Entgegne dem Bösen mit Gutem

In dieser Zeit erinnere ich mich oft an einen Vers aus dem Quran: In der Schöpfungserzählung in der Sure 2, Vers 29, fragen die Engel Gott, warum er ein Wesen erschaffen will, der Unheil stiftet und Blut vergießt, als Gott ihnen verkündet, dass er den Menschen erschaffen will. Welch berechtigte Frage, denke ich, wenn ich die aktuellen Grausamkeiten sehe, die durch menschliches Handeln entstehen. Die unzähligen Opfer der Kriege in Ukraine, Syrien, Jemen, Palästina, Israel und weitere unzählige Krisengebiete zeigen, wie unberechenbar, erbarmungslos, machtsüchtig und rucksichtlos der Mensch sein kann. Auch die Umweltkrise führt uns vor, wie der Mensch durch Habsucht und materiellen Gewinnwahn seinen eigenen Lebensraum vernichtend missbraucht.   

Auf die Frage der Engel, antwortet Gott „Ich weiß, was ihr nicht wisst“. Gott in seiner Weisheit wusste, wozu der Mensch außerdem noch in der Lage ist: bedingungslos und unermüdlich den Menschen in Not zu helfen, mit ihnen das Wenige zu teilen, das sie selbst besitzen. Den traumatisierten Kindern, die nicht verstehen, warum sie aus ihrem vertrauten Heim entrissen wurden, schöne Geschichten erzählen und sie zum Lachen bringen, damit sie für einige Minuten ihr Leid vergessen. Das sind einige wenige Beispiele von Taten der Menschen, die derzeit nichts anderes tun, als Hoffnung zu geben. Menschen, die in Liebe und Hingabe sich der Menschlichkeit verpflichtet fühlen. Menschen, die die Schöpfung als Leihgabe dankbar annehmen und sie in Demut und Respekt und mit Sorgfalt nutzen.

Ja, Gott wusste welches Wesen er erschafft. Ein Wesen, das stets abwägen muss, um die richtige Entscheidung zu treffen, und Gott traut dem Menschen zu, dass er dies auch tut. Derzeit fällt es schwer zu glauben, dass die Krisen und Kriege enden werden und dass alle Menschen miteinander in Frieden leben. Es gibt aber keine Alternative zur Hoffnung und zum Handeln. 

Im Quran heißt es, wenn dem Bösen mit etwas entgegnet wird, was besser ist, also die Feindschaft mit Freundschaft und Güte entgegnen, wird der Feind wie ein vertrauter Freund. Dies können jedoch Menschen tun, die geduldig und glückselig sind (Q 41:34-35).

Ist dieses Versprechen utopisch oder wirklich? Ich bin davon überzeugt, dass dies ein Versprechen und eine Aufforderung ist, die den Menschen Zuversicht und Verantwortung mitteilt. Der steinige Weg zum Frieden ist begehbar, wenn der Mensch bereit ist, alle mögliche und komplexe Wege zu nutzen und die Spirale der Gewalt nicht mit mehr Gewalt durchbrechen will.

Hamideh Mohagheghi ist Lehrbeauftragte am Paderborner Instituts für Islamische Theologie.

#Krieg #Krise #Hoffnung #Liebe #Zuversicht

Das anstößige Kreuz

Für gläubige Christen steht in den nächsten Tagen das Osterfest bevor. Obwohl schon seit Wochen bunte Eier an den Sträuchern hängen und Schokoladeneier in den Regalen der Supermärkte liegen, ist heute erstmal Karfreitag. Heute steht das Gedenken des Todes Jesu am Kreuz im Mittelpunkt. Der Name des Karfreitags kommt vom althochdeutschen Wort kara, was „Trauer“, Kummer“, „Klage“ bedeutet. Es ist ein strenger Fastentag, während dessen kein Fleisch gegessen wird. Es werden keine Sakramente gefeiert und ich bin jedesmal wieder überrascht, wie leer und schmucklos die Kirche an diesem Tag wirkt, ohne Kerzen oder Altartücher. Die Geschichte des Leidens Jesu geht an diesem Tag besonders nahe.

Vor Ostern als der Feier der Auferstehung und der Rettung aller Menschen aus dem Tod gibt es also eine Zeit des Verzichts und der Trauer. Das heißt nicht, dass man sich immer besser freuen kann, wenn man vorher Leid oder Trauer erlebt hat. Oder noch schlimmer, dass es Leid geben muss, damit man sich danach besser freuen kann. Aber im Fall der Auferstehung Jesu gehören der Leidensweg Jesu und sein „Herabsteigen in das Reich des Todes“ zur Feier der Auferstehung dazu. Sie sind nur gemeinsam zu verstehen und zeigen Christen etwas mehr von Gott, indem sie hoffen lassen, dass er uns Menschen aus dem Tod errettet und im übertragenen Sinne auch aus unserer Gottesentfernung. 

