In der modernen Erziehung und anderen Führungsbereichen stehen Erwachsene oft vor der Herausforderung, mit destruktivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen umzugehen und eine respektvolle Beziehungskultur zu fördern. Die „Neue Autorität“ bietet nach eigenen Aussagen einen innovativen Ansatz, den auch Lehrer:innen für sich nutzen können. Entwickelt von Prof. Haim Omer, beschreibt sie sieben Säulen, auf denen das Konzept beruht, wobei dieses durchaus auch kritisch diskutiert wird.
Niklas Schlangenotto (Von Studierenden für Studierende)
Die sieben Säulen der „Neuen Autorität“ lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Präsenz & wachsame Sorge: Dies bedeutet, authentisch und respektvoll im Kontakt mit sich selbst und anderen zu sein, während gleichzeitig Verantwortung für die Qualität der Beziehung und die Einhaltung von Werten und Regeln übernommen wird.
- Selbstkontrolle & Eskalationsvorbeugung: Statt Kontrolle über andere auszuüben, stärkt die „Neue Autorität“ die Selbstkontrolle und fördert Strategien zur Vermeidung von Eskalationen, indem sie auf beharrliches Handeln und eine positive Fehlerkultur setzt.
- Unterstützungsnetzwerke & Bündnisse: Die Einbindung von Unterstützungsnetzwerken ermöglicht es, gemeinsam Lösungen zu finden und das Gefühl der Verbundenheit zu stärken, was zu einer verbesserten Lebenssituation führt.
- Protest & gewaltloser Widerstand: Protest und gewaltloser Widerstand gegen destruktives Verhalten dienen dazu, Entschlossenheit zu zeigen und Veränderungsprozesse einzuleiten, während gleichzeitig die Beziehung aufrechterhalten wird.
- Versöhnung & Beziehung: Beziehung wird als zentrale Ressource betrachtet, weshalb beziehungsstiftende Gesten und Versöhnungsangebote in Konfliktsituationen einen hohen Stellenwert haben.
- Transparenz: Die Offenlegung von Haltungen und Handlungen fördert Unterstützung und Zusammenhalt, indem sie Vertrauen und Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt.
- Wiedergutmachungen: Statt auf Strafen setzt die „Neue Autorität“ auf begleitete Wiedergutmachungsprozesse, um Einsicht in begangenes Unrecht zu ermöglichen und konstruktives Verhalten zu fördern (https://www.neueautoritaet.at/%C3%BCber-uns/saeulen-der-neuen-autoritaet.html).
Kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der „Neuen Autorität“
Das vorgestellte Konzept wird unter anderem von dem Erziehungswissenschaftler und Sozialpädagoge Stefan Dierbach in seinem Werk „Der Plan von der Abschaffung der Ohnmacht – Teil 2“ kritisiert, wobei er ebenso Ideen zur weiteren Auseinandersetzung präsentiert.
Der Ansatz der „Neuen Autorität“ wirft nach Dierbach einige bedeutsame Fragen auf. Zunächst einmal scheint er Beziehungskonflikte zu stark zu vereinfachen, indem er sie ausschließlich als Autoritätsprobleme deutet, ohne die tiefere Komplexität sozialer Probleme zu berücksichtigen. Dies kann zu einer eingeschränkten Diagnose führen, die den eigentlichen Ursachen von Konflikten nicht gerecht wird. Des Weiteren fokussiert sich das Konzept stark auf die Wiederherstellung von Autorität durch Durchsetzungsfähigkeit, vernachlässigt jedoch die individuellen Bedürfnisse und Perspektiven der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Dadurch kann es zu einer Einseitigkeit kommen, die einer professionellen Sozialpädagogik, die sich an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientiert, entgegensteht. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Anwendung des „Gewaltfreien Widerstands“ als Mittel zur Erlangung von Autorität. Dies kann ethisch fragwürdig sein und steht möglicherweise nicht im Einklang mit den Rechten und der Partizipation der Kinder und Jugendlichen, die in professionellen pädagogischen Ansätzen betont werden. Zudem vernachlässigt das Konzept die Bedeutung von Selbstreflexion und Verunsicherung bei pädagogischen Fachkräften, indem es Stärke und Handlungssicherheit betont. Dies führt dazu, dass wichtige pädagogische Aspekte wie kritische Selbstreflexion und Offenheit für Unsicherheit und Zweifel übersehen werden. Des Weiteren fehlt es dem Konzept an einer systematischen Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, was dem Grundsatz der Partizipation widerspricht, der in professionellen sozialpädagogischen Ansätzen verankert ist. Schließlich steht die konfrontative Herangehensweise und die Anwendung von negativer Verstärkung im Rahmen der „Neuen Autorität“ dem Ziel eines förderlichen pädagogischen Umfelds entgegenstehen, das auf intrinsische Motivation und positive Verhaltensverstärkung setzt (https://www.kinder-undjugendarbeit.de/fileadmin/user_upload/Dierbach_Teil_2_3_2016.pdf).
Auch Tilman Lutz, Professor für Soziale Arbeit, übt Kritik am Konzept. Er weist darauf hin, dass es die Bedürfnisse und Rechte der Jugendlichen vernachlässigt und eine hierarchische Autoritätsethik befördert. Lutz plädiert stattdessen für eine partizipativere Herangehensweise und betont die Notwendigkeit, die Kinder als eigenständige Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen. Er sieht in anderen Ansätzen wie der „Subjektorientierung“ vielversprechende Alternativen zur „Neuen Autorität“ (https://taz.de/Sozialwissenschaftler-ueber-Neue-Autoritaet/!5566958/).
Trotz den formulierten positiv konnotierten sieben Säulen der „Neuen Autorität“ scheint es somit ratsam, sich mit selbst deklarierten pädagogischen? Konzepten kritisch auseinanderzusetzen!