Der Spielplatz als „Teufelskreis der Armut“, Pfandflaschen als Mittel zum finanziellen Überleben, und Füße, die jahrelang in den gleichen billigen Schuhen stecken: Der Autor Jeremias Thiel erzählt in seinem autobiographischen Roman „Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance – Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss“ von Abgründen sozialer Ungleichheiten in Deutschland (https://www.piper.de/buecher/kein-pausenbrot-keine-kindheit-keine-chance-isbn-978-3-492-06177-3).
Julia Kramps (Von Studierenden für Studierende)
In schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, im Brennpunktviertel Kotten von Kaiserslautern, beschreibt der Autor das Leben als Kind in einer mehrköpfigen Familie unter Harz IV, gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen und die vielen Hindernisse, die den sozialen Aufstieg quasi zur Unmöglichkeit werden lassen.
„Manchmal denke ich, meine Schranknische ist eine Metapher für meine ersten Lebensjahre in meiner Familie. Ich […] hielt diese Nische für einen schützenden Rückzugsraum […]. Doch in Wirklichkeit war diese Nische klein, zerbrechlich und ständig vom Chaos bedroht.“ Thiel verbringt die ersten Jahre seines Lebens als Kind von Langzeitarbeitslosen, das bereits in jungen Jahren die Verantwortung für die Familie übernimmt. Er beschreibt die Ausweglosigkeit seines marginalisierten Umfelds, die bereits bei der Trennung von Spielplätzen beginnt. Soziale Durchmischung erfährt er das erste Mal in der Grundschule, das fehlende Pausenbrot wird zur Metapher der Strukturlosigkeit eines Elfjährigen, der versucht, die Kinderarmut zu überwinden und ein normales Leben zu führen. Als die Spielsucht seiner Mutter einen Höhepunkt erreicht, geht er mit seinem Bruder zum Jugendamt Kaiserslautern. „Ich möchte weg von Zuhause, weg von meinen Eltern“, sind die Worte, die ihn von den psychischen Erkrankungen seiner Eltern und der Überforderung der Armutsverhältnisse zuhause ins SOS-Kinderdorf befördern.
Jeremias Thiel schreibt in klarer, einfacher Sprache was Kinderarmut in Deutschland konkret bedeutet und was sich sozial-politisch ändern muss, um Brücken zwischen den verschiedenen Welten zu bauen, „die ein gegenseitiges Verständnis möglich machen“. Neben seinem klaren Appell an die Politik, Diversität und sozial unterschiedliche Herkunft mehr als Potential statt als Hindernis zu sehen, fordert der Autor Jugendparlamente in jeder Stadt, um diese demokratisch abzubilden. Auch die psychosoziale Unterstützung von Familien sieht er als großes Manko in Deutschland.
Seine autobiographische Erzählung, wenn auch an manchen Stellen etwas holprig, untermauert er mit Zahlen. 21% aller Kinder, die in Armut aufwachsen, leben mindestens fünf Jahre lang durchgehend oder immer wieder einmal in Armut, genauso wie knapp sechs Millionen Kinder in Deutschland in Haushalten leben, in denen die Eltern kein existenzsicherndes Jahreseinkommen beziehen. Damit unterstreicht er nicht nur die Ausweglosigkeit seiner eigenen damaligen sozialen Situation, sondern auch die faktische Vererbbarkeit von Armut, die nach neoliberalistischem Vorbild oft als „Ergebnis persönlichen Versagens“ angesehen wird.
Thiels Roman sollte wohl als Appell an die Politik verstanden werden, Armut zu bekämpfen, und wie er selbst sagt, als „Buch zum Mut machen, nicht nach dem Motto reiß dich zusammen, dann schaffst du das auch“, was bereits genannte neoliberalistische Vorurteile nur bestätigen würde. Seine Autobiographie ist eine Inspiration aus direkter Hand, die Entscheidungsträger:innen genau das an die Hand geben kann, was sie für ihre Entscheidungen brauchen: Wissen aus erster Hand, das einen scheinbar rechtsfreien Raum beschreibt, in dem der deutsche starke Staat keine Rolle spielt: eine Nische, die „klein, zerbrechlich und ständig vom Chaos bedroht ist“.