Aber die Darstellung des leidenden Jesu am Kreuz bleibt anstößig. Obwohl die Medien nicht die Darstellung des Kriegsgrauens scheuen, scheint der stetige Anblick des Leidens im religiösen Kontext fremd. Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller, Islamwissenschaftler und Muslim, drückt das in einem Zeitungsartikel 2009 provokant aus, wenn er eine solche Vergegenständlichung des Schmerzes als barbarisch kritisiert, ja als „Gotteslästerung und Idolatrie“[1]. Doch er bleibt dabei nicht stehen. Er findet einen eigenen Zugang durch das Gemälde „Kreuzigung“ von Guido Reni (1575-1642). In ihm erschloss sich für Kermani das Leiden Jesu als das Leiden und der Tod aller Menschen. Vielleicht kann Kermani einen Anstoß geben, das Geheimnis des Todes Jesu durch Kunst oder Musik verständlicher zu machen. Sie bieten das Potential, neue Zugänge zu Ostern zu finden, damit es mehr ist, als Ostereier und Osterhasen ;-).


[1] Vgl. Kermani, N., Bildansichten: Warum hast du uns verlassen? In: https://www.nzz.ch/warum_hast_du_uns_verlassen__guido_renis_kreuzigung-1.2195409

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Da_guido_reni,_crocifisso,_1650_ca._01.jpg

Dr. Cordula Heupts ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn.

#Ostern #Auferstehung #Karfreitag #Kreuz #Kunst 

„Guter Flüchtling, böser Flüchtling: Leid nicht gegeneinander ausspielen“

Mittlerweile sind bereits sechs Wochen seit der russischen Invasion in die Ukraine vergangen, ohne dass Anzeichen erkennbar wären, die auf ein schnelles Ende der Barbarei Russlands hindeuten. Die täglichen Bilder aus der Ukraine von zerbombten Wohnhäusern, Angriffe auf Kliniken, Millionen von Familien auf der Flucht und tausende eingekesselte Menschen verändern grundlegend unsere Wahrnehmung und rütteln an Privilegien in Mitteleuropa. 

Spreche ich mit meinen Eltern über den Krieg in der Ukraine, so wirkt es für sie wie ein Alptraum, der sich erneut in einem anderen Ort der Welt abspielt: Sie selbst haben das Leid, welches die UDSSR mit ihrer Invasion am 26.12.1979 in Afghanistan über die gesamte Nation in mehr als zehn Jahren brachte noch sehr genau in Erinnerung. Ich persönlich habe das Grauen des Bürgerkriegs und die Anfänge des Taliban-Regime erlebt und erinnere mich nur zu gut als Kabul eingekesselt von einem Dutzend unterschiedlicher Gruppierungen dem Erdboden gleich zerbombt wurde. Nur zu gut können wir in der Familie, die selbst als Opfer des Kriegs zu Flüchtlingen wurden, das Leid und den Schmerz der Ukrainer nachempfinden. 

So ähnlich die Bilder des Leids und Unrechts sich von Afghanistan über Irak und Syrien bis hin zu Ukraine sind, so sehr scheint vieles im Ukrainekrieg anders zu sein: Bereits in den ersten Tagen dieses fürchterlichen Kriegs in der Ukraine hieß es hastig seitens amerikanischer oder britischer Journalist:innen, die Ukraine sei „kein Dritte-Welt-Land“, sondern eher „europäisch“ und „zivilisiert“. Gleich einige Tage später setzt ein ehemaliger hoher ukrainischer Staatsbediensteter in einem BBC Live-Interview nach als er emotional hervorhob, dass er täglich sehe wie „europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“ getötet würden. Als wäre das Blut getöteter Menschen mit braunen Augen und dunklen Haaren nicht rot. Und auch andere europäische Polikter:innen wie etwa die österreichische Verfassungsministerin Karoline Edtstadler machten deutlich, dass es sich bei Ukrainern „nicht klassisch“ um Flüchtlinge handle, sondern um „Europäer, die nachbarschaftliche Hilfe und Schutz brauchen“. Auch Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey lobte kürzlich im Rahmen eines Interviews den Arbeitswillen ukrainischer Geflüchteter und implizierte zugleich, dass andere Geflüchtete zunächst nach Sozialleistungen fragten. Diese traurige Aufzählung „einzelner“ Statements ließe sich beliebig fortführen. Gemein ist ihnen allen, dass Menschen kategorisiert werden in all der Not, in echte und unechte, gute, böse oder nützliche Fliehende und die Solidarität – getragen vom Gebot der Menschlichkeit und der europäischen Werte – bestimmt wird von Hautfarbe, Religion und Herkunft. Noch vor wenigen Monaten sind Menschen aus Syrien und Afghanistan bei zweistelligem Minustemperaturen erfroren, an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Ja, Polen, das EU-Land, das jetzt bereits über eine Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen hat, verletzt sonst an seiner Ostgrenze die Mindeststandards von Völker- und Europarecht. Und noch gestern hat der Europarat die Zunahme widerrechtlicher Zurückweisungen (sog. Pushbacks) von Asylsuchenden an den europäischen Außengrenzen als „systematisches Problem“ angeprangert.

