Das Erleben gewalttätiger Handlungen im privaten Bereich besitzt in Deutschland längst keinen Einzelfallcharakter mehr. Vor allem durch die seit März 2020 andauernde Corona-Pandemie mit ihren strengen Kontaktbeschränkungen stellt sich die Frage, ob ein weiterer Anstieg von häuslicher Gewalt festzustellen ist. Der am 26.05.2021 erschienene Beitrag über zwei bevölkerungsrepräsentative Befragungen durch medizinische Fachleute verschiedenster Institute (vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/219991/Haeusliche-Gewalt-vor-und-waehrend-der-COVID-19-Pandemie) offenbart die Folgen der seit dem März vergangenen Jahres angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen. Zu erkennen ist zunächst, dass die Infektionsschutzmaßnahmen nicht unmittelbar häusliche Gewalt in Familien hervorgerufen haben. Vielmehr muss die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, inwiefern die Häufigkeit und die Intensität häuslicher Gewalt in den Familien während der Corona Pandemie zugenommen hat.
Ist ein Anstieg von häuslicher Gewalt in betroffenen Familien erkennbar?
Niklas Struck (Von Studierenden für Studierende)
Eine erste Studie zu Beginn der Corona-Pandemie (vgl. https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36053/), welche im Juni 2020 veröffentlicht wurde, zeigt die prozentualen Anstiege häuslicher Gewalt mit Blick auf Frauen und Kinder. Ca. 3-3,5% aller Frauen in Deutschland wurden bereits nach kurzer Zeit in der Pandemie Opfer körperlicher Gewalt oder sogar Opfer sexuellen Missbrauchs. Darüber hinaus kam es in 6,5% aller deutschen Haushalte zu Gewalttaten gegenüber Kindern.
Eine erschreckende Entwicklung ist bei Familien zu beobachten, die sich während der Corona-Pandemie in Quarantäne begeben mussten. Dabei stiegen die prozentualen Anteile körperlicher Gewalt sowohl bei Frauen, als auch bei Kindern um fast das Doppelte.
Um den Opfern von häuslicher Gewalt Unterstützungsleistungen anzubieten, wurden Hilfetelefone oder auch Telefonseelsorge für digitale Gespräche eingeführt. Diese Hilfsangebote waren ca. der Hälfte der Befragten bekannt, wurden aber nur in seltenen Fällen auch tatsächlich genutzt.
Aus einem am 09.07.2021 erschienenen Interview mit Dr. Jana Hertwig vom Harriet Taylor Mill-Institut in Berlin, die sich in ihrer Forschung explizit mit dem Zusammenhang der Kontaktbeschränkung und dem Anstieg häuslicher Gewalt beschäftigt, geht hervor, dass vor allem Kinder in jede Tat körperlicher Gewalt im privaten Bereich automatisch mit einbezogen werden. Sei es selbst als Ziel einer Gewalttat oder auch als Zeugin oder Zeuge von Gewalt innerhalb einer Familie (vgl. https://www.hwr-berlin.de/hwr-berlin/fachbereiche-und-zentralinstitute/fb-1-wirtschaftswissenschaften/neuigkeiten/fb1-neuigkeiten-detail/2269-haeusliche-gewalt-in-der-corona-pandemie/). Ein zentraler Aspekt der Prävention sowie auch der Intervention bei häuslicher Gewalt muss also sein, die Kinder in erster Linie noch mehr und besser zu schützen.
Kinder nehmen aus der Corona-Pandemie nicht nur physische, körperliche Folgen durch Gewalt mit in ihr weiteres Leben, sondern vor allem das Risiko von persönlichen Entwicklungsstörungen durch die lange Zeit ohne soziale Kontakte sowie unterdurchschnittlicher Effektivität der schulischen Bildung.