Ein Großteil der Informationsaufnahme in Lernsituationen erfolgt über das visuelle System. Unter anderem müssen Buchstaben, Zahlen und Formen erkannt und entschlüsselt werden, bevor die Information, die diese beinhalten, kognitiv verarbeitet werden können. Obwohl dies eine grundlegende Erkenntnis ist, so wird sie doch als selbstverständlich vorausgesetzt und oft nicht beachtet. Eine ungestörte visuelle Verarbeitung von optischen Reizen ist nicht bei allen Lernenden vorhanden und eine Störung dieser kann sehr vielfältig ausgestaltet sein sowie unterschiedliche Symptome hervorrufen.
Was sollten Lehrpersonen wissen und worauf sollten sie achten?
Lydia Tebs (Von Studierenden für Studierende)
Sehen hängt von verschiedenen Komponenten ab. Die Sehschärfe, das Kontrastsehen und das Gesichtsfeld sind u.a. zentrale Aspekte des Sehens. Darüber hinaus ist die kognitive Verarbeitung von visuellen Reizen mit komplexen zerebralen Vorgängen verbunden.
Sehstörungen drücken sich bspw. durch Verschwommensehen, Doppeltsehen oder Gesichtsfeldausfälle aus. Die Abklärung der möglichen Ursache(n) ist über eine augenärztliche-orthoptische Untersuchung anzugehen. Die Behandlung von Sehstörungen richtet sich nach der Ursache. Selbst durch das Tragen einer Brille/von Kontaktlinsen wird nicht in jedem Fall ein einwandfreies Sehen erreicht. Möglicherweise sollten weitere Bedingungen (bspw. Sitzplatz, Beleuchtung oder Schriftgröße) angepasst werden.
Wichtig ist, bei visuell auffälligem Verhalten mit den Erziehungsberechtigten über mögliche Sehschwierigkeiten des Kindes zu sprechen und ggf. einen Besuch in einer augenärztlichen-orthoptischen Praxis zu empfehlen.
Visuell bedingtes auffälliges Verhalten zu erkennen ist mitunter jedoch schwierig, da auch allgemeine Symptome wie Unkonzentriertheit und Lernverweigerung als Folge von unzureichendem Sehen möglich sind, aber nicht in erster Linie mit visuellen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsschwierigkeiten assoziiert werden.
Eine Hilfestellung bietet die „Checkliste – Sehen“ (https://www.augen.at/downloads/dokumente/2019/OEOG_Folder-Eine-Schriftart_Checkliste.pdf?m=1571041070&) von der Sehbehindertenpädagogin Monika Lajtha. Hier werden mögliche Probleme in verschiedenen schulischen Bereichen beschrieben, die auf visuelle Schwierigkeiten hindeuten. Es wird empfohlen, dass beim Vorliegen mehrerer zutreffender Schwierigkeiten eine augenärztliche-orthoptische Untersuchung durchgeführt werden sollte.
Zudem werden in der jüngeren Forschung unter dem Begriff „cerebral visual impairment“ (kurz: CVI) zerebral bedingte Störungen der visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung von Kindern und Jugendlichen zusammengefasst. Die Störungen können Basisfunktionen wie die Sehschärfe (Visus) oder die Naheinstellung (Akkommodation) betreffen. Aber es kann auch eine Verarbeitungsstörung auf höherer Ebene betroffen sein, ohne dass die Basisfunktionen auffällig sind (vgl. https://www.augen.at/a-bis-z-der-augengesundheit/cvi.php).
Ursächlich sind häufig Schädigungen des Gehirns durch bspw. Sauerstoffmangel, Geburtskomplikationen oder auch genetisch bedingte Entwicklungsstörungen.
Da die visuelle Verarbeitung im Gehirn verschiedene Areale in Anspruch nimmt und komplexe Funktionen der ganzheitlichen visuellen Wahrnehmung ineinander spielen, können die Symptome einer visuell bedingten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung sehr unterschiedlich ausfallen. Symptome können sich bspw. in einer eingeschränkten Raumwahrnehmung oder in Problemen im Erkennen/Wiedererkennen von Details zeigen. Außerdem werden u.U. weitere zerebrale Funktionen beeinflusst. Wenn bspw. das visuelle Gedächtnis betroffen ist, wirkt sich diese Einschränkung ungünstig auf das Arbeitsgedächtnis aus. Häufig entwickeln die Betroffenen eine aufwendige und zeitintensive Wahrnehmungsstrategie, sodass die Problematik besonders in zeitkritischen Situationen auffällt.
Die Symptome können sich im schulischen Kontext vielfältig ausdrücken. Außerdem sind Barrieren (bspw. überfüllte Arbeitsblätter, die die visuelle Orientierung erschweren) für Menschen mit intakter visueller Verarbeitung oft nicht erkennbar.
Da Kinder und Jugendliche mit einer visuellen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung eine regelrechte Sehschärfe (Visus) aufweisen können, ist es möglich, dass die Ursache unerkannt bleibt und die Einschränkungen nicht mit einer Sehstörung in Verbindung gebracht werden. Daher ist oft eine multidisziplinäre Diagnostik und Förderung nötig, um ein Gesamtbild der Störung zu erkennen und eine gute Versorgung zu leisten. Daran können die Fachgebiete Augenheilkunde, Orthoptik, Neuropädiatrie, Neuropsychologie, Frühförderung, Sehbehindertenpädagogik und Schul- und Sonderpädagogik beteiligt sein.
In NRW sind die „Förderschulen Sehen“ Ansprechpartner für Beratung und pädagogische Frühförderung von blinden und sehgeschädigten Kindern. Die visuelle Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung zählt hier mit rein. Wichtige Voraussetzung für die Diagnostik einer CVI ist die augenärztliche Abklärung der Basisfunktionen des Sehens (vgl. https://www.lwl-pauline-schule.de/de/aufgabenbereiche/fruhforderu/hausfruhforderung/).