Nein, Leid darf nicht gegen Leid ausgespielt werden. Aber es wäre eine Vertiefung erfahrenen und bestehendem Leids, wenn Solidarität kategorisierend wäre. Gerade die Fastenzeit, die dieses Jahr im Christentum und Islam zeitlich zusammenfällt und zudem nächste Woche noch das jüdische Pessach-Fest hinzukommt, lädt ein diese Solidaritätsensorik im Herzen zu schärfen oder vor anhaftendem Rost zu befreien. Denn die Entsagung während der Fastenzeit soll nicht nur in uns die Selbstsucht mindern, sondern hat insbesondere einen sozialen Bezug und manifestiert in erster Linie sich in Barmherzigkeit und Solidarität. Daher bezeichnete der Prophet Muhammad den Monat Ramadan als den Monat der Mitmenschlichkeit. Möge diese Mitmenschlichkeit allen Menschen zuteil werden!

Dieses Bild zeigt Flüchtlinge aus Syrien oder doch auch Odessa (Ukraine)…

Jun.-Prof. Dr. Idris Nassery ist Juniorprofessor für Islamische Rechtswissenschaften am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.

#Peaceintheworld #Mitmenschlichkeit #Ramadan

„Auschwitz ist eine offene Wunde“

Ein etwas anderer Reisebericht über einen Samstag im März: Bis zum Ziel wären es von unserem Hotel mit dem Taxi nur ein paar Minuten gewesen, doch an diesem Morgen entschieden wir uns für einen Spaziergang. Wir überquerten den Fluss und bogen am Kreisverkehr links in die Hauptstraße ab, bis wir einen großen Wohnblock erreichten. Es war einiges los: Menschen machten sich auf den Weg zur Arbeit oder zum Einkauf, eine junge Frau schob einen Kinderwagen und grüßte fröhlich einer älteren Dame, die ihr auf dem Fahrrad entgegenkam. Schließlich erreichten wir einen Wohnblock. Hinter einem Kebab-Imbiss, der für günstige Mittagsangebote für Schüler warb, gingen wir über einen modernen Spielplatz. Kinder tobten an den Spielgeräten, die frischen Temperaturen des Morgens schienen sie nicht zu stören. Am Ende der Straße ging es nach links weiter, und als wir den großen Busparkplatz sahen, wussten wir, dass wir gleich unser Ziel erreicht haben würden. Unentwegt stiegen große Gruppen aus den Bussen und steuerten auf den Eingang der Gedenkstätte zu. Ein paar Jugendliche posierten für ein Selfie. Wer nicht direkt zum Museum ging, ließ sich von den großen Reklametafeln zum Kiosk oder einem der Restaurants locken.

Die Stadt, in der wir uns befanden, trägt den Namen Oświęcim und liegt in Südpolen, etwa 60 Kilometer von Kraków (Krakau) entfernt. Unter ihrem deutschen Namen Auschwitz erlangte sie traurige Berühmtheit. Wir waren an dem Ort angelangt, der als Synonym für eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte steht: den nationalsozialistischen Völkermord an rund 6 Millionen Jüdinnen und Juden. Mit 18 Studierenden der Universität Paderborn unternahmen wir vom 11. bis 18. März 2022 eine Studienfahrt nach Auschwitz. Gemeinsam besichtigten wir das Konzentrationslager, zunächst das Stammlager Auschwitz I mit dem zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“, und dann, zwei Kilometer entfernt, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Um das Gesehene zu verarbeiten, erwiesen sich Gespräche als wichtig und kostbar – untereinander, aber auch mit den Menschen vor Ort, dem deutschen Pfarrer Manfred Deselaers sowie einem deutschen Freiwilligendienstleistenden und den einheimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Auschwitz ist eine offene Wunde“, erklärte uns Pfarrer Deselaers. Eine offene Wunde, der gar neue Wunden zugefügt werden? 

Dass die weltweite Gesellschaft angesichts des belastenden Erbes nach Auschwitz weiterhin herausgefordert ist, zeigt sich jüngst im Krieg in der Ukraine. Mit dem Vorwand der „Entnazifizierung“ begann seitens Russlands ein Feldzug, der seit einigen Wochen viel Leid, Zerstörung und Tod sowie eine weltweite Erschütterung mit sich brachte. Unter den Leidtragenden sind auch die Überlebenden nationalsozialistischer Verfolgung. Sie brauchen jetzt mehr denn je unsere Hilfe, heißt es im neugegründeten Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine. Menschen, die einst den nationalsozialistischen Schrecken überlebt hatten, sind neuen individuell und gesellschaftlich tiefgehenden physischen und psychischen Wunden ausgesetzt. Doch die Willkommenskultur und von Nächstliebe erfüllten Begegnungen mit ukrainischen Geflüchteten in Oświęcim ließen in dem bedrückenden Schatten der örtlichen NS-Vergangenheit und des aktuellen Krieges einen einprägsamen Hoffnungsschimmer erscheinen.

