Autismus – SPEKTRUM als groteskes Bild der heteronormativen Männlichkeit?

Filme und Serien sind Medienträger, die in der heutigen Gesellschaft große Wichtigkeit erlangt haben. Sie repräsentieren die Gesellschaft, in der wir leben und stellen immer häufiger Themen, wie psychische Erkrankungen, Behinderungen und eine kritische Auseinandersetzung mit den sozialen Strukturen in den Mittelpunkt. So lassen sich auch Filme und Serien wie „Rain Man“ (1988), „Atypical“ (2017) und Charaktere wie Sheldon Cooper in „The Big Bang Theory“ (2007) finden, die allesamt die heteronormativ männliche Darstellung des Autisten in Anspruch nehmen. Stereotypische Darstellung, wie das emotional kalte und distanzierte Genie, das zudem am besten eine Hochbegabung im naturwissenschaftlichen Bereich aufweisen kann (https://taz.de/Autismus-in-Film-und-Fernsehen/!5520705/).

Doch wie äußert sich Autismus im geschlechterspezifischen Vergleich?

Dilara Gebes (Von Studierenden für Studierende)

Dr. Christine Peißmann, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie, ist selbst Autistin und beschreibt, dass Jungen häufiger aggressives Verhalten in der Schule zeigen und aufgrund dessen schneller und eher psychologische Behandlung für sich beanspruchen. Autistische Jungen sind demnach nicht nur in der Medienwelt als überrepräsentiert anzusehen, sondern auch im schulischen bzw. gesellschaftlichen Alltag. Autistinnen hingegen werden oftmals auf das gesellschaftliche Frauenbild reduziert; so ist es nicht unüblich, dass das Verhalten internalisierender Mädchen einfach hingenommen und als ‚Charaktereigenschaft‘ akzeptiert wird, während Jungen eben dissoziales sowie externalisierendes Verhalten zeigen. Dabei macht Dr. Peißmann darauf aufmerksam, dass sich Autismus ganz unterschiedlich äußern kann und Mädchen zurückhaltender sind, weil sie eher Schwierigkeiten in der sensorischen Wahrnehmung und Verarbeitung haben, die oftmals mit starken Reizüberflutungen einhergeht. Ihre Begeisterung gilt auch nicht immer, klassischerweise und stereotyp technischen Themenfeldern, wie häufig bei autistischen Jungen angenommen (https://goodimpact.eu/recherche/fokusthema/autismus-wie-genderklischees-autistinnen-unsichtbar-machen).

Die stereotype Darstellung des männlichen und NUR des männlichen Autismus ist demnach unter anderem auf gesellschaftliche Normen und klassische Rollenbilder zurückzuführen. Doch welche Position vertritt die Medizin an dieser Stelle? Lässt sich auch in diesem Bereich ein Gender-Bias feststellen?

Anila M. D’Mello, am ‚Institute for Brain Research’ untersucht neurologische Entwicklungsstörungen wie Autismus und macht auf Diskrepanzen zwischen den biologischen Geschlechtern aufmerksam. Sie plädiert, dass Autismus in der Vergangenheit und noch immer als eine primär männliche Störung wahrgenommen und bei Frauen, trotz gleicher oder höherer Symptomschwere, seltener diagnostiziert wird, wobei das Verhältnis zwischen Männern und Frauen typischerweise mit 4:1 angegeben wird und bis zu 7:1 betragen kann (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9804357/).

Spätere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern geringer sein könnte als ursprünglich angenommen und in einigen Stichproben sogar gleich groß ist. Angesichts dieser Ergebnisse wurden Forderungen laut, die Charakterisierung von Frauen im Autismus-Spektrum zu verbessern und ihre Vertretung in der Forschung zu erhöhen.

Die Unterrepräsentation von Frauen in der Forschung ist kein Einzelfall in der Autismus Forschung. Sowohl in Studien der Grundlagenforschung als auch in klinischen Studien sind Männer oft unverhältnismäßig überrepräsentiert. Dies kann zu Fehlern bei der Diagnose und Behandlung von Frauen führen, einschließlich einer geringeren Wirksamkeit und unvorhergesehener negativer Nebenwirkungen der pharmakologischen Behandlung, eines erhöhten Bedarfs an Dienstleistungen und Hindernissen für die Behandlung im Vergleich zu Männern sowie anderer unerfüllter Behandlungsbedürfnisse (vgl. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9804357/). Auch Dr. Peißmann konstatiert, dass die Diagnose bei Frauen oftmals nach männlichen Symptomen erfolgt. Selbst die Testung von Medikamenten wird häufig nur oder zum Großteil mit Hilfe männlicher Probanden durchgeführt, sodass die Gefährdung von Frauen unberücksichtigt gelassen wird. Und dass, obwohl der Medizin bewusst ist, dass Wirkmechanismen bei den Geschlechtern unterschiedlich ausfallen (https://goodimpact.eu/recherche/fokusthema/autismus-wie-genderklischees-autistinnen-unsichtbar-machen).

Resümierend lässt sich also sagen, dass Autismus „[…] auf einem Spektrum und nicht auf einer linearen Ebene von „Schwer“ zu „Leicht“ (vgl. https://www.fro.at/autismus-ist-nicht-nur-maennlich/) existiert. Demnach sollte Autismus auch genau als solches betrachtet werden und sich nach den individuellen Bedürfnissen, Auswirkungen und Verhaltensweisen richten. Hier kommt insbesondere der Medizin und ihrem Gender-Bias eine große und wichtige Rolle zu.

Das Spektrum sollte demnach auch wirklich als Spektrum untersucht, behandelt und gesellschaftlich angesehen werden!