large, such as through volunteerism, altruistic endeavors, or ethical business practices.

In the workplace, it’s crucial to respect and acknowledge the diversity of ideas and values. It’s also necessary to avoid forcing one’s religious beliefs on others or using them as a justification for exclusion or discrimination.

Ultimately, religious morals could be a powerful force for good in the workplace, but they require a thoughtful and conscientious approach that is respectful of the beliefs and values of others. By reflecting on one’s personal values and striving to integrate them into the workplace in a positive and inclusive way, individuals can help create a more harmonious and ethical workplace culture that benefits everyone.

Nadia Saad ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Paderborner Institut für Islamische Theologie.

#Ethics #Religion #Workplaces