All diese Eindrücke und Gedanken nahmen wir mit, als wir abends wieder zurück zum Hotel gingen. Nachdem wir den Busparkplatz hinter uns ließen und um die Ecke bogen, über den Spielplatz, vorbei am Kebab-Imbiss und den Wohnblocks, wurde es ruhiger. Die KZ-Gedenkstätte ist in Oświęcim einer der größten Arbeitgeber, zugleich kämpft die Stadt um Normalität. In der polnischen Sprache unterscheiden die Menschen zwischen Oświęcim und Auschwitz. Das hilft den Einwohner*innen, dass die hässlichen Narben ein wenig verheilen können, die die Deutschen in ihrer Stadt hinterlassen haben. In der deutschen Sprache bleibt Auschwitz derweil fest verankert – als mahnendes Gedenken eines „Nie wieder“, als Aufruf an uns, unsere Studierenden und alle folgenden Generationen, nicht aus Schuld, sondern aus Verantwortung.

Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn und Lehrbeauftragter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

#Auschwitz #Verantwortung #Ukraine

Der gute Lehrer

Heute Morgen habe ich die folgende Koranstelle gelesen (3:159): „Wegen der Barmherzigkeit von Gott warst du zu ihnen milde. Doch wärst du grob und harten Herzens gewesen, sie wären dir davongelaufen. Daher verzeihe ihnen, und bitte für sie um Vergebung! Und berate dich mit ihnen in der Sache! Wenn du dich entschlossen hast, so vertraut auf Gott! Siehe, Gott liebt die Gottesvertrauenden.“
فَبِمَا رَحْمَةٍۢ مِّنَ ٱللَّهِ لِنتَ لَهُمْ ۖ وَلَوْ كُنتَ فَظًّا غَلِيظَ ٱلْقَلْبِ لَٱنفَضُّواْ مِنْ حَوْلِكَ ۖ فَٱعْفُ عَنْهُمْ وَٱسْتَغْفِرْ لَهُمْ وَشَاوِرْهُمْ فِى ٱلْأَمْرِ ۖ فَإِذَا عَزَمْتَ فَتَوَكَّلْ عَلَى ٱللَّهِ ۚ إِنَّ ٱللَّهَ يُحِبُّ ٱلْمُتَوَكِّلِينَ
Beim Lesen der Sure muss ich immer wieder genau an dieser Stelle eine Pause einlegen und mir meine Gedanken darüber machen. Oft kann ich nicht weiterlesen, denn diese Stelle spricht über pädagogische Werte, die mich berühren. Die Koranstelle spricht über einige Eigenschaften des Propheten Muhammad und wie er mit seinen Gefährten bzw. seinen Anhängern umgegangen ist. Als ich die obengenannte Stelle gelesen habe, habe ich mich spontan an die Eigenschaften und den Charakter eines guten Lehrers bzw. eines guten Anführers gedacht. Dann habe ich mich eine Frage gestellt: Was macht eine gute Lehrerin / einen guten Lehrer aus? Eine allgemeine Antwort habe ich hier in der genannten Koranstellegefunden: Lehrer*innen sollen barmherzig gegenüber Schüler*innen bzw. Studierenden sein. Außerdem sollten sie einen „guten Draht“ zu ihnen haben. Sie sollen sie unterstützen, ihnen zuhören und offene Diskussionen mit ihnen führen. Darüber hinaus ist das Ziel guten Unterrichts, den Horizont der SuS zu erweitern. Es reicht nicht aus, dass Lehrer*innen viel Fachwissen haben, sondern müssen auch viele weitere pädagogische Kompetenzen besitzen. Diese pädagogischen Kompetenzen ermöglichen ihnen binnendifferenziert zu denken.
Die Sira-Literatur (Biografie des Propheten Mohammed) berichtet uns viele Situationen von ihm, in denen er auf verschiedene Erziehungsmethoden zurückgreift. Oft verdeutlicht er seine Konzepte durch Erzählungen und Gleichnisse. Er hört sehr gut zu und gibt seinen Gefährten die Chancen, ihre Meinungen frei zu äußern und seine Meinungen zu kritisieren. Darüber hinaus nahm er vielmals Kritiken der Anderen an.
Viele Gefährten fragten den Gesandten Mohammed, was denn die beste Tat sei: Der Prophet Mohammad erwiderte: Das hängt von der Situation ab. Als Abu Dharr ihm sagte: „Gesandter Gottes, rate mir zu einer guten Tat!“, entgegnete er: „Sei dir Gottes bewusst, wo auch immer du bist; reinige dich von deinen Sünden, indem du ihnen sofort eine gute Tat folgen lässt; und behandle die Menschen so gut wie möglich!“ Ein anderer Gefährte fragte ihn: „O Gesandter Gottes, rate mir zu einer guten Tat, aber fasse dich kurz, damit ich mich auch an sie erinnere!“ Der Prophet Mohammad antwortete ihm: „Lasse dich nicht von Zorn übermannen!“ Der Mann fragte ihn noch zwei weitere Male, und der Prophet gab jedes Mal die gleiche Antwort.

Schließlich war das wichtigste pädagogische Prinzip meines guten Lehrers bzw. des Propheten Muhammed, dass er sich selbst als lebendiges Beispiel präsentierte.

Ahmed Elshahawy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

#Lehrer #Prophet #Muhammad #Kompetenz

Das Bild der Woche

Es gibt ein drastisches Gedankenspiel von Immanuel Kant, mit dem er das Bewusstsein der Freiheit aufzeigen will. Man stelle sich vor, der Tyrann bedrohe einen mit dem Tod. Um dem Galgen zu entkommen, müsse man stattdessen einen Unschuldigen ausliefern. Es ist kaum möglich, dieses Bild vor Augen zu haben, ohne die erschreckende Frage: Was würde ich tun? Für Kant ist klar, dass der so gefragte Mensch weiß, was er tun sollte, nämlich niemals einen Unschuldigen dem Tod ausliefern und lieber selbst die Todesstrafe auf sich nehmen: „Ob er es tun würde, oder nicht, wird er vielleicht sich nicht getrauen zu versichern; daß es ihm aber möglich sei, muß er ohne Bedenken einräumen.“[1]

Wenn Menschen in widrigsten Umständen das Gesollte tun, rufen sie diese Frage hervor, die auch Kant provoziert hatte. Selbst dann noch, wenn wir selbst weit weg, zuhause vor dem Laptop im Warmen sitzen. So ging es mir, als ich das Bild dieser Woche gesehen habe. Es zeigt Marina Owsjannikowa. Die Fernsehredakteurin ist für ein paar Augenblicke in den russischen Nachrichten zu sehen, direkt hinter der Sprecherin. Sie hebt ein Plakat hoch, auf dem die Worte „No War“ zu lesen sind, ehe der nächste Einspieler läuft und der Moment vorbei ist. Das Foto ging seitdem um die Welt. Wie jedes Bild in diesem Krieg ist es selbst einer grausamen Debatte über seine Bedeutung und Hintergründe ausgesetzt – ein Puzzlestück in einem Konflikt, der auch mit Bildern und auf Social Media gekämpft wird. Was würde ich tun?

Christlich gesprochen, ist es ein Zeichen des Prophetischen, das Evangelium konkret werden zu lassen, auch dann noch, wenn die Umstände dem entgegenstehen. Dass die Kirchen hinter diesem Anspruch zurückbleiben, überrascht kaum, denn er ist bitterernst. Das Blutrot der Kardinalsgewänder erinnert etwa daran, dass sie bis zum Tod dem Glauben treu bleiben sollen. Doch prophetisches Wirken ist ausdrücklich auch die Berufung der sogenannten Laien (Lumen Gentium 35)

Vor einigen Jahren habe ich an einer Studienreise nach Russland teilgenommen, deren Hauptthema die Verfolgung der Russisch-Orthodoxen Kirche im vergangenen Jahrhundert war.[2] In vielen Gesprächen haben wir gelernt, dass es mitunter Kooperation mit dem Staat gab, die keine prophetische Kraft erkennen ließ, zugleich aber immer wieder Menschen, die bis zum Äußersten ihren Glauben gelebt haben und heute als Neomärtyrer verehrt werden. Einer der in Deutschland bekanntesten ist Alexander Schmorell, Mitglied der Weißen Rose. 

Wenn etwas in diesen Tagen Hoffnung macht, dann dies, dass es Meschen gibt, die bereit sind, Nein zu sagen, wo es leichter wäre, zu schweigen. 


[1] Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 54.

[2] https://petersburger-dialog.de/theologenreise-moskau-jekaterinburg-st-petersburg-14-22-september-2018/.

Lukas Wiesenhütter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Bonn.

#Russland #Ukraine #Kant #Freiheit #Protest #Kirche

Monikas Entscheidung

„Na komm, Monika, stell Dich nicht so an, tue es doch einfach für uns alle, fürs Land, für Deine Freunde. Damit setzt Du doch ein Zeichen. Jetzt brauchen wir Zusammenhalt wie noch nie. Du, ich find’s auch übertrieben von den „da oben“, dass die Euch so Druck machen! Aber ein bisschen kann ich die auch verstehen. Es herrscht Unruhe im Land, Inflation wird immer schlimmer. Ohne Solidarität geht’s nun mal nicht im Moment. Da muss der einzelne zurücktreten und mitziehen. Machs einfach! Kriegste deine Bescheinigung und dann wars schon!“

Monika schaute die Freundin mit ihren schwarzen Augen an.

„Tja, ich tue mich damit auch nicht so leicht… Mir fehlen die Spaziergänge mit Euch Mädels durch die kleinen Lädchen, die Markthallen…“

„Komm, das geht schneller als gedacht. Und Du sagst doch selbst, dass Euer Gott Euch so liebt! Er wird’s schon verkraften, wenn Du unseren Staatsgöttern etwas opferst! Das versteht er! Oder ist es nicht genug, dass sein einziger Sohn schon für Euch gestorben ist? Ist doch nur ein Opfer! Ein Klacks ist das. Denn pass auf, der Druck wird steigen. Jetzt bedrängen die Euch mit Geldstrafen, aber du weißt nicht, was denen noch alles einfällt… Das Volk braucht jetzt einen Schuldigen! Panem et circenses! Die machen auch vor deinen schönen Augen nicht halt.“

Valeria umarmte ihre schwarzäugige Freundin und strich ihr die lockige Haarsträhne aus der Stirn. Monika hakte sich bei ihr ein und die Mädchen schritten fort. 

Monikas Familie ließ sich vor knapp zwei Monaten taufen. Monika war stolz auf ihren Glauben und doch machten ihr all die Schicksalsprüfungen, die dadurch plötzlich in ihr junges Leben kamen, auch zu schaffen. 

Kaiser Diokletian wollte durchgreifen. Er war ein beliebter homo politicus, stark, ein richtiger Macher, ein Kümmerer auch. Bodenständig. Ein Knallhartkaiser eben. Einen wie ihn brauchte das Imperium, um die Inflationswelle zu brechen, die vielen neuen Sekten in Schach zu halten und sich die Barbaren vom Leibe zu halten. Alle Religionen haben Existenzberechtigung, aber jeder muss den Staatsgöttern opfern. Das ist doch, bei Jupiter, nicht zu viel verlangt! Einfach sich aufraffen, dem Staat den nötigen Respekt zu zollen. Der Staat darf sich nun mal nicht erpressen lassen. Natürlich hatte er versprochen, dass es nie eine Pflicht geben würde, der religio romana anzugehören… Er brach sein Wort nur ungern. 

Das Opfern ist problemlos möglich, keinerlei Hindernisse, dauert ja auch nur ein paar Minuten. Und dann sollen sie doch weiter ihrem Jesus dienen. Soll mir recht sein.

Wenn die Zeit rum ist, müssen die halt nochmal hin, aber ihnen fallen doch nicht die Arme ab.

Das dachte sich der Diokletian beim Weinfrühstück. Ein Rubin-Ring schmückte seine grobe Soldatenhand. Er war eben ein Soldat geblieben, in seinem Herzen. Er machte das Handwerk des Kaisers gut, beim Jupiter! Und wenn manchmal Blut fließen musste, dann floss es eben. Schließlich gelten ja die gleichen Regeln für alle. 

Es war Zeit, sich zu verabschieden. Die schönen Römerinnen gaben sich je ein Wangenküsschen.

„Bis morgen, meine Liebe.“

„Bis morgen, Valeria.“

Monika konnte den Jupiter-Tempel sehen, keine Hundert Schritte entfernt… Die Sonne ließ ihre letzten roten Strahlen auf ihn fallen. Monika schloss die Augen und atmete tief aus.

Unter Diokletian (284 – 305) wurden alle Bewohner des Landes aufgefordert, den Staatsgöttern ein Opfer darzubringen. Der Vorgang wurde entsprechend dokumentiert und der Betroffene erhielt ein Nachweispapier, eine Bescheinigung darüber, dass er sein Opfer vollbracht hat. Es handelte sich um eine Formalie und einen Loyalitätsbeweis. 

Elizaveta Dorogova ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.

#Entscheidung #Gesellschaft #Individuum

Unterbrechungen

Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung; so hat der katholische Theologe Johann Baptist Metz formuliert. Der Abbruch des Erwartbaren, des Alltäglichen und Selbstverständlichen wird damit zur Kernbestimmung des Glaubens. Keinen Zeitpunkt im Kirchenjahr verbinde ich stärker mit dieser Definition als den Beginn der Fastenzeit. Der bewusste Verzicht auf dieses oder jenes für den Zeitraum von Aschermittwoch bis Ostern bedeutet in diesem Sinne in der christlichen Praxis immer mehr als bloße Askese. Beispielsweise auf Fleisch, Alkohol oder Süßigkeiten zu verzichten, unterbricht die Annehmlichkeiten des Alltags und sensibilisiert neu für ihren Wert. Das Fasten – so zeigt für mich immer wieder eindrucksvoll die islamische Fastenzeit – kann daher Gemeinschaft stärken, weil soziale und kulturelle Unterschiede im gemeinsamen Handeln von einer größeren Einheit umfasst werden. Das Fasten lehrt in einer theologischen Deutung zuletzt aber auch das Bewusstsein über den absoluten Abbruch des Erwartbaren durch Krankheit und Tod. Die Fastenzeit verweist uns darauf, dass die Dinge, die unseren Alltag schöner und womöglich überhaupt erst erträglich machen, nicht über ihre Vorläufigkeit und Zufälligkeit hinwegtäuschen können. Das Schöne und Gute im Leben ist zuletzt nur scheinbar selbstverständlich. Das Fasten kann so eine handfeste Einübung in ein letztes Loslassenmüssen, eine Anerkennung in die Unverfügbarkeit der eigenen Existenz sein. 

Derzeit werden wir regelmäßig von Unterbrechungen des Selbstverständlichen überwältigt: Noch immer hat uns eine Pandemie im Würgegriff und neuerdings steht die für die meisten von uns alltäglich gewordene Friedensordnung Europas infrage. Die Dramatik der Ereignisse zeigt die Fragilität und Vorläufigkeit unserer Pläne und Absichten, sie konfrontiert uns mit Elend und Tod und damit zugleich mit dem, was nicht in unserer Macht ist. Es scheint ein guter Zeitpunkt für ein bewusstes Fasten, für eine Einübung in die Annahme, dass unsere Erwartungen jederzeit unterbrochen werden können, eine Einübung in die Frage, was wirklich von Bedeutung für uns ist. In christlicher Sicht ist dieses zuerst und zuletzt Bedeutungsvolle das In-Beziehung-Sein mit anderen, Freundschaft, Familie, Gemeinde etc. Darin wird bereits im Fasten Ostern antizipiert als die Hoffnung auf das Nicht-Selbstverständliche schlechthin, dass nicht der absolute Abbruch, sondern das In-Beziehung-Sein, das hier und jetzt schon unser Leben begründet, das letzte Wort behält.

Prof. Dr. Aaron Langenfeld ist Professor für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaften an der Theologischen Fakultät Paderborn.

#Fastenzeit #Aschermittwoch #Ostern #Verzicht #Unterbrechung #Religionen #Pandemie #Krieg

On the Nature of Evil as “Imagined Portent”

Twenty years ago, when I read Henry James’ the Turn of the Screw for the first time as a young teenager, I remember finishing the book and telling myself, “Hmm… another typical English horror tale…What a waste of time!” The story was about a young woman who was appointed as a governess by a young gentleman to take care of the education of the gentleman’s small nephew and small niece, Miles and Flora, whose parents had died, and who were living with a housekeeper in an old family house in the countryside. The story went on with the young governess’ discovery of the presence of two evil ghosts in the house who did all they could to possess Miles and Flora, who appeared to prove themselves more and more evil, in the eyes of the governess, throughout the course of the narrative. The story was actually a first-person narration by the governess. The reader could empathize with all the fears and the sorrows that she went through until the final scene, when, despite all the motherly efforts of the governess to protect the children, ten-year-old Miles, after the exchange of a few ambiguous sentences with the governess, dies in her arms, leaving a teenage reader of the novella with the judgment: scary, but nonsense!  

Nevertheless, it took almost fifteen years until a key towards a deeper understanding of this story was offered to me, and this in an extraordinary book by Daryl Koehn, titled The Nature of Evil, in which she had dedicated each chapter to the analysis of the portrait of evil as depicted in a world-renowned literary work, from Dr. Jekyll and Mr. Hyde to the New Testament. You can imagine the great degree of my surprise when I saw that one full chapter of that book was dedicated to the uncovering of the face of evil in the above-mentioned novella. The title of the chapter was “Evil as Imagined Portent”.

In her reading of the story, Koehn had tried to distance herself from the governess’ narrative and to examine her actions with the help of the clues which were artfully hidden by Henry James between the lines of the narration to conclude the madness of the young governess and that she herself was actually the evil she tried too hard to combat throughout the whole story. The madness of the governess, which leads to her killing Miles in her own arms in the final scene of the story, is, however, unrecognizable to the reader who is deeply steeped in her narrative taking part in her madness. 

Reminding the reader of the apparently unimportant point in the beginning of the story regarding the governess’ feelings for the uncle of the children, that “handsome” “bold” gentleman who had assigned to her the huge responsibility of taking care of the children of his deceased brother,[1] Koehn brings under the limelight the kind of persona that the governess, in her own fantasies, had fabricated for herself to fulfil the role that was granted to her as a “favour” from her sweetheart. Taken over by the wild running of her own imagination, the governess paranoidly seeks, and naturally finds, every slightest possible piece of evidence in the children’s normal course of behaviour to confirm their role, in the eyes of the governess, as the poor, though malicious, victims in the story and her own role as a hero, as their saviour. The more she tries to “master the imagined crisis” by controlling the situation, the more violent she gets, the more afraid of her the children become, and the more assured she becomes of their malignity.[2]

The most crucial point made in this chapter by Koehn is that, according to her, the reader of this story, by feeling attached to the illogical course of the governess’ narrative and by empathizing with her and protecting her persona, as the central figure of the story, has proven herself/himself not to be immune from the disease by which the young woman in this story is inflicted. Although the governess of James’ story is configured to depict an extreme case, her emotional connection to the identity she defined for herself is familiar to every reader confronting this story for the first time. As Koehn makes clear in this chapter, we are normally prone to place evil wherever we recognize a “violative threat to our identity” is taking place. The human ego is ready to do whatever imaginable to protect this identity and this is where the real evil could grow in the forms of, as Koehn enumerates, the creation of enemies, mad courage, attempts to master ambiguity, manipulative control of vulnerable people, etc. Among many wise comments that Koehn provides in this chapter of her book regarding how to deal with this tragic human situation, I found two of them, practically, most important: first, to explore further and further the nature of evil (beyond the boundaries of our personal discernment of identity-threat) “instead of accusing particular individuals of being wicked”,[3] and second, to ask ourselves and to wonder in the face of those who seem to fear us: “have we become akin to the very evil we seek to defeat?”[4]


[1] This description is not mentioned in detail by Koehn, but the reader can see it in: James, Henry, The Turn of the Screw and Other Stories, ed. by T.J. Lustig, Oxford & New York: Oxford University Press, 1992, p.120

[2] Koehn, Daryl, The Nature of Evil, New York, Palgrave Macmillan, 2005, pp. 117-149

[3] Ibid., p. 149

[4] Ibid., p. 145

Nasrin Bani Assadi promoviert in Komparativer Theologie an der Universität Bonn.

#Thenatureofevil #epistemicevil #DarylKoehn #TheTurnoftheScrew

Auf synodalen Wegen

Ob wir aktuell in bewegten Zeiten leben oder am Ende des Weges nicht doch – egal, wie schnell der synodale Hase läuft – immer schon der kirchenamtliche Igel wartet, der sich über den unnützen (und totbringenden) Lauf des Hasen ins Pfötchen lacht, kann jetzt noch niemand sagen. Ich spreche vom synodalen Weg, der vor gut einem Jahr, im Dezember 2019, eröffnet wurde und diesen Monat seine dritte Synodalversammlung abgehalten hat. Stimmen wie die des Wiener Theologen Jan-Heiner Tück verweisen auf die demokratischen Strukturen des synodalen Reformprozesses, „die nicht mit der Verfasstheit der katholischen Kirche vereinbar seien“[1] und die Weihe- und Hirtengewalt der Bischöfe als „vermittelnde Größe zwischen den Ortskirchen und der Weltkirche“[2] unterminieren würden. Der Sprecher der Initiative Pontifex, Benno Schwaderlapp, nennt den synodalen Weg eine „Jodelsynode“[3] ohne kirchenrechtliche Verbindlichkeit. Tatsächlich hält die Satzung des synodalen Weges selbst fest, dass die Beschlüsse der Synodalversammlung „von sich aus keine Rechtswirkung“[4] entfalten, wenn die jeweiligen Diözesanbischöfe die Beschlüsse auch als Impulse für das Handeln in den jeweiligen Ortskirchen verstehen können. 

Aus dieser Sicht scheint es nicht unberechtigt, von einer groß angelegten Gesprächstherapie des deutschen Katholizismus zu sprechen, die letztendlich von der Katholizität der Gesamtkirche geschluckt wird. So wird mitunter der Größenwahn der deutschen Kirche belächelt, die meint, mit ihren regional geprägten Reformbestrebungen die Weltkirche beeinflussen zu können. 

Die Konzentration auf die fehlende Rechtswirksamkeit und die Regionalität des synodalen Wegs scheint jedoch außer Acht zu lassen, dass in jeder kirchenamtlich noch so unbedeutenden Stimme pastoral gesprochen die Stimme Jesu Christi selbst zum Ausdruck kommt. Biblische Impulse hierfür gibt es genug („Lasst die Kinder und hindert sie nicht, zu mir zu kommen!“ (Mt 19,14) / „Viele Erste werden Letzte sein und Letzte Erste.“ (Mt 19,30) („Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)). Oder wie Schwaderlapp nur wenige Zeilen nach seiner Kritik an der fehlenden Effizienz des „Ungetüms“[5] synodaler Weg sagt: „Mehrheit ist nicht die Sprache Christi, ähnlich wie Erfolg. Jede Seele ist unendlich kostbar und jede Nachricht von jungen Menschen in unserem Postfach, die sich durch unsere Arbeit angesprochen, bestärkt oder ermutigt fühlen, ist es wert die Wahrheit zu verkünden.“ Ich kann ihm da nur zustimmen – jede Stimme ist es wert, gehört zu werden, was die Initiative #outinchurch eindrucksvoll bezeugt. Am Ende des synodalen Wegs erhält hoffentlich nicht einfach nur jeder sein „Jodeldiplom“, damit man was Eigenes hat (frei nach Loriot). Jede einzelne Stimme hat das Potential, große Veränderungen in der Gesamtkirche zu bewirken, da man nie wissen kann, welche Wortmeldungen gerade „einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2). 


[1] Jan-Heiner Tück, Wiener Theologe Tück kritisiert Reformprojekt Synodaler Weg, in: https://www.katholisch.de/artikel/31945-wiener-theologe-tueck-kritisiert-reformprojekt-synodaler-weg; 04.04.2022.

[2] Ebd.

[3] https://de.catholicnewsagency.com/story/initiative-pontifex-der-synodale-weges-ist-eine-art-jodelsynode-5440; 04.04.2022.

[4] Satzung des synodalen Weges, Artikel 11, Absatz 5. Einzusehen auf synodalerweg.de.

[5] https://de.catholicnewsagency.com/story/initiative-pontifex-der-synodale-weges-ist-eine-art-jodelsynode-5440; 04.04.2022.

Dr. Cornelia Dockter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

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